Salpetersäure nach einem mittelalterlichen Rezept

Wissenschaftliche Experimente von besonderem historischem Interesse.

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ChemDoc
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Beitrag von ChemDoc »

In den Scheidewasserbrennereien, in welchen die Salpetersäure fabrikmäßig bereitet wird, nimmt man theils dazu das schwefelsaure Eisen, theils die Thon= und Bolarerden. Man nimmt nämlich rohen Salpeter, versetzt ihn mit gleichen Theilen kalcinirtem Eisenvitriol oder mit zwei bis drei Theilen einer eisenhaltigen, leicht zerreiblichen Thonart, legt es in steinerne Retorten und treibt die Säure durch eine lebhafte anhaltende Hitze des Galeerenofens in Vorlagen über, welche eine angemessene Menge Wasser enthalten. Wird bei Anwendung des bis zur orangengelben Farbe kalcinirten Eisenvitriols kein Wasser vorgeschlagen, auch der Salpeter heiß getrocknet, so erhält man die Salpetersäure im höchsten Grade der Concentration. Sie hat eine rothgelbe Farbe und stößt häufig rothe Dämpfe aus.
Aus Oeconomische Encyclopädie onlinehttp://www.kruenitz1.uni-trier.de Stichwort: Salpetersäure
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Pok
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Beitrag von Pok »

Im ursprünglichen Artikel schrieb Uranylacetat auch, dass man später Eisensulfat nutzte, weil das bessere Ausbeuten liefern soll. Das könnte einerseits einfach daran liegen, dass Eisensulfat schon bei tieferen Temperaturen zersetzt wird als Kupfersulfat (Quelle). Das Kupfersulfat ist also eindeutig thermisch stabiler. Das könnte gleichzeitig auch bedeuten, dass Kupfersulfat hier überhaupt keine Schwefelsäure freisetzt, sondern nur die letzte Reaktion für die Salpetersäurebildung verantwortlich ist. Kufpersulfat kann sich überhaupt erst bei Temperaturen zersetzen, bei denen Wasser längst aus dem Gemisch komplett entfernt ist. Dann entstünde auch nur gasförmiges SO3. Nur mit Wasserdampfresten im RG könnte sich überhaupt ein bisschen Schwefelsäure bilden, aber das kann nicht die Hauptreaktion sein. Beim Eisenvitriol (Auszug von ChemDoc) scheint es sich wirklich um eine Reaktion mit freigesetzter Schwefelsäure zu handeln.
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Uranylacetat
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Beitrag von Uranylacetat »

Über die Rolle des Alauns bei der Reaktion bin ich auch nicht schlüssig..., ich versuche mal dennoch meine Gedanken zu fassen:

Da die Zersetzungstemperatur des Kupfervitriols in der Tat ca. 160°C höher liegt als die vom Eisenvitriol (nur 400°C), nehme ich mal an; daß das Kupfervitriol und Alaun in einer ersten Phase aus dem verdampfenden Kristallwasser das nötige Wasser liefern, in dem das Alaun darin sauer regiert und damit die "H-Protonen" für die sich bildende Schwefelsäure liefert, nachdem bei noch höherer Temperatur noch Schwefeltrioxid ensteht....

Jedoch steht im Wiki-Artikel über Kupfervitriol auch : "Bei starkem Erhitzen (ab 340 °C) zerfällt das wasserfreie Kupfersulfat in Kupfer(II)-oxid und Schwefeltrioxid"...

Ich denke, es ist wohl eine Mischung aus den drei erwähnten Reaktionen....

Beeindruckend fand ich auch schon die Konzentration des "Salpetergeistes" als Destillat!
"Der einfachste Versuch, den man selbst gemacht hat, ist besser als der schönste, den man nur sieht." (Michael Faraday 1791-1867)

Alles ist Chemie, sofern man es nur "probiret". (Johann Wolfgang von Goethe 1749-1832)

„Dosis sola facit venenum.“ (Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus 1493-1541)

"Wenn man es nur versucht, so geht´s; das heißt mitunter, doch nicht stets." (Wilhelm Busch 1832 -1908)
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

Ungeachtet der noch nicht abgeschlossenen Diskussion über den Reaktionsablauf und die Bedeutung der einzelnen Bestandteile der Rezeptur habe ich diesen Artikel wegen der historischen Bedeutung verschoben.

N.B.:
In diesem Zusammenhang ist vielleicht von Interesse, daß bereits im 16. Jahrhundert Nitro-Aromaten als Sprengstoffe verwendet wurden! In dem von einem unbekannten Verfasser geschriebenen und 1529 in Augsburg zum ersten Male gedruckten "Feuerwerksbuch" findet sich folgende Anleitung (diese und die folgenden Erläuterungen sind aus der Monografie von S.J.von Romocki: "Geschichte der Explosivstoffe", Berlin 1895 / Nachdruck 1976 entnommen):

Bild

Oleum benedictum ist ein rohes Teeröl-Gemisch, "Salpeterwasser" und "Schwefel-Öl" sind Salpeter- und Schwefelsäure. Romocki führt aus, daß der Autor dieser Zeilen sicher ein explosionsfähiges Produkt in Händen gehabt haben muss, denn die Beschreibung ist sehr konkret und es gibt aus der damaligen alchemistischen Tradition keinerlei spekulative Vorläufer die den Verfasser zu einer solchen Fantasie hätten anregen können. Natürlich ist die Vorschrift unvollständig: das erhaltene Produkt - das ein Gemisch verschiedener Nitroaromaten (u.a. Nitrophenole, Nitrobenzole und Nitrotoluole) gewesen sein muss - muss ausgewaschen und getrocknet worden sein, die die einfache Mischung nicht in einer "Büchse" zur Explosion gebracht hätte werden können.

Interessanterweise ging dieses Wissen bald nach der Veröffentlichung wieder verloren. Andere Autoren schrieben das Rezept ab, offenbar ohne es selbst ausprobiert zu haben, denn sie gaben die Anleitung entstellt wieder (u.a. wird Weingeist bei der Destillation zugefügt), was bezeugt, daß die Rezipienten das Vorgehen des "Feuerwerksbuches" nicht verstanden hatten. Es ist eine interessante (wenngleich vermutlich nicht erbauliche) Spekulation, sich zu überlegen wie die Weltgeschichte verlaufen wäre, wenn die "modernen" Sprengstoffe bereits ab dem 16 Jahrhundert verfügbar gewesen wären...
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