Titration schwacher Basen in wasserfreier Essigsäure

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Glaskocher
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Re: Titration schwacher Basen in wasserfreien Medien

Beitrag von Glaskocher »

[leicht daneben]
Bei der Säurestärke kommt es, unter Anderem, datauf an, wie gut die negative Ladung über das Anion verteilt werden kann und ob das Anion irgendwelche koordinierenden Stellen auf der Oberfläche bietet.

Das Perchlorat-Ion ist da bereits recht gut gebaut. Es ist symmetrisch und verteilt seine Ladung über fünf Atome. Zusätzlich läßt es sich nicht (mit normalen Reagenzien) oxidieren und die Reduktion ist auch erschwert, weil die relevanten Bindungen im Inneren "versteckt" liegen.

Noch besser abgeschgirmte Anionen findet man in der "BARF-Familie". Das sind Tetrakis-perfluotphenyl-borate (Bor-ARomat-perFluoriert). Damit kann man auch fast "nackte" Protonen kompensieren. Das [H(Et2O)2][BARF] ist ein Beispiel dazu. Viel sauer geht es nur schwierig.
[/]

Jetzt bin ich mal neugierig, ob die Titration in Ethern oder in Propionsäure andere "Bereiche" von Analyten erschließen kann, oder ob das eher Theorie bleibt wegen mangelndem Bedarf. Man kann ja auch Ether protonieren, weil sie "nur" doppelt alkyliertes Wasser sind. HCl löst sich extrem gut in Ether! Da kann man ca. 20 Gewichts-% in Lösung bringen, ohne daß der Dampfdruck zu extrem wird.
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lemmi
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Re: Titration schwacher Basen in wasserfreien Medien

Beitrag von lemmi »

@mgritsch: dafür dass wir das ein bisschen q.a.d. gemacht haben kam doch ein sehr brauchbares Resultat heraus! Ich erinnere mich auch, dass das Ergebnis nahe 100 % lag (das war dasselbe Nicotinamid, das ich immer noch als Referenzsubsanz nutze).

Soi langsam löst sich der Knoten.... Im DAB 9 steht folgende Erklärung zur Säurestärke:

DAB9-1.jpg
DAB9-2.jpg
Es ist offenbar so, dass die Dissoziationskonstante für alle Elektrolyte in einer ähnlichen Größenordnung um pK 5 herum liegt. Was variiert sind die Protonierungskonstanten, und die sind für die Säurestärke im Sinne von "kann Essigsäure protonieren" oder "wird von Essigsäure protoniert" entscheidend. Ist die Base dann protoniert, so verhindert die stark geminderte Dissoziation, dass die Reaktion zurückläuft. Hier ein paar Gesamt-Konstanten für Basen und Säuren sowie dissoziationskonstanten für Salze in Eisessig (auch aus dem DAB 9):

DAB9-3.jpg

@Glaskocher: Das ist ein sehr interessanter Aspekt, dass die Säurestärke von der Konfiguration des Anions abhängt und eine richtig schön anschauliche Erklärung der Säurestärke! Einen Ether als di-akyliertes H2O hatte ich mir auch noch nie vor Augen geführt! Wenn ich mich richtig erinnere ging der Mechanismus der Fischer-Veresterung auch über ein intermediäres Oxoniumion, das sich aus der Alkoholkomponente bildet.

Wie ist das Ion H(Et2O)2+ denn gebaut? Ich kann mir nicht recht vorstellen wie ein Proton an zwei Ethermoleküle gebunden wird.

Und hast du ein konkretes Beispiel für ein BARF? Wo kommen da die Protonen her?

Soweit ich weiß, kann man auch in wasserfreier Ameisensäure und Propionsäure titrieren. Zusätze von neutralen Solventien (Benzol/Toluol, Aceton, Dioxan) können die Schärfe des Indikatorumschlags erhöhen - ich nehme an das tun sie, indem sie die Dissoziation des Neutralisationsproduktes noch weiter zurückdrängen, z.B. bei der Titration von Coffein.
Umgekehrt geht das auch in basischen Lömis wie Butylamin und ähnlichem ekligem Zeug. Diese Methoden haben aber offenbar keine breitere Anwendung gefunden - jedanfalls nicht in der Pharmazie - so dass ich dir zu anderen Titrationsbereichen nichts sagen kann.
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mgritsch
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Re: Titration schwacher Basen in wasserfreien Medien

Beitrag von mgritsch »

lemmi hat geschrieben: Donnerstag 18. Mai 2023, 22:23 Soi langsam löst sich der Knoten....
:thumbsup: :thumbsup: :thumbsup:
Soweit ich weiß, kann man auch in wasserfreier Ameisensäure und Propinosäure titrieren.
Da gibt’s ganz ganz viele Möglichkeiten! Siehe Literatur:
IMG_3234.jpeg
Es kommt halt immer drauf an welches Problem man lösen will.
Gewisse Nachteile muss man ggfs in Kauf nehmen bzw Probleme lösen. Bei sehr schlechten elektrischen Leitern zb wird das potentiometrische Arbeiten irgendwann schwer bis unmöglich, nicht für jedes System hat man passende Indikatoren, und last but not least die Frage ob sich Analyt/Titrator/Produkt darin überhaupt lösen. Essigsäure ist da einfach sehr universell.

In MIBK kann man dafür zB sowas:
IMG_3233.jpeg
Auch nicht schlecht :D

Wie gesagt, Literatur gibt’s viel und vor allem das verlinkte Buch kann ich stark für Theorie und Praxis empfehlen.
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mgritsch
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Re: Titration schwacher Basen in wasserfreien Medien

Beitrag von mgritsch »

lemmi hat geschrieben: Samstag 6. Mai 2023, 11:45 [Das CH3COOH2+- Ion wird als Acetacidium-Ion bezeichnet und ist dem Oxoniumion analog:
Btw, das könnte auch noch etwas irreführend aufgefasst werden. Strukturell ist es etwas anders.
Im Oxonium hat man ein O an dem 3 H hängen
Im Acetacidium wird jedoch nicht die -OH des -COOH nochmals protoniert sondern die C=O Gruppe, es liegt eigentlich ein -C(OH)2 vor.

Nur ein Detail am Rande :)
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Re: Titration schwacher Basen in wasserfreien Medien

Beitrag von Glaskocher »

Das "einfachste" BARF ist das Tetrakis(pentafluorphenyl)borat-Ion, das während der Synthese mit Natrium oder Lithium neutralisiert wird. Man kann diese Ionen auch gegen Silber austauschen, das dann mit HCl gegen das erwähnte Proton ausgewechselt wird. Das erste Ether-Molekül ist an einem Lone-Pair protoniert und das Zweite koordiniert damit. Zumindest läßt sich diese Substanz als wägbarer Feststoff isolieren.
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lemmi
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Re: Titration schwacher Basen in wasserfreien Medien

Beitrag von lemmi »

mgritsch hat geschrieben: Donnerstag 18. Mai 2023, 23:43 Im Oxonium hat man ein O an dem 3 H hängen
Im Acetacidium wird jedoch nicht die -OH des -COOH nochmals protoniert sondern die C=O Gruppe, es liegt eigentlich ein -C(OH)2 vor.
Das war mir in der Tat nicht bekannt! Ich werde meinen Post entsprechend umformulieren.
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Re: Titration schwacher Basen in wasserfreien Medien

Beitrag von mgritsch »

lemmi hat geschrieben: Freitag 19. Mai 2023, 20:06 Das war mir in der Tat nicht bekannt! Ich werde meinen Post entsprechend umformulieren.
Ist elektronisch eigentlich naheliegend. Eine so große positive Ladung eines stark elektronegativen Atoms in unmittelbarer Nähe eines zweiten O mit seinen beiden freien Elektronenpaaren wäre nicht wirklich stabil. Es gibt schon bei der unprotonierten Essigsäure bzw. am Acetat-Anion eine gewisse Mesomerie zwischen den beiden O und die Ladung kann gut verteilt werden.
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Re: Titration schwacher Basen in wasserfreien Medien

Beitrag von lemmi »

Dazu passt, dass auch in reinem Acetanhydrid Autoprotolysen existieren. Da wird auch eine Carbonylgruppe protoniert.

Ich habe noch eine Beobachtung zur Redestillstion von Essigsäure zu berichten. Zu meinem Erstaunen hatte das Destillat meiner gesammelten Titrationsflüssigkeiten einen Erstarrungspunkt von 16 °C. Ich habe es nochmal destilliert, diesmal über eine Füllkörperkolonne. Gut 75 ml (von 345) gingen als Vorlauf über, bevor die Kopftemperatur 118 °C erreichte. Diese hatten einen Erstarrungspunkt von 15,4 °C, die Hauptfraktion dann den angestrebten von 16,6 °C.

Es wundert mich, dass "so viel" Wasser in den Ansatz gekommen ist! Es ist wahrscheinlich doch besser, den Überschuss an Acetanhydrid vor der Destillation nicht auszugleichen.
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Re: Titration schwacher Basen in wasserfreier Essigsäure

Beitrag von lemmi »

So, ich habe die Theorie in der Einleitung und die Entsorgung nochmal überarbeitet. Um klarzustellen dass das Ionenprodukt nicht die Gleichgewichtskonstante ist, aus der die pK- Werte abgeleitet werden habe ich das K dort kursiv geschrieben.
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Re: Titration schwacher Basen in wasserfreier Essigsäure

Beitrag von mgritsch »

Top, ich mag die Diskussion hier :) Das Thema so gründlich durchzudenken ist immer wieder gut.
Wenn du für das Acetacidium eine Grafik benutzen möchtest - bitteschön:
Acetacidium.png
Acetacidium.png (7.44 KiB) 2416 mal betrachtet
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lemmi
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Re: Titration schwacher Basen in wasserfreier Essigsäure

Beitrag von lemmi »

Ja, gerne :) , besten Dank!
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