lemmi hat geschrieben: ↑Sonntag 15. August 2021, 20:55
Ich greife nochmal eine Diskussion von
viewtopic.php?f=69&t=3246&start=30 hier auf - es geht um die Erklärung der Phosphoreszenz.
<...>
Was ist nun richtig?
Hallo zusammen,
zufällig bin ich über das Thema gestolpert - und hätte ein paar Antworten.
Zunächst einmal vielen Dank für den wunderschönen Eingangsbeitrag - macht Spass zu lesen!
Zu den Begriffen
Lumineszenz, Fluoreszenz, Phosphoreszenz, Thermolumineszenz, persistente Lumineszenz (Nachleuchten)
Wozu die unterschiedlichen Begriffe? Dazu gibt es -sowie ich die Literatur und Gepflogenheiten verstehe - zwei Ansätze:
einen phänomenologischen Ansatz und einen (moderneren) Ansatz, der sich auf die zugrundeliegenden physikalischen Mechanismen bezieht. Im folgenden beziehe ich mich auf letzteres.
Der Begriff
"Lumineszenz" geht auf Eilhard Wiedemann 1888 zurück (1). Damit sollte "Luminescenz" als "kaltes Leuchten" gegenüber dem Leuchten heißen Materials (der "Glut", engl. incadescence) unterschieden werden. Eine schön lesbare Erklärung zur historischen Enwicklung liefern Valeur und Kollegen (2).
Fluoreszenz.
Diesen Begriff hat Sir George Gabriel Stokes 1852 in einer Fußnote geprägt. Er schreibt (3):
"I confess I do not like this term (Anm.: er bezieht sich auf die Bezeichnung dispersive reflexion). I am almost inclined to coin a word, and call the appearance fluorescence, from fluor-spar, as the analogous term opalescence is derived from the name of a mineral."
Er möchte dieses Phänomen also in Analogie zur Opaleszenz auch nach einem Mineral benennen, eben "Fluoreszenz" nach dem Mineral Fluorit.
Laut IUPAC ist Fluoreszenz "Luminescence which occurs essentially only during the irradiation of a substance by electromagnetic radiation." IUPAC Gold Book,
https://goldbook.iupac.org/terms/view/F02453
Eine doch eher phänomenologische Definition. Was meint "occurs essentilly", was meint "during the irradiation"? Und vorallem - wie entsteht diese Fluoreszenz, wie messe ich "occurs essentially" oder "during"? Auch eine Fluoreszenz hat eine Lebensdauer, häufig im Nanosekunden Bereich - nach Anregung mit einem Femtosekunden-Laserpuls sind ns Lumineszenzlebensdauern doch immer noch halbe Ewigkeiten- sprich einen Faktor von rund 10
6 länger. Ist also eine Leuchterscheinung mit, sagen wir, 2.5 ns Lebensdauer eine Fluoreszenz im Sinne dieser Definition, wenn ich mit einem fs-Lasepuls arbeite? Und was, wenn ich nicht mit einem Ultrakurzpulslaser arbeite, sondern mit einer langsam geschalteten LED mit Anstiegsflanken im Bereich von µs?
Eine Definition auf Basis des Mechanismus lautet dann eher:
Fluoreszenz ist die Lumineszenz einer Paritäts- und Spin-erlaubten Relaxation (in der Regel in den Grundzustand). (3)
Hier ist mir wichtig zu betonen, dass keine Transportphänomene stattfinden (z.B. keine lichtinduzierte Leitfähigkeit) und eine Fluoreszenz kein kooperatives System voraussetzt - auch ein Atom oder Molekül kann fluoreszieren. Bei einem Festkörper ist das dann aufgrund der Systemgröße sogar schwierig. Aufgrund quantenmechanischer Gegebenheiten müssen sich die Elektronen in mindestens einer Quanteneigenschaft unterscheiden. Rein fluoreszente Übergänge im gesamten Festkörper werden dann unwahrscheinlich.
Phosphoreszenz.
Die IUPAC liefert als Definition:
"From a phenomenological point of view, the term has been used to describe long-lived luminescence. In mechanistic photochemistry, the term designates luminescence involving change in spin multiplicity, typically from triplet to singlet or vice versa. The luminescence from a quartet state to a doublet state is also phosphorescence."
https://goldbook.iupac.org/terms/view/P04569
Die phänomenologische Definition ist wieder anrührend unpräzise - was ist denn "
long-lived"? Bleibt die mechanistische Beschreibung. Darin wird von einer notwendigen Änderung des Spinzustands gesprochen (4). Das ist also hier das Maß der Dinge, wenn ein Phänomen als "Phosphoreszenz" beschrieben werden soll.
Wissen wir bei einem leuchtenden Festkörper, ob manche (-oder alle?) elektronischen Übergänge eine Änderung des zugehörigen Spinzustand bedeuten? Schwierig zu bewerten....
Thermolumineszenz und persistente Lumineszenz (Nachleuchten)
Gleich vorweg: Beim
Nachleuchten (engl. häufig
afterglow), was modern als "persistente Lumineszenz" (
persistent luminescence) bezeichnet wird,
was im übrigen auch das Phänomen des Steins von Bologna ist, handelt es sich um nichts anderes, als um
Thermolumineszenz bei Umgebungstemperatur - und das hat zunächst nichts (!) mit Phosphoreszenz und Triplettzuständen zu tun!
Bei derartigen Prozessen braucht es tatsächlich gekoppelte Systeme, Transport oder Energieübertrag, Defekte, einen Festkörper....
Und Thermolumineszenz bzw. persistente Lumineszenz (und solche Phänomene wie optisch stimulierte Lumineszenz) können in der Leuchterscheinung sowohl einen dominant fluoreszenten wie einen dominant phosphoreszenten Charakter aufweisen.
Der Mechanismus ist - vereinfacht, abgekürzt und reduziert - folgender (6-14):
1) Durch Energieeintrag (Beleuchtung, aber auch Röntgenstrahlung etc.) wird am Leuchtzentrum ein Elektron in die Nähe des Leitungsbandes (bzw. einen exzitonischen Zustand knapp unter dem Leitungsband) angeregt. Unter geeigneten Bedingungen kann es dann in das Leitungsband übergehen - das Leuchtzentrum wird oxidiert.
2) Im Leitungsband wird das Elektron dann transportiert (lichtinduzierte Leitfähigkeit bzw. lichtinduzierter Strom).
3) An einem (geeigneten) Defektzentrum bindet das Elektron. Dieses Defektzentrum wird Fallenzustand oder Haftstelle genannt. Das angeregte Defektzentrum relaxiert daraufhin in seinen Grundzustand. Dieser Übergang kann strahlend oder nichtstrahlend ablaufen. Durch die Aufnahme des Elektrons wird das Defektzentrum reduziert und das Elektron stabil gebunden.
Wichtig: Das Defektzentrum ist dann in seinem elektronischen Grundzustand! Ohne Energieeintrag bleibt das Elektron dort für Sekunden, Minuten, Stunden, Jahre, Jahrhunderte, Jahrtausende .... Dies ist die Grundlage für Datierungsmethoden auf der Basis optisch stimulierter Lumineszenz oder Thermolumineszenz. Dies beschreibt zudem die Phänomene, die weiter oben beschrieben wurden: mit Licht kann dann die Lumineszenz gelöscht oder eben auch ausgelesen werde. Und:
Es ist eben ein Grundzustand und kein Triplettzustand, der das Elektron bindet!
4) Durch Energieeintrag (Thermolumineszenz:Wärme, optisch stimulierte Lumineszenz: Licht, druck: Mechanolumineszenz) kann das Elektron wieder in das Leitungsband angeregt werden, diffundiert (Transport!) durch das Leitungsband, bis es entweder wiederum in einen Fallenzustand oder eben an ein oxidiertes Leuchtzentrum gerät, dort bindet. Relaxiert das angeregte Leuchtzentrum dann, so wird wieder Licht abgestrahlt, mitunter eben mit großem zeitlichen Abstand zum ersten Prozess. Diese Emission nun kann ein dominant erlaubter Übergang (z.B. wenn Eu
2+ wie in CaS:Eu
2+,Sm
3+ das Leuchtzentrum ist) oder ein dominant verbotener Übergang (z.B. wenn Eu
3+ wie in Y
2O
2S:Eu
3+,Mg,Ti das Leuchtzentrum ist) sein.
Detaillierter Untersuchungen zeigen, dass statt Elektronen auch Löcher den Prozess machen können, dass zusätzlich Energietransferprozesse stattfinden können, und dass derlei Mechanismen auch im Kontext mit katalytischer Aktivität von z.B. TiO2, oder Vanadaten eine Rolle spielen.
Insgesamt findet also eine lichtgetriebene Donor-Akzeptor- (oder Redox-) Reaktion im Festkörper statt, wobei der zugrundeliegende Prozess, der zu persistenter Lumineszenz führt nichts ursächlich mit Triplettzuständen zu tun hat. Phosphoreszenz und persistente Lumineszenz sind zwei unabhängige Phänomene.
Grüße, Martin
(1) Wiedemann, E. (1888). Ueber Fluorescenz und Phosphorescenz I. Abhandlung. Annalen der Physik, 270(7), 446-463. Wörtlich:
"Neben dieser Art der Lichtentwicklung kennen wir aber eine andere, bei der durch äussere Ursachen ohne entsprechende Steigerung der Temperatur ein Leuchten erzeugt wird. [...] Ich möchte für diese zweite Art der Lichterregung, für die uns eine einheitliche Benennung fehlt, den Namen Luminescenz vorschlagen, und Körper, die in dieser Weise leuchten, luminescierende nennen. Wir würden dann das durch auffallendes Licht erregte Leuchten als Photoluminescent bezeichen, welche sich je nach seiner Instantaneität oder längeren Dauer in Fluorescenz oder Phosphorescenz trennen würde." so Wiedemann 1932.
(2) Valeur, B., & Berberan-Santos, M. N. (2011). A brief history of fluorescence and phosphorescence before the emergence of quantum theory. Journal of Chemical Education, 88(6), 731-738.
(3) George G. Stokes, On the Change of Refrangibility of Light, Philosophical Transactions of the Royal Society of London, 142 (1852) pp463-562
(4) Baryshnikov, G., Minaev, B., & Ågren, H. (2017). Theory and calculation of the phosphorescence phenomenon. Chemical reviews, 117(9), 6500-6537.
(5) Hölsä, J. (2009). Persistent luminescence beats the afterglow: 400 years of persistent luminescence. Electrochem. Soc. Interface, 18(4), 42-45.
(6) Xu, J., & Tanabe, S. (2019). Persistent luminescence instead of phosphorescence: History, mechanism, and perspective. Journal of Luminescence, 205, 581-620.
(7) Kulesza, D., et al. "The bright side of defects: Chemistry and physics of persistent and storage phosphors." Journal of Luminescence 133 (2013): 51-56.
(8) Bos, A. J. J. "Theory of thermoluminescence." Radiation measurements 41 (2006): S45-S56.
(9) Reuven, Chen, and Mckeever Stephen WS. "Theory of thermoluminescence and related phenomena." World Scientific Publishing Ltd, Singapore (1997).
(10) Pan, Z., Lu, Y. Y., & Liu, F. (2012). Sunlight-activated long-persistent luminescence in the near-infrared from Cr 3+-doped zinc gallogermanates. Nature materials, 11(1), 58-63.
(11) Ueda, J., Dorenbos, P., Bos, A. J., Kuroishi, K., & Tanabe, S. (2015). Control of electron transfer between Ce 3+ and Cr 3+ in the Y 3 Al 5− x Ga x O 12 host via conduction band engineering. Journal of Materials Chemistry C, 3(22), 5642-5651.
(12) Van den Eeckhout, Koen, Philippe F. Smet, and Dirk Poelman. "Persistent luminescence in Eu2+-doped compounds: a review." Materials 3.4 (2010): 2536-2566.
(13) Van den Eeckhout, K., Poelman, D., & Smet, P. F. (2013). Persistent luminescence in non-Eu2+-doped compounds: a review. Materials, 6(7), 2789-2818.
(14) Lastusaari, Mika, et al. (2012). The Bologna Stone: history’s first persistent luminescent material. European Journal of Mineralogy 24.5, 885-890.
EDIT: nochmals gehübscht.