Die Chemie des Tejo

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lemmi
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Die Chemie des Tejo

Beitrag von lemmi »

Die Chemie des Tejo

Tejo ist ein Spiel, das aus dem nördlichen Südamerika stammt, dort seit präkolumbischen Zeiten gespielt wird und früher turmequé hieß. Im Grunde handelt es sich darum, eine schwere Metallscheibe in ein Ziel zu werfen. Darin ähnelt es europäischen Spielen wie Boule oder Bocchia. Das Besondere am Tejo ist ein Knalleffekt, der offenbar in neuerer Zeit hinzugefügt wurde: wenn man das Ziel trifft, explodiert ein dort deponierter pyrotechnischer Satz unter leichtem Knall und Bildung einer kleinen Rauchwolke.

Tejo wird heute in Venezuela, Teilen Ecuadors, besonders aber in Kolumbien gespielt. Das kolumbianische Parlament erklärte es im Jahre 2000 sogar zum offiziellen Nationalsport. In Kolumbien gibt es überall campos de tejo. Das Spielfeld ist eine etwa 15 m lange Bahn, an deren Ende sich eine schräg gestellt, 80 x 80 cm große Holzkiste befindet. Diese ist mit einer Plastillinmasse gefüllt (original nahm man dafür Lehm), in welche ein kurzes Stück eines starkwandigen Eisenrohres von ca. 15 cm Durchmesser so eingebettet wird, dass der Rand eben aus der Masse herausragt. Die Spieler werfen tejos, das sind dicke eiserne Scheiben, die etwa die Form eines Kegelstumpfes haben, und müssen den Ring bzw. in den Ring treffen. Um den Rand des Ringes werden mehrere (meistens 4) mechas platziert - kleine, rot gefärbte, dreieckige Papiertütchen, die den Satz enthalten, der bei kräftigem Stoß explodiert.

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Tejos gibt es in verschiedenen Größen- und Gewichtsklassen von 1 – 3 Pfund, die gängigsten sind an der Basis etwa 8 cm breit und 2¼ -2½ Pfund schwer. Wie es sich für einen offiziellen Nationalsport gehört gibt es verschiedene Versionen (u.a. minitejo und tejo campeonato mit genau festgelegte Bahnlängen, Größe der Spielfelder und der zu treffenden Ziele sowie der Lehmkisten für offizielle Wettbewerbe. Die meisten Spieler kümmert das wenig. Sie genießen einfach die mit dem Spiel verbundene Gaudi. In dem folgenden Video sieht man einen kurzen Spielausschnitt mit zwei Treffern (erkennbar an dem ausbrechenden Jubel), von denen der erste eine mecha trifft.





Wohlgemerkt ist es nicht das höchste Ziel des Spieles, eine mecha zur Explosion zu bringen (mecha: 3 Punkte), sondern den tejo in den Ring zu befördern (so genannte embocinada: 6 Punkte)! Aber natürlich macht der Knall, wenn eine getroffen wird den besonderen Reiz aus, und für die Kombination “Einlochen“ mit Explosion einer mecha gibt es die meisten Punkte (moñona: 9 Punkte).

Vom chemischen Standpunkt ist die Zusammensetzung des schlagempfindlichen Satzes natürlich besonders spannend. Fragt man in Kolumbien danach, erhält man unbefriedigende und teils offensichtlich falsche Antworten. So wurde mir erklärt, der Satz bestehe aus pólvora blanca (“weißem Schießpulver“), das im Gegensatz zur pólvora negra nur durch Schlag, nicht aber durch Einwirkung von Wärme explodiere, was offensichtlich unsinnig ist. Eine kurze Internetrecherche zu pólvora blanca führt auf Youtube-Kanäle, in denen die Herstellung aus Kaliumnitrat und Puderzucker beschrieben wird, was ebenfalls der tatsächlichen Zusammensetzung nicht entspricht. An anderen Stellen werden Mischungen aus Kaliumchlorat und Ammoniumnitrat (!) mit Schwefel und Glaspulver diskutiert, was eine höchst unstabile, gefährliche Kombination wäre. Ich habe daher ein Fachgeschäft in Bogotá aufgesucht und mir die kleinste erhältliche Tüte mechas gekauft – nämlich 144 Stück für 9.000 Pesos (umgerechnet ca. 1,80 €) - um den Inhalt zu analysieren

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Fachgeschäft Fabritejos, Barrio Ricaurte, Bogotá

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Tejos mit 1, 2 ¼ und 2 ¾ Pfund Gewicht

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Ein kleiner tejo neben dem dazugehörigen Metallrohr und einer Tüte mechas


Material/Geräte:

Bechergläser, Reagenzgläser, Trichter, Filter, Dreifuß mit Drahtnetz, Spiritus- und Gasbrenner, Glasstäbe und Pipetten, Saugfiltrationseinrichtung, Uhrgläser und Porzellanschalen, Zentrifuge, Analysenwaage, Bürette, Magnetrührer, Kolbenhubpipette 1000 µl, Magnesiastäbchen, Lötrohr


Chemikalien:

Schwefelkohlenstoff
Lugol’sche Lösung
Kaliumbromid
Kaliumiodid
Salzsäure 25 %
Natriumthiosulfatlösung 0,1 N
Stärkelösung 1 %
Salpetersäure 53 %
Eisen(II)-sulfat
Schwefelsäure
Ammoniummolybdatlösung 15 %
Silbernitratlösung 5 %
Bariumchloridlösung 5 %
Natriumbisulfit
Natriumtetraphenylboratlösung 2 %
Kaliumhexahydroxoantimonat(V)lösung (DAB 7)
Natriumcarbonat
Kobaltnitratlösung 2 %


Hinweis:

Die nachfolgend beschriebenen Versuche dienen zur Dokumentationen der chemischen Seite eines kulturspezifischen Phänomens, und betreffen nicht die Herstellung einer pyrotechnischen Mischung, welche in Deutschland illegal wäre!


Versuchsdurchführung:

Die mechas (das spanische Wort bedeutet in der direkten Übersetzung “Zündschnur“, was der Verwendung hier nicht ganz gerecht wird) sind flache Papiertütchen in der Form eines gleichschenkligen Dreiecks von ca. 38 mm Kantenlänge. Faltet man sie aus, so hat man einen 110 x 32 mm großen Streifen aus ziemlich steifem Papier vor sich, in dessen innersten Falz ein zusammengefaltetes, 35 x 35 mm großes Stück Zeitungspapier eingesteckt ist, das mit dem Satz bestrichen ist.

mechas para tejo 1.jpg
DSC04496.JPG
Aufbau der mechas und Faltprinzip derselben

DSC04501.JPG
Mit dem Satz bestrichene Zeitungspapierstückchen

Der Satz wird offenbar feucht auf das Papierchen aufgebracht, denn er haftet ihm fest an. In mehreren der mechas, die ich geöffnet habe, war er noch leicht feucht. Er hat eine inhomogen rötlich-graue Farbe. Wenn man ihn zwischen den Findern zerbröselt, erkennt man gelbe Körnchen in einer blass-rotbraunen Grundsubstanz. Die in einer mecha enthaltene Menge habe ich auf 200-400 mg geschätzt.
Mit einem Streichholz lässt sich der Satz leicht entzünden und verbrennt rasch mit rosafarbener Flamme und unter Bildung eines nach Schwefeldioxid riechenden Rauches. Wenn man das mit Satz bestrichene Papierchen auf eine harte Unterlage legt und mit dem Tejo darauf schlägt, kommt es zu einem kleinen Knall mit Rauchbildung. Dagegen ist es mir nicht gelungen, eine mecha zur Explosion zu bringen, indem ich mit dem Schuh darauf trat.

Um den Satz analysieren zu können, habe ich zwei Mal je 20 mechas geöffnet, den Satz soweit wie möglich abgekratzt, unter Vermeidung von Druck zerkleinert und in einem Plastikröhrchen mit der doppelten Menge Wasser übergossen, wobei er sich fast gar nicht auflöste (was bereits gegen das Vorhandensein relevanter Mengen von Nitraten sprach!). In dieser phlegmatisierten Form konnte ich ihn gefahrlos ins Labor mitnehmen (die übrigen mechas wurden in Kolumbien ihrer eigentlichen Bestimmung zugeführt).

DSC04498.JPG
DSC04493.JPG
Abgebröselter Satz
WhatsApp Image 2023-04-02 at 10.19.23.jpeg
mit Wasser phlegmatisierte Proben


1. Qualitative Analyse

Bereits inspektorisch - und vom Abbrandverhalten her - war das Vorhandensein von Schwefel evident. Wegen der bräunlich-roten Farbe vermutete ich zudem die Anwesenheit von rotem Phosphor, worauf ich zuerst prüfte.

Der Inhalt eines Röhrchens wurde geschüttelt, kurz absetzen gelassen und der trübe, rotbraune Überstand abgegossen und zentrifugiert. Das Sediment wurde mit einigen Tropfen Salpetersäure übergossen und erhitzt. Unter Entwicklung von Stickoxiden entstand eine klare Lösung mit wenigen Schwefelflöckchen darin, die mit Wasser verdünnt und filtriert wurde. Im Filtrat ließ sich mittels Ammoniummolybdat reichlich Phosphat nachweisen. Eine filtrierte Verschüttelung des Satzes in Wasser gab dagegen keine Phosphatreaktion

qualitativ - Phosphat in Rk-Lösung und Mutterlösung.jpg
v.l.n.r.: Probe – Filtrationsglas - Phosphatnachweis mit Ammoniummolybdat in der beschriebenen Reaktionsmischung (gelber Nd.) und in einer Lösung des unbehandelten Satzes (keine Rk) - Phosphatnachweis in der beschriebenen Reaktionsmischung mit Magnesiumsulfat und Ammoniak (weiße Fällung von Ammoniummagnesiumphosphat)

Sodann wurde der Rest der Analysensubstanz mit 50 ml Wasser aufgekocht, abfiltriert, das Filtrat asserviert, und der Filterrückstand mehrfach mit heißem Wasser ausgewaschen.

quantitativ - auskochen.jpg
Lösen in Wasser.jpg
wasserünlöslicher Rest.jpg
Der Rückstand war eine inhomogene Mischung von Schwefel und einem feinen roten Pulver. Nach dem Trocknen wurde eine großzügige Reagenzglasrundung mit 2 ml Schwefelkohlenstoff übergossen. Das Pulver löste sich zum größten Teil und ließ einen feinpulvrigen braunroten Bodensatz zurück.

Schwefel lösen in CS2.jpg

Dieser löste sich wie oben beschrieben, fast ganz in Salpetersäure und die Lösung gab die typische Phosphatreaktion. Die Schwefelkohlenstofflösung wurde abgegossen und im Freien verdunsten zulassen. Feinkristalliner, rein gelber Schwefel blieb zurück.

Schwefel aus CS2 krist.jpg

Damit war das Vorliegen von elementarem Schwefel und rotem Phosphor bestätigt.

Die wässrige Lösung hatte einen pH-Wert von 5. Sie wurde auf verschiedene Anionen geprüft:

qualitativ - Chlorid und Sulfat.jpg
Chloridprobe mit Silbernitrat: schwach positiv - Sulfatnachweis mit Bariumchlorid: negativ

qualitativ - Chlorat und Nitrat.jpg
Probe auf Chlorat durch Erhitzen mit Salzsäure: positiv (Gelbfärbung und Geruch nach Chlor) - Ringprobe auf Nitrat: negativ

qualitativ Ammoniak.jpg
Probe auf Ammoniumsalze (Magnesiumoxid): negativ

Stärkenachweis.jpg
Probe mit Lugol-scher Lösung: v.l.n.r.: Wasser – kalte Lösung des Satzes – erhitzte Lösung des Satzes – Lösung von Dextrin in Wasser.
Die kalte Lösung des Satzes gibt eine violettbraune Färbung, die der des Dextrins ähnelt. Die gekochte Lösung (Herstellung oben beschrieben) gibt eine Blaufärbung.

Zuletzt wurde die überbleibende Lösung stark eingeengt und kristallisieren gelassen. Es wurde ein feinblättriges, rein weißes Kristallpulver erhalten. Die Mutterlauge gab mit Jod eine kräftige Blaufärbung, war aber in der Ringprobe weiter Nitrat-negativ. Das erhaltene Salz zeigte eine gelbrote Flammenfärbung, die durch ein Kobaltglas kräftig rot erschien. Die Lösung gab folgende Reaktionen:

Kaliumchlorat - Na-K-Nachweis.jpg
kein Niederschlag mit Kaliumhexahydroxoantimonat(V): Natrium abwesend - dichte Trübung mit Natriumtetraphenylborat: Nachweis von Kalium

Kaliumchlorat - Chloridnachweis.jpg
keine Trübung mit Silbernitrat: Chlorid abwesend - nach Erhitzen mit Natriumdisulfit deutliche Chloridreaktion (Reduktion von Chlorat, vgl hier!)

Ergebnis der qualitativen Analyse: in der Mischung sind elementarer Schwefel, roter Phosphor, Kaliumchlorat sowie kleine Menge an Stärke oder Dextrin enthalten. Ammoniumsalze und Nitrate sind nicht vorhanden. Das nachgewiesene Chlorid ist wahrscheinlich eine Verunreinigung des Kaliumchlorats.


2. Quantitative Analyse

Zur quantitativen Analyse wurde der Inhalt des zweiten Röhrchens (= 20 mechas) ebenfalls in 50 ml kochendes Wasser gegeben, über eine kleine Filternutsche abgesaugt, der Rückstand mit 3 x 10 ml heißem Wasser nachgewaschen und das Filtrat asserviert. Der Rückstand wurde noch zweimal mit Ethanol gewaschen und dann getrocknet. Erhalten wurden 2008 mg einer inhomogenen Mischung.

quantitativ - wasserunlöslicher Rückstand.jpg
Wasserunlösliche Bestandteile

Das Pulver wurde in der Reibschale homogenisiert und 1,000 g abgewogen. Diese wurden in einem kleinen Becherglas wiederholt mit wenigen ml Schwefelkohlenstoff übergossen und über ein kleines gefaltetes Filter abgesaugt und mehrmals mit 1 ml Schwefelkohlenstoff ausgewaschen (insgesamt ca. 10 ml CS2 verbraucht). Der Filterrückstand wurde getrocknet und der Schwefelkohlenstoff in einer kleinen Schale im Freien verdunsten gelassen (dabei traten leider Verluste auf, da der Schwefel ausblühte und über den Schalenrand hinaus “kroch“). Erhalten wurden:
Schwefel: 825 mg
In CS2 unlösliche Anteile: 110 mg

Das dunkel-rotbraune Pulver wurde in 1 ml Salpetersäure 53% erhitzt bis keine Stickoxidentwicklung mehr zu beobachten war. Die braunrote Farbe verschwand und es blieb ein gelbbrauner Rest, der mehrfach mit Wasser abgeschlämmt und getrocknet wurde.
In Salpetersäure unlöslicher Rest: 33,5 mg (durch Verluste beim Auswaschen nehme ich rund 35 mg an)

Rückstand.jpg

Dieser Rückstand mache einen mineralischen Eindruck. Unter dem Mikroskop fanden sich unregelmäßige, undurchsichtige Körnchen - sicherlich kein gepulvertes Glas. Ich habe versuchsweise etwas davon in einer Sodaperle am Magnesiastäbchen vor dem Lötrohr durchgeschmolzen, mit Kobaltnitratlösung befeuchtet und erneut geschmolzen. Die lasurblaue Farbe (“Smalteblau“) zeigte das Vorhandensein von Silikat an.

Rückstand - Perlenprobe.jpg

Die wässrige Lösung wurde nach dem Abkühlen im Messkolben auf 100,0 ml aufgefüllt. Ein Aliquot von 2000 µl wurde mit 25 ml Salzsäure 25 % und 1 g Kaliumbromid versetzt, 5 Minuten verschlossen stehen gelassen, eine Lösung von 1 g Kaliumiodid in 20 ml Wasser zugefügt und das ausgeschiedene Iod unter Anwendung von Stärkelösung als Indikator mit 0,1 N Natriumthiosulfatlösung (f = 0,99) titriert (Vorgehen nach dieser Vorschrift). Verbraucht wurden 16,5 ml (1 ml entspricht 2,043 mg KClO3).

Gefunden wurden 37,42 mg, entsprechend 1871 mg Kaliumchlorat im Gesamtvolumen.

Prozentuale Zusammensetzung des Satzes :
Gesamtmenge gefundener Substanzen: 3871 mg
davon 1871 mg = 48,3 % technisches Kaliumchlorat
davon 1780 mg Schwefel + 70 mg CS2-unlösl. Anteile = 47,8 % roher Schwefel
davon 150 mg = 3,9 % roter Phosphor

WhatsApp Image 2023-04-02 at 10.20.14(1).jpeg
die aus dem Satz isolierten Komponenten: (unreiner) roter Phosphor, Schwefel und Kaliumchlorat


Entsorgung:

Die Proben und austitrierten Flüssigkeiten können über das Abwassernetz entsorgt werden.


Zusammenfassung:

Nach den hier dargestellten Analysenergebnissen besteht der Satz der mechas aus einer Mischung aus gleichen Gewichtsteilen technischem Kaliumchlorat (etwas Chlorid enthaltend) und grob gepulvertem Schwefel. Wegen des Vorhandenseins von Spuren silikatischer Mineralien gehe ich davon aus, dass zur Herstellung des Satzes roher Schwefel verwendet wird, wie er in Minen, z.B. in Südwestkolumbien an den Hängen des Vulkans Puracé, gewonnen wird. Dieser enthält immer Spuren von Verunreinigungen aus dem Muttergestein:

Schwefel roh.jpg
Natürlicher Schwefel (Brocken links) sowie aus Gestein ausgeschmolzener Schwefel (Brocken rechts) aus der Mine am Puracé.

Weiter enthält der Satz etwa 3,5 - 4 % roten Phosphor, der vermutlich zur Erhöhung der Schlagempfindlichkeit zugesetzt wird (Kaliumchlorat und Schwefel sind im Gemisch zwar ebenfalls schlagempfindlich, aber vielleicht nicht genug). Die Mischung wird offenbar mit einem verdünnten Stärke- oder Dextrinlösung als Bindemittel angerührt (ich gehe nicht davon aus, dass die Stärke in Pulverform zugesetzt wird, dafür ist es viel zu wenig), zu Portionen von ca. 200 mg auf die beschriebenen Zeitungspapierstückchen aufgestrichen, diese zugefaltet und in die Papierstreifen der mechas eingefaltet. Danach werden die mechas außen rot eingefärbt (die Farbe spricht für Eosin, was ich aber nicht geprüft habe). Offenbar wird oft nicht abgewartet, bis der Satz ganz getrocknet ist (was vielleicht die Transportsicherheit erhöht). Ob die Herstellung manuell erfolgt oder (teil)mechanisiert ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Die absolut regelmäßige Faltung der mechas spricht zumindet für die Anwendung einer Schablone oder eines anderen Hilfsmittels.

Zuletzt nochmals der Hinweis, dass die Herstellung dieses Satzes in Deutschland gegen das Sprengstoffgesetz verstoßen würde! Insbesondere Mischungen von rotem Phosphor und Kaliumchlorat sind hochgradig reibungsempfindlich und schon allein aus Sicherheitsgründen zu unterlassen (siehe auch hier!).
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TimMulm
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Re: Die Chemie des Tejo

Beitrag von TimMulm »

Sehr spannend!
Ich finde es geradezu verwunderlich, wie schlecht der Schwefel gemahlen wurde. Da sind ja regelrechte Klumpen noch drin. Kein Wunder, dass die noch aus Empfindlichkeitsgründen auf Phosphor zurückgreifen mussten.
Was mich ebenfalls wundert: Die Mischung scheint äußerst unstöchiometrisch zu sein.
Die Reaktion dürfte an sich wie folgt ablaufen:
3/8 S8 + 2 KClO3 -> 3 SO2 + 2 KCl
Dann müsste man unter Berücksichtigung der Molaren Massen ganz grob ein Massenverhältnis von. 3/8 • 32 • 8 = 96g Schwefel auf 2 • 122,5 = 245g KClO3 erhalten. Das entspräche ungefähr einem Verhältnis von 1 : 2,5 (!). Da ist die Vorhandene Mischung mit nahezu 1:1 ja weit entfernt? Ich habe den Phosphor jetzt vernachlässigt aber wenn man den noch dazunimmt und bedenkt dass das Chlorat Chloridhaltig ist, müsste man das Verhältnis noch weiter erhöhen, womöglich bis in die Nähe von 1:3.
Ist das Absicht oder womöglich einfach mangelndem chemischem Wissen der Hersteller geschuldet?
BJ68
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Re: Die Chemie des Tejo

Beitrag von BJ68 »

@Lemmi

Vielen Dank für die Analyse....

bj68
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mgritsch
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Re: Die Chemie des Tejo

Beitrag von mgritsch »

Sehr nett, ich liebe Alltagsprodukt-Analysen! :thumbsup:

Zum Spiel - den Namen Tejo habe ich schon öfter gehört aber mich noch nie gefragt wie das funktioniert. Wirklich auf 15 Meter? Das ist schon alleine gar nicht so leicht etwas so schweres so weit zu werfen, geschweige denn so etwas kleines zu treffen! Das im Video ist dann wohl eine Mini-Version, vielleicht knapp 5 Meter wenn überhaupt? Und wie zum Henker kommt man auf die Form eines Kegelstumpfs? Wird das auf größere Entfernung wie ein Frisbee/Diskus geworfen?

Zur Analyse:
Wieder was gelernt :) dass Dextrin auch mit Iod reagiert wusste ich nicht, und Kaliumantimonat steht hiermit auf der Synthese-Liste ;)
Hättest du eine Idee wie die enthaltene Stärke quantifiziert werden könnte?
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mgritsch
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Re: Die Chemie des Tejo

Beitrag von mgritsch »

TimMulm hat geschrieben: Sonntag 2. April 2023, 11:58 Kein Wunder, dass die noch aus Empfindlichkeitsgründen auf Phosphor zurückgreifen mussten.
S mit Chlorat ist auch mit gut feinpulvrigem S nicht allzu empfindlich. Da muss man in der Reibschale schon ordentlich reiben bis es ab und an mal pufft. Darauf würde ich bei so einem Produkt nicht setzen.
Was mich ebenfalls wundert: Die Mischung scheint äußerst unstöchiometrisch zu sein.
[..,]
Ist das Absicht oder womöglich einfach mangelndem chemischem Wissen der Hersteller geschuldet?
Ich schätze sowohl als auch :)
Solche Mischungen sind idR nach jahrelanger Erfahrung zusammengesetzt.
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lemmi
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Re: Die Chemie des Tejo

Beitrag von lemmi »

Ja, der Widerspruch zur Stöchiometrie ist mir auch aufgefallen. Offenbar funktioniert das Ganze trotzdem.
Es kann auch sein, dass des Preises wegen mehr von dem Schwefel genommen wird, der sicher billiger ist als das Kaliumchlorat.

@mgritsch: Die Länge der Bahn täuscht. Ich habe sie nicht nachgemessen aber abgeschritten, das sind mehr als 12 m. Es gibt auch minitejo mit einer Bahnlänge von 6-8 m. Das tejo campeonato hat eine Bahnlänge von 18 m.

Ich wüsste spontan nicht, wie die Stärke zu quantifizieren wäre Allerdings finde ich das auch nicht so wichtig. Da schon 1 ml einer 1%igen Stärkelösung auf 100 ml Wasser bei der Iodometrie eine viel dunklere Färbung ergibt, als die, die ich hier beobachtet habe, kann die enthaltene Menge nicht groß sein.
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Uranylacetat
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Re: Die Chemie des Tejo

Beitrag von Uranylacetat »

Wenn lemmi eine Reise macht; hat er nicht nur was zu erzählen, sondern auch was zu analysieren ... 8) Danke für diesen spannenden Artikel!
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Re: Die Chemie des Tejo

Beitrag von aliquis »

Sehr schöne Analyse.

Musstest Du beim Zoll die phlegmatisierte Probe erklären?
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Re: Die Chemie des Tejo

Beitrag von BJ68 »

Tja und nun müsste ich noch einen Weg finden, das Teil legal in Deutschland zu machen.....blöderweise werden Knallkorken die es noch 1996 gegeben hat (hatten wir für einen "Haut den Lukas") nicht mehr hergestellt. Hab Kontakt zu einer pyrotechnischen Fabrik (die in De auch selber noch herstellen), mal sehen was die dazu sagen und was das kosten würde da eine kleine Serie Mechas aufzulegen...

Falls hier jemand Spanisch kann...nach meinen Infos wird das inzwischen auch in Spanien gespielt...meine Recherche-Versuche scheitern da an der Sprachhürde.
Edit: https://www.semana.com/gente/articulo/t ... a/81019-3/
http://www.colombiaenespana.com/2006/03 ... a-500.html

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Re: Die Chemie des Tejo

Beitrag von mgritsch »

lemmi hat geschrieben: Sonntag 2. April 2023, 14:49 @mgritsch: Die Länge der Bahn täuscht. Ich habe sie nicht nachgemessen aber abgeschnitten, das sind mehr als 12 m. Es gibt auch minitejo mit einer Bahnlänge von 6-8 m. Das tejo hat eine Bahnlänge von 18 m.
In dem Video kann man sehen wie der Typ nach dem Treffer vom Ziel zu dem Grüppchen zurück spaziert. Das sind 6 gemütliche Schritte, also gerade mal 4-5 meter. Mein Garten ist ca 15 m lang, so weit werfe ich nicht gemütlich ein 1 kg Eisen-Trumm. Sicher dass es Meter sind und nicht fuß?
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Re: Die Chemie des Tejo

Beitrag von lemmi »

mgritsch hat geschrieben: Sonntag 2. April 2023, 20:16 Sicher dass es Meter sind und nicht Fuß?
Ja.
Zitat aus dem zweiten von BJ68 verlinkten Artikel:
"Consiste en lanzar tejos (discos de hierro templado que pesan desde medio kilo hasta kilo y medio, dependiendo el gusto del jugador) desde una distancia de 19 metros a un cajón de 60 centímetros cuadrados relleno de arcilla y que en la parte superior tiene dos mechas (pequeños sobres con pólvora) y un aro."
Musstest Du beim Zoll die phlegmatisierte Probe erklären?
Nein. Ich hatte ja nichts zu deklarierendes im Gepäck.
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Re: Die Chemie des Tejo

Beitrag von aliquis »

Naja, manchmal wird man ja trotzdem vom Zoll rausgewunken.
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Re: Die Chemie des Tejo

Beitrag von BJ68 »

Anderes Rezept:

allerdings um einiges aufwändiger.....allerdings wahrscheinlich weit unempfindlicher....

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Re: Die Chemie des Tejo

Beitrag von Seaborg »

Ein sehr interessanter analytischer Beitrag.
Nun fehlt mir nur noch die Analyse der schönen tejos.
Ihr samtener Glanz lässt mich an einen größeren Anteil Cobalt denken. :D
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lemmi
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Re: Die Chemie des Tejo

Beitrag von lemmi »

@BJ68: mal was ganz anderes! Nett ist auch die kolumbianische Nationalhymne am Anfang und Ende :D . . Aber wer ist der Autor und woher kommt er?

@seaborg: leider habe ich keinen Tejo in meinem Besitz. Angeblich sind die aus Stahl. Um deinen Verdacht zu überprüfen wäre wohl eine Analyse mittels anodischer Oxidation und dann mit NH4SCN + Aceton am sinnvollsten... 8)
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