Schlagendes Quecksilber- bzw. Gallium-Herz: welcher Reaktionsverlauf?

Anorganische Chemie.

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aliquis
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Schlagendes Quecksilber- bzw. Gallium-Herz: welcher Reaktionsverlauf?

Beitrag von aliquis »

Hallo Ihr Lieben,

ich würde ich hier gern auf den Reaktionsverlauf von o. g. Demonstrationsexperiment zu sprechen kommen, der mir nicht klar ist, insbesondere hinsichtlich der Rolle des Oxidationsmittels.

Ausgelöst hat meine Überlegungen der Vergleich folgender zwei YouTube-Videos zu dem Versuch:
www.youtube.com/watch?v=tSNkleHfIkY
www.youtube.com/watch?v=Fc3dE8Y23nU&t=155s

In beiden Videos überzeugen mich die Erklärungen nicht: bei Thyzoid stehen die elektrochemische Reaktion von Ga und Fe sowie das Ferro-Chromat- Redoxsystem relativ unverbunden nebeneinander, so dass ich mich frage, ob das Dichromat in der Lösung dann überhaupt notwendig ist.
Bei Techtastisch pulsiert der Gallium-Blopp dann auch ohne Dichromat, bzw. macht mit Dichromat aber ohne Eisen dann offensichtlich noch interessantere Dinge... (www.youtube.com/watch?v=ndk5VDv735o)
Auf jeden Fall finde ich Marcels Erklärung der Rückreduktion zu Gallium aus dem ersten Video nicht plausibel, da dieses ja unedler ist als Eisen.
Funktionieren tut's aber trotzdem - auch ohne Oxidationsmittel (ich hab's vor längerer Zeit mal ausprobiert). Im Gegenteil: als ich noch (sehr wenig!) Dichromat hinzugab, hörte das Pulsieren sogar auf!
Nun bin ich total verwirrt, was da jetzt eigentlich wie abläuft und was das Oxidationsmittel, sei es nun Dichromat, Permanganat oder Peroxid, damit zu tun hat bzw. nicht zu tun hat. :conf:

Bei Wagner/Kratz, Chemie in faszinierenden Experimenten, fand ich folgende Erklärung:
"In dem Augenblick, in dem die Nadel das Quecksilber berührt, entsteht ein galvanisches Element aus Quecksilber, Eisen und Schwefelsäure. Eisen als das unedlere Metall löst sich auf, bildet als die Anode; Quecksilber ist die Kathode. Kaliumpermanganat ist das Oxidationsmittel, das reduziert wird. Die auf dem Quecksilber adsorbierten Elektronen vermehren die Ladungsdichte auf der Oberfläche, die Oberflächenspannung wächst. Infolgedessen krümmt sich die Oberfläche stärker (...), die Verbindung mit dem Eisen wird unterbrochen. Nun werden die Elektroden vom Oxidationsmittel übernommen. Damit sinkt erneut die Oberflächenspannung. Der Tropfen flacht sich ab und berührt wiederum die Nadel, der Vorgang beginnt von vorn."
So weit, so gut - aber warum funktioniert es dann mit Gallium, welches unedler ist als Eisen, genauso gut? Und warum funktioniert es dann auch bzw. sogar noch besser ohne Oxidationsmittel?... :idea2:

Wer hat eine plausible(re) Erklärung?
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Glaskocher
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Re: Schlagendes Quecksilber- bzw. Gallium-Herz: welcher Reaktionsverlauf?

Beitrag von Glaskocher »

Für die Formänderung der Metaltropfen ist ihre Oberflächenspannung verantwortlich. Diese ändert sich abhängig vom Elektronenüber- und Unterschuß im Metall. Dazu kommt noch das Phänomen der "Überspannung", das besagt, daß Wasserstoffionen nicht an jedem Metall gleich gut entladen werden können.

Beim Gallium oxidiert das Metall schon in der warmen verdünnten Schwefelsäure. Im Metall bleiben Elektronen zurück und erhöhen die Oberflächenspannung, der Tropfen wölbt sich auf. Dann berührt er den Eisendraht (andere edlere Metalle gehen auch) und gibt einen Teil seiner Ladung an das Eisen ab, das wiederum Wasserstoffionen besser entladen kann als Gallium. Die Ladung wird genutzt, um molekularen Wasserstoff zu bilden. Der jetzt wieder entladene Tropfen sinkt dank geringerer Oberflächenspannung zurück und fließt in die Breite, bis... die Schleife von Vorne beginnt. Das "Herz" schlägt ca. 4 Mal je Sekunde.

Beim Quecksilberherz hat Professor Blume einen Tipp des Monats März 2007 (Tipp-Nr. 117)

Der Unterschied in der Anordnung ist, daß man beim Quecksilber von der Seite kontaktiert, um Elektronen ins Flüssigmetall zu geben, während man das Gallium eher von oben kontaktiert, um Elektronen zu "entnehmen". Beide Versuche sind etwas fummelig im Aufbau, weil es dabei auf zehntelmillimeter ankommt.
aliquis
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Re: Schlagendes Quecksilber- bzw. Gallium-Herz: welcher Reaktionsverlauf?

Beitrag von aliquis »

Ah, o.k., vielen Dank! Das erklärt, warum man bei Gallium gar kein Oxidationsmittel benötigt, es beim Quecksilber aber sogar doppelte Funktion hat.

Bei Gallium habe ich die Erfahrung gemacht, dass es besser funktioniert, wenn man ein größeres Stück Eisen benutzt. Einen Draht kann man ansonsten besser auf einem längeren Stück mit dem Gallium-Tropfen in Kontakt bringen als nur mit der Spitze, die schnell vom Tropfen "verschluckt" wird...

Was geschieht mit Gallium in Schwefelsäure und Dichromat? Auch da kommt es ja zu einem heftigen Pulsieren - ganz ohne Eisen (eine Bildung von "Gallium-Würmern" wie bei Techtastisch konnte ich bei mir im Experiment jedoch nicht beobachten).

Warum hat bei mir im Versuch der "Herzschlag" (unter Verwendung von Eisen) bei Zugabe von Dichromat aufgehört? Funkt dann bereits die Bildung von Fe3+ dazwischen?
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aliquis
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Re: Schlagendes Quecksilber- bzw. Gallium-Herz: welcher Reaktionsverlauf?

Beitrag von aliquis »

Die RSOC liefert ein paar mehr Hintergrundinfos als Techtastisch: www.youtube.com/watch?v=E0hDh595Hck&t=27s
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