Woher weiß ich ob ein Oxidationsmittel zu stark/schwach für eine Substanz ist?

Fragen zur allgemeinen Chemie; alles, was in keine andere Kategorie passt.

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SerpentumVenenum18
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Woher weiß ich ob ein Oxidationsmittel zu stark/schwach für eine Substanz ist?

Beitrag von SerpentumVenenum18 »

Hallo liebe Forumsgemeinde. Nehmen wir an ich habe vor durch Dehydrierung H-Atome aus einem Cyclohexanring abzuspalten und dadurch das Cyclohexan zu Cyclohexen zu transmutieren (um mal die bildhafte Sprache der Alchemisten zu benutzen :mrgreen: ). Dafür bräuchte ich ein Oxidationsmittel. Nun gibt es ja Oxidationsmittel in verschiedenen Stärken je nachdem wie hoch die Oxidationszahl des zentralen Atoms ist. Wie merkt man aber nun als Chemiker im Labor während oder nach der Reaktion, ob die Zielsubstanz zu wenig/stark oxidiert wurde? Beim Phenol ist das ja einfach, denn wenn es zu lange mit dem Sauerstoff in der Luft reagiert wird es ja bekanntlich rosa. Das heißt die Oxidation der Verbindung wird für den Chemiker dadurch indiziert, dass eine entsprechende physikalische Veränderung vorgefallen ist. Wird also exzessive Oxidation immer durch visuelle Veränderungen begleitet? Und woher weiß ich ob überhaupt genug oxidiert wurde um die H-Atome abzuspalten? Vielleicht ist ja nix passiert weil die Oxidation nicht stark genug war?

Das Gleiche würde ich übrigens gerne auch bezüglich Reduktionsmitteln wissen. Woher wisst ihr oder wie testet ihr ob ausreichend reduziert wurde? Mir geht es hier NICHT um die Wahl der richtigen Oxidations/Reduktionsmittel für eine Reaktion, sondern wie man eben jene Oxidation bzw. Reduktion erkennt und anhand (sichtbarer) Veränderungen des (Zwischen)Produkts feststellt ob diese ausreichend/exzessiv/schwach war. Danke.
Glaskocher
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Re: Woher weiß ich ob ein Oxidationsmittel zu stark/schwach für eine Substanz ist?

Beitrag von Glaskocher »

Beim Cyclohexan gibt es zwei Wege, daraus Cyclohexen zu machen. Beide führen über unterschiedliche Zwischenprodukte. Der technische Weg ist, daß man das Cyclohexan, in Gegenwart eines Katalysators, mit Luftsauerstoff reagieren läßt. Über das Zwischenprodukt Vyvlohexylhydroperoxid bilden sich Cyclohexanol und Cyclohexanon (plus Wasser). Man kann jetzt das Cyclohexanon zum Cyclohexanol hydrieren oder reduzieren, oder es einfach abdestillietren und anderweitig nutzen.

Das Cyclohexanol wird dann an einem sauren Aluminiumoxid-Katalysator bei 380-450°C vorbeigeleitet und aus dem Molekül wird Wasser eliminiert. Reinigung durch Destillation.

Du siehst, daß hier "nur" Luftsauerstoff genutzt worden ist, der mit Hilfe von Katalysatoren und Temperatur das Gewollte bevorzugt liefert. Der im Labor gängigere Weg führt über eine Fotobromierung des Cyclohexans zum Bromcyclohexan. Das wiederum kann man thermisch zum Alken eliminieren. Man könnte das Cyclohexanol auch in den Ester der Essigsäure überführen und dann die Eliminierung durchführen.
Cyclohexanol
Cyclohexen


Die Wahl des Oxidationsmittels wurde durch Hundertschaften an chemischen Forschern ausprobiert und später repliziert oder verfeinert. Gleiches gilt für Reduktionsmittel. Die hohe Kunst ist es, die Reaktion an der gewünschten Stelle des Weges abzubrechen, um bestimmte Zwischenstufen isolieren zu können. Für jedes Problem gibt es oft mehrere Wege, die unterschiedlich verlaufen können. Pauschal kann man das nicht besprechen.
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mgritsch
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Re: Woher weiß ich ob ein Oxidationsmittel zu stark/schwach für eine Substanz ist?

Beitrag von mgritsch »

Du stellst dir das zu einfach vor. Reaktionen in der Organik sind zu 99,9% nicht so einfach wie „da müssen 2 H weg also oxidieren wir das doch einfach“. Das sind komplexe Moleküle und was / wie reagiert ist von elektronischen und sterischen Strukturen bestimmt und erfolgt idR über mehrere Zwischenstufen.

Wenn du einschlägige Vorhaben hast ist es das sinnvollste die Literatur nach entsprechenden Vorschriften zu durchsuchen. Findest du keine dann kann es durchaus sein dass das was du planst zumindest so nicht geht…

Synthesechemie ist schon ziemlich die Königsdisziplin.
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lemmi
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Re: Woher weiß ich ob ein Oxidationsmittel zu stark/schwach für eine Substanz ist?

Beitrag von lemmi »

@SV18: ich denke schon aus den Antworten von Glaskocher und mgritsch ist deutlich geworden, dass deine Frage in der von dir gestellten Allgemeinheit nicht beantwortet werden kann.

Als ich die Überschrift las habe ich mir was viel einfacheres vorgestellt. Z.B anorganische Redoxreaktionen. Da kann man anhand der Normalpotentiale genau vorhersagen, ob eine Substanz eine andere oxidieren kann oder nicht. Simples Beispiel: elementares Brom kann Iodid zu Iod oxidieren , aber nicht Chlorid zu Chlor. Umgekehrt kann Chlor Bromid zu Brom oxidieren. Chlor ist also ein stärkeres Oxidationsmittel als Brom und dieses wieder stärker als Iod. Die Redoxpotentiale spiegeln das wieder.: das von Chlor ist höher als das von Brom und dieses höher als das von Iod.

Übrigens ein Buchtipp für dich, da du dich über die unnötig komplizierten Erklärungen in der Wikipedia geärgert hast: Brown; Chemie - Die zentrale Wissenschaft. Ein ziemlich dickes Buch mit ziemlich hohem theoretischem Niveau. Aber die Theorie ist absolut anschaulich und gut nachvollziehbar erklärt.
"Alles sollte so einfach wie möglich gemacht werden. Aber nicht einfacher." (A. Einstein 1871 - 1955)

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aliquis
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Re: Woher weiß ich ob ein Oxidationsmittel zu stark/schwach für eine Substanz ist?

Beitrag von aliquis »

Ich schließe mich meinen Vorrednern an: in der AC sind Redoxreaktionen anhand der Spannungsreihe der Elemente meist klar kalkulierbar, in der OC ist das deutlich schwieriger und die vorhandenen Erkenntnisse das Ergebnis von Forschung der letzten zwei Jahrhunderte.
Gegenüber Reaktionen, deren Verlauf rechtzeitig unterbrochen werden muss, um zum gewünschten Ziel, aber nicht darüber hinaus zu gelangen, sind selektive Oxidations-/Reduktionsmittel vorzuziehen. So werden z. B. einfache Alkohole von schwefelsaurer Dichromatlösung mehrheitlich zum Aldehyd oxidiert, während Permanganat mit ihnen gleich hauptsächlich zur Carbonsäure durchmarschiert.
Den Produkten sieht man die erfolgte Reaktion äußerlich nicht zwingend an: ein Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch sieht nicht wesentlich anders aus als der heiße Wasserdampf als Produkt der Reaktion der beiden Gase miteinander. Dafür gibt es andere untrügliche Anzeichen: eine stark exotherme Reaktion, Volumenveränderung, ein flüssiges Kondensationsprodukt beim Abkühlen...
Auch hiermit ist es in der OC oft noch viel schwieriger: ob und wieviel Ziel- oder Nebenprodukt entstanden ist, zeigt oft erst die Analyse. Bis dahin beobachtet der Organiker jegliche nicht erwartete Gelbfärbung oder Teerbildung in der Reaktionsmischung mit viel Argwohn... :evil: Und nicht selten tut sich rein optisch auch gar nichts - oder wie es Nilered in seinem aktuellen Video über die Herstellung von Zimtaldehyd aus Styrol so schön auf den Punkt bringt: es fühlt sich an, wie Wasser mit Wasser zu mischen (www.youtube.com/watch?v=zMaTrgUKC1w&t=116s). :lol:
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SerpentumVenenum18
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Re: Woher weiß ich ob ein Oxidationsmittel zu stark/schwach für eine Substanz ist?

Beitrag von SerpentumVenenum18 »

Vielen Dank für all die Antworten. Es gibt so einiges in das ich mich jetzt erst einmal einlesen werde...
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