Harnstoff

Isolierung und Synthesen von Naturstoffen.

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Cyanwasserstoff
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Harnstoff

Beitrag von Cyanwasserstoff »

Wöhlersche Totalsynthese von Harnstoff

Im Jahre 1828 synthetisierte Friedrich Wöhler Harnstoff aus Ammoniumcyanat. Zusammen mit seiner Synthese von Oxalsäure aus Dicyan widerlegte dies die Vitalismus-Theorie, die besagte, dass eine "Lebenskraft" (vis vitalis) für die Synthese organischer Stoffe aus anorganischen nötig sei. Deshalb stellt die Wöhlersche Harnstoffsynthese trotz ihrer einfachen Durchführung einen der wichtigsten Meilensteine der organischen Chemie dar. Wöhler schrieb über seine Entdeckung an Berzelius:
Lieber Herr Professor!
Obgleich ich sicher hoffe, dass mein Brief vom 22. Jan. und das Postscript vom 2ten Februar bey Ihnen angelangt sind, und ich täglich oder vielmehr stündlich in der gespannten Hoffnung lebe, einen Brief von Ihnen zu erhalten, so will ich ihn doch nicht abwarten, sondern schon wieder schreiben, denn ich kann, so zu sagen, mein chemisches Wasser nicht halten und muss Ihnen sagen, dass ich Harnstoff machen kann, ohne dazu Nieren oder überhaupt ein Tier, sey es Mensch oder Hund, nöthig zu haben. Das cyansaure Ammoniak ist Harnstoff.
(Quelle: O. Wallach (Hg.). Briefwechsel zwischen J. Berzelius und F. Wöhler. Sändig Reprint Verlag, Vaduz, 1984.)

In diesem Versuch wird zunächst Kaliumcyanat durch Oxidation von Kaliumcyanid an der Luft hergestellt. Dann wird mit Ammoniumchlorid erhitzt, um über eine intermediäre Ammoniumcyanatlösung Harnstoff zu erhalten.

Geräte:

Porzellantiegel, Dreifuß, Tondreieck, Brenner, Spatel, Waage, Becherglas 50 ml, Trichter, Kristallisierschale

Chemikalien:

Kaliumcyanid Warnhinweis: nWarnhinweis: t+
Wasser

Ammoniumchlorid

Aceton

Aktivkohle

Kaliumcyanat Warnhinweis: xn
Harnstoff

Kaliumchlorid

Hinweis:

Beim Erhitzen der Kaliumcyanat-Ammoniumchlorid-Lösung kann Cyanwasserstoff freigesetzt werden! Abzug!

Durchführung:

1,30 g Kaliumcyanid werden in einem Porzellantiegel vorsichtig erhitzt. Zunächst ist keine Veränderung zu beobachten, dann schmilzt das Pulver plötzlich recht schnell. Unter Rühren wird noch wenige Minuten weiter erhitzt und dann abkühlen gelassen. Die Masse wird nun in 15 ml Wasser gelöst und mit 1,07 g Ammoniumchlorid versetzt. Das Gemisch wird bis zur vollständigen Auflösung des Ammoniumchlorids gerührt und dann eingeengt, bis die Lösung eine sirupöse Konsistenz und bräunliche Farbe angenommen hat; das restliche Wasser lässt man bei Raumtemperatur verdampfen. Der Rückstand wird mit 20 ml Aceton und 0,1 g Aktivkohle zum Sieden erhitzt und abfiltriert. Falls der Extrakt nicht farblos ist wird weiter bis zur Farblosigkeit mit Aktivkohle behandelt. Nun wird der Extrakt in eine Kristallisierschale gegossen, um nach dem Verdampfen des Acetons Harnstoff in Form farbloser, langer Kristallnadeln zu hinterlassen.

Entsorgung:

Aceton wird zu den halogenfreien organischen Lösemittelabfällen gegeben. Aktivkohle wird zu den anorganischen Abfällen gegeben. Kaliumcyanid kann mit Eisen(II)-sulfat unschädlich gemacht werden. Alle anderen Stoffe können stark verdünnt in das Abwasser gegeben werden.

Erklärung:

Kaliumcyanid oxidiert beim Erhitzen an der Luft zu Kaliumcyanat:

2 KCN + O2 ---> 2 KOCN

Das macht sich durch das Schmelzen bemerkbar; Kaliumcyanat schmilzt bei 314°C während Kaliumcyanid erst bei 634°C schmelzen würde.

Bei Erwärmung kommt es zu einer Reaktion zwischen Ammonium- und Cyanationen. Dabei werden zunächst Cyansäure und Ammoniak gebildet:

NH4+ + O=C=N- ---> NH3 + O=C=NH

Der Ammoniak greift die Cyansäure nucleophil an und ein Proton wird vom einen auf das andere Stickstoffatom übertragen, wodurch sich Harnstoff bildet:

Bild

Bilder:

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Oxidation von Kaliumcyanid

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Erhitzen der Ammoniumchlorid-Kaliumcyanat-Lösung

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Harnstoff
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Caesiumhydroxid
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Beitrag von Caesiumhydroxid »

Jan, der Alchemist schlechthin :mrgreen:

Aber nett gemacht, besonders das Zitat gefällt mir :)
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Cyanwasserstoff
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Beitrag von Cyanwasserstoff »

Die Antwort von Berzelius ist auch nicht schlecht:
Nachdem man seine Unsterblichkeit beim Urin angefangen hat, ist wohl aller Grund vorhanden, die Himmelfahrt in demselben Gegenstand zu vollenden, - und wahrlich, Hr. Doktor hat wirklich die Kunst erfunden, den Richtweg zu einem unsterblichen Namen zu gehen. Aluminium und künstlicher Harnstoff, freilich zwei sehr verschiedene Sachen, die so dicht aufeinander folgen, werden, mein Herr! als Edelsteine in Ihren Lorbeerkranz eingeflochten werden, und sollte die Quantität des artificiellen nicht genügen, so kann man leicht mit ein wenig aus dem Nachttopf supplieren. ...
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HerrAmmoniumnitrat
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Beitrag von HerrAmmoniumnitrat »

War das, was du noch unter "folgt" noch schreiben wolltest?


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Bariumchlorid
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Beitrag von Bariumchlorid »

Die kürzeste Totalsynthese von Jan - bravo. Steht im Original nicht etwas vom "Pisse Harnstoff" ?
mein chemisches Wasser
lol. ;)
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Kaliumperoxid
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Beitrag von Kaliumperoxid »

Jan diese Synthese is malwieder geiloooo geworden :thumbsup: :thumbsup: :thumbsup: :yeah:
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Boxah
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Beitrag von Boxah »

ja da steht Pisse-harnstoff. Wir haben den Kompletten Brief in unserem Lehrbuch
"Denkt ihr die Flüchtlinge sind in Partyboote gestiegen, mit dem großen Traum im Park mit Drogen zu dealen?"-K.I.Z.
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Chaoschemiker
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Beitrag von Chaoschemiker »

Super :D Schön diese Synthese hier zu sehen!
Anwesenheit sehr wahrscheinlich.

Don't throw anything away. There is no 'away'.

Abusus non tollit usum.

Wären Maulaffen giftige Gefahrstoffe im Sinne der GefStoffV, könnte man das Gaffen an Privatpersonen durch Personen ohne Sachkunde nach §5 ChemVerbotsV nach §382 StGB bestrafen.
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HerrAmmoniumnitrat
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Beitrag von HerrAmmoniumnitrat »

Du kannst übrigens meine Reaktionsgleichung nutzen, wenn du möchstest

Das war das einzige was ich mit meinem Post sagen wollte. :wink:
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Cyanwasserstoff
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Beitrag von Cyanwasserstoff »

Dachte ich mir, danke, allerdings fehlt im ersten Teil ein Pfeil von der C=N-Doppelbindung zum N und in der Mitte muss der Pfeil vom N zum H, nicht umgekehrt. :wink:
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HerrAmmoniumnitrat
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Beitrag von HerrAmmoniumnitrat »

Ersteres kann man machen. Zweites versteh ich nicht. Damit habe ich nur gezeigt, dass das Proton am N angelagert wird und keine Elektronenpaarverschiebung.
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Cyanwasserstoff
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Beitrag von Cyanwasserstoff »

Mag sein dass das gemeint war, trotzdem ist ein Pfeil in einem Mechanismus eben eine Elektronen(paar)verschiebung.
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HerrAmmoniumnitrat
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Beitrag von HerrAmmoniumnitrat »

In dem Fall sollte man es aber ganz weglassen. So hab ich es nämlich noch nie in der Fachliteratur gesehen.
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Cyanwasserstoff
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Beitrag von Cyanwasserstoff »

Wieso? Sieh dir Mechanismen an, wo was anderes wandert, z.B. Alkylreste bei der Pinacolumlagerung.
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HerrAmmoniumnitrat
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Beitrag von HerrAmmoniumnitrat »

Ja das ist richtig, aber beim Wasserstoff hab ichs noch nie gesehen.


Edit:

Hier noch mal ne andere Version.

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