Kristalluntersuchung auf Objektträger (vorläufige Mitteilung!)

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Seaborg
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Kristalluntersuchung auf Objektträger (vorläufige Mitteilung!)

Beitrag von Seaborg »

1929 beschrieben Frick und Engemann (1) , daß Spuren von Bismut neben einem Überschuß von Blei zu einer stärkeren Rotbraunfärbung führen, wenn man in schwach salpetersaurer Lösung Kaliumiodid zufügt und schlugen diese Reaktion zum Nachweis von Bismut neben Blei vor. Weitere Hinweise auf Grenzkonzentrationen oder Störungen geben sie nicht an.
Fresenius (2) betitelt die kurze Mitteilung über diese Reaktion als "Mitfällung von Wismutjodid auf Bleijodid nach Frick und Engemann".
Um der Natur dieser Farbreaktion etwas näherkommen zu können, wurden einige Versuche auf OT's unter dem Mikroskop durchgeführt, die hier vorgestellt werden.
Die Reaktionsteilnehmer sind also Bismutnitrat (0,1 M-Lsg.), Blei-acetat (0,1 M-Lsg.) und Kaliumiodid (1 M-Lsg.)
Sie wurden unter verschiedenen Bedingungen zusammengebracht, um festzustellen, ob der Rotbraun-Farbton nur durch eine Mischung zweier nebeneinander vorliegender Farben (der gelben des Bleiiodids und der schwarzen des Bismutiodids) oder durch die neuentstandene Farbe eines Mischkristalls hervorgerufen wird.
Die direkte Mischung aller Teilnehmer erbringt nur amorphe Aggregate. Es werden deshalb verschiedene Kristallisationstechniken (3) angewendet, um evtl. Mischkristalle zur Darstellung zu bringen. Insbesondere wird folgende Technik angewendet: unter einem runden Deckgläschen werden 6 µl der KI-Lösung vorgelegt. Dann werden bei "8 Uhr" und bei "10 Uhr" je 3 µl des Blei- bzw. des Bismutsalzes an den Deckglasrand gesetzt und mithilfe eines Fließpapierstückchens bei "3 Uhr" etwas Flüssigkeit abgezogen, sodaß sich die beiden Metall-Lösungen unter dem Deckglas treffen und multiple Konzentrationszonen bilden.

Pb-Bi10.jpg
Das einfache Mikroskop von Hertel/Reuss
Pb-Bi11.jpg
Pb-Bi12.jpg
verschiedene Aspekte der "Ansätze" auf den OT's.
Pb-Bi17.jpg
deutlich sichtbar-die wandernde "Reaktionsfront"


Pb-Bi1.jpg
Pb-Bi3.jpg
Pb-Bi6.jpg
drei Bilder mit großen Massen von schwarzen nadeligen Kristallen (?) aus BiI3 und rotbraunen Mischkristallen (BiI3/PbI2) ???

Pb-Bi7.jpg
Pb-Bi8.jpg
Hier zeigen die rotbraunen Kristalle die typischen Formen der gelben Bleiiodid-Kristalle, aber die Färbung eines Mischkristalls, wie darüber

Pb-Bi13.jpg
Das gemeinsame Auftreten von vielen gelben Bleiiodid-Kristallen und rotbraunen Mischkristallen. Daneben viele kleinste kristalline schwarze Strukturen.
Pb-Bi14.jpg
Pb-Bi15.jpg
Eine weitere Mischform. Hier scheinen nur Teile der gelben Bleiiodid-Kristalle im Randbereich durch die Mischform ersetzt.
Pb-Bi16.jpg
Interessanter Übergang; unten reines PbI2, nach oben hin zunehmende braunrote Einlagerungen in den Kristallen in einem Umfeld von schwarzem, mikrokristallinem BiI3.

Pb-Bi18.jpg
Hier sieht man interessanterweise multiple winzige schwarze Punkte im Zentrum der gelben Bleiiodid-Kristalle.
Kristalline Phagocytose? :)


Literatur:
(1) Frick u. Engemann, Ch.Z.,53, 601 (1929)
(2) Fresenius, Handbuch, Band IVb, 1956
(3) Chamot u Mason, Handbook of Chemical Microscopy, 1940
Glaskocher
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Re: Kristalluntersuchung auf Objektträger (vorläufige Mitteilung!)

Beitrag von Glaskocher »

Kristalline Phagocytose?

Phagokristallose!

Das ist wieder eine interessante Frage, die zu tollen Kristallrasen und -Blumenwiesen führt.

Im zweiten Bild (60x mit Nadeln) und dritten Bild (200x) sieht man den Farbübergang von schwarz nach braun und ahnt die Fortführung ins Gelbe. Jetzt müßte man die Kristallparameter der Reinsubstanzen ansehen, ob sie die Möglichkeit zu heteroepitaktischem Wachstum haben. Es kann auch sein, daß bis/ab einer gewissen Konzentration der Einbau von Heteroatomen im Gitter toleriert wird. Irgendwie bin ich verblüfft, daß mal Nadeln und mal Plättchen auftreten. Läßt sich das irgendwie steuern, daß gezielt das Eine oder Andere auftritt?

Könnte es interessant sein, die Kristalle aus homogenen Metall-Lösungen zu fällen, um sie dann nochmal durch Erwärmen umzulösen? Dann müßte man doch einheitlichere Kristalle von "typischer" Form für die Mischung bekommen. Da waren doch in einer Kristallreihe Zink und Conbalt, die eine kontinuierliche Reihe an Mischkristallen bildeten... So ähnlich könnte man es doch auch hier versuchen?

Was passiert, wenn man eine Mischlösung von 10%Bi(NO3)3 in Pb(OAc)2 zum KI gibt? Dann müßten doch alle Kristalle 10% Bismut enthalten und ihre typische Farbe und Form entwickeln. Wenn man dann immer das Bismut weiter verdünnt, dann müßte doch irgendwann der Kristall nicht mehr vom reinen Bleiiodid zu unterscheiden sein... Könnte auch ein kleiner Anteil freier Essigsäure in der KI-Lösung hilfreich sein, wie sie beim "Goldregen" aus Bleiiodid das Lösen in der Hitze unterstützt?
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Seaborg
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Re: Kristalluntersuchung auf Objektträger (vorläufige Mitteilung!)

Beitrag von Seaborg »

Nur mit wenigen Nachweiskristallen lassen sich bestimmte Nachweise von Kationen und Anionen unmittelbar führen.
Viele Kristallmorphen sind sehr variabel und stark von pH-Wert, Konzentrationen, anwesenden Störionen und anderen Parametern abhängig.
In eher wenigen Fällen gibt es "robuste" Kristalle, die sich auch bei eigentlich ungünstigen Verhältnissen in den Vordergrund drängen; dazu würde ich die Tripelnitrite, die Sulfate von Ba und Ca, die Cyanatomercurate von Co, Cu und Zn und auch noch etliche weitere zählen.
Wenn man in den "Geilmann" oder den "Keune" schaut, sieht man für etliche Nachweise Bilder von z.T. völlig unterschiedlichen Strukturen, nehme man nur die beiden Bilder zum Na-hexahydroxo-antimonat(V) im Keune. Hier sieht man zum einen kleine quadratische (prismat.) täfelchen, zum anderen große "Weidenblatt"-formen.

Zur Beurteilung eines Nachweises mithilfe von typ. Kristallen bedarf es einiger Beschäftigung mit diesem Genre, aufgeklappte "Geilman",
"Keune" und "Chamot-Mason", Geduld und Beobachtung der dynamischen Vorgänge auf dem OT, leichte korrektive Eingriffe wie kurzes Erhitzen auf der Leuchte des Mikros, schnelles Wiederabkühlen auf dem kalten Stahlfuß desselben, Anhauchen des eintrocknenden Substrates und dergleichen.
Belohnt für diese Mühen wird man aber mit einer bunten Kristallwelt, die den Farbvisionen in "2001 Odyssee im Weltall" (Stanley Kubrick) oder auch einem "winterwonderland" im Falle von farblosen Kristallen in nichts nachsteht.
(Was sind schon gezüchtete Klumpen von Kristallen gegen das, was man hier sieht!)

Aber zurück zum Thema:
Durch die im Artikel beschriebene Technik des "Einziehens" der Reaktanden unter ein Deckglas, unter dem sich bereits einer der R.-teiln. befindet, werden theoretisch unendlich viele lokale "terroirs" geschaffen, in denen sich dann auch die unterschiedlichsten Kristalle bilden können. Für eine routinemäßige analytische Abklärung ist so eine Technik deshalb nicht geeignet, sondern eher nur zu einem "cristal-storming". Die hexagonalen, tief rotbraunen Kristalle (s.o.) und auch die interessanten Hybride sind nur selten aufgetreten und weisen auf sehr spezielle Bedingungen hin. Sie sind entstanden, als ich zunächst (durch Überschuß KI) aus dem (festen) schwarzen BiI3 das flüssige [BiI4 - gemacht habe und dann das Bleisalz zuge"zogen" habe.

Mein bisheriges résumé: Ein definiertes farbiges Produkt gibt es bei der ursprünglichen Fragestellung nicht. Es bilden sich rotbraune Nadelbüschel und auch verschiedene An- und Einlagerungsstrukturen an die Bleiiodid-Kristalle.
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