Der Titration schwacher Basen, z.B. von manchen Alkaloiden, in Wasser sind dadurch Grenzen gesetzt, dass bei pKB-Werten über 9 der pH-Sprung am Äquivalenzpunkt so klein wird, dass er nicht mehr mit hinreichender Sicherheit zu bestimmen ist - zumindest nicht mit Indikatoren, deren Umschlagsbereich sich in der Regel über mindestens zwei pH-Stufen erstreckt. Nun sind die Basizität bzw. Azidität der Stoffe - relativ zueinander - eine Funktion des Lösungsmittels weshalb die Verhältnisse sich ändern, wenn man im nicht-wässrigen Medium titriert.
In Wasser liegt den Neutralisationsreaktionen das bekannte Autoprotolysegleichgewicht mit dem Ionenprodukt 1 x 10-14 zugrunde:
2 H2O <----> H3O+ + OH-
KW = C(H3O+) x c(OH-) = 1 x 10-14
Das Oxonium-Ion hat eine Säurekonstante von pKS = -1,73. Alle Säuren die einen niedrigeren pKS-Wert besitzen (z.B. Salzsäure, Bromwasserstoffsäure, Perchlorsäure oder Schwefelsäure in der ersten Protolysestufe) sind in Wasser vollständig dissoziiert und daher gleich stark. Man spricht daher vom "nivellierenden Effekt" des Wassers.
In nichtwässrigen Medien ist das anders. Das klassische Lösungsmittel ist wasserfreie Essigsäure, die – analog zum Wasser – ebenfalls eine Autoprotolysereaktion mit einem ähnlichen Ionenprodukt zeigt.
2 CH3COOH <----> CH3COOH2+ + CH3COO-
KHAc = c(CH3COOH2+) x c(CH3COO-) = 3,6 x 10-15
Das CH3COOH2+- Ion wird als Acetacidium-Ion bezeichnet und ist dem Oxoniumion analog, wenngleich anders gebaut: das Proton lagert sich an die Carbonylgruppe an, so dass es genau genommen als CH3C(OH)2+ zu formulieren ist:
Weiter besitzt Essigsäure eine viel kleinere Dielektrizitätskonstante als Wasser. Das hat zur Folge, dass selbst starke Elektrolyte in ihr nicht vollständig dissoziert sind. Die Säurestärke - hier definiert als die Konzentration an Acetacidumionen in der Lösung - wird daher bei starken Säuren wesentlich von der Dissoziationskonstanten bestimmt und der entsprechende pKS-Wert ist viel geringer als in Wasser. Starke Säuren sind zwar in der Lage, die Essigsäure vollständig zu Acetacidium zu protonieren und sind in diesem Sinne "stark". Durch die geringe Dissoziation des entstehenden Ionenpaares liegt jedoch selbst der pKS-Wert von Perchlorsäure nur bei 4,87, was in Wasser einer "schwachen" Säure entspräche. Wegen der generell niedrigen pKS-Werte entsprechen die Neutralisationsreaktionen in Eisessig formal den Reaktionen einer schwachen Säure mit einer schwachen Base in Wasser, wobei theoretisch kein deutlicher “pH“-Sprung (eigentlich “Acteacidiumkonzentrationssprung“) zu erwarten wäre. Da aber die gebildeten Salze in Essigsäure so gut wie nicht dissoziiert sind, wird das Reaktionsprodukt dem Gleichgewicht entzogen, und ein Puffereffekt tritt nicht auf. Dadurch lässt sich der Endpunkt der Titration scharf nachweisen, und es ist z.B. möglich Sulfat quantitativ zu Hydrogensulfat zu protonieren, was in Wasser unmöglich wäre.
Titrationen in wasserfreier Essigsäure spielen bei der Gehaltsbestimmung zahlreicher Arzneistoffe eine bedeutende Rolle. Dabei wird in der aktuellen Europäischen Pharmakopöe meist die Endpunktanzeige mit Hilfe der Potentiometrie vorgeschrieben. Aber durch die Wahl geeigneter Indikatoren und ggf. Zusatze anderer (neutraler) nicht-wässriger Lösungsmittel, lassen sich die Titrationen auch mit chemischer Endpunktsanzeige gut durchführen. Der klassische Indikator ist Kristallviolett. In vielen Fällen ist aber Naphtolbenzein (im DAB 7 der meistverwendete Indikator) die bessere Wahl, weil der Umschlag deutlicher ist. In Einzelfällen werden andere Farbstoffe verwendet. Dazu finden sich in älteren Ausgaben des DAB (ab Ausgabe 7) oder in der Pharmacopoea Internationalis[4] zahlreiche Vorschriften.
Material/Geräte:
Büretten 25 und 10 ml (Feinbürette), Magnetrührer, Messkolben 100 ml, Messzylinder 25 ml, Messpipetten verschiedener Größe, kleine Erlenmeyerkolben (50 ml), Analysenwaage, Dreifuß mit Drahtnetz, durchbohrter Stopfen mit ca. 30 cm langem Glasrohr, kaltes Wasserbad, Analysenthermometer (0,2-Grad-Einteilung)
Chemikalien:
Essigsäure, wasserfrei


Essigsäureanhydrid



Perchlorsäure 70 % p.A.



Kaliumhydrogenphtalat p.A.
Kristallviolett




Naphtolbenzein

Sudan III
Metanilgelb

Toluol



Quecksilber(II)-acetat



Analysengut:
Nicotinsäureamid (aus einem Handelsprodukt)

Historische pharmazeutische Präparate von
Natriumsalicylat


Coffein

Aminophenazon (1-Phenyl-2,3-dimethyl-4-(N,N)-dimethylaminopyrazol-5-on)

Atropinsulfat

Noscapinhydrochlorid

Tetracainhydrochlorid


Sicherheitshinweise:
Vorsicht beim Arbeiten mit dem stark giftigen Quecksilberactetat! Die Analysenmethoden unter Anwendung von Quecksilberacetat haben im wesentlichen historisches Interesse und lassen sich vorteilhaft durch andere (z.B. Titration nach Volhard) ersetzen (s. Versuchsbeschreibung).
Versuchsdurchführung:
wasserfreie Essigsäure:
Unter “Essigsäure“ ist im Folgenden stets wasserfreie Essigsäure zu verstehen. Der Wassergehalt darf 0,4 % keinesfalls überschreiten, besser sollte er unter 0,1 % liegen. Wasserhaltige Essigsäure kann durch Zusatz einer berechneten Menge Acetanhydrid wasserfrei gemacht werden, wobei ein Überschuss in der Regel nicht stört, bei manchen Bestimmungen (z.B. von Aminen) aber zu vermeiden ist, da er sich durch Acetylierung der Aminogruppe negativ auswirken kann. Die Reinheit der Essigsäure kann man am einfachsten durch Ermittlung ihres Erstarrungspunktes bestimmen. Derselbe sinkt mit zunehmendem Wassergehalt rasch.
(Tabelle aus [1], Monographie “Essigsäure“)
Um den Erstarrungspunkt zu bestimmen, wurden 30 ml Essigsäure in einem kleinen Schliffglas für 1/2 Stunde in den Kühlschrank gestellt. Danach war die Substanz noch flüssig, erstarrte aber, als ein Thermometer hineingesteckt und damit an der Wand gekratzt wurde. Die Temperatur stieg auf 16,6 °C, was einem Gehalt von über 99,9 % CH3COOH entspricht.
Indikatorlösungen:
Kristallviolett : 0,5%ige Lösung in Essigsäure
Naphtolbenzein : 1%ige Lösung in Essigsäure
Sudan III : 0,5%ige Lösung in Chloroform
Metanilgelb : 1%ige Lösung in absolutem Methanol
Urtiter:
Kaliumhydrogenphtalat p.A. wird zerrieben, 2 Stunden im Trockenschrank bei 105 °C getrocknet, erneut zerrieben und im Exsikkator erkalten gelassen. Die Substanz ist nicht hygroskopisch. Molmasse = Äquivalentmasse = 204,2 g
Quecksilber(II)-acetatlösung, ca. 0,1 M:
0,63 g Quecksilber(II)-acetat werden in 20,0 ml Essigsäure gelöst.
1. Herstellung und Titerstellung der 0,1 N Perchlorsäurelösung
In einem 100 ml-Messkolben verdünnt man 0,85 ml Perchlorsäure 70% mit ca. 50 ml Essigsäure und gibt 3,0 ml Essigsäureanhydrid zu. Die Mischung erwärmt sich etwas, wird bis zur völligen Abkühlung verschlossen stehen gelassen (einige Stunden) und dann mit Essigsäure auf 100 ml aufgefüllt. Nach 24 Stunden wird der Titer bestimmt. Die Maßlösung muss unter Feuchtigkeitsabschluss aufbewahrt werden.
Zur Titerstellung werden ca. 250 mg Kaliumhydrogenphtalat in 20 ml Essigsäure gelöst, mit 0,05-0,1 ml Indikatorlösung versetzt und mit der 0,1 N Perchlorsäure bis zum Farbumschlag titriert. Essigsäure hat eine deutlich geringere Oberflächenspannung als Wasser, was hilfreich ist, indem auch die Feinbürette mit Hilfe eines kleinen Trichters gefüllt werden kann (ohne dass sich Luftblasen einschließen). Beim Titrieren muss man sich etwas daran gewöhnen, dass die Topfen kleiner sind und die Tropfgeschwindigkeit höher ist, als bei wässrigen Maßlösungen. Da die Indikatoren nicht alle im gleichen Bereich umschlagen, muss der Faktor der Maßlösung - wie bei Titrationen im wässrigen Medium auch - für jeden einzeln ermittelt werden.
Ich habe folgende Ergebnisse erhalten:
260 mg Kaliumhydrogenphtalat (= 1,2733 mmol) gegen 0,05 ml Kristallviolett titriert: bei 12,0 ml scharfer Umschlag von Violett nach Blau. Die Farbe geht nach Zugabe von einem weiteren Tropfen Perchlorsäure in Türkis, nach zwei Tropfen in Grün und nach 4 Tropfen in Gelbgrün über.
Faktor (für Umschlag nach Blau) = 1,061
253,6 mg Kaliumhydrogenphtalat (= 1,2405 mmol) gegen 0,05 ml Naphtolbenzein titriert: bei 11,7 ml scharfer Umschlag von Gelb nach Grün.
Faktor = 1,060
250,6 mg Kaliumhydrogenphtalat (= 1,2272 mmol) gegen 0,1 ml Sudan III titriert: die orangerote Farbe geht allmählich in ein Violettrot über und schlug bei 11,6 ml dann gut erkennbar in Blauviolett um. Die Farbe geht nach Zusatz von weiteren 5 Tropfen Perchlorsäure in Blau über.
Faktor (für Umschlag nach Blauviolett) = 1,058
257,6 mg Kaliumhydrogenphtalat (= 1,2615 mmol) gegen 0,1 ml Metanilgelb titriert: die Farbe verändert sich von Gelb über Dunkelgelb allmählich zu einem schmutzigen Gelbbraun. Bei 11,8 ml wurde dennoch ein deutlicher Farbumschlag nach Rot erkennbar. Zusatz von Toluol (nach dem Farbumschlag) bewirkte keine erkennbare Veränderung.
Faktor = 1,064
Bei der Titration tritt eine Trübung auf, da das entstehende Kaliumperchlorat in Essigsäure unlöslich ist, was aber die Erkennung des Farbumschlags nicht beeinträchtigt. Die Umschläge der letzten beiden Indikatoren, die nur in Spezialfällen zum Einsatz kommen, lassen sich recht gut feststellen, wenn man auf folgende Erscheinung achtet: gegen Ende der Titration entsteht an der Eintropfstelle ein Farbumschlag, der sich beim Rühren aber wieder quasi “auflöst“. Der Umschlagspunkt ist erreicht, wenn dieses Phänomen nicht mehr eintritt, und sich die Färbung von der Eintropfstelle der gesamten Flüssigkeit mitteilt. Das lässt sich auf einen Tropfen genau erkennen.
Meine Maßlösung hatte einen Faktor von deutlich über 1, wohl weil ich von meiner schon etwas älteren Perchlorsäure - deren Gehalt ich nicht ganz traute - nicht 0,85 sondern 0,9 ml eingesetzt hatte. Andererseits erleichterte mir das die Verwendung einer 10 ml-Feinbürette.
2. Titrationen in wasserfreier Essigsäure
2.1. Natriumsalicylat[3]:
148,6 mg Natriumsalicylat (0,9282 mmol) wurden in 20 ml Essigsäure gelöst und nach Zusatz von 0,05 ml Naphtolbenzeinlösung mit 0,1 N Perchlorsäure aus der Feinbürette titriert. Die Lösung trübte sich (Natriumperchlorat) und der Indikator schlug bei 8,76 ml scharf nach grün um.
Berechnung: 8,76 x 1,060 = 9,285 ml entsprechen 0,9285 mmol HClO4
Gehalt: 100,03 %
2.2. Nicotinsäureamid[3]:
Analysiert wurde der Inhalt einer Kapsel “Vitamin B3 forte 500 mg“ (Zein Pharma). Die Titration mit Kristallviolett als Indikator ergab eine äußerst schleppenden, schlecht erkennbaren Farbumschlag, weshalb in einem zweiten Anlauf Naphtolbenzein verwendet wurde.
106,65 mg (0,87346 mmol) Substanz wurden unter leichtem Erwärmen in 20 ml Essigsäure gelöst, die Lösung in einem Kaltwasserbad abgekühlt, 5 ml Essigsäureanhydrid zugegeben und nach Zusatz von 0,1 ml Naphtolbenzein mit 0,1 N Perchlorsäure aus der Feinbürette titriert. Die Lösung blieb klar. Nach 8,1 ml wurde eine Farbänderung nach Grünlichgelb erkennbar, die bei 8,15 ml in rein Grün umschlug.
Berechnung: 8,15 x 1,060 = 8,64 ml, entsprechend 0,864 mmol HClO4
Gehalt: 98,9 %
Auf gleiche Weise wurde der Gehalt einer Nicotinsäureamid-Referenzsubstanz bestimmt und zu 99,7 % ermittelt (vermutlich nicht ganz trocken).
2.3. Aminophenazon[1]:
200,85 mg Aminophenazon (0,8683 mmol) wurden in 20 ml Toluol gelöst, mit 0,1 ml Metanilgelblösung versetzt und mit 0,1 N Perchlorsäure aus der Feinbürette titriert. Die Mischung wurde zunächst dunkler gelb, dann trübe. Bei 8,24 ml wurde ein ziemlich scharfer Umschlag (deutlich schärfer als bei der Einstellung in reiner Essigsäure) nach Rot beobachtet.
Berechnung: 8,24 x 1,064 = 8,76 ml entsprechend 0,876 mmol HClO4.
Gehalt: 100,9 %
2.4. Coffein[1,3]:
171,2 mg Coffein (0,8815 mmol) wurden in 5 ml Essigsäure + 20 ml Toluol gelöst, 0,1 ml Sudan III-lösung zugesetzt und mit 0,1 N Perchlorsäure aus der Feinbürette titriert. Die Mischung trübte sich und bei 8,33 ml schlug der Indikator nach Blauviolett um.
Berechnung: 8,33 x 1,058 = 8,813 ml, entsprechend 0,8813 mmol HClO4.
Gehalt: 99,9 %
2.5. Atropinsulfat[2,4]:
Die Phar. Int schreibt zur Titration von Atropinsulfat Kristallviolett als Indikator vor. Nach den schlechten Erfahrungen mit der Titration von Nicotinsäureamid (s.o.) wurde auch hier Naphtolbenzein gewählt, um eine Verschwendung der Analysensubstanz zu verhindern.
326 mg Atropinsulfat-1-Hydrat (0,467 mmol) wurden in 25 ml Essigsäure gelöst und mit 0,05 ml Naphtolbenzein versetzt. Bei der Titration mit 0,1 N Perchlorsäure aus der Feinbürette wurde der Umschlag nach Grün bei einem Verbrauch von 4,39 ml erreicht.
Berechnung: 4,39 x 1,060 = 4,65 ml entsprechend 0,465 mmol HClO4.
Gehalt: 99,6 %
2.6. Noscapinhydrochlorid[2]:
331,7 mg Noscapiniumchlorid-1-Hydrat (0,7089 mmol) wurden in 20 ml Essigsäure gelöst und mit 5 ml Quecksilber(II)-acetatlösung versetzt. Nach Zugabe von 0,05 ml Naphtolbenzeinlösung wurde mit 0,1 N Perchlorsäure aus der Feinbürette titriert und bei 6,78 ml ein scharfer Umschlag nach Grün erreicht.
Berechnung: 6,78 x 1,06 = 7,19 ml entsprechend 0,719 mmol HClO4.
Gehalt: 101,4 %
Die Titration des Chlorids in der Verbindung wurde an einer frischen Probe nach der Methode von Volhard wiederholt: 313,5 mg (0,670 mmol) wurden in 20 ml Wasser + 5 ml Salpetersäure 25 % unter Erwärmen gelöst und nach dem Erkalten 20,0 ml 0,1 N Silbernitratlösung zugegeben. Das ausfallende AgCl wurde durch Schütteln mit 5 ml Toluol gebunden, 4 ml Ammoniumeisen(III)-sulfatlösung 10 % zugesetzt und das überschüssige Silbernitrat mit 0,1 N Ammoniumthiocyanatlösung zurücktitriert.
Verbrauch 0,1 N AgNO3 = 6,8 ml entsprechend 0,680 mmol Cl-.
Gehalt: 101,5 %
2.7. Tetracainhydrochlorid[2]:
251,55 mg Tetracainhydrochlorid (0,8363 mmol) wurden mit einem Gemisch aus 20 ml Essigsäure und 5 ml Essigsäureanhydrid über dem Spiritusbrenner mit aufgesetztem Stopfen und Steigrohr für 2 Minuten zum schwachen Sieden erhitzt, danach in einem Kaltwasserbad abgekühlt und mit 6 ml Quecksilber(II)-acetatlösung versetzt. Nach Zugabe von 0,05 ml Kristallviolettlösung trat bei der Titration mit 0,1 N Perchlorsäure aus der Feinbürette nach 8,53 ml ein scharfer Farbumschlag nach Blau auf.
Berechnung: 8,53 x 1,061 = 8,859 ml entsprechend 0,8859 mmol HClO4.
Gehalt: 105,9 %
Auch hier wurde die Gegenprobe nach Volhard unter den oben (s. Punkt 6) genannten Bedingungen durchgeführt. Für 250,3 mg Substanz (0,832 mmol) wurden 8,32 ml 0,1 N Silbernitratlösung verbraucht, was einem Gehalt an Cl- von 100,0 % entspricht.
Entsorgung:
Die vereinigten Analysenlösungen, die kein Toluol enthalten, werden mit einem kleinen Überschuss an Kaliumhydrogenphtalat verrührt. Nach 24-stündigem Stehen wird von dem ausgefallenen Kaliumperchlorat abgegossen bzw. abfiltriert. Daraufhin wird die Essigsäure über eine Füllkörperkolonne fraktioniert abdestilliert (bei 118°C übergehende Anteile gesondert auffangen) und so erneut in wasserfreier Form wiedergewonnen. Wenn Quecksilberacetat enthalten ist, müssen der Niederschlag und der Destillationsrückstand als quecksilberhaltiger Gefahrstoffabfall entsorgt werden!
Die Toluol-haltigen Ansätze werden getrennt gesammelt, im Scheidetrichter mehrfach mit Wasser und zuletzt mit Natriumcarbonatlösung ausgeschüttelt, die organische Phase abgetrennt, über Natriumsulfat getrocknet und das Toluol durch Destillation über einen Tropfenfänger mit eingelegtem Glaswollbausch (der Aerosol effektiv zurückhält) zurückgewonnen. Der erste, leicht trübe Vorlauf mit Wasserresten wird verworfen. Die wässrigen Phasen werden mit dem Abwasser entsorgt.
Erklärungen:
Zahlreiche Salze organischer Säuren lösen sich gut in Essigsäure (evtl. muss leicht erwärmt werden) und können mit Perchlorsäure titriert werden, wobei das Carboxylatanion als Base fungiert. Im Versuch 1 wurde auf diese Weise Natriumsalicylat (M = 160,1) bestimmt. 1 ml 0,1 N HClO4 entsprechen 16,01 mg C7H5O3Na
C7H5O3Na + HClO4 ---> NaClO4 + C7H6O3
Auf gleiche Weise lassen sich beispielsweise Formiate, Acetate, Tartrate, Citrate, Benzoate und Seifen (Fettsäuresalze) bestimmen.
Bei der Titration des Nicotinsäureamids (M = 122,1) wird der sehr schwach basische Pyridinstickstoff protoniert, während die Amidgruppe keine basische Wirkung ausübt. Ein Zusatz von Essigsäureanhydrid im Überschuss entfernt Spuren von Wasser, die sich bei der Titration sehr störend auswirken (Dass ich einen stark schleppenden Umschlag mit Kristallviolett erhalten habe könnte an einem versehentlichen Eintrag von Wasser gelegen haben, vielleicht beim Abkühlen?). Zugabe von Benzol (oder Toluol) soll den Umschlagspunkt schärfer hervortreten lassen[1]. 1 ml 0,1 N HClO4 entsprechen 12,21 mg C6H6N2O
Coffein (M = 194,2) ist eine äußerst schwache Base und bildet in wässrigen Medien keine isolierbaren Salze. In Toluol/Essigsäure lässt es sich dagegen mit Perchlorsäure scharf titrieren, wobei Coffeinperchlorat ausfällt. Das aktuelle Europäische Arzneibuch schreibt dieses Vorgehen vor und lässt den Endpunkt potentiometrisch ermitteln. Die Verwendung von Sudan III als Indikator wurde im DAB 7 angegeben und gibt gut reproduzierbare Ergebnisse. 1 ml 0,1 N HClO4 entsprechen 19,42 mg C8H10N4O2
In vergleichbarer Weise kann z.B. Colchicin (pKB = 12,4) titriert werden. Man löst es am besten in Acetanhydrid und verwendet Malachitgrün als Indikator (Umschlag von Gelb nach Grün).
Auch Aminophenazon (M = 231,3) ist eine sehr schwache Base. Bei der Titration der Lösung in Toluol gegen Metanilgelb wird nur der Stickstoff der Dimethylamin-Gruppe protoniert. Andere Indikatoren wie Kristallviolett haben einen anderen Umschlagsbereich, in dem teilweise auch der Stickstoff des Pyrazolonringes mit erfasst wird und geben daher etwas zu hohe Werte[3]. 1 ml 0,1 N HClO4 entsprechen 23,13 mg C13H17N3O Abb: Formeln der analysierten Arzneistoffe. Die angegebenen pKB-Werte[5] gelten für wässrige Lösungen und sollen nur die Basenstärke (oder -schwäche) illustrieren.
Weitere schwache Basen, die durch Titration in wasserfreier Essigsäure bestimmt werden können sind beispielsweise Anilin, Tolidin, Dimethylanilin, Pyridin, Sulfonamide, Aminosäuren (die Acidität der Carboxylgruppe der Aminosäuren ist in Essigsäure soweit abgeschwächt, dass sie als einwertige Basen erfasst werden) und p-Aminobezoesäureethylester (Benzocain).
Die Bestimmung des Atropinsulfats (MHydrat = 694,8) ist ein Beispiel für die Gehaltsbestimmung eines Alkaloidsalzes über die Titration seines Anions. Hier wird das Sulfat durch Perchlorsäure im wasserfreien Medium zum Hydrogensulfat protoniert. 1 ml 0,1 N HClO4 entsprechen 69,48 mg C34H48N2O10S + H2O
SO42- + HClO4 ---> HSO4- + ClO4-
Auch die Hydrochloride schwacher Basen lassen sich in Essigsäure über die Titration des Anions bestimmen. Perchlorsäure ist in Essigsäure zwar deutlich stärker als Chlorwasserstoff (pKs 4,87 vs. 8,55), die Reaktion
Cl- + HClO4 <----> HCl + ClO4-
verläuft jedoch nur dann quantitativ nach rechts, wenn der entstehende Chlorwasserstoff aus der Reaktionsmischung entfernt wird, z.B. durch Erhitzen, wobei er ausgast. Die Bestimmung wäre dann analog der Titration eines Hydrogencarbonats mit Salzsäure im wässrigen Medium (wo Kohlendioxid ausgast). Da dieses Vorgehen unbequem ist, wurde nach einer Alternative gesucht. Die Umsetzung mit Quecksilberacetat - ein in Essigsäure zwar gut lösliches, aber nicht dissoziiertes Salz - führt zum quantitativen Austausch der Chlorid- gegen Acetationen unter Bildung von - ebenfalls nicht dissoziiertem - Quecksilber(II)-chlorid. Das freie Acetat lässt sich dann problemlos mit Perchlorsäure titrieren.
Hg(CH3COO)2 + 2 Cl- ---> HgCl2 + 2 CH3COO-
CH3COO- + HClO4 ----> CH3COOH + ClO4-
Noscapin (MHCl-Hydrat = 467,9) ist eine notorisch schwache Opiumalkaloidbase, deren Salze bereits beim Lösen in Wasser hydrolysieren. Bezogen auf Noscapinhydrochlorid entspricht 1 ml 0,1 N HClO4 46,79 mg C22H24NO7Cl + H2O.
Die Gegenprobe mit der argentometrischen Bestimmung nach Volhard zeigt, dass die Titration der Substanz im wasserfreien Medium sehr exakt war. Der über 100 % liegende Gehalt ist sicher auf eine teilweise Verwitterung zurückzuführen.
Die Gehaltsbestimmung von Alkaloidsalzen über die Titration des Anions wird im europäischen Arzneibuch beispielsweise für Morphinhydrocholrid (die Morphinbase ist amphoter), Ergotamintartrat, Codeinphosphat oder Papaverinhydrochlorid (sehr schwache Alkaloidbasen) vorgeschrieben.
Tetracain (MHydrochlorid = 300,9) ist ein synthetisches Lokalanästhetikum, das eine sekundäre und eine tertiäre Aminogruppe enthält. Letztere ist im Hydrochlorid protoniert. Würde man das Salz - das heißt das Chloridion - direkt titrieren, so würde sich die Basizität der sekundären Aminogruppe durch einen schleppenden Umschlag bemerkbar machen. Um diese Störung auszuschließen wird vor der Titration mit Essigsäureanhydrid erhitzt, wodurch die sekundäre Aminogruppe acetyliert wird und ihre basische Eigenschaft verliert.
Anschließend kann das Chlorid wie oben nach Zugabe von Quecksilberacetatlösung titriert werden. 1 ml 0,1 N HClO4 entspricht 30,089 mg C15H25N2O2Cl.
Hier fand ich eine Differenz zur Bestimmung des Chlorids nach Volhard, und zwar wurde mit der Titration mit Perchlorsäure ein zu hoher Gehalt gefunden. Über die Ursache kann ich nur spekulieren Vielleicht war die Acetylierung der sekundären Aminogruppe unvollständig, obwohl die Vorschrift des DAB 9 genau befolgt worden war. Vielleicht ist es aber auch nur Schusseligkeit gewesen und ich habe irgendeinen Zahlenwert falsch notiert. Dass es am Indikator lag, glaube ich nicht.
Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass der Wärmeausdehnungskoeffizient von Essigsäure deutlich höher ist, als der von Wasser - Temperaturschwankungen wirken sich daher viel stärker auf das Volumen der Titerlösung aus. Deswegen tut man gut daran, die bei der Einstellung der Perchlorsäure herrschende Temperatur zu notieren, und Temperaturabweichungen bei künftigen Titrationen zu berücksichtigen. Für jedes Grad Temperaturdifferenz ist eine Korrektur von 0,11 % des verbrauchten Volumens in Ansatz zu bringen: bei höheren Temperaturen muss der Wert subtrahiert, bei niedrigeren addiert werden.
Literatur:
1. Deutsches Arzneibuch 7. Ausgabe 1968, Kommentar; wissenschaftl. Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart – Govi-Verlag Frankfurt
2. Deutsches Arzneibuch 9. Ausgabe 1986, Kommentar; wissenschaftl. Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart – Govi-Verlag Frankfurt, ISBN 3-8047- 0904-4, 0967-2 und 0969-9 (Bände 1-3)
3. Poethke, Walter: Praktikum der Maßanalyse; Verlag Harri Deutsch Thun und Frankfurt a. Main 1980; ISBN 3-87144-5355
4. World Health Organization: The International Pharmacopoiea, 10th edition; https://digicollections.net/phint/2022/ ... tml#p/home
5. Prankerd RJ: Critical Compilation of pKa Values of Pharmacuetical Substances – Profiles of Drug Substances, Excipients and Related Methodology Vol. 33; First Edition 2007 ElSevier; ISBN 978-0-12-260833-9
Bilder:
Abb: Bestimmung des Erstarrungspunkts der Essigsäure
Abb.: die analysierten Arzneistoffe
Abb.: die analysierten Nicotinsäureamid-Kapseln
Abb.: Farbumschlag von Kristallviolett bei Zusatz steigender Mengen Perchlorsäure (hier in reiner Essigsäure ohne Analyt). Als “Zielpunkt“ wird der erste Umschlag nach rein Blau angesehen, der in Wirklichkeit deutlicher zu sehen ist, als auf dem Foto.
Abb.: Umschlag von Naphtolbenzein bei der Titration von Natriumsalicylat
Abb.: Schlierenbildung bei der Titration mit Naphtolbenzein vor dem Umschlagspunkt
Abb: Umschlag von Sudan III bei der Titration von Coffein
Abb.: Umschlag von Metanilgelb bei der Titration von Aminophenazon
Abb.: Acetylierung von Tetracain vor der Titration
Abb.: Titration von Chlorid nach Volhard. Man erkennt undeutlich den durch Toluolzusatz am Boden des Kolbens verklumpten Silberchlorid-Niederschlag