Struvit

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lemmi
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Struvit

Beitrag von lemmi »

Die Chemie ist zwar kein Orchideenfach aber auch (Amateur-) Chemikar pflegen manchmal Orchideen. Und Orchideen sind zwar sehr genügsam (ich staune immer weider, wie die meinen unverzagt blühen obwohl ich sie wochenlang vergesse) aber ab und zu mal tut ihnen etwas Dünger ganz gut.

Als ich neulich eine schon mehrere Jahre alte Flasche Orchideendünger (CompoSana - 250 ml) zur Hand nahm, klapperte es darin. Nun, es war eh nicht mehr viel darin, also habe ich alles ausgekippt und versucht, den vermeintlich auskristallisisrten Dünger zu lösen, indem ich etwas Wasser in die Flasche gab und schüttelte. Heraus fielen folgende Kristalle, die nicht im entferntesten daran dachten, sich aufzulösen:

Bild

Im ganzen waren es 1347 mg, von den organischen Düngerbestandteilen leicht gelblich einfärbte, Kristalle. der größte (oben links im Bild) maß 11 mm. Was konnte das sein?
Die auf der Packung angegebene Zusammensetzung führt folgendes auf: 5 % N, (davon 1,2 % als Ammonium und 1,1% als Carbamid-N, der Rest vermutlich als Nitrat), 4 % Phosphor (als P2O5), 5 % Kalium (als K2O), 0,9% wasserlöslicher Schwefel (vermutlich als Sulfat). Daneben 45% "organische Substanz" (Guano, Eiweißhydrolysat), sowie Spurenelemente (Bor, Kupfer, Eisen, Mangan, Zink, Molybdän) in Mengen von 0,002-0,02 %, überwiegend als EDTA-Chelate.
Was sollte aus einer Lösung dieser Zusammensetzung als unlösliches Produkt auskristallisieren?
Als Anion, das unlösliche Niederschläge bildet, kommt eigentlich nur Phosphat in Betracht. Was kommt als Kation in Frage? Kalium - sicher nicht. Ammonium - auch nicht. Die Spurenelemente - zu niedrig konzentriert. Ich hatte den Verdacht, es könne sich um Ammoniummagnesiumphosphat handeln. Nur - wo das Magnesium herstammen sollte war mir nicht klar. Magnesium ist für Pflanzen zwar ein essenzieller Nährstoff (Bestandteil des Chlorophylls!), es wird Blumendünger aber in der Regel nicht zugestezt, da es praktisch überall im Leitungswasser reichlich vorhanden ist. Ausserdem könnte es halt mit dem Ammoniak und Phospaht des Düngers ausfallen. Das alles schien gegen meine Vermutung zu sprechen. Zudem schien die Kristallform nicht recht zu passen, denn in meheren Kristallen glaubte ich abgeschnittene Tetraeder zu erkennen (vor allem an den beiden rechts im Bild), die zum kubischen System gehören, während die fragliche Subsatanz im orthorombischen System kristallisiert. Also habe ich knapp 300 mg der Kristalle geopfert, fein zerrieben und der Analyse unterzogen.

Zunächst wurden 20 mg des weißen Pulvers im Reagenzglas trocken erhitzt. die Substanz schmolz nicht und verfärbte sich nicht. Es bildete sich ein Beschlag aus feinen Tröpfchen und es roch nach Ammoniak. Ein Universalindikatorpapierstreifen in der Reagenzglasmündung färbte sich sofort blau:

Bild

Beim Erhitzen mit 2 ml Wasser lösten sich 20 mg der Substanz nicht merklich. Es wurde ein weiterer ml Wasser zugegeben, aufgekocht und heiß filtriert. Das Filtrat wurde zum langsamen Abkühlen beiseite gestellt.

Dann wurden aus 60 mg der Substanz und der gleichen Menge Natriumkarbonat durch Kochen in 2 ml Wasser ein Sodaauszug bereitet, von dem weißen Rückstand abfiltriert und mit 3 ml Wasser nachgewaschen. Im Filtrat wurden Erkennungsrekationen auf Anionen durchgeführt: mit verd. H2SO4 angesäuert die Ringprobe auf Nitrat, mit HNO3 angesäuert die Proben auf Chlorid (AgNO3), Sulfat (BaCl2) und Phosphat (Ammoniummolybdatlösung):

Bild

Die Substanz ist ein Phopshat! Spuren von Chlorid und - wenn man sehr genau hinschaut - auch von Nitrat, sind vorhanden. Sulfat ist nicht nachweisbar.

Bild

Zur Probe auf Kationen wurde der Rückstand im Filter mit 5 Tropfen Essigsäure und 5 ml Wasser gelöst. Zur einen Hälfte des Filtrats wurde Natriumhydrogenphosphatlösung und etwas Ammoniumchlorid gegeben und mit 1 Tropfen Ammoniak versetzt. Zum Nachweis von Calcium wurde der zweite Teil des Filtrats mit Ammoniumoxalatlösung versetzt. Der letzte Milliliter des Sodaauszuges wurde mit 1 ml Wasser verdünnt und Kalignostlösung zugetropft:

Bild

Der dichte Niederschlag in Glas 1 beweist die Anwesenheit von (reichlich) Magnesium. Calcium kommt nicht oder nur in Spuren vor. Der positive Kaliumnachweis ist unsicher, weil Ammonium mit Kalignost ebenfalls einen Niederschlag gibt.

Inzwischen war im Filtrat der Abkochung ein geringer weißer Bodensatz ausgefallen. Unter dem Mikroskop fanden sich bei 400-facher Vergrößerung typische "sargdeckelförmige" Kristalle. Es hadelte sich also offenbar doch um Ammoniummagnesiumphosphat.

Bild

Bild

Um dieses Ergebnis nochmals zu überprüfen habe ich den Magnesiumgehalt in der Substanz quantitativ bestimmt:
87,0 mg (entspr. 0,354 mmol Ammoniummagnesiumphosphat-6-Hydrat bzw Magnesium) des Pulvers wurden mit 10,0 ml 0,5 M EDTA-Lösung und 5 ml Wasser bis zur völligen Lösung gerührt (leichtes Erwärmen nötig), abkühlen gelassen, mit Wasser auf 50 ml aufgefüllt und mit 2,5 ml Ammoniakpuffer (pH 10) sowie etwas Eriochromschwarz-Mischindikator versetzt. Die grüne Flüssigkeit wurde mit 0,05 M Zinksulfatlösung bis zum Umschlag nach violett zurücktitriert. Der Verbrauch betrug 3,1 ml, es waren somit 6,9 ml EDTA 0,05 M verbraucht worden, also waren 0,345 mmol Magnesium vorhanden gewesen. Das entspricht - mit einer Differenz von -2,5 % - dem erwarteten Ergebnis.

Es handelt sich bei den Kristallen aus der Düngerflasche also tatsächlich um NH4MgPO4 + 6 H2O. Dieses schwerlösliche Salz ist dem Analytiker vom Nachweis von Magnesium (oder Phosphat) vertraut, man kennt es aber dort nur als feinkristallinen, weißen Niederschlag. Große Kristalle kommen in Form des seltenen Minerals Struvit in der Natur vor und sind in Regel das Produkt einer langsamen bakteriellen Zerstzung organischer Substanz bei Anwesenheit von Magnesium. In der Medizin spielt Struvit als Bestandteil von Nierensteinen eine Rolle. Struvitsteine sind in der Regel Folge einer chronischen Infektion durch Ammoniak-bildende Bakterien und entstehen nur bei alkalischem pH des Urins. Sie können lange symptomlos bleiben und sehr groß werden, so dass sie schließlich das gesamte Nierenbecken bis in seine Aufzweigungen hinein ausfüllen (sogenannte "Ausgußsteine"). Solche riesigen Steine müssen (fast immer mitsamt der betroffenen Niere) operativ entfernt werden.

Wie das Magnesium in die Düngermischung gelangt ist (die auskristallisierte Menge entspricht immerhin rund 5 mmol Mg) weiß ich allerdings immer noch nicht!
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eule
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Beitrag von eule »

finde ich klasse, es findet sich irgendeine Frage und was tut der chemisch interessierte mensch? Analyse! wieder mal sehr gelungen. gleich npch etas historischen/medizinischen Kontext dazu, ein echter @lemmi!
einfach schön.
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mgritsch
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Beitrag von mgritsch »

Sehr fein :)
Zeigt wieder einmal schön dass sich ein Chemiker immer zu helfen weiß wenn es darum geht seine Umwelt zu verstehen :)
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

eule hat geschrieben: es findet sich irgendeine Frage und was tut der chemisch interessierte mensch? Analyse!
mgritsch hat geschrieben:Zeigt wieder einmal schön dass sich ein Chemiker immer zu helfen weiß wenn es darum geht seine Umwelt zu verstehen
Ja, genau das macht mir auch Spaß. Schön, daß es euch gefällt!

Aber hat jemand eine Idee, wo das Magnesium hergekommen sein kann? Mir fällt eigentlich nur ein, daß es aus den "organischen" Bestandteilen stammen könnte, die dem Dünger zugegeben wurden. Ob Guano Magnesium enthält?
Alternativ habe ich versucht, mich zu erinnern, ob ich vielleicht mal den Dünger mit Leiitungswasser verdünnt hatte - aber unser Leitungswasser enthält (hallo eule! :wink: ) ca. 0,8 mmol Magnesium/Liter und ich habe bestimmt keine 6 Liter da reingekippt...
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Pok
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Beitrag von Pok »

Guano kann durchaus Struvit enthalten (Wikipedia oder hier). Manche Guano-Sorten bestehen anscheinend sogar hauptsächlich aus diesem Mineral (link).
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Uranylacetat
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Beitrag von Uranylacetat »

Klasse, das ist wieder Analytik vom Feinsten! Auch die medizinische und historische Bedeutung sind super erläutert - rundum ein echter "lemmi".... :wink:

Hier gibt es mehr zur Chemie der Harn-und Nierensteine: http://www.medchem.axel-schunk.de/harnsteine/index.html
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

Pok hat geschrieben:Guano kann durchaus Struvit enthalten (Wikipedia oder hier). Manche Guano-Sorten bestehen anscheinend sogar hauptsächlich aus diesem Mineral (link).
Das wird es sein. Aber irgendwie müssen dann größere Mengen bei der Aufarbeitung des Guanos in Lösung gehen und wie das passieren soll ist mir nicht ganz klar. Außerdem hat es eine ganze Weile gedauert, bis sich die Kristalle gebildet haben. Komisch, daß die Düngerhersteller das nicht berücksichtigen.
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Glaskocher
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Beitrag von Glaskocher »

Hallo Lemmi, das ist wieder ein toller Artikel! Mit nur geringer redaktioneller Bearbeitung könnte dieser Artikel auch bei Professor Blume als "Tipp des Monats" oder bei Axel Schunk als "Experiment des Monats" veröffentlicht werden.

[OT]: Professor Blume scheint seit Dezember 2015 nicht mehr regelmäßiger Autor der "Monatstipps" zu sein. Seither werden mehrere Personen als Autor der jeweiligen Tipps genannt. Ich hoffe, daß auch nach der Emeritierung des Namensgebers die "Marke" in seinem Namen weiter bestehen bleibt und mit mindestens gleichem Enthusiasmus fortgeführt wird. [/OT]


Das Geheimnis des Düngerherstellers könnte EDTA heißen. Wie zur Vorbereitung der Titration müßte sich das Magnesium auch im Dünger komplexieren lassen. Im Laufe der Zeit könnte das EDTA irgendwie (bakteriell...) zersetzt worden sein und das Magnesium tut, was es mit Ammoniumdihydrogenphosphat halt so tut, wenn das Wasser knapp wird. Eventuell ist das EDTA auch durch das "Eiweißhydrolysat" in seiner Wirkung billig ersetzt worden. Abbau des Komplexbildners und Herkunft von Ammoniak/Ammonium sind hier leicht erklärt.
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Pok
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Beitrag von Pok »

Guano wird offenbar durch Säure für Düngezwecke "aufgeschlossen" und Struvit löst sich ja im Sauren.

Die Erklärung mit der Zersetzung des Eiweißhydrolysats klingt vernünftig, aber freie Ammoniumionen waren ja schon vorher im Dünger vorhanden. Bei der Zersetzung würde der entstehende Ammoniak aber zur Anhebung des pH-Werts führen, was die Abscheidung von Struvit m.E. besser erklären würde. Vermutlich war der Dünger vorher leicht sauer, sodass deshalb keine Kristalle entstanden.
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

Pok hat geschrieben:Bei der Zersetzung würde der entstehende Ammoniak aber zur Anhebung des pH-Werts führen, was die Abscheidung von Struvit m.E. besser erklären würde. Vermutlich war der Dünger vorher leicht sauer, sodass deshalb keine Kristalle entstanden.
Das scheint mir eine vernünftige Erklärung zu sein.

Könnt ihr mir auch mit der Kristallform weiterhelfen? Ich hatte ja den Eindruck, daß die Kristalle abgeschnittene Tetraeder sind. Struvit kristallisiert aber nicht im regulären system. Ich bin aber kein Experte in Kristallsystemen...
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