Über die Wiederentdeckung eines ungewöhnlichen Kobaltkomplexes

Wissenschaftliche Experimente von besonderem historischem Interesse.

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mgritsch
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Beitrag von mgritsch »

lemmi hat geschrieben:Ich gehe davon aus, daß es das Nitrat ist. Ich habe das Auftreten von NO beobachtet - also muss das Nitrat reduziert worden sein - und mögliche Reaktionsgleichungen angegeben (siehe post oben). HBr oxidiert sich ja schon beim Stehenlassen an der Luft und wird braun (was mich ziemlich nervt, nebenbei gesagt).

Die Kobalt(III)-Komplexe sind bekanntlich viel stabiler, als die Kobalt(II)-Komplexe. Dass erstere in der Lage wären, Bromid zu Brom oxidieren, kann ich mir nicht vorstellen. Eher oxidiert Brom Co2+ zu Co3+. Ausserdem wäre dann die Asubeute nicht so hoch, weil ein Teil des Kobalts verloren ginge.
Ergänzender Nachtrag bei zweitem nachdenken/nachsehen - schauen wir mal auf die Standardpotenziale:
Co3+(aq) + e– → Co2+(aq) +1.82 V
O2(g) + 4 H+(aq) + 4 e– → 2 H2O +1.229 V
Br2(l) + 2 e– → 2 Br–(aq) +1.066 V
NO3–(aq) + 4 H+(aq) + 3 e– → NO(g) + 2 H2O +0.96 V

Co3+ ist also das stärkste Oxidationsmittel in dem System (1,8V sind auch absolut nicht zu verachten...!) und alles was es davon abhält sein Potenzial voll auszuleben ist die hohe Komplexbildungskonstante die die mögliche Gleichgewichtskonzentration an Co3+ begrenzt und das Potenzial in den Keller schickt. Wie weit... schwer zu sagen.
Unter Standardbedingungen wäre auch Brom das stärkere Oxidationsmittel als NO3-. In einer 48% HBr dürfte aH+ doch ein bisschen über 1 liegen sodass eine Chance auf Oxidation des Br besteht. Ein großes Delta in den E wird es aber eher nicht sein sodass das greift was ich bereits im letzten Post angedeutet habe - quantitative Umsetzung eher unwahrscheinlich. Sobald ein Teil des NO3- verbraucht ist und NO vorliegt reicht das E nicht mehr für eine Oxidation.
Bleibt also dem E nach eingeschätzt tatsächlich O2 als wahrschenlichster Kandidat um Br2 zu generieren. Das passt auch grundsätzlich zum Befund dass sich HBr selbst braun färbt. Ob das aber reicht um ausreichend rasch ausreichend Menge zur Verfügung zu stellen? Soooo stark verfärbt sich die HBr auch wieder nicht, oder?

Andere Frage noch: wie hast du den Tetraamminkarbonatokobalt(III)-Komplex hergestellt?
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NI2
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Beitrag von NI2 »

mgritsch hat geschrieben:Andere Frage noch: wie hast du den Tetraamminkarbonatokobalt(III)-Komplex hergestellt?
Kobaltkomplexe und Chemiegeschichte (I) - Kopenhagen Präp. No. 2. Tetraammincarbonatokobalt(III)-nitrat und -chlorid.
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Uranylacetat
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Beitrag von Uranylacetat »

Diese komplexen Kobaltverbindungen sind ja spanender als jeder Krimi.... :thumbsup:
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

mgritsch hat geschrieben:Bleibt also dem E nach eingeschätzt tatsächlich O2 als wahrschenlichster Kandidat um Br2 zu generieren. Das passt auch grundsätzlich zum Befund dass sich HBr selbst braun färbt. Ob das aber reicht um ausreichend rasch ausreichend Menge zur Verfügung zu stellen? Soooo stark verfärbt sich die HBr auch wieder nicht, oder?
Halte ich für ausgeschlossen, dass das bisschen Luft im Kolben ausreicht um diese beachtlichen Brommengen zu generieren. Nein, das war das Nitrat. Wie gesagt: es entstand ja auch reichlich NO. Man könnte mal probieren, was passiert wenn man KBr in Salpetersäure erhitzt. Aber die Sachlage ist m.E. ziemlich eindeutig. Wie du selbst geschrieben hast: die Redoxoptentiale für Co2+/Co3+ gelten nicht für die entsprechenden Komplexe.

Die HBr verfärbt sich beim Stehenlassen deutlich gelb. Wie viel Brom sie enthält müsste man mal titrieren. Aber als ich die Lösung von Brom in HBr hergestellt habe (siehe letzter Abschnitt des Eingangsposts), war ich ziemlich erstaunt, wie hell die Farbe der Lösung ist. Gefühlt viel weniger, als ich es erwartet hätte oder als man es z.B. gewohnt ist, wenn man Iod in KI-Lösung auflöst.
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mgritsch
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Beitrag von mgritsch »

lemmi hat geschrieben: Nein, das war das Nitrat. Wie gesagt: es entstand ja auch reichlich NO.
Gut möglich.
im Beitrag steht:
Kürzlich habe ich die Arbeit an den komplexen Kobaltverbindungen wiederaufgenommen. Noch immer in Ermangelung der Wernerschen Ausgangsverbindung habe ich einen zweiten Anlauf zur Darstellung des trans-Dibromo-Komplexes gemacht und Tetraamminkarbonatokobalt(III)-sulfat verwendet.
wo kam da das Nitrat her?
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

Der zweite Ansatz enthielt eben kein Nitrat und dabei habe ich dann ja auch kein Tribromid, soondern das normale Bromid erhalten - dasjenige, das ich ursprünglich hatte herstellen wollen. Aber die Analyse dieses Produktes zeigte, daß es ebenfalls mit ein bisschen Tribromid verunreinigt sein muss, denn es enthält mehr Brom, als der Formel entspricht (Anmerkung am Ende des Eingangsposts)! Wie das entstanden ist, kann ich nicht sicher sagen - veilleicht hat der Luftsauerstoff hierfür ausgereicht? Oxidationsmittel hatte ich jedenfalls nicht zugesetzt.
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Beitrag von mgritsch »

lemmi hat geschrieben:Der zweite Ansatz enthielt eben kein Nitrat und dabei habe ich dann ja auch kein Tribromid, soondern das normale Bromid erhalten - dasjenige, das ich ursprünglich hatte herstellen wollen. Aber die Analyse dieses Produktes zeigte, daß es ebenfalls mit ein bisschen Tribromid verunreinigt sein muss, denn es enthält mehr Brom, als der Formel entspricht (Anmerkung am Ende des Eingangsposts)!
Ah, ich glaube jetzt hat es geklickt bei mir. Die Substanz mit der Formel [Co(NH3)5Br]Br2 die du herstellen wolltest ehthält eben noch kein Elementares Brom, das ist erst im Tribromid enthalten (und das dann zB ähnlich wie in einer Jod-Kaliumiodidlösung als Tribromid-Anion stabil vorliegt). Folglich sollte eben keine Oxidation stattfinden, es sein denn du willst gezielt das Tribromid herstellen...
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

mgritsch hat geschrieben:Ah, ich glaube jetzt hat es geklickt bei mir. Die Substanz mit der Formel [Co(NH3)5Br]Br2 die du herstellen wolltest ehthält eben noch kein Elementares Brom, das ist erst im Tribromid enthalten (und das dann zB ähnlich wie in einer Jod-Kaliumiodidlösung als Tribromid-Anion stabil vorliegt). Folglich sollte eben keine Oxidation stattfinden, es sein denn du willst gezielt das Tribromid herstellen...
Es hat fast klick gemacht :mrgreen: die Substanz, die ich herstellen wollte, ist [Co(NH3)4Br2]Br. Herausgekommen ist das Tribromid [Co(NH3)4Br2]Br3.
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Glaskocher
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Beitrag von Glaskocher »

Mal 'ne Zwischenfrage:
Läßt sich das "Bromid" (= [Co(NH3)4Br2]Br) eigentlich gezielt ins "Tribromid" (= [Co(NH3)4Br2]Br3) überführen? Ist es villeicht gar möglich aus beiden Verbindungen Kristalle von "pinzettenfähiger" Größe zu züchten? Es wäre interessant, zumindest den Habitus im Mikroskop oder gat Maktobild zu betrachten.

Ich finde es spannend, Euren Bemühungen zu folgen, mit den Mitteln von Werner und Zeitgenossen die Produkte zu charakterisieren. Das ist noch "echt handwerkliche" chemische Analytik und nicht diese "Apparatediagnostik" mit der großen "Blackbox".

Richtig spannend könnte es werden, wenn neben den Veröffentlichungen auch noch die Originalnotizen oder gar ~Substanzproben verfügbar wären.
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

Glaskocher hat geschrieben:Läßt sich das "Bromid" (= [Co(NH3)4Br2]Br) eigentlich gezielt ins "Tribromid" (= [Co(NH3)4Br2]Br3) überführen? Ist es villeicht gar möglich aus beiden Verbindungen Kristalle von "pinzettenfähiger" Größe zu züchten? Es wäre interessant, zumindest den Habitus im Mikroskop oder gat Maktobild zu betrachten.
Ja, das geht.
lemmi hat geschrieben:In dem Artikel (2) beschreiben die Autoren die Synthese diverser Tribromide aus den einfachen Bromiden mit Hilfe einer Lösung von Brom in Bromwasserstoffsäure. Ich habe auch das ausprobiert:
Ein Spatel trans-Tetraammindibromokobalt(III)-bromid (rund 0,5 g, nicht gewogen…) wurde in 10 ml Wasser suspendiert und eine Lösung von ca. 0,5 ml Brom in 5 ml Bromwasserstoffsäure (47 %) zugegeben. Letztere Lösung ist klar und mäßig gelbbraun gefärbt. Die Mischung wurde für 2 Stunden kräftig gerührt und dann über Nacht stehen gelassen, abgesaugt, mit wenig HBr, viel Wasser und zuletzt mit Ethanol gewaschen und getrocknet. Die Farbe des Produktes war von der der Ausgangssubstanz deutlich verschieden und auch die übrigen Eigenschaften glichen den auf den anderen Wegen dargestellten Präparaten. Auf eine Analyse habe ich auch hier verzichtet. Die Ausbeute betrug 0,46 g (Ausbeute leider nicht berechenbar). Gleichung:

[Co(NH3)4Br2]Br + Br2 ---> [Co(NH3)4Br2]Br3
Wenn man von einer Lösung des "einfachen" Bromids ausgeht (ich habe eine Aufschwemmung vewendet) müsste sich das Tribromid ausfällen lassen, denn es ist viel schwerer wasserlöslich. Vielleicht bekäme man da Kristalle. Wenn mir noch HBr übrig bleibt probiere ich das mal (ist derzeit knapp).
Glaskocher hat geschrieben:Ich finde es spannend, Euren Bemühungen zu folgen, mit den Mitteln von Werner und Zeitgenossen die Produkte zu charakterisieren. Das ist noch "echt handwerkliche" chemische Analytik und nicht diese "Apparatediagnostik" mit der großen "Blackbox".

Richtig spannend könnte es werden, wenn neben den Veröffentlichungen auch noch die Originalnotizen oder gar ~Substanzproben verfügbar wären.
Ich finde sowas auch spannend. Original-Substanzproben aus der Zeit von Werner müsste es im chemischen Institut in Zürich noch geben - von dem Tribromid hat er aber m.W. nie gesprochen. Das wurde, wie gesagt, 1955 von der russischen Arbeitsgruppe zuerst beschrieben.
"Alles sollte so einfach wie möglich gemacht werden. Aber nicht einfacher." (A. Einstein 1871 - 1955)

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"Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung der Leute, die die Welt nie gesehen haben." (Alexander v. Humboldt, 1769 - 1859)
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