Die in integrierten Schaltkreisen verendeten Siliziumchips (Die) können für künstlerische Zwecke1 oder auch bei besonderer Vorgehensweise2 funktionsfähig bzw. auch für Reverse Engineering, ohne die äußere Verpackung durch sogenannte IC-Decapsulation (decapping) erhalten werden.
Material/Geräte:
SMD-Lötstation (mit Heißluft), Heizplatte mit interner Temperaturkontrolle, Becherglas (200 ml, hohe Form), Spatel und Pinzette (beide säurefest), Meßzylinder aus Glas oder PP
Chemikalien:
konzentrierte Schwefelsäure

30 % Wasserstoffperoxid


Piranha solution

Sicherheitshinweise:
Aus konzentrierter Schwefelsäure und Wasserstoffperoxid gebildete Caro’sche Säure ("Piranha Solution") ist extrem aggressiv und ätzend und setzt ozonhaltige Aerosole frei. Beim Arbeiten damit ist unbedingt auf entsprechende Lüftung (Abzug) und Schutzkleidung zu achten. Weiterführende Informationen dazu vgl. bei https://en.wikipedia.org/wiki/Piranha_solution
Versuchsdurchführung:
Mit der SMD-Lötstation werden die zum Decapping vorgesehenen integrierten ICs vom PCB entfernt. Sollten bei diversen CPUs noch größere Reste vom PCB vorhanden sein, werden diese mittels Seitenschneider oder Schere entfernt. Je weniger PCB-Eintrag in die Säure umso schneller geht das decappen.
Die so gewonnenen ICs werden in das Becherglas geben und ca. 20 bis 50 ml konz. Schwefelsäure zugefügt. Mittels der Heizplatte wird diese Mischung auf 160 °C bis 170 °C* erwärmt, wobei sich die Schwefelsäure schwarz verfärbt. eine Glasscheibe auf dem Becherglas, verhindert sehr gut das freisetzten von Dämpfen, wobei ab 170 °C so viel Dämpfe entstehen, dass ein Arbeiten ohne Abzug unmöglich ist. Man erhitzt solange (mehrere Stunden) bis sich die Kunststoffumhüllung aufgelöst hat und die Dies frei-liegen. U.U. muss die Schwefelsäure ausgetauscht werden, um das Decapping zu vervollständigen.
Nach der Reaktionszeit wird die Schwefelsäure vorsichtig abdekantiert und die Dies im Becherglas mehrfach mit Wasser gewaschen. U.U. sind sie jetzt schon so sauber, dass der nächste Schritt entfallen kann, wenn nicht dann geht man folgenderweise vor:
Die Dies dem Becherglas entnehmen und auf z.B. einem Papier zwischenlagern, das Becherglas auswaschen und gründlich trocken. In jeweils einem Messzylinder werden 15 ml konzentrierte Schwefelsäure und 5 ml 30 % Wasserstoffperoxid abgemessen (1 bis 2 ml positive Toleranz ist dabei in Ordnung). Die Schwefelsäure im Becherglas vorlegen und unter Umschwenken die Wasserstoffperoxid-Lösung zugeben. Nicht umgekehrt! Achtung: Die Mischung wird sehr heiß, erzeugt kleine Blasen und beginnt nach Ozon zu riechen.
Die Dies nun so sortieren, dass mit den am wenigsten "verschmutzen" begonnen wird, weil jeder Eintrag von organischen Substanzen, proportional zur Menge, zur Zersetzung der Mischung führt unter sehr starkem sprudeln. Faustregel: möglichst wenig Verunreinigung in die Mischung schleppen, da es ansonsten zum Überschäumen/-kochen und gefährlichen Siedeverzügen kommen kann. Nach Zugabe der Dies wurde das Becherglas wieder mit einer Glasscheibe abgedeckt, um das Aerosol zurückzuhalten. Nach kurzer Zeit ist die Reaktion beendet, sodass die Piranha Solution abdekantiert werden kann.
Die Dies werden nun mehrmals mit Wasser gewaschen, wobei die letzten Waschungen mit destilliertem Wasser vorgenommen werden. Die letzte Waschung erfolgt mit Ethanol, die Dies werden auf der Heizplatte bei 40 bis 50 °C getrocknet.
Entsorgung:
Da die Mengen an eingesetzter Schwefelsäure und der ICs sehr gering sind, können die Abfälle mit sehr viel kaltem Wasser verdünnt und über die Kanalisation entsorgt werden. Werden Abfälle gesammelt, ist zum einen eine Trennung wichtig und dass die Piranha Solution komplett abreagiert hat und unter keinen Umständen mit organischen Substanzen in Kontakt kommt!
Erklärungen:
a) Reaktion der Schwefelsäure mit dem Kunststoffmaterial der ICs:
Es dürfte sich um ähnliche Mechanismen handeln wie beim Zuckerkohle-Versuch https://www.chemieunterricht.de/dc2/tip/zucker.htm und https://www.chids.de/dachs/wiss_hausarb ... saeure.pdf . Die Schwefelsäure entzieht den Kunststoffen Wasser und scheidet dabei elementaren Kohlenstoff ab und da das Ganze bei 150-160 °C abläuft, dürfte dazu noch Pyrolyse kommen, wobei die entstehenden Pyrolyse-Produkte wieder mit der Schwefelsäure reagieren.
Bei 120 °C machte ich den Fehler mit einer Pinzette aus POM (Polyoxymethylen) in die Säure zu gehen, der sofort auftretende Geruch nach Formaldehyd war sehr intensiv (die Pinzette hat es überlebt).
b) Piranha Solution:
Bei der Zugabe von Wasserstoffperoxid zu konzentrierter Schwefelsäure laufen folgende Reaktionen ab:
1. Schwefelsäure reagiert mit dem Wasserstoffperoxid zur Peroxomonoschwefelsäure:
H2SO4 + H2O2→ H2SO5 + H2O
2. Peroxomonoschwefelsäure liegt im Gleichgewicht mit Schwefelsäure und Wasserstoffperoxid vor:
H2SO5 ⇌ H2SO4 + H2O2
3. Aus Schwefelsäure und Wasserstoffperoxid entsteht naszierender Sauerstoff Onasc:
H2SO4 + H2O2 → H3O+ + HSO4− + Onasc
4. Dieser naszierende Sauerstoff reagiert mit elementaren Kohlenstoff und löst diesen auf und greift auch C-C-Bindungen an vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Piranha_solution
Bilder:
Die ausgewählten ICs
Die ICs mit der Schwefelsäure....
Die Zersetzung beginnt....
Nach einigen Stunden....
Nachdem Abdekantieren der Schwefelsäure
Unten: Reste des Glasfaser-Vlieses vom PCB und oben das Die mit noch einer Kunststoffschicht
Nach ca. 5 bis 6 h bei 160 °C in konz. Schwefelsäure, abdekantiert und gewaschen. Ein Die wurde leider verloren, das schwarze Teil in der Mitte enthielt keinen Chip.
Zutaten für die Piranha Solution
Mischen der Piranha Solution, Zugabe der Dies und die Reaktion dieser Lösung, am Ende Abdeckung mit der Glasscheibe
Ende der Reaktion
Nach dem Waschen....
Endprodukt. Mikroskopische Aufnahmen der Dies siehe unter viewtopic.php?p=40109#p40109 (Ab Bild l)
Literatur:
https://en.wikipedia.org/wiki/Decapping
https://hackaday.io/project/165521-home-ic-decapping
https://hackaday.com/2012/11/21/boiling ... -chip-die/
https://hackaday.com/2020/10/21/learn-ic-decapping/
https://jcjc-dev.com/2020/10/20/learning-to-decap-ics/
Winter Y. Construction of electronic hybrid microcircuits: a 350 mg ECG-transmitter