Die Bleiglocke, kaltes Klingen

Anorganische Chemie.

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Glaskocher
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Die Bleiglocke, kaltes Klingen

Beitrag von Glaskocher »

Die "Bleiglocke" ist in Vorlesungen mit flüssigem Stickstoff als Experimentiermedium ein beliebtes Experiment. Bei Raumtemperatur geschwungen klappert der Klöppel darin nur leise. Wenn die Glocke jedoch im flüssigen Stickstoff abgekühlt wurde, dann erzeugt sie ein vernehmbares Klingeln. Wie erklärt man dieses Phänomen mit wenigen Sätzen...

Das Stichwort lautet "Rekristallisationstemperatur". Beim Blei liegt sie deutlich unter der Raumtemperatur. Ein warm verformter Werkstoff rekristallisiert recht schnell, weil die Diffusion seiner Atome den Abbau verformter Kristalle zu Gunsten neuer spannungsfreier Kristelle erlaubt. Beim Hämmern auf katen Stahl klingt dieser recht lange nach, weil ein Teil der Schlagenergie in elastische Verformung umgesetzt wird. Beim Schmieden höhrt man jedoch eher einen plumpen Aufschlag als ein Nachklingen.

Hier die eigentliche Frage:
Welche (definierte) Temperatur gilt beim Blei als Rekristallisationstemperatur? Derzeit kann ich keine sinnvollen Werte finden. Im englischen Wikipediaartikel Recrystallization_(metallurgy) stehen 99°C, die aber nicht mit der Beobachtung übereinstimmen. In anderen Quellen wird im Kontext mit Zinn und Zink von "bei oder unter 0°C" gesprochen. Diese Angaben sind recht unspezifisch (3 Elemente) und daher auch ungenau. Jetzt suche ich ein Werk, das solche Werte etwas zuverlässiger anbietet.
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lemmi
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Re: Die Bleiglocke, kaltes Klingen

Beitrag von lemmi »

Schau an., was für eine ausgefeilte Erklärung dieses Phänomen hat! Bisher ging ich immer davon aus, dass die pure "Härtung" des Bleies durch die Kälte dazu führte, dass es beim Anschlagen eben wie ein hartes Metall (Silber wird ja immer als Vergleich für den Ton des gekühlten Bleiglöckchens herangezogen) klingt. Ich habe mri einfach vorgestellt, dass die geringere Wäermeschwingung der Atome die "Härtung" bewirkt, ohne dass es dafür einen diskreten Übergang geben müsse.

Wo ich jetzt nochmal drüber nachdenke: werden Feststoffe eigentlich mit sinkender Temperatur generell härter? Ist Stahl bei 100°C weicher als bei 0°C und bei -100°C noch härter ? Kommt wahrscheinlich auf den Stoff an! :conf:
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Glaskocher
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Re: Die Bleiglocke, kaltes Klingen

Beitrag von Glaskocher »

Ob Stahl jetzt eine deutliche Veränderung seiner Festigkeit gegen Kaltverformung zeigt, wenn er um ~450, ~350 oder 250°C unterhalb seiner Rekristallisationstempweratur von 462°C (En Wikipedia) verbogen wird müßte ich erst nachsuchen. Ich gehe davon aus, daß es Unterschiede gibt, weil eine "Halbwarmverformung" bei vielen Werkstoffen, die bei RT spröde sind, zur Biegbarkeit führt. Im Bereich der Rekristallisationstemperatur sinkt der Wiederstand gegen plastische Verformung enorm. Deshalb scheppert es beim Dengeln der Sense, während der Schmiedehammer auf dem glühenden Werkstüch eher ein plumpes Geräusch erzeugt (fast wie auf Blei).

EDIT hat einen interessanten Film gefunden.
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