Synthese von Thiosemicarbazid

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mgritsch
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Synthese von Thiosemicarbazid

Beitrag von mgritsch »

Synthese von Thiosemicarbazid
Hydrazincarbothioamid, Thiocarbamidsäurehydrazid, Aminothioharnstoff, [79-19-6]

Thiosemicarbazid ist das S-Analogon zu Semicarbazid und kann ähnlich wie dieses durch Reaktion von Hydrazinium-Salz mit Thiocyanat (statt Cyanat) leicht synthetisiert werden. Thiosemicarbazid reagiert ähnlich wie Semicarbazid leicht mit Ketonen und Aldehyden zu Thiosemicarbazonen die über ihren Schmelzpunkt zur Isolierung oder Charakterisierung herangezogen werden können, die Schmelzpunkte sind jedoch oft weniger scharf als bei den entsprechenden Semicarbazonen. Besonders interessant ist Thiosemicarbazid als Ausgangsstoff für eine Vielzahl an N- und S enthaltenden Heterocyclen.

Die Synthese erfolgt einfach durch direkte Umsetzung der beiden Salze, allerdings gibt es hier verschiedene Möglichkeiten, die ich in Bezug auf ihre Einfachheit der Durchführung und vor allem Ausbeute gegeneinander verglichen habe.


Geräte:

Bechergläser, Rundkolben, Rückflusskühler, Nutschen, Magnetheizrührer


Chemikalien:

Hydraziniumsulfat Warnhinweis: tWarnhinweis: nWarnhinweis: xn
Ammoniumthiocyanat Warnhinweis: attnWarnhinweis: c
Hydrazinhydrat 25% Warnhinweis: cWarnhinweis: fWarnhinweis: nWarnhinweis: xnWarnhinweis: t
Ammoniaklösung 19% Warnhinweis: cWarnhinweis: attnWarnhinweis: xn
Kaliumhydroxid Warnhinweis: cWarnhinweis: attn
Aceton Warnhinweis: fWarnhinweis: attn
Methanol Warnhinweis: fWarnhinweis: tWarnhinweis: n

Thiosemicarbazid Warnhinweis: t


Hinweis:

Bei der Reaktion werden etwas Schwefelwasserstoff und andere übel riechende Stoffe als Nebenprodukt freigesetzt. Es ist unbedingt in einem Abzug zu arbeiten!


Durchführung:

Variante 1 (gemäß Patent US3009955A)

19,5 g (0,15 mol) Hydraziniumsulfat wurden in einem 150 ml Becherglas vorgelegt und mit 14 ml Wasser angerührt. Dann wurden 30,4 ml einer 25% Hydrazinhydrat-Lösung (0,15 mol) zugegeben und gut gerührt, wobei sich das Hydraziniumsulfat unter Erwärmung auflöste. Der pH-Wert wurde geprüft (er soll bei ca 4 liegen und kann ggfs durch Zugabe von mehr Hydrazinhydrat oder Schwefelsäure eingestellt werden). Nun wurden 32,5 g Ammoniumthiocyanat (0,43 mol) zugegeben, wobei sich die Lösung stark abkühlte. Mit leichtem Erwärmen konnte es ebenfalls rasch vollständig gelöst werden.

Die Lösung wurde nun in einen 100 ml Rundkolben überführt, 1 ml Aceton (13 mmol) zugegeben und 8 Stunden unter Rückfluss gekocht. Dabei war an den kühleren Stellen der Kolbenwand schon teilweise eine Kristallabscheidung zu beobachten, im Rückflusskühler bildete sich ein gelblicher Belag.

Nach Beendigung der Reaktion wurde der Ansatz auf Raumtemperatur auskühlen gelassen, wobei der Kolbeninhalt zu einer kristallinen Masse erstarrte. Nach kurzem Rühren verflüssigte sich die kristalline Masse jedoch und konnte gut abgenutscht werden. Es wurde mit eiskaltem Wasser gut nachgewaschen und die Kristalle an der Luft getrocknet.

Ausbeute: 19,8 g (72,0% d.Th) leicht gelblicher, schön ausgeformter Kristalle.

Das Produkt ist für eine weitere Verwendung ausreichend rein. Sollte eine höhere Reinheit gewünscht sein, kann problemlos aus siedendem Wasser umkristallisiert werden - Thiosemicarbazid hat eine sehr steile Löslichkeitskurve.

Ausbeute und Reinheit des Produkts sind gut (Literatur: 90%). Da Hydrazinhydrat aber eher schwer verfügbar und gefährlich ist, wurde geprüft, inwieweit es ersetzt werden kann. Abgesehen davon dass es eine Hydrazinium-Quelle darstellt, dient es auch dazu aus dem schwerlöslichen sauren Hydraziniumsulfat N2H5HSO4 das "neutrale" Hydraziniumsulfat (N2H5)2SO4 zu erzeugen, das für die Reaktion benötigt wird. Andere Basen sind dafür grundsätzlich auch geeignet.


Variante 2 - Ersatz von Hydrazinhydrat durch Ammoniaklösung

In dieser Variante wurde Ammoniaklösung als Base benutzt, da das entstehende Ammoniumsulfat sehr gut wasserlöslich ist und nicht ausfällt. Durch die hohe Salzkonzentration in der Lösung wird auch eine hohe Reaktionstemperatur im Ansatz sichergestellt.

39,1 g (0,3 mol) Hydraziniumsulfat wurden in einem 150 ml Becherglas vorgelegt und mit 35 ml Wasser angerührt. Dann wurden 29 ml einer 19% Ammoniaklösung (0,3 mol) zugegeben und gut gerührt, wobei sich das Hydraziniumsulfat auflöst. Der pH-Wert wurde geprüft (er soll bei ca 4 liegen und kann ggfs durch Zugabe von mehr Ammoniaklösung eingestellt werden). Nun wurden 32,5 g Ammoniumthiocyanat (0,43 mol) zugegeben, die sich mit leichtem Erwärmen ebenfalls rasch vollständig lösten.

Die Lösung wurde nun in einen 100 ml Rundkolben überführt, 1 ml Aceton (13 mmol) zugegeben und 8 Stunden unter Rückfluss gekocht. Der weitere Verlauf der Reaktion und die Aufarbeitung waren identisch wie bei Variante 1.

Ausbeute: 16,2 g (59,2% d.Th) leicht gelblicher, schön ausgeformter Kristalle.


Variante 3 - Ersatz von Hydrazinhydrat durch Kaliumhydroxid

Das Ammoniak in Variante 2 ist als Base eventuell nicht optimal, da es nur eine wenig stärkere Base als Hydrazin ist, und mit einem noch größern Überschuss eventuell Nebenreaktionen auftreten könnten. Bei Einsatz von Kaliumhydroxid entsteht das schwer lösliche Kaliumsulfat, das abfiltriert werden kann, so dass viele Fremdionen schon vorab entfernt sind. Dafür muss der Ansatz eingeengt werden, um wieder auf eine hohe Reaktionstemperatur zu kommen.

39,1 g (0,3 mol) Hydraziniumsulfat wurden in einem 250 ml Becherglas vorgelegt und eine Lösung von 18,7 g Kaliumhydroxid (0,3 mol bei 90 % Gehalt) in 50 ml Wasser zugegeben, wobei sich das Hydraziniumsulfat auflöste. Der pH-Wert wurde geprüft (er soll bei ca 4 liegen und kann ggfs durch Zugabe von mehr KOH oder H2SO4 eingestellt werden). Nun wurden 32,5 g Ammoniumthiocyanat (0,43 mol) zugegeben die sich ebenfalls rasch vollständig lösten.

Zur klaren Lösung wurden nun 50 ml Methanol zugegeben und damit das Kaliumsulfat ausgefällt, das sich rasch als feinkristalliner Niederschlag absetzte. Der Niederschlag wurde abgenutscht, mit etwas Methanol nachgewaschen und das Filtrat auf ca 60 ml eingeengt. Dann wurde es in einen Rundkolben überführt, 1 ml Aceton (13 mmol) zugegeben und 8 Stunden unter Rückfluss gekocht. Der weitere Verlauf der Reaktion und die Aufarbeitung waren identisch wie bei Variante 1.

Ausbeute: 18,7 g (68,4% d.Th) leicht gelblicher, schön ausgeformter Kristalle.


Entsorgung:

Reste kommen zu den halogenfreien Abfällen.


Erklärung:

Zunächst wird aus dem handelsüblichen sauren Hydraziniumsulfat neutrales Hydraziniumsulfat gebildet, dieses wird mit Thiocyanat zum Hydraziniumthiocyanat umgesetzt:

N2H5HSO4 + N2H4 --> (N2H5)2SO4
(N2H5)2SO4 + 2 NH4SCN --> 2 N2H5SCN + (NH4)2SO4

Hydraziniumthiocyanat kann alleine durch Erhitzen bereits in Thiosemicarbazid umgelagert werden. Die Ausbeuten dabei liegen lt [1] aber nur in der Größenordnung von 20 % auch wenn Freund 1896 behauptete[2] durch mehrfaches Auskochen auf 70 % zu kommen - der Prozess ist jedenfalls aufwändig. Deutlich bessere Ausbeuten - bei vereinfachter Vorgehensweise - erzielt man durch Zugabe einer katalytischen Menge an Aceton. Dabei bildet sich zunächst das Hydrazon des Acetons das dann mit Thiocyanat zum Thiosemicarbazon reagiert. Dieses steht jedoch in einem Hydrolyse-Gleichgewicht mit Aceton und Thiosemicarbazid:
Mechanismus.png

Bilder:

01 Hydrazonium.JPG
Hydraziniumsulfat löst sich nach Zugabe von Hydrazinhydrat leicht auf

02 SCN.JPG
Auch Ammoniumthiocyanat ist erstaunlich gut löslich

03 Rückfluss.JPG
Der Ansatz kocht am Rückfluss - eine leichte Abscheidung von Produkt an der Kolbenwand ist zu beobachten

04 RF Kühler.JPG
Im Rückflusskühler bilden sich gelb-rote schwefelige Ablagerungen

05 Erstarrt.JPG
Der Ansatz ist nach dem Auskühlen zu einer Kristallmasse erstarrt

06 Produkt.JPG
Das gewaschene, reine Produkt

07 K2SO4 Fällung.JPG
Alternative Darstellung mit KOH als Base - Ausfällung von Kaliumsulfat nach Zugabe von Methanol

08 Einengen.JPG
Einengen der filtrierten Lösung

09 Ansatz 3.JPG
Auch der Ansatz mit KOH erstarrt nach dem Auskühlen zu einer Kristallmasse


Literatur:

[1] Patent US3009955A
[2] Ber. Dtsch. Chem. Ges. (1896), 29, p.2500-2505 https://doi.org/10.1002/cber.18960290321
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Seaborg
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Re: Synthese von Thiosemicarbazid

Beitrag von Seaborg »

Wieder eine smarte Synthese eines organischen Präparates, auf das sich jeder Anorganiker freut.
TSC bildet mit mehreren Metallen z.T. schöne blaue Komplexe (Cu und Ni) , mit deren Hilfe auch colorimetrische Bestimmungen durchgeführt werden können.
Daneben lassen sich Kupfer (in Gegenwart von Sulfat), Blei und Silber mittels TSC ausfällen.
Al, Sb, Bi, Cr(III), Mn, Sn, Zn und andere reagieren nicht. Ein wunderbares Mittel zur Trennung vieler wichtiger Metalle also. :yeah:
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mgritsch
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Re: Synthese von Thiosemicarbazid

Beitrag von mgritsch »

Seaborg hat geschrieben: Freitag 1. September 2023, 18:37 Wieder eine smarte Synthese eines organischen Präparates, auf das sich jeder Anorganiker freut.
das ist ja so ein Grenzfall - ist das Organik oder Anorganik? Reingegangen ist nur Anorganik... auf den Spuren von Wöhlers Harnstoffsynthese :)
TSC bildet mit mehreren Metallen z.T. schöne blaue Komplexe (Cu und Ni) , mit deren Hilfe auch colorimetrische Bestimmungen durchgeführt werden können.
Daneben lassen sich Kupfer (in Gegenwart von Sulfat), Blei und Silber mittels TSC ausfällen.
Al, Sb, Bi, Cr(III), Mn, Sn, Zn und andere reagieren nicht. Ein wunderbares Mittel zur Trennung vieler wichtiger Metalle also. :yeah:
Ach sieh an, wusste ich gar nicht. Ich habe das meiste Richtung Organik weiter verarbeitet (dazu später mal mehr...)
Einen Teil habe ich auch in das besser lösliche Hydrochlorid umgesetzt (einfach mit etwas konz HCl verrühren --> feiner, reinweißer Kristallbrei) und es gibt auch noch freies Thiosemicarbazid, falls benötigt... ;)

Findet man in den diversen Shops jedenfalls nicht wirklich, da lohnt also die Synthese.
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lemmi
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Re: Synthese von Thiosemicarbazid

Beitrag von lemmi »

Schöner Artikel! Mir gefällt, dass du immer verschiedene Wege probierst und berschreibst um den besten herauszufinden. Ein richtig systematische Ausarbeitung. :thumbsup:

Bin auf die weitere Verwendung des Produktes gespannt!
"Alles sollte so einfach wie möglich gemacht werden. Aber nicht einfacher." (A. Einstein 1871 - 1955)

"Wer nur Chemie versteht, versteht auch die nicht recht!" (G.C. Lichtenberg, 1742 - 1799)

"Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung der Leute, die die Welt nie gesehen haben." (Alexander v. Humboldt, 1769 - 1859)
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lemmi
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Re: Synthese von Thiosemicarbazid

Beitrag von lemmi »

[EDIT by lemmi: korrekturgelesen und verschoben]
"Alles sollte so einfach wie möglich gemacht werden. Aber nicht einfacher." (A. Einstein 1871 - 1955)

"Wer nur Chemie versteht, versteht auch die nicht recht!" (G.C. Lichtenberg, 1742 - 1799)

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