Bologneser Leuchtsteine

Wissenschaftliche Experimente von besonderem historischem Interesse.

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lemmi
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Re: Bologneser Leuchtsteine

Beitrag von lemmi »

Hallo zeno! ich hoffe, du liest noch mit... 8)

Zu deinen Ausführungen habe ich doch noch Fragen. Die Erklärung ist doch etwas verschieden von allem anderen, was wir hier diskutiert haben.

Zunächst möchte ich gerne sicher sein, dich richtig verstanden zu haben! Du schreibst von "Leuchtzentren", die
1. zuerst angeregt,
2. dann oxidiert,
3. später wieder reduziert werden
4. und dann erst unter Relaxation aus dem angeregten Zustand Licht aussenden.

Die "Phosphoreszenz" der bologener Leuchsteine ist in Wirklichkeit eine prolongierte Lumineszenz. Das verlängerte Leuchten kommt dadruch zustande, dass die Elektronen zwischen 2 und 3 an einer Haftstelle gebunden und dort durch einen externen Stimulus mit einer Zeitverzögerung wieder freigesetzt werden. Dieser Stimulus ist unter "Normalbedingungen" die (Raum-)Temperatur. Das Leitungsband ist gar nicht der Ort, bis zu dem die Elektronen angeregt werden bzw von wo sie auf eine niedrigerees Energielevel zurückkehren, es dient "nur" dem Transport.
Ist das korrekt wiedergegeben?

Dieser Ansatz würde erklären, warum Phosphore bei Erwärmung stärker leuchten, aber nur, wenn sie zuvor belichtet wurden. Ich habe das mal mit einem pulverisierten Leuchtstein, den ich in einer Ampulle in ein heißes Wassrbad gestellt habe, ausprobiert:

Wasserbad1.jpg
Wasserbad1.jpg (62.11 KiB) 4825 mal betrachtet
Wasserbad2.jpg
Wasserbad2.jpg (38.5 KiB) 4825 mal betrachtet

Laut Vanino u.a. wird das Leuchten aber auch durch bestimmte Einwirkungen, z.B. Bestrahlung mit rotem Licht (habe ich nicht ausprobiert) gelöscht. Wie erklärt sich das?

Fragen:
1. worin besteht das Leuchtzentrum und worin die Haftstelle? Ist das eine das Erdalkalisulfid und das andere die Dotierung? Oder wie muss man sich das materiell vorstellen?
2. wenn die Lichtaussendung durch Relaxation des angeregten Leuchtzentrums ensteht, das Leuchtzentrum aber durch (z.B.) UV-Licht angeregt wird - wieso hat das abgestehtrehlte Licht dann eine niedrigere Frequenz (längere Wellenlänge) als das eingestrahlte? Wodurch entsteht die Energiedifferenz.

Zusatzfrage:

Habe ich das richtig verstanden, dass der Unterschied zwischen prolongierter Lumineszenz und Phosphoreszenz darin besteht, dass letztere mit einem Elektronenübergang vom Triplett in den Grundzustand verbunden ist? Gibt es dann die Phosphoreszenz überhaupt, und wie kann man das prüfen?

EDIT: ich habe eine Seite gefunden in der das was du erklärt hast so dargestellt wird wie ich es verstanden habe: Mineralienatlas
"Alles sollte so einfach wie möglich gemacht werden. Aber nicht einfacher." (A. Einstein 1871 - 1955)

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Zeno
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Re: Bologneser Leuchtsteine

Beitrag von Zeno »

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lemmi hat geschrieben: Freitag 20. August 2021, 17:28 Zunächst möchte ich gerne sicher sein, dich richtig verstanden zu haben! Du schreibst von "Leuchtzentren", die
1. zuerst angeregt,
2. dann oxidiert,
3. später wieder reduziert werden
4. und dann erst unter Relaxation aus dem angeregten Zustand Licht aussenden.
Ja.
Kleine Anmerkungen dazu:

"1. zuerst angeregt." Exakt. Aus dem angeregten Zustand kann das Elektron in den Grundzustand zurückfallen - das gibt dann die übliche Lumineszenz des Leuchtzentrums. Alternativ - und wenn die Lage der lokalen Niveaus geeignet ist - kann das Elektron von dort in das Leitungsband.

Falls das passiert,
"2. dann oxidiert" das Leuchtzentrum - es veliert ein Elektron. Das kann man auch als Ionisation verstehen. Diese Sichtweise wird z.B. bei der lichtgetriebenen Katalyse interessant.

Das Elektron diffundiert im Leitungsband und kann (analog zu 1.) in einen (angeregten) Zustand der Haftstelle übergehen und reduziert dabei die Haftstelle. Aus diesem angeregten Zustand relaxiert die Haftstelle dann in ihren Grundzustand. Wenn man Defektstrukturen in Halbleitern anschaut, ist hier meistens Schluss.... das Elektron ist von einem lichtsensitiven Zentrum auf ein Defektzentrum übergegangen, in dessen Grundzustand es stabil gebunden ist. Das System hat sich lichtgetrieben "aufgeräumt"...

Unter bestimmten Umständen - insbesondere wenn das Defektzentrum metastabil ist - kann durch äußeren Energieeitrag der umgekehrte Prozess stattfinden: das sind dann die Punkte 3. und 4. aus Deiner Beschreibung oben.

lemmi hat geschrieben: Freitag 20. August 2021, 17:28 1. worin besteht das Leuchtzentrum und worin die Haftstelle? Ist das eine das Erdalkalisulfid und das andere die Dotierung? Oder wie muss man sich das materiell vorstellen?
Beim Beispiel BaS:Cu [1]. Das zudotierte Cu-Ion (wohl zunächst als Cu+) ist das Leuchtzentrum. Als Fallenzentrum agiert eine Schwefel-Vakanz VS.

Noch anschaulicher geht das beim System YPO4:Ce, Sm, vgl [2-4]. Dort ist Ce3+ das Leuchtzentrum (Ce3+ leuchtet dort im UV 338 nm bzw. 352 nm und die Anregung erfolgt durch Röntgenstrahlung) und die ebenfalls zudotierten Sm3+ agieren als Fallenzentren. Bei der Anregung passiert letzlich Ce3++Sm3++hv->Ce4++Sm2+.
Das Elektron ist dann stabil im Grundzustand von Sm2+ gespeichert. Mit Licht geeigneter Wellenlänge wird das Elektron von dort wieder zurück ins Leitungsband gebracht. "Geeignete Wellenlänge" meint, dass hier das Anregungsspektrum von Sm2+ in YPO4 relevant ist (vgl. [3], dort speziell Fig 2).
lemmi hat geschrieben: Freitag 20. August 2021, 17:28 Laut Vanino u.a. wird das Leuchten aber auch durch bestimmte Einwirkungen, z.B. Bestrahlung mit rotem Licht (habe ich nicht ausprobiert) gelöscht. Wie erklärt sich das?
An diesem Punkt beantwortet sich die Frage (die zuvor im Thread auch schon gestellt wurde), warum mit bestimmten Wellenlängen die Lumineszenz gelöscht(*) wird: die Fallenzustände haben ein Anregungsspektrum.

Solange Ladungsträger im Leitungsband diffundieren, fliesst ein Photostrom (vgl. beispielsweise [5] für das System SrAl2O4:Eu,Dy, dort ist Eu2+ das Leuchtzentrum und Dy3+ das Fallenzentrum)

(*) Wenn mit sichtbaren Licht "gelöscht" wird, kann es sein, dass die zusätzliche emittierte Lumineszenz (in diesem Fall optisch stimulierte Lumineszenz) gegenüber des sehr viel intensiveren eingestrahlten Ausleselichts nicht sichtbar ist. Es kann aber auch sein, dass durch die eingebrachte Energie das Elektron über einen strahlunslosen Pfad am Leuchtzentrum relaxiert.

(1) Lastusaari, Mika, et al. (2012). The Bologna Stone: history’s first persistent luminescent material. European Journal of Mineralogy 24.5, 885-890.
(2) Bos, A. J., Dorenbos, P., Bessière, A., Lecointre, A., Bedu, M., Bettinelli, M., & Piccinelli, F. (2011). Study of TL glow curves of YPO4 double doped with lanthanide ions. Radiation measurements, 46(12), 1410-1416.
(3) Bos, A. J., Poolton, N. R., Wallinga, J., Bessière, A., & Dorenbos, P. (2010). Energy levels in YPO4: Ce3+, Sm3+ studied by thermally and optically stimulated luminescence. Radiation measurements, 45(3-6), 343-346.
(4) Dorenbos, P., Bos, A. J. J., & Poolton, N. R. J. (2011). Electron transfer processes in double lanthanide activated YPO4. Optical Materials, 33(7), 1019-1023.
(5) Kim, S. K. (2009). Dy co-doping effect on photo-induced current properties of Eu-doped SrAl 2 O 4 phosphor. Journal of Sensor Science and Technology, 18(1), 48-53.

lemmi hat geschrieben: Freitag 20. August 2021, 17:28 Die "Phosphoreszenz" der bologener Leuchsteine ist in Wirklichkeit eine prolongierte Lumineszenz. Das verlängerte Leuchten <...>
Nein. Die Lumineszenz im eigentlichen Sinn ist nicht verlängert, sondern verzögert: Gerade beim oben diskutierten Fall YPO4 reicht die typische Umgebungstemperatur nicht aus, die Elektronen aus den Fallen zu heben. Die höhere Energiemenge kann aber sehr wohl durch Licht eingetragen werden. Insofern ist die Lumineszenz nicht verlängert, sondern verzögert.
lemmi hat geschrieben: Freitag 20. August 2021, 17:28 kommt dadruch zustande, dass die Elektronen zwischen 2 und 3 an einer Haftstelle gebunden und dort durch einen externen Stimulus mit einer Zeitverzögerung wieder freigesetzt werden. Dieser Stimulus ist unter "Normalbedingungen" die (Raum-)Temperatur. Das Leitungsband ist gar nicht der Ort, bis zu dem die Elektronen angeregt werden bzw von wo sie auf eine niedrigerees Energielevel zurückkehren, es dient "nur" dem Transport.
Ist das korrekt wiedergegeben?
Genau.
lemmi hat geschrieben: Freitag 20. August 2021, 17:28 Dieser Ansatz würde erklären, warum Phosphore bei Erwärmung stärker leuchten, aber nur, wenn sie zuvor belichtet wurden. Ich habe das mal mit einem pulverisierten Leuchtstein, den ich in einer Ampulle in ein heißes Wassrbad gestellt habe, ausprobiert: <...>
Juhu Lemmi, Du hast Thermolumineszenz entdeckt! :D
lemmi hat geschrieben: Freitag 20. August 2021, 17:28 2. wenn die Lichtaussendung durch Relaxation des angeregten Leuchtzentrums ensteht, das Leuchtzentrum aber durch (z.B.) UV-Licht angeregt wird - wieso hat das abgestehtrehlte Licht dann eine niedrigere Frequenz (längere Wellenlänge) als das eingestrahlte? Wodurch entsteht die Energiedifferenz.
Zunächst: Dass die Emission der Photolumineszenz weniger Energie hat, als ihre Anregung wird als Stokes-Shift bezeichnet. Aus ganz großer Perspektive hat das mit dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik zu tun - die Entropie nimmt zu.
Dann: Das System Leuchtzentrum und das System Fallenzentrum haben nichts miteinander zu tun - sie tauschen nur Ladungsträger aus. Wo genau sie in der Bandlücke liegen, das hängt von der Matrix und den dotierten Elementen ab. Möglich ist, dass die Energien in der Reihe Anregung>Emission>Auslesen der OSL abnehmen: die Fallenzustände liegen dann schlicht näher am Leitungsband. Es gibt aber auch den Fall Auslesen>Anregung>Emission - dann liegen die Fallenzustände tiefer (=weiter weg vom Leitungsband), als das Leuchtzentrum.
lemmi hat geschrieben: Freitag 20. August 2021, 17:28 Zusatzfrage:
Habe ich das richtig verstanden, dass der Unterschied zwischen prolongierter Lumineszenz und Phosphoreszenz darin besteht, dass letztere mit einem Elektronenübergang vom Triplett in den Grundzustand verbunden ist? Gibt es dann die Phosphoreszenz überhaupt, und wie kann man das prüfen?
Ja, Phosphoreszenz und Fluoreszenz gibt es - in organischen Molekülen, bei Atomen und anderen eher isolierten Systemen. In Festkörpern, wie gesagt, wird es schwierig, weil da auch kooperative Systeme und Energietransfer etc wichtig werden - was da im Detail mit den zuständigen Auswahlregeln (d.h. Spin, Parität etc) passiert, kann ich nicht pauschal sagen. Deshalb bleibe ich lieber bei "Lumineszenz" als Begriff. Und, ja, schon, mit zum Teil relativ aufwendigen Experimenten kann man für Kristalle durchaus zeigen, welche Niveaus in welcher Weise an einer Lumineszenz beteiligt sind. Spannend werden dann aber kooperative Systeme, Energietransfer etc, aber auch Systeme, in denen zunächst strahlungslose Relaxationen sattfinden: diese verändern Besetzungszahlen und zeitliche Abläufe, man kann sie aber schlecht direkt nachweisen.
lemmi hat geschrieben: Freitag 20. August 2021, 17:28 EDIT: ich habe eine Seite gefunden in der das was du erklärt hast so dargestellt wird wie ich es verstanden habe: Mineralienatlas
na eh, sag ich doch....

Gruß lynx :wink:
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Re: Bologneser Leuchtsteine

Beitrag von Calciumcitrat »

Zeno hat geschrieben: Freitag 20. August 2021, 22:36
lemmi hat geschrieben: Freitag 20. August 2021, 17:28 Laut Vanino u.a. wird das Leuchten aber auch durch bestimmte Einwirkungen, z.B. Bestrahlung mit rotem Licht (habe ich nicht ausprobiert) gelöscht. Wie erklärt sich das?
An diesem Punkt beantwortet sich die Frage (die zuvor im Thread auch schon gestellt wurde), warum mit bestimmten Wellenlängen die Lumineszenz gelöscht(*) wird: die Fallenzustände haben ein Anregungsspektrum.

Solange Ladungsträger im Leitungsband diffundieren, fliesst ein Photostrom (vgl. beispielsweise [5] für das System SrAl2O4:Eu,Dy, dort ist Eu2+ das Leuchtzentrum und Dy3+ das Fallenzentrum)

(*) Wenn mit sichtbaren Licht "gelöscht" wird, kann es sein, dass die zusätzliche emittierte Lumineszenz (in diesem Fall optisch stimulierte Lumineszenz) gegenüber des sehr viel intensiveren eingestrahlten Ausleselichts nicht sichtbar ist. Es kann aber auch sein, dass durch die eingebrachte Energie das Elektron über einen strahlunslosen Pfad am Leuchtzentrum relaxiert.
[/quote]

Hier sei auch mal auf den Chemienobelpreis 2014 hingewiesen: Mit induzierter Emission werden hier die meisten Spielarten von Superauflösungslichtmikroskopie realisiert.
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Re: Bologneser Leuchtsteine

Beitrag von Zeno »

Hallo nochmals
Calciumcitrat hat geschrieben: Samstag 21. August 2021, 00:04 Hier sei auch mal auf den Chemienobelpreis 2014 hingewiesen: Mit induzierter Emission werden hier die meisten Spielarten von Superauflösungslichtmikroskopie realisiert.
Hmmmmm. Das sind meines Wissens nach aber andere Prozesse, die ausgenutzt werden, und eher Moleküle den anorganische (Nano-)Phosphore, vorallem, weil dort schnelle Schaltprozesse nötig sind.
Hell, S. W. (2007). Far-field optical nanoscopy. science, 316(5828), 1153-1158. https://science.sciencemag.org/content/316/5828/1153
Hell, S. W. (2010). Far-field optical nanoscopy. In Single Molecule Spectroscopy in Chemistry, Physics and Biology (pp. 365-398). Springer, Berlin, Heidelberg.

Gruß, Zeno
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Re: Bologneser Leuchtsteine

Beitrag von lemmi »

Nochmal vielen Dank für die ausführliche Diskussion!
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Re: Bologneser Leuchtsteine

Beitrag von Calciumcitrat »

Zeno hat geschrieben: Samstag 21. August 2021, 10:36 Hallo nochmals
Calciumcitrat hat geschrieben: Samstag 21. August 2021, 00:04 Hier sei auch mal auf den Chemienobelpreis 2014 hingewiesen: Mit induzierter Emission werden hier die meisten Spielarten von Superauflösungslichtmikroskopie realisiert.
Hmmmmm. Das sind meines Wissens nach aber andere Prozesse, die ausgenutzt werden, und eher Moleküle den anorganische (Nano-)Phosphore, vorallem, weil dort schnelle Schaltprozesse nötig sind.
Hell, S. W. (2007). Far-field optical nanoscopy. science, 316(5828), 1153-1158. https://science.sciencemag.org/content/316/5828/1153
Hell, S. W. (2010). Far-field optical nanoscopy. In Single Molecule Spectroscopy in Chemistry, Physics and Biology (pp. 365-398). Springer, Berlin, Heidelberg.

Gruß, Zeno
Ja, das ist natürlich keine Festkörperlumineszenz, aber induzierte Emission ist trotzdem das, worauf das STED Grundprinzip aufbaut. Das war eher auf Lemmis allgemeine Frage zur lichtinduzierter Löschung bezogen, weniger auf die Leuchsteine.
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lemmi
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Re: Bologneser Leuchtsteine

Beitrag von lemmi »

Am 14. September hat das Deutsche Romatikmuseum in Frankfurt/Main seine Pforten geöffnet. Im zweiten Obergeschoss findet sich in der chronologisch aufgebauten Ausstellung eine Station betitelt "Physik als Kunst“ die dem Physiker Johann Wilhelm Ritter (1776 – 1810) gewidmet ist. Ritter ist besonders durch seine Studien zur Elektrochemie (u.a. führte er als erster eine quantitative Elektrolyse des Wassers durch und stellte fest, dass dabei doppelt so viel Wasserstoff wie Sauerstoff gebildet wird und baute den ersten Akkumulator) und die Entdeckung der UV-Strahlung wissenschaftshistorisch bedeutsam.

Als romantischer Geist gab sich Ritter nicht mit der bloßen Empirie zufrieden. Er suchte ein geistiges Prinzip hinter den Naturerscheinungen. Ein wesentlicher Ausgangspunkt war dabei die Polarität. Im Jahre 1800 hatte Friedrich Wilhelm Herschel (1738-1822) die Infrarotstrahlung entdeckt. Ritter vermutete nun, dem Prinzip der Polarität folgend, dass auch auf der anderen Seite des Spektrums, jenseits des Violetts, eine Strahlung vorhanden sein müsse. Zum Nachweis benützte er einen mit “Hornsilber“ (AgCl) bestrichenen Pappstreifen, worauf er durch eine Beobachtung von Carl Wilhelm Scheele (1742-1786) gebracht worden war, der beschrieb, dass das Silberchlorid “im Violett des Farbenbildes weit eher schwarz werde, als in den übrigen Farben“. Am 22.Februar 1801 führte er das Experiment durch und beobachtete die erste Schwärzung des Pappstreifens “in einer beträchtlichen Entfernung vom äußersten Violett nach Außen“.

Später wiederholte Ritter das Experiment und legte “bononische Leuchtsteine“ (Bononia ist der alte lateinische Name für die Stadt Bologna) in das Spektrum. Auch hier fand er, dass die Steine “jenseits des Violettes am stärksten leuchtend werden“ und schrieb: “Dieser Versuch sieht einem Zauber ähnlich, indem hier Finsterniß selbst Licht zu erzeugen scheint“. Goethe, mit dem Ritter in Austausch stand, war schwer beeindruckt – und vielleicht auch ein wenig neidisch. Er hatte nämlich im Rahmen seiner "Farbenlehre" selbst mit bononischen Leuchtsteinen im Lichtspektrum experimentiert, war aber nicht auf den Gedanken gekommen, sie über die Grenze des sichtbaren Violetts hinaus zu verschieben…

In der Ritter-Station des Deutschen Romantikmuseums ist der Versuch in dieser Form nachgebaut. Das Museum ist an mich mit der Bitte herangetreten, dafür “bononische Leuchtsteine“ zur Verfügung zu stellen, was mir natürlich eine große Ehre war. Es hat sich gezeigt, dass der Cu-dotierte Barium-Leuchtstein am besten zur Demonstration des Effektes geeignet ist. Nicht zufällig ist das dasjenige Präparat, dessen Zusammensetzung dem originalen Bologneser Stein (aus Bariumsulfat durch Reduktion mit Kohle erhalten) am nächsten kommt. Der Versuchsaufbau enthält eine HQI-Lampe mit nachgeschalteter Quarzlinse (links oben an der Wand). Über einen SWpiegel an der Decke und ein Gitter wird ein gut 75 cm langes kontinuierliches Spektrum auf eine Tischplatte projiziert.

Versuchsaufbau.jpg
Versuchsaufbau.jpg (45.58 KiB) 4542 mal betrachtet

Auf der Platte ist ein schwarzer Kasten mit einer herausziehbaren Schublade befestigt, der auf Rollen durch das Spektrum bewegt werden kann. Auf der Schublade befindet sich ein Glasröhrchen mit den Leuchtsteinen. Setzt man es dem roten, gelben oder grünen Teil des Spektrums aus, so reflektieren die Steine lediglich die Farbe des aufgestrahlten Lichtes. Schiebt man es jedoch in den violetten Bereich und an dessen äußersten Rand, so fluoreszieren sie orangerot und leuchten etwas nach, wenn man die Lade in das Kästchen zurückgleiten lässt (im Video nur andeutungsweise sichtbar).

Leuchtseine im Grün.jpg
Leuchtseine im UV.jpg
Leuchtseine im UV.jpg (23.54 KiB) 4542 mal betrachtet




Zum Schluss: Das Museum ist einen Besuch wert! Allein schon die architektonische Konzeption hat es in sich. Und die Gestaltung der Stationen, die sich jeweils um ein original-Dokument (Briefe, Texte, Bücher der Zeit) aus den Archiven des freien deutschen Hochstifts drehen ist sehr kreativ, informativ und ansprechend gemacht. Und im Treppenhaus findet sich noch ein Experiment aufgebaut, dass an eine wissenschaftliche Diskussion der Zeit anknüpft. Ich verrate jetzt nicht welches … und empfehle euch, es sich selbst anzuschauen! Am 25.11. um 19 Uhr macht der Wissenschaftsphilosoph Olaf Müller von der HU Berlin eine Führung speziell zu J.W.Ritter und seinen Experimenten im Museum (Anmeldung erforderlich).
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Re: Bologneser Leuchtsteine

Beitrag von eule »

Sehr cool, danke für den Hinweis.
Nur eine Frage möge mir gestattet sein, so das denn bekannt ist: Auf welche Weise hat denn der Ritter aus dem (vermutlich) Sonnenlicht das Spektrum gezaubert? Kannte der bereits optische Gitter oder hatte er Prismen aus UV-gängigem Glas?
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Re: Bologneser Leuchtsteine

Beitrag von mgritsch »

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Re: Bologneser Leuchtsteine

Beitrag von lemmi »

eule hat geschrieben: Montag 25. Oktober 2021, 13:59 Auf welche Weise hat denn der Ritter aus dem (vermutlich) Sonnenlicht das Spektrum gezaubert? Kannte der bereits optische Gitter oder hatte er Prismen aus UV-gängigem Glas?
Er hat wie Newton ein Prisma verwendet, das offensichtlich langwelliges UV durchgelassen hat. Gitterspektren waren damals noch nicht bekannt.

Glas ist UV-A-durchlässig. Okay, ist sicher Sorten-abhängig! Wenn ich meine in RG eingeschmolzenen Leuchtsteine mit 365 nm bestrahle, fluoreszieren sie genauso hell wie ohne Umhüllung. Mit 254 nm funktioniert das dagegen nicht, das wird vom Glas zurückgehalten.
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Re: Bologneser Leuchtsteine

Beitrag von eule »

Naja, lt. Wikipedia erfand Rittenhouse um 1785 das Optisches_Gitter. Da ich nicht weiß, ob Ritter sich davon eines zu verschaffen imstande war ... und da du schriebst, es sei definitiv nach 1800 passiert, da UV in Erwiederung auf die Entdeckung des infraroten Lichtes beforscht wurde kann ich mir schon echt gut vorstellen, daß Ritter sich die "modernsten" Geräte dafür beschafft hat.
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Re: Bologneser Leuchtsteine

Beitrag von lemmi »

Ich glaube, Rittenhouse hat keinen großen Einfluss gehabt. Meines Wissens nach hat erst Fraunhofer die Gitterspektren bekannt gemacht. Ich erinnere mich an eine Legende, derzufolge er die Lichtbeugung an einer Vogelfeder entdeckt haben soll.
Ausserdem war Ritter ein sich in chronischen Geldnöten befindlicher Privatgelehrter. Für modernste Geräte hatte er sicher kein Budget :wink:
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Re: Bologneser Leuchtsteine

Beitrag von eule »

hier findet sich ein Artikel der FAZ zu Ritter, Goethe und der Farbenlehre unter besonderer Berücksichtigung der IR- und UV-Anteile:https://www.faz.net/aktuell/wissen/phys ... 87221.html
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