Gravimetrische Bestimmung des Silber im Sub-Milligramm-Bereich

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Seaborg
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Gravimetrische Bestimmung des Silber im Sub-Milligramm-Bereich

Beitrag von Seaborg »

Im Verlauf der Diskussion um lemmi's letzten Beitrag
viewtopic.php?f=33&t=6125
kam die Frage auf, inwieweit Gravimetrien im Submilligramm-Bereich möglich und sinnvoll sind. Die spezielle Fragestellung war: Wie könnte man Silbermengen unterhalb von einem Milligramm gravimetrisch messen und mit welchem Fehler muß man rechnen?

1) Unabdingbare Voraussetzung für eine solche Untersuchung ist natürlich eine Waage mit einer Empfindlichkeit von 1 µg, besser von 0,1 µg.
Die von mir eingesetzte Waage war die schon in einem anderen Beitrag vorgestellte "Cahn-Waage" (Cahn-Gram-Electrobalance), mit einer Empfindlichkeit von 0,1 µg im Meßbereich von bis zu 1 mg.
viewtopic.php?f=32&t=6035

cahn8.jpg
cahn11.jpg
1 mg-Gewicht.jpg
Um den Meßbereich voll ausschöpfen zu können, wurden die beiden Waagschalen mit winzigen
Gegengewichten genau ausbalanciert.

2) Wie schon in lemmi's thread angedeutet, wurde die Fällungsreaktion direkt auf einer Waagschale durchgeführt, um sonst unvermeidbare Fehler durch Wandadhäsionen in kleinen Gefäßen, beim Abheben eines Zentrifugationsüberstandes, beim Waschen und insbesondere beim Überführen auf eine Waagschale zu vermeiden.
Damit die Waagschale dem chemischen Prozeß gewachsen ist, wurden eigens solche aus einer 0,01 mm dicken Titanfolie gestanzt, um die sonst verwendeten Schälchen aus Aluminiumfolie (Cahn) zu ersetzen.
Das heißt: die Testsubstanz ( hier 0,1 M AgNO3 ) wurde auf der Waagschalechale mit HCl versetzt.
Ti-Waagschale.jpg
3) Vor einer Messung wurde die bei 150 °C getrocknete Ti-Schale auf 0,1 µg austariert, mit Testlösung und Reagenzlösung versetzt und dann unmittelbar im Trockenschrank bei 150 °C für 20 Minuten zur Trockne gebracht.
Nach kurzer Abkühlung wurde die Waagschale dann in der Cahnwaage erneut gemessen.

4) Zur Abmessung der Testlösung wurden spezielle Eppendorf-Pipetten und spezielle Spitzen ("Master Tip"; Eppend.) verwendet, mit denen eine maximal mögliche Genauigkeit und Reproduzierbarkeit möglich ist.
Mastertip.jpg

Geräte:
Cahn-Gram-Electrobalance (und ihr Equipement)
Titanfolie 0,01 mm
Eppendorf-Pipette mit "Master-Tip-Spitzen" (bis 20 µL)
Trockenschrank / ggf. IR-Leuchte

Chemikalien:
Silbernitrat -Lösung 0,1 M Warnhinweis: c Warnhinweis: n Warnhinweis: o
Salzsäure -Lösung 0,2 M Warnhinweis: c Warnhinweis: attn



Durchführung:
Auf ein vorher austariertes Waagschälchen der Cahn-Waage werden 20 µL der 0,1 M-Silbernitrat-Lösung gegeben, sodann etwa 20 µL einer etwa 0,2 M HCl-Lösung zugefügt. Die entstandene AgCl-Suspension wird etwa 15 min. bei 150 °C (im Trockenschrank) getrocknet.
AgCl-Nd aiuf Ti.jpg
Proben.jpg
Dann wird das Schälchen, nach kurzem Abkühlen, in der Cahnwaage erneut gewogen.
Der zu erwartende Wert wäre: 0,2868 mg AgCl.

Bei einer ersten Meßreihe ergaben sich folgende Werte:
1) 0,2862 mg
2) 0,2857 mg
3) 0,2862 mg
4) 0,2860 mg
5) 0,2856 mg

Summe: 1,4297 mg
Durchschn.: 0,2859 mg
St.Abw.: 0,0002792


Für mich sieht das nach einer Genauigkeit von etwa 0,1 % aus. (??) (korr. nach Kumpel ChatGPT)


Erklärung:
Die Nachweisreaktion für Silber, nämlich die Fällung als AgCl durch HCl bietet sich hier natürlich an, um sie auf einem kleinen Träger (Waagschälchen der Cahn-Waage) durchzuführen. Der kleine Überschuß an HCl verdampft im Trockenschrank, ebenso das entstehende HNO3 (bzw. seine Bestandteile)
Es muß nicht vorab erhitzt, nicht abfiltriert oder -zentrifugiert werden und feste Rückstände neben dem Produkt gibt es nicht. Die kleinen Tropfen auf der Titanfolie zeigten eine ausreichende Haftung. Die Titanschälchen sind nach der Reaktion vollkommen unversehrt und können nach Waschen mehrmals verwendet werden.
Schwankungen der Messungen konnten so m.E. nur durch geringste Volumenunterschiede beim Aufbringen der Testsubstanz (trotz Mastertips) entstehen.
Die Möglichkeit, daß sich Fehler in den Arbeitsfluß einschleichen, ist sehr gering.

Wäre es darum gegangen, daß vorab störende Substanzen aus dem Reaktionsgemisch hätten entfernt werden müssen, zum Beispiel, wenn man noch Blei in der Probe gehabt hätte und somit ein Trennungsgang notwendig geworden wäre, hätte ich das Ganze in ein 100 µL-cone verlegt, nach der Fällung des AgCl leicht abzentrifugiert,den ND gewaschen, erneut abzentrifugiert , den ND mit wenig NH4OH in der Wärme gelöst und die Lösung dann auf dem Titanschälchen erneut mit HCl gefällt, um das Überführen von so winzigen Mengen aus einem Reaktionsgefäß auf die Waagschale zu vermeiden.
Der Fehler wäre dennoch sicher etwas größer gewesen, aber wahrscheinlich ebenfalls noch vertretbar.

In ähnlicher Weise unmittelbar ließen sich noch Blei mit HCl, Barium mit H2SO4, Uran mit H2O2 oder Uran und viele weitere mit NH4OH oder auch Oxalsäure fällen.


Literatur:
F. Hecht, J. Donau; Anorganische Mikrogewichtsanalyse, Wien/Graz/1940
Benedetti-Pichler, A. Mikroversuche über quantitative Trennungen. Fresenius, Zeitschrift f. anal. Chemie 64, 409–436 (1924). https://doi.org/10.1007/BF01381903
B.B. Cunningham, Microchemical Methods Used In Nuclear Chemical Research, AECD-2703, Oak Rich, Tenn./1947
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mgritsch
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Re: Gravimetrische Bestimmung des Silber im Sub-Milligramm-Bereich

Beitrag von mgritsch »

Wow, wieder mal eine sehr schöne Ausarbeitung und saubere Demonstration was alles möglich ist! :D :o :thumbsup:

Der Haken an der Sache ist allenfalls:
Seaborg hat geschrieben: Freitag 22. September 2023, 14:05 1) Unabdingbare Voraussetzung für eine solche Untersuchung ist natürlich eine Waage mit einer Empfindlichkeit von 1 µg, besser von 0,1 µg.
So spezielle Ausrüstung dürfte den allerwenigsten zur Verfügung stehen und ist nicht gerade trivial zu benutzen! Alleine wo/wie man so eine Waage schwingungsfrei und geschützt aufstellen muss... ich glaube dazu muss ich dir nicht viel erzählen.
sowie:
Der kleine Überschuß an HCl verdampft im Trockenschrank, ebenso das entstehende HNO3 (bzw. seine Bestandteile)
Dass bei dieser "Ideal-Probe" eine Wiederfindungsrate von 99,7% bei einer Standardabweichung von 0,1% möglich ist, zeigt einerseits beeindruckend wie genau du mit den Geräten arbeiten kannst! Absoluten Respekt dafür! :thumbsup:

Wenn man aber von real-Proben ausgeht - du skizzierst:
hätte ich das Ganze in ein 100 µL-cone verlegt, nach der Fällung des AgCl leicht abzentrifugiert,den ND gewaschen, erneut abzentrifugiert , den ND mit wenig NH4OH in der Wärme gelöst und die Lösung dann auf dem Titanschälchen erneut mit HCl gefällt, um das Überführen von so winzigen Mengen aus einem Reaktionsgefäß auf die Waagschale zu vermeiden.
In dem Fall wäre unvermeidlich NH4Cl angefallen das wohl kaum vollständig abdampfen wird --> ggfs deutlicher Mehrbefund.
Detto die Fällung ansich - um eine Probe die evtl nur ein paar % Ag enthält aufzulösen braucht es schon einiges an Chemikalien und deutlich mehr Flüssigkeits-Volumen --> Vollständigkeit der Fällung? Vollständigkeit der Abtrennung in der Zentrifuge? Vollständigkeit der Übertragung aus dem Cone? Mitfällungen / Adsorption von Fremdionen?

Das könnte etwas schwieriger ausfallen...
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Seaborg
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Re: Gravimetrische Bestimmung des Silber im Sub-Milligramm-Bereich

Beitrag von Seaborg »

mgritsch hat geschrieben: Freitag 22. September 2023, 18:17
Wenn man aber von real-Proben ausgeht - du skizzierst:
hätte ich das Ganze in ein 100 µL-cone verlegt, nach der Fällung des AgCl leicht abzentrifugiert,den ND gewaschen, erneut abzentrifugiert , den ND mit wenig NH4OH in der Wärme gelöst und die Lösung dann auf dem Titanschälchen erneut mit HCl gefällt, um das Überführen von so winzigen Mengen aus einem Reaktionsgefäß auf die Waagschale zu vermeiden.
In dem Fall wäre unvermeidlich NH4Cl angefallen das wohl kaum vollständig abdampfen wird --> ggfs deutlicher Mehrbefund.
Detto die Fällung ansich - um eine Probe die evtl nur ein paar % Ag enthält aufzulösen braucht es schon einiges an Chemikalien und deutlich mehr Flüssigkeits-Volumen --> Vollständigkeit der Fällung? Vollständigkeit der Abtrennung in der Zentrifuge? Vollständigkeit der Übertragung aus dem Cone? Mitfällungen / Adsorption von Fremdionen?

Das könnte etwas schwieriger ausfallen...
man könnte dennoch versuchen, das NH4Cl durch Temperaturen über 400 °C zu zersetzen. Das AgCl siedet erst bei 1550 °C,
oder man versucht, es gleich in konz.HCl zu lösen, zu überführen und dann abzudampfen (bei wiederum 150°C), was ich bevorzugen würde. Man müßte immer wieder maßgeschneiderte Lösungen finden. Natürlich wird die hohe Wiederfindungsrate leiden, aber das dürfte ja dann auch verträglich sein, weil auch andere Methoden wahrscheinlich nicht besser wegkommen bei diesen Mengen.
Hier war das zunächst auch nur mal als Methodendemonstration gedacht, die auch mich überrascht hat.
Ansonsten sind mir noch einige weitere Verfahren in den Sinn gekommen, die ich testen könnte, z.B. Fällungen von Metallen mit NH4OH auf der Waagschale (SE's u.v.m.) oder die Fällung mit Oxalsäure und anschließendem Verglühen.Das Titanschälchen hält das alles aus.
Durch den Einsatz der Titanfolie würde hieraus ein neuer Zweig der Mikrogravimetrie erwachsen.
(Wir befinden uns natürlich dabei in den frühen 1950ern !!) :yeah:
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Seaborg
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Re: Gravimetrische Bestimmung des Silber im Sub-Milligramm-Bereich

Beitrag von Seaborg »

mgritsch hat geschrieben: Freitag 22. September 2023, 18:17
.... Alleine wo/wie man so eine Waage schwingungsfrei und geschützt aufstellen muss...
Diesbezüglich siehe hier:
Cahn 29 b .jpg
Diese Cahn-Waagen sind wirklich äußert robust und unempfindlich. Sie schwingen nicht nach! (bauartbedingte magnetische Dämpfung)
Erst ein Schlag, der eines der Waagschälchen herunterspringen läßt, unterbricht die Arbeit. Sie muß nicht nivelliert werden und die Kalibrierung wird nur am Anfang neuer Messungen, also 1 x am Tag durchgeführt.
Kurzum: sie ist ein Darling ! :thumbsup:
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mgritsch
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Re: Gravimetrische Bestimmung des Silber im Sub-Milligramm-Bereich

Beitrag von mgritsch »

Das kann ich mir vorstellen! Ein wahrer Schatz! :thumbsup:

Wird sowas überhaupt noch produziert? Wenn ich nach Waage im μg-Bereich suche, finde ich nur moderne Geräte (zB sowas https://www.mt.com/at/de/home/products/ ... 79261.html) die sicher etwas anspruchsvoller sind. Preise schreibt da sowieso fast niemand hin, wenn dann beginnt es ab 5-stellig.
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Re: Gravimetrische Bestimmung des Silber im Sub-Milligramm-Bereich

Beitrag von Glaskocher »

Jaaa, bei dieser Waage müßten €€€€€ für den Preis stehen (fünfstellig). Deinem Link fehlt(e) das kleine L am Ende...
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mgritsch
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Re: Gravimetrische Bestimmung des Silber im Sub-Milligramm-Bereich

Beitrag von mgritsch »


Wenn jemand selbst eine μg-Waage bauen möchte :D einfacher als man denkt und braucht natürlich kein Oszilloskop wie im Video.
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Seaborg
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Re: Gravimetrische Bestimmung des Silber im Sub-Milligramm-Bereich

Beitrag von Seaborg »

sehr sehr interessant!
Wer aber nicht so beschlagen in Elektrotechnik ist, dem bleibt natürlich immer noch der Bau einer Fadenwaage.
Man spanne einen 0,2 mm dicken, z.B. etwa 16 cm langen Messingfaden einseitig ein, sodaß sagen wir 15 cm frei sind.
Ein Gewicht von nur 20 mg am freien Ende angehängt, wird dieses um etwa 2 cm absenken. Da die Beziehung in diesem Bereich linear ist, lassen sich so Werte zwischen 0 und 20 mg dadurch bestimmen, daß man die jeweilige Auslenkung auf einer hinter dem Faden angebrachten Millimeterskala orthograd abliest, also zum Beispiel 4 mg bei 4 mm.
Natürlich kann man den "Draht" aus einem feinen Quarzfaden bauen und oder diesen verlängern, um die Empfindlichkeit zu vergrößern.
Man muß aber immer im Auge behalten, daß dann letztlich das Verhältnis Waagschale/Gewicht immer ungünstiger wird.
Letztlich kommt man dann darauf, daß es am besten ist, den "Faden"/(Draht) zu verkürzen und die dann geringeren Ausschläge (in Mikrometern !!) durch ein Mikroskop mit Okularmikrometer zu beobachten.
Es gibt Leute, die einem so etwas bauen können.

https://www.mikroskopie-forum.de/index. ... #msg216807
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