Das Bariumsalz der komplexen Tetracyanoplatin(II)-säure, das bei Einwirkung von energiereicher Strahlung lebhaft gelbgrün fluoresziert, ist ein auch historisch interessantes Präparat. Im Jahre 1895 entdeckte der Physiker Wilhelm Röntgen (1845-1923) in Würzburg, dass ein mit “Bariumplatinzyanür“ beschichteter Karton in der Nähe einer Kathodenstrahlröhre aufleuchtete – und zwar auch dann, als diese in lichtundurchlässiges, schwarzes Papier eingehüllt war. Röntgen experimentierte weiter mit den Strahlen, die er X-Strahlen nannte, und beobachtete, dass die Knochen seiner Hand auf dem Fluoreszenzschirm einen Schatten warfen, wenn er die Hand zwischen die Strahlenquelle und den Schirm hielt. Seine Entdeckung dessen, was später im deutschen Sprachraum “Röntgenstrahlen“ genannt wurde, war nicht nur für die Physik spektakulär. Sie revolutionierte auch die Medizin - “das Röntgen“ ist heute aus der Diagnostik nicht mehr wegzudenken.
Überraschenderweise findet man zu diesem Präparat keine einfache, gut ausgearbeitete Syntheseanleitung. Brauer[1] schreibt, man solle “eine Lösung von Kaliumtetrachloroplatinat(II) unter einem gut ziehenden Abzug in eine konzentrierte Kaliumcyanidlösung“ einfließen lassen, als ob mit der Freitsetzung von Blausäure zu rechnen sei. Daraufhin kristallisiere Kaliumtetracyanoplatinat(II) aus, das dann auf nicht näher beschriebene Weise mit Bariumchlorid zum Bariumsalz umgesetzt werden soll. In Gmelin-Krauts Handbuch der anorganischen Chemie vn 1915 (V-3) werden nicht weniger als 6 Synthesewege genannt, die alle umständlich und unbequem sind (elektrolytische Oxidation von Platinblech in Ba(CN)2-Lösung, Einleiten von HCN-Gas in eine Mischung von BaCO3 und PtCl2, Kochen von Cu[Pt(CN)4] mit Ba(OH)2 etc.)[2].
Im Folgenden beschreibe ich meine Versuche, eine einfache und ergiebige Synthese auszuarbeiten. Die Ergebnisse der Experimente wurden nach der Versuchsbeschreibung in einer Syntheseanleitung zusammengeführt, die gesondert angegeben wird.
Material/Geräte:
Zweihals-Rundkolben 100 ml, Magnetheizrührer, Qucikfit mit Gaszuleitungsrohr, Gasableitungsrohr, Schläuche, Aquarien-Luftpumpe, Saugflasche mit Nutsche, Glassintertiegel G3, Pipetten, Messzylinder 50 ml,
Chemikalien:
Kaliumtetrachloroplatinat(II)



Kaliumcyanid


Bariumchlorid-Dihydrat

Ethanol


Methanol



Bariumtetracyanoplatinat(II)


Sicherheitshinweise:
Kaliumcyanid ist stark giftig und muss sehr vorsichtig gehandhabt werden. Bei dem Versuch können geringe Mengen Cyanwasserstoff freigesetzt werden, weswegen unter einem Abzug oder – wie hier – in einer geschlossenen Apparatur gearbeitet werden muss.
Versuchsdurchführung:
Zunächst wurden 4,15 g (10 mmol) Kaliumtetrachloroplatinat(II) unter Rühren in 30 ml Wasser gelöst. Mit einem Milliliter der Lösung wurde ein Reagenzglasversuch durchgeführt, indem vorsichtig, spatelspitzenweise festes Kaliumcyanid zugegeben wurde. Es trat eine Trübung auf, die beim Umschwenken verschwand und nach einiger Zeit entfärbte sich die Lösung völlig. Eine Gasentwicklung wurde nicht beobachtet und mit Reagenzpapier ließ sich kein Cyanwasserstoff nachweisen, jedoch trat eine erhebliche Erwärmung der Flüssigkeit auf.
Daraufhin wurde die gesamte Lösung in einen 100 ml Zweihalskolben gegeben, der auf dem Magnetrührer in ein Eiswasserbad gestellt wurde. Über den seitlichen Ansatz wurde mit Hilfe einer Luftpumpe ein Luftstrom in den Kolbenraum (nicht durch die Flüssigkeit!) geleitet und über einen Gasableitungsaufsatz mit Olive und Schlauch ins Freie abgeleitet. Dabei hatte ich eine Waschflasche (WF 1) mit etwas stark verdünnter Natronlauge zwischengeschaltet, um eventuell freiwerdenden HCN auffangen und später nachweisen zu können. Nun wurden im Laufe von 5 Minuten spatelweise 2,6 g (40 mmol) festes Kaliumcyanid zugegeben, indem der Gasableitungsstopfen gelüftet und nach jeder Zugabe wieder aufgesetzt wurde. Gegen Ende hellte sich die Flüssigkeit immer mehr auf und war zuletzt noch blassgelb gefärbt. Es wurde weiter spatelspitzenweise KCN zugesetzt, bis völlige Entfärbung eingetreten war (nochmals ca. 75 mg).
Die farblose Lösung wurde nun - immer im geschlossenen System - in einem Heißwasserbad (80-90 °C) erhitzt und 5 Minuten auf dieser Temperatur gehalten. Dann wurden 2,5 g (10 mmol) Bariumchlorid-Dihydrat in 4 ml Wasser heiß gelöst und auf einmal zugegeben. Es traten eine weiße Trübung und ein leichter weißer Niederschlag auf, woebi zunächst unkalr war, ob es sich schon um das Zielprodukt handelte. Die Lösung wurde auf Zimmertemperatur abkühlen gelassen und dann in den Kühlschrank gestellt. Nach einigen Stunden hatten sich gelbe, nadelförmige Kristalle am Gefäßboden abgesetzt. Beim Umrühren ließ sich aber immer noch ein feiner weißer Niederschlag aufwirbeln, während die ziemlich schweren gelben Kristalle sich rasch absetzten. Es wurde nun die überstehende, trübe Flüssigkeit durch einen Glasfiltertiegel abgesaugt. Das klare Filtrat wurde benutzt um das Präparat erneut aufzuschlämmen und die Prozedur wiederholt, bis die Mutterlauge sich beim Umrühren nicht mehr trübte. Dann wurde der gelbe Niederschlag abgesaugt, auf der Nutsche mit wenigen Millilitern kaltem Wasser und zweimal 5 ml Ethanol 96 % gewaschen und getrocknet.
Ausbeute I: 1,9 g gelbe, nadelförmige Kristalle
Die Mutterlauge, die gegen Lackmus alkalisch reagierte, wurde erneut in der geschlossenen Apparatur unter Rühren und Durchleiten von Luft für 15 Minuten im heißen Wasserbad erhitzt um das Ethanol auszutreiben, wobei eine leere Waschflasche (WF 2) in die Gasableitung eingeschaltet wurde, in der sich einige Milliliter eines klaren Destillates sammelten. Dann wurden in der heißen Mutterlauge weitere 5 g Bariumchlorid-Hexahydrat gelöst und die wasserklare Lösung abgekühlt. Diesmal begann schon beim Abkühlen im Kaltwasserbad eine Kristallisation. Nach mehrstündigem Stehen im Kühlschrank hatte sich ein Bodensatz aus feinen gelbgrünen Kristallen gebildet, der abgesaugt, mit wenig kaltem Wasser und Ethanol gewaschen und getrocknet wurde.
Ausbeute II: 2,15 g fluoreszierend gelbgrüne, feine Kristalle
Gesamtausbeute: 4,05 g (80 %)
Die Mutterlauge wurde erneut mit 2,5 g Bariumchlorid erhitzt, beim Abkühlen wurde jedoch keine weitere Kristallisation beobachtet. Daraufhin wurde die farblose, aber leicht trübe, Flüssigkeit filtriert und eingedampft, wobei ein hell gelbgrüner, kristalliner Rückstand erhalten wurde. Aus diesem wurde versucht, das verbliebene Platin in konzentrierter, schwach salzsaurer Lösung durch Zinkpulver auszuzementieren, was jedoch nicht gelang: es bildete sich ein weißgrauer Niederschlag (vermutlich Zinktetracyanoplatinat(II)), der sich in Salzsäure vollständig auflöste, so dass der Rückstand verworfen werden musste.
Die in den Waschflaschen enthaltenen Flüssigkeiten wurden auf Anwesenheit von Cyanwasserstoff geprüft, indem sie mit etwas festem Eisen(II)-sulfat und einigen Tropfen 3N Natronlauge versetzt und dann mit 6 N Salzsäure übersättigt wurden. Bei der Flüssigkeit aus der WF 1 trat eine hellblaue Färbung auf, jedoch kein Niederschlag, so dass hier geringe Mengen Cyanwasserstoff zurückgehalten worden waren. Die Flüssigkeit aus WF 2 ergab eine negative Reaktion.
Eigenschaften der Präparate :
Präparat 1 besteht aus feinen, kurzen, zitronengelben Nadeln, die unter UV 365 und 254 nm hell gelbgrün fluoreszieren und in Wasser eine farblose, diskret trübe Lösung geben. Eine Probe von 100 mg wurde im Reagenzglas mit einem Milliliter der Mutterlauge von der zweiten Kristallisation bis zur Lösung erhitzt und abgekühlt. Die Substanz schied sich in kleinen gelbgrünen Kriställchen wieder aus.
Präparat 2 besteht aus einem feinen, gelbgrünen Kristallpulver, dessen Farbe der eines Textmarkers oder einer Fluoreszeinlösung entspricht. Es fluoresziert im UV bei 365 und 254 nm ebenfalls hell gelbgrün. In Wasser gibt es eine farblose, völlig klare Lösung.
Beide Präparate sind in Ethanol (96%) nicht merklich löslich. Im Methanol lösen sie sich dagegen ziemlich gut und kristallisieren beim Verdunsten des Lösungsmittels wieder aus (probiert mit der gelben Varietät, Präparat 1: kleine, gelbe Kristalle).
Synthesevorschrift Barium-tetracyanoplatinat(II)
In einem 100 ml Rundkolben, der zur Kühlung in einem Eiswasserbad steht, legt man eine Lösung von 4,15 g (10 mmol) Kaliumtetrachloroplatinat(II) in 30 ml Wasser vor und trägt unter Rühren binnen etwa 5 Minuten 2,6 g (40 mmol) festes Kaliumcyanid ein. Die Lösung muss sich zuletzt vollständig entfärben, wenn nicht wird noch eine Spatelspitze Kaliumcyanid zugegeben. Die Reaktionsmischung wird nun im Heißwasserbad auf 80-90 °C erhitzt (Abzug oder geschlossenes System mit Gasableitung!), zunächst unter Rühren 1 g Bariumchlorid-Dihydrat zugegeben und beobachtet, ob eine weiße Trübung auftritt (Bariumcarbonat). Ist dies der Fall, wird heiß über einen Glasfiltertiegel abgesaugt und mit 3-4 ml heißem Wasser nachgewaschen In dem wasserklaren Filtrat wird zunächst der pH-Wert geprüft und gegebenenfalls mit einigen Tropfen Bariumhydroxidlösung leicht alkalisch eingestellt. Dann werden weitere 6,5 g Bariumchlorid (im Ganzen 30 mmol) heiß darin gelöst, die Lösung in kaltem Wasser abgekühlt und für einige Stunden in den Kühlschrank gestellt. Das ausgefallene Produkt wird abgesaugt, mit wenigen ml kaltem Wasser sowie mit Ethanol gewaschen und getrocknet. Ausbeute 4,0-4,1 g (ca. 80 % der Theorie) gelbgrünes feinkristallines Pulver oder gelbe nadelige Kristalle. Die Ausbeute kann erhöht werden, indem man die Mutterlauge eindampft, den trockenen Rückstand mit Methanol auszieht und diesen abdampft. Sollte die zweite Fraktion überschüssiges Kaliumcyanid erhalten, kann aus 15-20%iger, leicht alkalisch eingestellter Bariumchloridlösung umkristallisiert werden.
(Diese Vorschrift ist eine Synthese aus den oben beschrieben Versuchen und wurde in dieser Form nicht durchgeführt, sollte aber funktionieren)
Entsorgung:
Die Mutterlauge sowie das Produkt kommen zu den anorganischen Abfällen
Erklärungen:
Die Substitution von Chlorid durch Cyanid im Tetrachlorplatinat(II) geht in wässriger Lösung offenbar schnell und quantitativ vor sich:
K2[PtCl4] + 4 KCN ---> K2[Pt(CN)4] + 4 KCl
Molmasse Kaliumtetrachloroplatinat(II): 415,1 g/mol
Molmasse Kaliumcyanid: 65,1 g/mol
Das Kaliumtetracyanoplatinat(II) wird dann mit Bariumchlorid umgesetzt:
K2[Pt(CN)4] + BaCl2 ---> Ba[Pt(CN)4] + 2 KCl
Molmasse Bariumchlorid-Dihydrat: 244,3 g/mol
Molmasse Bariumtetracyanoplatinat(II)-Tetrahydrat: 508,5 g/mol
Da Kaliumcyanid häufig etwas Kaliumcarbonat enthält, kann dabei schwerlösliches Bariumcarbonat ausfallen, von dem abgesaugt werden muss, bevor man das “Bariumplatinzyanür“ auskristallisieren lässt.
Bariumtetracyanoplatinat(II) kristallisiert mit 4 Mol Kristallwasser (Ba[Pt(CN)4] + 4 H2O), die beim Erhitzen abgegeben werden, wobei das Salz weiß wird (ausprobiert). Es löst sich nach Literaturangaben zu 3 g in 100 ml Wasser, in Bariumchloridlösung ist es schwer löslich.[3] Laut Gmelin-Kraut[2] existiert es in zwei Varietäten, die ich offenbar auch im Rahmen meiner Versuche erhalten habe. Die eine ist gelb, die andere gelbgrün gefärbt. Erstere soll sich eher aus neutralen oder sauren, letztere eher aus schwach alkalischen oder Ba(CN)2 enthaltenden Lösungen ausscheiden. Beide lassen sich ineinander überführen. Für Fluoreszenzschirme und Spinthariskope wurde die grüne Form bevorzugt. Der Komplex scheint ziemlich stabil zu sein, da aus der Lösung des Salzes mit Zink kein Platin abgeschieden werden kann, was mit Tetrachloroplatinat(II) ohne weiteres gelingt.
Literatur:
1. Georg Brauer (Hrsg.): Handbuch der präparativen anorganischen Chemie; Ferdinand Enke Verlag Stuttgart 1975: S. 1721
2. Gmelin-Krauts Handbuch der anorganischen Chemie; 7. Auflage Band V Abteilung 3, Carl Winters Universitätsbuchhandlung Heidelberg 1915: S. 844 – 847
3. Ludwig Vanino: Handbuch der präparativen Chemie; Verlag von Ferdinand Enke Stuttgart 1913: Band 1 S. 382
Bilder:
Ausgangsstoffe: Kaliumtetrachloroplatinat(II)-lösung und abgewogenes Kaliumcyanid resp. Bariumchlorid
die verwendete geschlossene Apparatur
Entfärbung der Kaliumtetracyanoplatinat(II)-Lösung unter Zugabe von Kaliumcyanid
Trübung nach Zugabe von Bariumchlorid
Auskristallisieren der ersten Fraktion, Absaugen
Abdampfen des Ethanols aus der Mutterlauge
die Präparate 1 (kleines RG) und 2 (großes RG] bei Tageslicht und im UV. Der Farbunterschied kommt auf den digitalen Bildern nicht so gut heraus. In Wirklichkeit ist das Präparat 2 “neongrün“ gefärbt.
nur schwach positive Berlinerblau-Reaktion im Wasser aus der Waschflasche 1