Interessantes Molekül: Cycloprop-2-ene carboxylic acid

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BJ68
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Interessantes Molekül: Cycloprop-2-ene carboxylic acid

Beitrag von BJ68 »

Über den Nature-Artikel
Nature Chemical Biology 5, 465 - 467 (2009)
Published online: 24 May 2009 | doi:10.1038/nchembio.179
Identification of the toxic trigger in mushroom poisoning

Masanori Matsuura1, Yoko Saikawa1, Kosei Inui2, Koichi Nakae3, Masayuki Igarashi3, Kimiko Hashimoto4 & Masaya Nakata1

We have isolated the small, highly strained carboxylic acid cycloprop-2-ene carboxylic acid from the Asian toxic mushroom Russula subnigricans. This compound is responsible for fatal rhabdomyolysis, a new type of mushroom poisoning that is indicated by an increase in serum creatine phosphokinase activity in mice. We found that polymerization of the compound at high concentrations via ene reaction abolishes its toxicity.
http://www.nature.com/nchembio/journal/ ... o.179.html

auf das Teil https://en.wikipedia.org/wiki/Cycloprop ... xylic_acid gestoßen, was als toxische Wirkung Rhabdomyolyse https://en.wikipedia.org/wiki/Rhabdomyolysis macht....

Die LD100 für Mäuse ist 2.5 mg/kg bei oraler Aufnahme und die Wirkung war verschwunden wenn die Dosis weniger als 0.5 mg/kg war vgl. http://www.nature.com/nchembio/journal/ ... 179-S1.pdf


Die Verbindung polymerisiert leicht und das "Grundgerüst" Cyclopropene vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Cyclopropene ist schwierig herzustellen...

Wäre interessant zu wissen wie der Pilz da die Biosynthese betreibt und so eine Verbindung herstellt ohne die radikalen Methoden der OC...

Bj68
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Pok
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Beitrag von Pok »

Naja, Cyclopropene kennt man ja schon aus der Natur (z.B. Malvalsäure, Sterculiasäure, Calysterol). Zumindest beim ersten kennt man auch den Biosyntheseweg. Da noch ne Carbonsäure draus zu machen und die Alkylreste zu kappen, wird nicht so schwierig sein. Witzig ist auch der Naturstoff "U-106305" ->
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eule
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Beitrag von eule »

Hmm, die Ringspannung dürfte trotzdem geradezu erstaunlich sein.

Gibt es Information dazu, was dieser Pilz damit macht, außer giftig zu sein?
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Xyrofl
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Beitrag von Xyrofl »

Die Ringspannung ist beim Cyclopropan nicht so gewaltig, weil das eben keine klassischen Bindungen mehr sein müssen, wie man sie vom Cyclohexan kennt, sie wäre extrem wenn es wirklich sp3 hybridisert wäre. Es ist zweckdienlicher, sich das Cyclopropan eher analog zu einem Ethen vorzustellen. Das Ethen ist ja formal ein "Zweiring" und weil das mit sp3-Hybridisierung nicht möglich ist, nimmt man eben eine sp2-Hybridisierung an.
Es ist nur ein wenig energetischer als Propen, also alles andere als extrem gespannt.
Bei einem Cyclopropen haben wir dann also ein Analogon zu einem Alkin wenn Cyclopropan analog zu einem Alken verstanden wird.

Interessant ist auch, dass diese Säure nicht nur in definitiven Giftpilzen aus Asien vorkommt, sondern auch in ehemals beliebten Speisepilzen wie dem Grünling (Tricholoma Equestre), es handelt sich also wieder um einen Fall, wo ein Pilz nachträglich als potentiell tödlich erkannt wurde. Noch prominenter ist so eine Entwicklung beim kahlen Krempling, der aber völlig andere Gifte enthält.
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NI2
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Beitrag von NI2 »

Ich kann mich da Xyrofl nur anschließen, die Cyclopropane sind ein wenig spezieller, aber nicht im Sinne ungeheurer Reaktivität, sondern eher unerwarteter Reaktivität. Natürlich sind die Verbindungen recht reaktiv, aber weniger als man auf den ersten Blick vermuten würde. Sehr deutlich zeigt sich das auch in den Bindungslängen, da diese kürzer sind als bei Alkanen üblich. Ein ähnliches Phänomen hat man ja auch bei den C-C-Bindungen im Benzol beobachtet, deren Bindungslängen liegen zwischen typischen Alkan- und Alkenbindungslängen. Bei den Cyclopropanen ist es ähnlich, wobei der veränderte Bindungscharakter (erhöhter π-Charakter ) nicht durch Delokalisation von Elektronen wie bei Aromaten zustande kommt. Durch den niedrigen Bindungswinkel wird keine typische sp3-Orbitalüberlappung gewährleistet und die Bindung "biegt" sich aus der Kern-Kern-Achse, weshalb man auch von Bananenbindungen oder Bent bonds spricht (vergleichbares kennt man auch von den Bindungszuständen im Diboran).

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[Wiki]

Für das Cyclopropan wurde außerdem eine andere Theorie entwickelt, welche versucht, typische Reaktivitäten des Cyclopropans zu erklären. Wer mehr dazu wissen möchte kann sich mal das Walsh-Modell anschauen.

Ein schönes Beispiel stellt hier das Bracken-Dienone 3 dar. Der ein oder andere hat (auf dem Forentreffen) bestimmt schon ein wenig vom Ptaquilosid 1 (aus Pteridium aquilinum) mitbekommen, welches nach formaler Eliminierung von Glucose unter biologischen Bedingungen quasi "scharfgeschaltet" wird. Durch Hydrolyse und anschließende Deprotonierung in 9-Position (wobei der Austritt von OH- hier durch die syn-Stellung beider Gruppen und der erhaltenen Konjugation begünstigt ist) liegt nun ein δ-Cyclopropyldienon vor (ein ungewöhnlicher Michael-Akzeptor). Durch den erhöhten π-Charakter ist der Cyclopropanring als konjugiert zu betrachten und wird durch Nucleophile (z.B. DNA) angegriffen (oder greift diese elektrophil an), wobei es gleichzeitig unter Austritt eines weiteren OH--Ions zu einer vollständigen Aromatisierung des Sechsrings kommt.

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Das so erhaltene Trimethylindanon 4 ist besonders stabil und im Falle von DNA als Nucleophil nun kovalent an diese gebunden, was es zu einem potenten Carcinogen des Adlerfarns macht. Es gab auch Versuche sich diese Reaktivität der Illudine (welche sich vom Illudan-Gerüst ableiten, Ptaquilosid ist als Norsesquiterpenglycosid des Illudan-Typs zu betrachten) für die Krebstherapie zu Nutze zu machen, dem aber zumeist die Toxizität der Verbindungen gegenüber steht.

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Da wir gerade bei Dreiringsystemen sind, sollte das [1.1.1]Propellan nicht ungenannt bleiben. Anfangs dachte man, dass man es nicht möglich sei den einfachsten Vertreter der Propellane zu synthetisieren, da dieser zu reaktiv und instabil sei, jedoch konnte es später synthetisiert werden und ist bei Raumtemperatur stabil. Hierbei ist die tetraedrische Geometrie am Kohlenstoff invertiert und die C1-C3-Bindung mit 1,605 Å nur etwas länger als für ungespanntes Ethen und ist weniger energetisch als der biradikalische Zustand. Für die meisten Reaktion kann diese Bindung als doppelbindungs-artig betrachtet werden und addiert zum Beispiel sehr leicht Iod. Diese Betrachtungsweise ist aber nicht perfekt, da hier auch Angriffe von Nucleophilen erfolgen.

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eule
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Beitrag von eule »

Erstmal danke für die schöne Erläuterung, ihr beiden.
Einzig eine Frage hängt mir da immernoch im Kopf rum: Was macht dieser Pilz (und eben auch die anderen vergleichbaren) damit? Ist darüber irgendwas bekannt?
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Pok
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Beitrag von Pok »

Was soll er denn damit machen? Das Zeug ist einfach giftig, also wirkt es als Fraßschutz.
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eule
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Beitrag von eule »

naja, es gibt da eine Menge möglichkeiten....
- fraßprophylaxe
- stoffwechselnebenprodukt ohne weitere nutzung, im mycel gebildet und als eine art "abfallentsorgung" in die fruchtkörper abgesondert
- stoffwechselzwischenprodukt für die synthese irgendwelcher anderen verbindungen ... angesichts der offenbar ja vorhandenen möglichkeit zur polymerisation (so meine ich es zumindest den links entnommen zu haben) vllt für die strukturbildung
- energiespeicher analog zu glucose oder atp
- pilzeigenes hormon
- pheromon zum anlocken von sporenverbreitern oder "verteidigungshilfsarbeitern"
- mittel zur bekämpfung von eindringenden bakterien oder pilzen
- mittel (siehe strukturbildung) zum verschießen von verletzungen analog harz bei bäumen
- keimungshemmstoff oder ~beschleuniger für die sporen

uvm.

ich denke diese Frage könnte berechtigt sein
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Pok
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Beitrag von Pok »

Deine Frage klang so, als hätte die Giftwirkung gar keine Funktion. Einige der genannten Funktionen kann man auch aussschließen, wie z.B. Hormone oder Pheromone (die wirken intraspezifisch, du meinst Allelochemikalien), weil die nur in Spuren gebildet werden.

Wenn es ein Giftstoff ist, dann sind andere Funktionen ebenfalls sehr unwahrscheinlich. Denk mal dran, wie wenige Pflanzen und Pilze für den Menschen richtig giftig sind und wieviele hunderttausende abstruser Stoffe es gibt, die eine deiner aufgelisteten Funktionen erfüllen. Jede ungiftige Pflanze/Pilz hat viele dieser Funktionen, z.T. jeweils über mehrfache Wege, also nochmals verschiedenste Stoffe, realisiert. Keiner davon darf für den Menschen in normalen Dosen giftig sein.

Diese Denkweise kann man zwar auch umdrehen und einfach sagen: viele Giftstoffe haben in Wirklichkeit andere, unbekannte Funktionen und sind nur zufällig giftig. Aber dann würden sich Giftstoffe bei bestimmten Arten (die wie Pilze wegen z.B. hohem Nährstoffgehalt viele Fressfeinde haben) und Lebensräumen nicht so häufen. Wahrscheinlich untersucht man das aber auch überhaupt nicht, weil man sich mit der Toxin-Erkennis zufrieden gibt und zusätzliche Funktionen wie gesagt so extrem unwahrscheinlich sind.

Das hier wirkt irgendwie lächerlich, weil die Antwort ja total auf der Hand liegt, aber ist zumindest mal ein Beispiel. Ich glaub nicht, dass du überhaupt ein Toxin findest, für das noch eine andere Funktion bekannt ist.
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eule
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Beitrag von eule »

Hmm, daß dir das albern vorkommt tut mir leid, sorry für dein genervtsein ob meiner Fragen.
Was die Frage nach Toxizität quasi als Nebenwirkung angeht, da fallen mir als allererstes mal Lektine ein, die selbst für den Ursprungsorganismus verschiedene Aufgaben haben können, nur eben /auch/ für Menschen verschiedentlich giftig sind.
Dann denke ich an z.B. Insuline, die einerseits eine wichtige Funktion im Organismus ausüben, andererseits von manchen Tieren sogar gezielt als Jagdwaffe eingesetzt werden.
Etwas ähnliches vermute ich auch hier, wo die Toxizität unterhalb 2.5mg/kg (oder habe ich mich da verlesen) überhaupt nicht auftritt, darüber aber plötzlich "mit voller Wucht zuschlägt".

Aber davon mal abgesehen, ein einfaches: "Nein, darüber ist nichts bekannt" hätte vollkommen ausgereicht.

Danke für die beanspruchte Zeit.
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Beitrag von Xyrofl »

Bevor wir weiter über den Sinn des Giftes diskutieren, müssen wir uns erst einmal über seine genaue Wirkung unterhalten. So ist zum Beispiel von dem Grünling (Tricholoma Equestre) bekannt, dass er manchen Quellen zu Folge, früher von den Edelleuten gerne verzehrt wurde und aufgrund seiner Seltenheit als ein Pilz der Adligen galt. Daher auch der Name "Equestre", es war ein Pilz für die Ritter.

Es hat lange gedauert, bis man die Giftwirkung entdeckt hat. Als Vergleich habe ich den kahlen Krempling schon erwähnt, der einerseits Hämagglutinine und Hämolysine enthält (direkt toxisch, aber thermolabil) und andererseits über einen ungeklärten Mechanismus, vermutlich über Antigene erst nach mehrfachem Verzehr und teilweise mit extrem langen Latenzzeiten den Tod durch autoimune Blutzersetzung herbeiführt.

Es wäre also interessant zu wissen, wie man diese LD100 interpretieren soll. Denn es ist auch bekannt, dass manche Leute die genannten Pilze in recht großen Mengen verzehren können, während andere an Rhabdomyolyse versterben.
Die experimentellen Daten passen da irgendwie nicht ganz zu der Wirkung des Pilzes. Irgend ein Puzzlestück fehlt.
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Pok
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Beitrag von Pok »

Man hat diese Zahl wohl angegeben, weil man nicht etliche Versuche durchführen wollte, also hat man nur 2 durchgeführt mit dem Ziel, die LD50 einzugrenzen.

@eule: ich hab nicht gesagt, dass mich deine Fragen nerven. Auch weiß ich ja gar nicht, ob es dazu wirklich keine Erkenntnisse gibt.
Lektine sind eine Kategorie von Proteinen und kein Einzelprotein. Ich bezweifle, dass die giftigen Lektine eine zweite Funktion haben. Diese ganzen Funktionen gelten für völlig verschiedene Lektine! Dasselbe gilt für Insuline.

Die Toxizität dieses Stoffs ist nicht so wie du sagst. Im Artikel steht nur, dass 2,5 mg/kg die Dosis ist, bei der 100 % der Tiere starben und dass bei 0,5 mg/kg überhaupt keine Tiere starben. Das sagt nur aus, dass die Varianz (also die Verschiedenheit, mit der einzelne Mäuse auf das Gift reagieren) sehr gering ist. Das widerspricht aber nicht der Annahme, dass das Gift "absichtlich" und gezielt gegen Fressfeinde entwickelt wurde. Der Mensch reagiert anscheinend variabler auf das Gift, womit die Toleranz bei einigen Menschen erklärbar wäre.

Der Pilz enthält 15 mg des Gifts in 500g "Fruchtkörpermasse". Eine Maus wiegt 20 g. Das heißt, dass alle Mäuse, die auch nur 1,7 g des Pilzes fressen, auf jeden Fall sterben. Eine Maus hat einen täglichen Energieumsatz von ca. 800 kJ/kg, also 16 kJ/Tag. Täublinge haben einen Energiegehalt von 91 kJ/100g. Mäuse, die auch nur 10 % ihres täglichen Energiebedarfs mit diesem Pilz decken, werden also sterben. Weit darunter (selbst unter 0,5 mg/kg) könnten aber immer noch üble Vergiftungserscheinungen auftreten, welche die Mäuse selbst vom Fressen noch geringerer Mengen abhalten. Die Giftwirkung reicht für einen effektiven Fraßschutz also völlig aus.
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eule
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Beitrag von eule »

Beim Kahlen Krempling habe ich eine These, nicht mehr als ein paar Gedanken, geronnen aus Erfahrungen in der Familie. Im eigenen Garten wuchsen (und wachsen) diese Pilze und wurden natürlich auch von ca. 1902 bis ca. Tschernobyl auch verzehrt. Es trat nie eine Giftwirung auf.
Andererseits findet sich eben vielfach der Hinweis darauf, daß die enthaltenen Toxine nicht thermostabil sind.
Mit dem Aufkommen der "schonenden Garmethoden" - so meine Vermutung - wurden die Pilze nicht mehr "totgekocht" und damit die Toxine nur unvollständig zerstört, was dann für die bekannten Ergebnisse verantwortlich war/ist.
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Beitrag von Xyrofl »

Julius Schäffer ist 1944 am Kahlen Krempling gestorben. Es stimmt also nicht, dass bis Tschernobyl das Paxillus-Syndrom unbekannt war und man die Pilze unbedarft verspeisen konnte. Außerdem war er ein bekannter Mykologe und hätte daher wohl niemals Kremplinge halbroh gegessen, denn dass man die braten muss wie verrückt, das war bekannt. Meine eigene Oma hat deswegen meinem Vater als Kind (Nachkriegszeit) verboten Kremplinge für sie zu sammeln, weil sie nicht mochte, wie schwarz die bei der Zubereitung werden und dass man sie so tot braten muss. Sie meinte, die wären "keine guten Pilze".
Dazu kommt, dass das Paxillus-Syndrom deutlich anders verläuft als die direkte Gastroenteritis, die bei Verzehr roher Kremplinge einsetzt. Andererseits ist bekannt, dass leichte Enteritis bei vorherigen Pilzmahlzeiten ein Risikofaktor für das Entwickeln eines tödlichen Paxillus-Sydroms bei späteren Mahlzeiten ist. Anscheinend macht sich die Sensibilisierung vorher bemerkbar.

Fraglich ist jetzt, wie sehr uns das bei der Cyclopropensäure weiter hilft. Mich wundert einfach, dass es eine so niedrige LD100 gibt und andererseits manche Menschen resistent zu sein scheinen.
Oder aber, der Gehalt schwankt einfach so stark (vermutlich auch weil die Säure ja wie im Artikel beschrieben instabil ist und Menschen - anders als Mäuse den Pilz braten würden, vermutlich jeder nach seinen Vorlieben ganz unterschiedlich).

Dass die LD100 sehr grob bestimmt wurde, erkennt man auch daran, dass in der Publikation nur runde Zahlen vorkommen und die tödliche Dosis bei beiden Applikationsrouten vom Zahlenwert her exakt gleich ist. Man selektierte also nur grob. Wir können davon ausgehen, dass basierend auf diesen Werten die Säure wirklich hochgiftig ist.

Leider schweigt sich das Paper ein wenig dazu aus, wie die Säure wirkt.

Außerdem findet man, wie die Wikipedia ein deutsches Ärzteblatt zitiert, das französiche Forschung zitiert:

"Forschungsergebnisse französischer Wissenschaftler deuten darauf hin, dass der Pilz bei bestimmten empfindlichen Menschen eine Rhabdomyolyse auslösen kann. Es besteht der Verdacht eines direkten Muskeltoxins in Tricholoma equestre, das möglicherweise bei einer genetischen Empfindlichkeit wirksam wird, wenn eine bestimmte Aufnahmemenge überschritten wird wie beispielsweise nach wiederholten Pilzmahlzeiten

Die englische Wikipedia erwähnt auch, dass die ersten Zweifel an der Essbarkeit des Pilzes aufkamen als Menschen krank wurden, die den Pilz wiederholt gegessen hatten. Ähnlich wie beim Paxillus-Syndrom schlägt die Krankheit also oftmals erst nach wiederholtem Kontakt zu wobei, beim Paxillussyndrom aber die Zeiträume viel größer sind:

"Concern was first raised in southwestern France. People who have been poisoned have all had three or more meals containing T. equestre within the last two weeks prior to treatment. One to four days after their last meal containing the fungus, the patients reported weakness of the muscles, sometimes accompanied by pain.

Die Frage ist natürlich auch, gegen was sich der Pilz primär schützt mit dieser Säure. Vielleicht sind Menschen und auch andere Säugetiere nicht einmal das primäre Ziel, sonder Insekten oder Mikroorganismen und die reagieren viel direkter darauf. Andererseits reagieren Mäuse schon direkt genug wenn man den kruden Untersuchungen von BJ`s Quelle vertrauen möchte.
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