Galläpfel, Tannin und Tinte

Wissenschaftliche Experimente von besonderem historischem Interesse.

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lemmi
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Galläpfel, Tannin und Tinte

Beitrag von lemmi »

Galläpfel, Tannin und Tinte

Bei einem Waldspaziergang im Mai fielen mir zahlreiche unregelmäßig geformte knollige Gebilde auf, die unter einer Eiche verstreut lagen. Ein kleiner Reagenzglasversuch zeigte, dass diese reichlich Gerbsäure enthalten: ein Stückchen davon in der Reibschale gepulvert, im Reagenzglas mit Wasser geschüttelt und mit einem Tropfen Eisenchloridlösung versetzt ergibt eine tiefschwarze Flüssigkeit. Es handelt sich um sogenannte Schwammgallen, die durch das Insekt Biorhiza pallida an den jungen Trieben der Stieleiche (Quercus robur L.) ausgelöst werden. Der Fund führte mich zu einer näheren Beschäftigung mit der Chemie der Gerbstoffe. Außerdem wollte ich die Darstellung der klassischen Eisengallustinte ausprobieren. Die Ergebnisse sind im Folgenden niedergelegt.


Material/Geräte:

Waage, Reibschale und elektrische Mühle, Sieb, gerader Tropftrichter 250 ml (als Perkolator), Tropftrichter 100 ml, Rundkolben 1 l, Flasche 1 l, Glaswolle, Glaskugeln, Scheidetrichter 500 ml und 250 ml, Glasschale 750 ml, Wasserbad, Ventilator, Kolben und Bechergläser verschiedener Größe, Messzylinder 100 und 250 ml, Porzellanschale 250 ml; Reagenzgläser, Tropfpipetten, Glasstab


Chemikalien:

Galläpfel
Diethylether Warnhinweis: fWarnhinweis: attnWarnhinweis: n
Ethanol 96%, unvergällt Warnhinweis: fWarnhinweis: attn
Aktivkohle
Eisen(III)-chloridlösung 10% Warnhinweis: cWarnhinweis: attn
Blei(II)-acetat-2-Hydrat Warnhinweis: xnWarnhinweis: n
Natriumacetat-3-Hydrat
Eisen(II)-sulfat Warnhinweis: attn
Gallussäure Warnhinweis: attn
arabisches Gummi Warnhinweis: attn
Schwefelsäure Warnhinweis: c
Phenol Warnhinweis: tWarnhinweis: cWarnhinweis: xnWarnhinweis: n
Tannin (Gerbsäure) Warnhinweis: attn
Eisengallustinte Warnhinweis: attn


Sicherheitshinweise:

Vorsicht beim Hantieren mit Ether, insbesondere auch beim Einengen des etherhaltigen, wässrigen Auszuges wegen der hohen Entflammbarkeit der Dämpfe! Es dürfen sich keine offenen Flammen im Raum befinden!


Versuchsdurchführung:


1. Ausgangsmaterial: Galläpfel

Ich hatte zwei Sorten Gallen als Ausgangsmaterial zur Verfügung:

Galläpfel 1.jpg
Abb. links: levantinische Galläpfel - rechts: selbst gesammelte Eichenschwammgallen

Die von mir unter der Eiche aufgelesenen Schwammgallen sind ovaläre, 20-40 mm große, unregelmäßig geformte und relativ leichte Gebilde mit einer schwammartigen Struktur, die an einer Seite eine nabelartige Einziehung, manchmal noch mit einem Rest des Zweiges, an dem sie saßen, aufweisen. Die Oberfläche zeigt zahlreiche feine Löcher, die Fluglöcher der aus der Galle ausgeschlüpften Insekten.

Eichengallen.jpg

Zur Darstellung von Tannin (Synonym: Gerbsäure) sowie der Eisengallustinte werden jedoch seit Jahrhunderten Galläpfel der im nahen Osten und dem östlichen Mittelmeerraum beheimateten Eichenart Quercus infectoria L. verwendet, die im Drogenhandel erhältlich sind. Diese sogenannten levantinischen Galläpfel sind kugelig, 15-25 mm im Durchmesser groß, ziemlich schwer und hart, von hellbrauner Farbe und besitzen kleine, spitze warzenartige Fortsätze auf der Oberfläche. Fast alle tragen ein 2-3 mm großes kreisrundes Loch – die Ausflugsöffnung der Gallwespe (Cynips tinctoria Hartig) nach Abschluss ihrer Entwicklung. Sie enthalten bis zu 60 % Gerbsäure und waren auch im Deutschen Arzneibuch bis zur 6. Ausgabe geführt.

Gallae.jpg

Sägt man die Galläpfel auf, so findet man in denjenigen ohne Flugloch die mumifizierten Überreste der Gallwespenlarve resp. ihrer Puppe, in denen mit Flugloch nur einen kleinen kugeligen Hohlraum vor.

Gallae, eröffnet.jpg

Zur Bestimmung des Gerbstoffgehaltes gibt es in der älteren Literatur zahlreiche Vorschriften. Ich habe zwei semiquantitative Methoden ausprobiert, die eine Art Grenzprüfung darstellen: wenn sie positiv ausfallen, ist der im Arzneibuch geforderte Mindestgehalt an Tannin als gegeben anzusehen.


a) Methode nach Pharmacopoea Helvetica V[3a] :

0,1 g der gepulverten Galläpfel werden mit 100 ml lauwarmem Wasser für 20 Minuten gerührt. Von dem filtrierten wässrigen Extrakt werden 0,5 ml mit 10 ml Wasser verdünnt und 2 Tropfen Eisen(III)-chloridlösung zugefügt. Es muss eine “deutlich erkennbare“ Blaufärbung auftreten.
Meine (gekauften) Galläpfel hielten diese Probe. Die Eichengallen ergaben nur eine ganz blasse, sicher nicht deutliche, Reaktion.

Grenzprüfung Ph. Helv V.jpg
Abb: Reaktion mit Eisen(III)-chlorid – links Eichengallen, rechts levantinische Galläpfel


b) Methode nach FUCHS, ICHTEL und HÄRING (ÖAB 9) [6] :

1 g des gepulverten Untersuchungsgutes werden mit 50 ml Wasser im siedenden Wasserbad extrahiert, abfiltriert und der Rückstand erneut mit 50 ml Wasser extrahiert und filtriert. Unter nachwaschen des Filters wird auf 100 ml aufgefüllt.
4,0 ml des wässrigen Extraktes werden mit 3,0 ml Natriumacetatlösung (1,66 g in 10,0 ml) und 0,6 ml Bleiacetatlösung (0,2 g in 10 ml) vermischt und drei Minuten im siedenden Wasserbad erwärmt. Nach dieser Zeit wird abgekühlt, zentrifugiert und 2,0 ml des klaren Überstandes erneut mit 0,1 ml Bleiacetatlösung vermischt und im Wasserbad erhitzt. Es muss binnen drei Minuten eine deutliche Trübung auftreten.
Auch hier zeigten die levantinischen Galläpfel die geforderte Reaktion, die Eichengallen dagegen nicht (zu geringer Gerbstoffgehalt)

Grenzprobe 2.2.jpg
Abb. Wertprüfung mit Bleiacetatlösung; links Eichengallen, rechts käufliche Galläpfel


2. Isolierung von Tannin (Gerbsäure) aus Galläpfeln [1],[3a]

Die Galläpfel werden mit dem Hammer in Stücke geschlagen (in ein Tuch einwickeln) und dann in einer elektrischen Kaffeemühle zu Pulver zermahlen, das mit Hilfe eines feinen Siebes von Groben Teilchen getrennt wird (diese werden erneut in die Mühle gegeben). 50 g des Galläpfelpulvers werden mit 50 g gewaschenem, trockenem Seesand gut vermengt und im Perkolator extrahiert. Als Extraktionsmittel dient ein Gemisch aus 600 ml Diethylether und 150 ml Ethanol 96 %. Als Perkolator kann ein ausreichend großer, zylindrischer Tropftrichter dienen: man gibt in diesen zunächst einen Bausch Glaswolle, darauf eine Schicht Glaskugeln (oder Siedesteine) und dann das Extraktionsgut, wobei dieses in kleinen Portionen eingefüllt und immer gut mit Lösungsmittel durchfeuchtet wird, so dass möglichste keine Luftblasen eingeschlossen werden. Zuletzt wird wieder mit Glaswolle und einer Lage Glaskugeln abgeschlossen. Die befüllte Apparatur bleibt eine Stunde lang verschlossen stehen, dann wird mit der Gesamtmenge des Extraktionsmittels perkoliert, so dass pro Minute etwa 3 ml Extrakt ablaufen. Die Perkolation - ich hatte nur 675 ml Extraktionsflüssigkeit zur Verfügung - dauerte bei mir im Ganzen 3 Stunden. Erhalten wird ein nahezu klares, goldgelbes Extrakt.

Das etherisch-alkoholische Perkolat wird dann in Portionen mit insgesamt 600 ml Wasser ausgeschüttelt und die wässrigen Phasen – die auch das Ethanol aus der organischen Phase aufnehmen - asserviert. Da mein größter Scheidetrichter nur 500 ml fasst, bin ich folgendermaßen vorgegangen: die erste Hälfte des Extraktes wurde mit zweimal 125 ml und einmal 100 ml Wasser ausgeschüttelt und die letzte Portion zur ersten Ausschüttelung der zweiten Hälfte des etherischen Extraktes verwendet, das anschließend noch zweimal mit je 125 ml Wasser ausgeschüttelt wurde. Jedes Ausschütteln dauerte 2 Minuten, die Phasentrennung erfolgte rasch und glatt. Erhalten wurden rund 750 ml einer leicht trüben, dunkelgelben Flüssigkeit. Der zurückgebliebene, dunkelgelbe Ether (ca. 400 ml) wurde über Nacht über reichlich festem KOH stehen gelassen, abgegossen und durch Destillation zurückgewonnen.

Der wässrige Auszug wird dann in einer großen Glasschale, die über einem siedenden Wasserbad hängt, portionsweise bis auf 100 ml eingeengt. Dabei tritt initial leichtes Aufsieden ein, indem gelöstes Ethanol und Ether verdampfen, weshalb die Prozedur bei guter Lüftung erfolgen muss. Ein Ventilator, der einen leichten Luftstrom über der Flüssigkeitsoberfläche erzeugt, beschleunigt das Eindampfen. Bei meinem Versuch dauerte es 2½ Stunden.

Das eingeengte, dunkelgelbe, trübe, wässrige Extrakt wird dann erneut mit 50-60 ml Ether ausgeschüttelt, der sich dabei erneut gelb verfärbt. Die wässrige Phase wird abgelassen und mit ca. 3 g gepulverter Aktivkohle unter gelegentlichem Umschütteln in einem geschlossenen Kolben 3 Tage stehen gelassen. Danach wird durch eine Nutsche abgesaugt und die klare, noch hellgelbe Flüssigkeit in einer Porzellanschale wieder auf dem siedenden Wasserbad eingedampft, wobei zuletzt mit einem Glasstab gerührt wird, bis der braune, pastös-klebrige Rückstand trocken ist. Zuletzt lässt man über Nacht im Exsikkator stehen, dann wird der Rückstand aus der Schale gekratzt und in der Reibschale fein gepulvert.

Erhalten wurden knapp 20 g eines beigefarbenen, in Wasser klar löslichen Pulvers

Um die Bildung von Fällungen mit Alkaloiden zu prüfen, wurden je eine Spatelspitze verschiedener Alkaloidsalze in 3 ml Wasser gelöst und mit 0,5 ml einer Lösung einer Reagenzglasrundung des erhaltenen Tannins in 5 ml Wasser versetzt. Mit Coffein, Chinin und Nikotin ergaben sich dichte Niederschläge, mit Strychnin nur eine opaleszierende Trübung. Mit Atropin und Codein blieb die Fällungsreaktion aus.


3. Herstellung von Eisengallustinte

Zur Herstellung von Tinte wurden zwei verschiedene Verfahren ausprobiert. Das erste Rezept stammt aus der Renaissance. Es ist dem “Illuminierbuch“ des Valentinus Boltz aus dem Jahre 1549 entnommen[2] und soll hier zunächst im Original wiedergegeben werden:

Illuminierbuch 1.1.jpg
Illuminierbuch 1.1.jpg (99.74 KiB) 4089 mal betrachtet
Illuminierbuch 2.1.jpg
Illuminierbuch 2.1.jpg (79.45 KiB) 4089 mal betrachtet

Nach der Vorschrift soll man ein halbes Maß Wasser mit zwei Viertel (also auch einem halben) Maß Essig mischen. Ein Maß war in Südbaden und der Schweiz (das Illuminierbuch wurde in Basel veröffentlicht) 1,5 heutige Liter, ein Lot waren in der gleichen Gegend 15,625 heutige Gramm (Wikipedia). Unter der Annahme, dass ein “guter starcker wysser Essich“ maximal 6-7 % Essigsäure enthält, habe ich mir 150 ml 3,5%ige Essigsäure hergestellt.
Das Rezept schreibt 6 Loth Galläpfel vor. Das entspricht auf 150 ml Flüssigkeit 9,735 g (ich habe die kleinasiatischen Galläpfel genommen, die ich auch zur Tannindarstellung benutzt hatte), die in einem Erlenmeyerkolben mit 75 ml der verdünnten Essigsäure übergossen wurden. Ebenso wurden in kleinen Bechergläsern je 6,25 g “Victriel“ (Eisen(II)-sulfat) und 6,25 g in der Reibschale gepulvertes Gummi arabicum mit jeweils der Hälfte der anderen 75 ml Essigsäure übergossen. Die Gefäße wurden abgedeckt und unter täglichem Umrühren 5 Tage stehen gelassen. Dabei färbte sich die Flüssigkeit im Galläpfelmazerat zunehmend gelbbraun, die Eisensulfatlösung nahm einen rotgelben Farbton an und das Gummiarabikum löste sich binnen 24 Stunden zu einer viskösen Flüssigkeit, die sich - durch mit dem Rühr“stecklin“ (Glasstab) eingeschlepptes Eisen – rasch dunkel färbte.

Nach 5 Tagen wurde der Galläpfelansatz langsam mit dem Spiritusbrenner bis kurz vor dem Sieden erhitzt, abkühlen gelassen und durch ein mit einem Baumwolltuch (altes dünnes Kuchenhandtuch) ausgelegten Sieb gegossen und etwas ausgepresst. Das Filtrat wurde mit den beiden anderen Flüssigkeiten vermischt. Es entstand eine tiefschwarze Mischung, die 4 Tage in einem Messzylinder absitzen gelassen wurde - wobei sich ein erheblicher, schlammiger schwarzer Bodensatz bildete - dann wurde dekantiert und der tiefschwarze Überstand (mit 0,15 g Phenol konserviert) als Tinte verwendet.

Das zweite Rezept, die “bessere Gallus-Kanzleitinte“, ist HAGERS Handbuch der pharmazeutischen Praxis entnommen[3b], wobei das Werk sich auf einen Autor namens Dieterich beruft:
In einem 100 ml-Kolben wurden 50 ml Wasser vorgelegt und 0,19 ml (= 0,35 g) Schwefelsäure zugesetzt. Dann wurden 3,75 g Tannin, 1,25 g Gallussäure und 5,0 g Eisen(II)-sulfat zugegeben und für 30 Minuten unter Ersatz des verdampfenden Wassers gekocht. Die schwarzblaue Mischung wurde 2 Tage stehen gelassen, dann filtriert und unter Nachwaschen des Filters (in dem kein sichtbarer Rückstand zurückblieb) auf 50,0 ml aufgefüllt. Dieser “Tannin-Tintenkörper“ wurde in einer eigenen Flasche aufbewahrt.

Tintenbereitung: In einem Becherglas wurden 70 ml Wasser mit 2 g gepulvertem Gummi arabicum verrührt, aufgekocht, 30,0 ml Tintenkörper zugegeben und 15 Minuten unter Ersatz des verdampfenden Wassers gekocht. Nach dem Abkühlen wurden 0,1 g Phenol zugegeben und die fertige Tinte nochmals filtriert.


Schreibversuche :

Die Kanzleitinte gibt, mit einer Bandzugfeder verschrieben, eine dunkelgraue Schrift, die binnen Sekunden nachdunkelt und im Laufe von wenigen Minuten tiefschwarz wird. Die Tinte des Illuminierbuches setzt auch nach mehrfachem Dekantieren immer wieder einen Bodensatz ab, ist von Anfang an dunkler und gibt ebenfalls eine tiefschwarze Schrift. Die Schriftzüge sind vollkommen wasserfest: legt man die 2 Stunden getrocknete Schrift in eine Glasschale mit Wasser, so verschwimmt die Schrift kein bisschen. Mit gewöhnlicher blauer Füllfederhaltertinte geschriebene Worte dagegen waschen sich in Wasser vollkommen aus. Durch Bepinseln mit 1N Oxalsäure (oder Einlegen in 1 N Salzsäure) verblasst die Schrift rasch praktisch vollständig.

Die Tinte des Illuminierbuches fließt etwas besser aus der Feder, als die Kanzleitinte nach Hager. Das liegt vermutlich an dem gut doppelt so hohen Gehalt an Gummi arabicum, welches die Oberflächenspannung des Wassers beeinflusst. Man könnte die Kanzleitinte aber problemlos mit 3-4 g desselben auf 100 ml zubereiten. Die Kanzleitinte lässt sich auch in einem Füllfederhalter verwenden, da sie auch bei längerem Stehen keine Ausflockungen bildet. Die Schriftzüge, die relativ dünn sind, werden nicht ganz so tiefschwarz wie mit der Feder geschrieben, aber immer noch sehr dunkel. Hager gibt an, dass die Menge des “Tintenkörpers“ zwischen 20 und 40 % (“einfache Kanzleitinte“ mit 20 %, “bessere Kanzleitinte“ mit 30 % und “Dokumententinte“ mit 40 %) des Gesamtvolumens variiert werden kann. Hier wurde der mittlere Wert verwendet.

Des historischen Bezuges wegen habe ich auch versucht, mit einer zugeschnittenen Vogelfeder zu schreiben, damit aber keine schönen Ergebnisse erzielt. Die Federkiele splitterten und es ist mir nicht gelungen, eine ausreichend scharfe Schreibkante zu erzeugen. Das letzte Foto hat daher rein illustrativen Charakter.


Entsorgung:

Die organischen Rückstände sowie das Produkt können über Hausmüll und Abwasser entsorgt werden. Auch ungebrauchte Tinte kann über das Abwasser entsorgt werden. Die bleihaltigen Untersuchungslösungen der Grenzprüfung kommen zum Schwermetallabfall. Die Lösungsmittelrückstände werden recycelt.


Erklärungen:

Weltweit legen verschiedene Insekten ihre Eier in die Blattadern oder Knospen bestimmter Pflanzen (meist Bäume oder Sträucher) und bewirken eine tumoröse Gewebewucherung, in deren Innerem sich die Entwicklung der Larve sowie die Verpuppung vollzieht. Diese Gebilde, die sich in Europa neben den Eichen auch z.B. an Rosen oder Buchen finden, werden Gallen, wenn sie kugelig sind auch Galläpfel, genannt. Gallen enthalten größere Mengen an Tanninen, die als Hauptbestandteil Gallussäure, oder deren Dimer, die Ellagsäure enthalten und deshalb manchmal Gallotannine oder Ellagitannine genannt werden. [4] Tannine sind auch die ausschlaggebenden Inhaltsstoffe vieler Arzneipflanzen (Brombeerblätter, Frauenmantelkraut, Hamamelisrinde, Rathaniawurzel) und kommen in kleinen Mengen in zahlreichen anderen Pflanzen vor.
FormelnGallussäure.jpg
Formeln Ellagsäure.jpg
FormelnGallusgerbstoffe.jpg
Die “Gerbsäure“ bzw. das Tannin früherer Arzneibücher ist kein einheitlicher Stoff. Es handelt sich um Ester der Gallussäure mit Glukose, die ganz unterschiedlich gebaut sind. Da sich Tannine hydrolytisch in Gallussäure und Zucker spalten lassen (Darstellung von Gallussäure!), spricht man hier auch von “hydrolysierbaren Gerbstoffen“. Tannin löst sich leicht in niedrigen Alkoholen und Wasser, nicht jedoch in Ether. Nach der Perkolation mit einem Ethanol-Ether-Gemisch lässt es sich quantitativ mit Wasser ausschütteln, während Verunreinigungen im Ether zurückbleiben. Diese ältere Methode ist weniger aufwändig als die von Stahl beschriebene, bei der ein methanolischer Extrakt aus Galläpfeln (Soxhlet-Extraktion 2 Tage!) zunächst eingeengt und dann mit Ether ausgeschüttelt wird. Die Ausbeute bei meinem Versuch war suboptimal (erwartbar gegen 30 g), was zum einen an der etwas zu geringen Menge an Perkolationsflüssigkeit liegen dürfte, zum anderen wäre es vermutlich günstiger gewesen, das Material vor der Perkolation etwas länger zu mazerieren.

Neben den Tanninen gibt es noch zwei weitere Gerbstofftypen: Catechingerbstoffe, die sich vom Flavan-3-ol und Flavan-3,4-diol ableiten und die sogen. Lamiaceengerbstoffe, die sich von der Kaffeesäure ableiten und (wie der Name sagt) vor allem in Lippenblütlern vorkommen. Schwarzer Tee, der gerade in Chemie-Experimentierbüchern oft als Gerbstoffquelle genannt wird, gehört zu einem Mischtyp. Der hauptsächlich in ihm enthaltene Gerbstoff ist Galloyl-3-catechin.[4]
Nur Gallussäure bzw. die Tannine bilden mit Eisen(III)-salzlösungen tief-blauschwarze Komplexverbindungen, während Catechingerbstoffe eine grünliche Farbe geben. Gemeinsam ist allen Gerbstoffen, dass sie Eiweiß denaturieren und z.B. in Gelatinelösungen eine Fällung hervorrufen (daher die Verwendung zum Gerben tierischer Häute zu Leder), wobei die Tannine wirksamer sind als die Catechin- und diese wirksamer als die Lamiaceengebstoffe. Weiter bilden Gerbstoffe mit zahlreichen (aber - wie die Versuche zeigen - nicht mit allen) Alkaloiden unlösliche Niederschläge. Eine Coffein- oder Chininlösung kann daher als Gruppenreagenz auf Gerbstoffe verwendet werden.[4]

Die Eisengallustinte war schon den alten Griechen und Römern bekannt. Sie wurde in einem Papyrus aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. nachgewiesen und Gaius Plinius Secundus (23-79 n. Chr.) beschrieb in seinem Werk Naturalis Historia ein mit Galläpfelextrakt imprägniertes Reagenzpapier zum Nachweis von Vitriol (Eisensulfat), das damals zur Verfälschung des Handelsproduktes Grünspan verwendet wurde. Damit ist der Eisennachweis mit Gerbsäure die älteste historisch dokumentierte chemische Nachweisreaktion überhaupt![5]

Da es sich bei dem schwarzen Farbstoff um eine Komplexbildung mit dreiwertigem Eisen handelt, zur Tintenherstellung aber Eisen(II)-salze verwendet werden, ist die Tinte zunächst ziemlich blass. Ein wenig Eisen(III) bildet sich während des Herstellungsvorganges durch Luftoxydation - bei der Tintenbereitung nach dem Illuminierbuch entsteht durch das Stehenlassen der essigsauren Eisensulfatlösung an der Luft mit der Zeit rotes Eisen(III)-acetat. Daß der Hauptanteil des Eisens in der zweiwertigen Form vorliegt, ist erwünscht, weil der in kleinen Mengen kolloid lösliche Eisen(III)-Komplex in höherer Konzentration ausfällt und die Schreibfedern verstopft. Die Hauptmenge des schwarzen Farbstoffs wird erst auf den Papier nach dem Schreiben durch Luftoxidation gebildet. Dadurch dunkeln die Schriftzüge nach (im Video gut zu erkennen). Der wasserunlösliche Komplex bindet fest an die Zellulosefasern des Papiers und gibt sehr beständige, lichtechte und gegen Auswaschen geschützte Schriftzüge. Dokumente aus dem Altertum und vor allem dem Mittelalter (im Altertum wurde mehr mit Rußtinte, einer Art Tusche, geschrieben) haben sich dank der Beständigkeit der Eisengallustinte bis in unsere Tage klar leserlich erhalten. Allerdings kann je nach Beschaffenheit des Papiers und Güte der Tinte der sogenannte “Tintenfraß“ auftreten: wenn die Tinte zu viel freie Säure enthält, kann sie im Laufe der Zeit das Papier angreifen und die Schriftzüge fallen wie ausgestanzt aus dem Blatt heraus bzw. das ganze Papier zerfällt. Kleine Säuremengen werden durch das in gutem Papier enthaltene Calciumcarbonat neutralisiert.

Gummi arabicum ist ein polymeres Kohlenhydrat, das sich in Wasser kolloid löst und dazu beiträgt, den gebildeten Eisen-Tannin-Komplex in Lösung zu halten. Außerdem beeinflusst es das Fließverhalten der Tinte und verleiht dem Geschriebenen einen leichten Glanz. Das längere Kochen hat wahrscheinlich mehrere Funktionen: durch den Zusatz von Säure wird ein Teil des Tannins gespalten, ein Teil des gebildeten Eisen(III) wird zu Eisen(II) reduziert und schließlich wird die verderbliche Mischung sterilisiert.[5] Ältere Rezepte geben einen Zusatz von Holzessig (ein Essigsäure, Methylalkohol und Phenole enthaltendes, trockenes Destillat aus Holz) zur Konservierung an. Im 19 Jahrhundert wurde stattdessen Phenol eingeführt.

Die Struktur des Eisen(III)-Gallussäure-Komplexes wurde erst zum Ende des letzten Jahrhunderts aufgeklärt.[5] Jedes Eisenatom ist über 6 Koordinationsstellen mit vier Gallussäuremolekülen koordiniert. An zwei cis-ständigen Bindungsstellen setzt ein Carboxyl-Sauerstoff an, während die anderen vier Bindungsstellen durch je zwei benachbarte OH-Gruppen der Gallussäure besetzt werden. Es liegt somit auch hier die bekannte Oktaederstruktur der Übergangsmetallkomplexe vor. Dadurch, dass jedes Gallussäuremolekül wieder mit seinem anderen Ende ein Eisenatom koordiniert, resultiert letztendlich ein 1:1-Verhältnis der Komplexpartner.

Komplexstruktur.jpg
Abb.: Struktur des Eisen(III)-Gallussäure-Komplexes (aus [5])


Bilder:

Perkolation 2.jpg
Perkolation des Galläpfelpulvers

Galläpfelextrakt.jpg
Das etherisch-alkoholische Perkolat

Ausschütteln 1.jpg
Ausschütteln mit Wasser

Eindampfen 1.jpg
Eindampfen des wässrigen Auszugs

Ausschütteln des Extraktes.jpg
Ausschütteln des konzentrierten Auszugs mit Ether

Behandeln mit Aktivkohle.jpg
Reinigung mit Aktivkohle – Absaugen

Eindampfen 2.jpg
Eindampfen

Trocknen.jpg
Trocknen des Tannins

Präparat.jpg
Produkt: Tannin (Gerbsäure)

Alkaloide und Gerbsäure.jpg
Fällungsreaktion von Tannin mit Alkaloiden (v.l.n.r. Atropinsulfat, Chininhydrochlorid, Codeinphosphat, Coffeincitrat, Nikotin und Strychninnitrat)

Tinte nach Illuminierbuch 1.jpg
Ansetzen der Tinte nach dem “Illuminierbuch“ von 1549

Tintenkörper nach Diederich1.jpg
Kochen des “Tintenkörpers“ nach Dieterich/Hager



Schreibvorgang mit der Kanzleitinte

Tinte in Wasser.jpg
mit königsblauer Füllfedertinte und Eisengallustinte geschriebener Text, in Wasser gelegt

Tinte mit Oxalsäure.jpg
Mit Eisengallustinte geschriebener Text, rechts mit 1N Oxalsäure betupft

Tinten.jpg
Hommage an die Schreiber der Jahrtausende (in dem Flakon links befindet sich die Tinte nach dem Illuminierbuch)


Literatur:

1. Winterfeld, Karl: Praktikum der organisch-präparativen pharmazeutischen Chemie; 5. Auflage 1960, Verlag von Teodor Steinkopff Leipzig; S.277 ff.
2. Illumi-/nier Buch – wie man al/lerlei farben bereitte, mischen, schattieren unnd ufftragen soll. Allen jungen / angehenden Molern und Illumi-/nisten, nutzlich und fürderlich. Mit flyß / und arbeit ersucht, geübt und zusam-/menbracht. Durch Valentinum / Boltz von Ruffach. Gott zu / Ehren und dem nech-/sten menschen / nutzlich. Gedruckt zu Basel by / Jacob Kündig. / Im Jar MDXLIX
Nach der ersten Auflage von 1549 herausgegeben, mit Einleitung und Register versehen von Dr. C.J.Benzinger in Bern; Verlag Georg D.W.Callwey, München 1913. (Reprint 1982: ISBN 35000303307; S. 114-115)
3. Frerichs G, Arends G, Zörnig H: Hager´s Handbuch der Pharmazeutischen Praxis; 2. berichtigter Neudruck 1949, Springer-Verlag Berlin-Göttingen-Heidelberg;
a) Band 1 S. 1331-1333
b) Band 2 S. 1085-1086
4. Dingermann Th, Hiller K, Schneider G und Zündorf I: Schneider – Arzneidrogen; 5. Auflage 2004, Nachdruck 2011; Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg; ISBN 978-3-8274-2765-6; S. 305-311
5. Wunderlich Chr-H: Geschichte und Chemie der Eisengallustinte und Struktur des Eisen(III)-Gallussäure-Komplexes; Diplomarbeit im Fach Chemie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Bonn 1990 (online-link)
6. Wichtl, Max: Die pharmakognostisch-chemische Analyse – Untersuchung und Wertbestimmung von Drogen und galenischen Präparaten; Akademische Verlagsgesellschaft Frankfurt am Main 1971; ISBN 3-400-00053-1; S. 315-318
"Alles sollte so einfach wie möglich gemacht werden. Aber nicht einfacher." (A. Einstein 1871 - 1955)

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aliquis
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Re: Galläpfel, Tannin und Tinte

Beitrag von aliquis »

Da ist ja unser Rätselstoff!
Wow, das ist ja mal wieder nicht weniger als eine kleine wissenschaftliche Abhandlung. Immer wieder beeindruckend, mit welcher Mühe und Akribie Du dabei bist. :thumbsup:
Ich mag vor allem die historischen Quellen und Aspekte.

Eisengallustinte gehörte in meiner Jugend zu den ersten eigenen Experimenten (als simple Propierglasreaktion zwischen Eisen-III-chlorid und Gerbsäure).

Interessant fände ich, ob ein mit Aktivkohle entfärbter kräfiger Rotwein auch eine blauschwarze Färbung ergäbe. Doch leider kann ich diesen Test nicht selbst durchführen: ich bevorzuge Weisse und tanninarme Rote...
Mit schwarzem Tee klappt das gut.

Kann es sein, dass Anfang der 80er noch Phenoltinten verwendet wurden? Ich meine, dass mein damaliger Schreiblernstift ("Inki") immer ein wenig nach Krankenhaus roch. Vll. täuscht mich aber auch die Erinnerung...

Selber (Geheim-)Tinten und Tintenkiller basteln, wäre vll. mal ein schönes Eltern-Kinder-Experiment. Was halten unsere immis davon?

Zwei Fragen und zwei Korrekturen noch:
- An einige der Test-Alkaloide (abgesehen von Chinin, Nikotin und Koffein) kommt man wohl nur mit Rezept oder eigenem medizinischen Hintergrund heran, oder?
- Wie schaffst Du es, Dein Eisen-II-sulfat so Eisen-III-frei zu halten?
- Bleiacetat hat statt GHS06 "nur" GHS08.
-
die im Drogenhandel erhältlich sind
Nicht wirklich, oder? :lol:
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lemmi
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Re: Galläpfel, Tannin und Tinte

Beitrag von lemmi »

Doch, natürlich, wo willst du die sonst herbekommen? Klar könnte man auch die einheimischen Eichengallen nehmen, aber die enthalten nicht so viel Tannin. Und praktisch alle Rezepte sind auf die Gallen von Quercus tinctoria bezogen, die bei uns nicht wächst.
Ein gut sortierter Drogenhandel ist z. B. Kräuter Schulte. Bis auf giftige Drogen verkaufen die auch an Privat.

EDIT: könnte es sein dass du dich an dem Begriff "Droge" stößt? Drogen bezeichnen in der Pharmazie schlicht und einfach natürliche Rohstoffe. Das Wort geht auf droge fate aus dem Holländischen zurück, ein Fass in dem getrocknete Kräuter aufbewahrt wurden. Eine Drogerie ist nichts anderes als eine Drogenhandlung ...

Ja, als ich an meiner Tinte gerochen habe hat mich das auch an meine Schulzeit erinnert! Ich habe dafür keinen stichhaltigen Beweis, aber jetzt sind wir schon zwei mit der selben Assoziation - vielleicht werdens ja noch mehr ... :)

Das mit dem Wein muss jemand anderes probieren. Ich mag tanninreiche Rotweine auch nicht ... 8)

Die Alkaloide sind aus meinem Giftschrank und der ist immer gut verschlossen :wink:

Eisen(II)-sulfat bewahre ich trocken und luftdicht verschlossen auf, dann hält es sich. Natürlich beginnt die Oxidation in Lösung ratzfatz - das hatten wir ja schon mal beim "Berliner Weiß". Aber die trockene Substanz hält sich gut.
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Re: Galläpfel, Tannin und Tinte

Beitrag von aliquis »

Die Begriffsherkunft der Drogerie war mir bekannt - meine Cousine ist gelernte Drogistin und hat in den 70ern mehr Heilkräuter und Chemikalien verkauft als heute jede Apotheke...
Gestoßen habe ich mich auch nicht daran (nirgendwo ein Hämatom zu sehen... :wink: ). Ich fand die Doppeldeutigkeit einfach nur witzig - und manch Leser vll. tatsächlich verwirrend...
Kräuterhandel oder Drogerie dürften als Begriffe heutzutage geläufig(er/unverfänglicher) sein.

Alkaloide: Codein müsste man sich bei starkem Reizhusten verschreiben lassen können, heutzutage an Strychnin ranzukommen, wird für den Normalsterblichen eher schwierig sein, und mit Atropin werden wohl nur Apotheker und Ärzte umgehen dürfen - und dass die das gut unter Verschluss halten, daran hatte ich keinen Zweifel... :wink:

Dicht verschlossen und dunkel halte ich mein Eisenvitriol auch immer, und dennoch bekommt es irgendwann diesen typischen Karottenstich... Ich habe schon die verschiedensten Händler ausprobiert.
Ich hatte bis vor einigen Jahren einen kleinen historischen Vorrat aus den 80ern (alter Chemiekasten). Das Zeug war über 30 Jahre schön türkis, grobkristallin und rieselfähig geblieben. Eine vergleichbare Qualität habe ich seitdem nirgendwo wiedergefunden.
Daher habe ich mir vor gar nicht so langer Zeit ein bisschen Mohrsches Salz hergestellt. Das bleibt im Wesentlichen unverändert und sieht so schön aus wie früher das Eisensulfat aus dem Kosmos-Kasten.

Edit: In der Chemikalienliste ist der Ether falsch geschrieben. Dadurch führt auch der Wiki-Link ins Leere.
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Uranylacetat
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Re: Galläpfel, Tannin und Tinte

Beitrag von Uranylacetat »

Hallo lemmi,

da hast Du wieder einen richtigen „Klassiker“ gebracht und dokumentiert! :thumbsup: Habe ich sehr gern mit Freude gelesen. :wink:
"Der einfachste Versuch, den man selbst gemacht hat, ist besser als der schönste, den man nur sieht." (Michael Faraday 1791-1867)

Alles ist Chemie, sofern man es nur "probiret". (Johann Wolfgang von Goethe 1749-1832)

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lemmi
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Re: Galläpfel, Tannin und Tinte

Beitrag von lemmi »

Hallo Uranyl! Schön von dir zu hören! Und es freut mich, dass es dir gefällt. :)
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Glaskocher
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Re: Galläpfel, Tannin und Tinte

Beitrag von Glaskocher »

Das ist ein echt schönes und gut dokumentiertes Experiment.

Jetzt fehlt aber noch das Bild mit dem Tropfen, das uns die Feder wässrig gemacht hatte. Alternativ könntest Du ja vom Bild zum Versuch und zurück verlinken...

Es gibt an Eichen noch weitere Formen von Gallen. Lohnt es sich, davon Proben zu sammeln und testweise zu extrahieren? Im Herbst finde ich immer Gallen, die ihren Ursprung zwischen Frucht und Hut haben und sich dann sehr zerklüftet da herumschmiegen. Letztes oder vorletztes Jahr hatte ich sie mal als "Schönheit der Natur" abgebildet.

Hier jetzt auch:
Galle an Eichel
Galle an Eichel
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lemmi
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Re: Galläpfel, Tannin und Tinte

Beitrag von lemmi »

Das ist eine sogenannte Knopper, ein Produkt der Knopperngallwespe Andricus quercuscalicis. Ich habe gestern die Dinger auch gefunden und noch andere. Eine (Reagenzglas)-Extraktion läuft um festzustellen, ob die auch Gerbsäure enthalten.
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mgritsch
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Re: Galläpfel, Tannin und Tinte

Beitrag von mgritsch »

:thumbsup: Wie immer ein super Artikel mit viel Tiefe und Breite!
lemmi hat geschrieben: Samstag 23. Juli 2022, 20:59 Chemikalien:

Ethanol 96%, unvergällt Warnhinweis: fWarnhinweis: attn
„Unvergällt“ - aber nicht lange ;)
Würdest du bei Einsatz von Spiritus mit Störungen rechnen?
… Darstellung von Tannin (Synonym: Gerbsäure) […] Gallen enthalten größere Mengen an Tanninen, die als Hauptbestandteil Gallussäure, oder deren Dimer, die Ellagsäure enthalten […] “Gerbsäure“ bzw. das Tannin früherer Arzneibücher ist kein einheitlicher Stoff. Es handelt sich um Ester der Gallussäure mit Glukose, die ganz unterschiedlich gebaut sind. Da Tannine hydrolytisch in Gallussäure und Zucker gespalten werden (Darstellung von Gallussäure!),..
Das Gewirr der Begriffe fand ich immer schon sehr verwirrend. Gerbsäure, Gallussäure, Tannin, Tannine… bei Alf ist unter Gerbsäure auch ein größeres Glycosid wo 5 Gallussäuren an einem Zucker sind gelistet… was ist jetzt unter welchem der Begriffe genau gemeint, welche sind Synonym? Eindeutig ist für mich nur die Gallussäure.

Reicht reine Gallussäure auch für eine gute Tinte oder spielt der Mix aus natürlicher Quelle eine Rolle?

Ebenfalls verwunderlich: als Polyphenol sollte Gallussäure leicht oxidierbar sein - dennoch findet anscheinend eher Komplexbildung mit Fe+3 statt als dass zu Fe+2 reduziert wird und Oxidationsprodukte der Gallussäure entstehen…
Nach der Perkolation mit einem Ethanol-Ether-Gemisch lässt es sich quantitativ mit Wasser ausschütteln, während Verunreinigungen im Ether zurückbleiben. Diese ältere Methode ist weniger aufwändig als die von stahl beschriebene, bei der ein methanolischer Extrakt aus Galläpfeln (Soxhlet-Extraktion 2 Tage!) zunächst eingeengt und dann mit Ether ausgeschüttelt wird.
Also zwischen ein paar Stunden Perkolation bei RT mit einem mäßig guten Lömi und 2 Tagen Soxhlet liegen gefühlt Welten :) wäre nicht Mazeration/Perkolation mit EtOH und dann ausschütteln mit Et2O/Wasser auch ein guter Zwischenweg?

Wie auch immer, ein wunderschönes Ergebnis!

Folgende Literatur könntest du auch interessant finden:
https://doi.org/10.1002/ange.19130262703
https://books.google.at/books?id=MBoMZk ... &q&f=false
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lemmi
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Re: Galläpfel, Tannin und Tinte

Beitrag von lemmi »

Vergälltes Ethanol ginge sicher, aber das Bitrex bliebe im Präparat (nicht etherlöslich)

Zur Nomenklatur nochmal kurz zusammengefasst:

Gerbstoff ≠ Tannin
Gerbtsofftypen:
1. Tannine (hydrolysierbare Gerbstoffe auf Gallussäure- oder Ellagsäurebasis), synonym: Gerbsäure (klaasischerweise "die" Gerbsäure = das Tannin aus levantinischen Galläpfeln)
2. Catechingerbstoffe
3. Lamiaceengerbstoffe

Es gibt auch Rezepte für reine Gallussäuretinten, aber die haben nie eine große Rolle gespielt, vermutlich weil sie zu teuer sind.

Beim Kochen wird in der Tat Eisen(III) teilweise durch die Gallussäure zu Eisen(II) reduziert und dadurch die Tinte mit stabilisiert. Details dazu finden sich in der Diplomarbeit von 1990, die ich verlinkt habe.
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Re: Galläpfel, Tannin und Tinte

Beitrag von Alf »

Sehr schöner Artikel zu einem interessanten Thema! :thumbsup:

Pflanzengallen fand ich auch immer sehr interessante Auswüchse die durch Wachstumsfaktoren der Wirte entstehen. Es gibt unzählige Formen dieser Auswüchse. Man kann die Tannine auch mikroskopisch in Schnitten sehr gut durch eine 1% Eisen(III)chlorid Lösung selektiv anfärben.

Hier sieht man einen Querschnitt durch eine Pflanzengalle eines Weinblattes hervorgerufen durch den Befall der Rebenpockenmilbe. Weinblätter enthalten schon in gesundem Zustand Tannine (sowie die ganze Pflanze, der Tanningehalt ist auch für den (Nicht-)Geschmack von Weinen ein entscheidender Faktor). Durch die Proliferation des Gewebes werden noch vermehrt Tannine eingelagert. Die Milbenkammer (MK) enthält noch Anschnitte der Milbe, die Tannine in den Zellen sind schön grau/schwarz gefärbt.
PANO_20220427_210822.jpg

Detailaufnahme; die weißen Kügelchen sind Stärkegranula.
20220427_211608.jpg
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lemmi
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Re: Galläpfel, Tannin und Tinte

Beitrag von lemmi »

Wow! Sehr schön! Hast du die Schnitte selbst angefertigt?
Zu dem vorletzten Bild wäre eine Legende gut. Da ist ja fast alles grau bis schwarz angefärbt. Sind das alles Tannin- haltige Strukturen?
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mgritsch
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Re: Galläpfel, Tannin und Tinte

Beitrag von mgritsch »

lemmi hat geschrieben: Montag 25. Juli 2022, 22:28 Gerbstoff ≠ Tannin
Gerbtsofftypen:
1. Tannine (hydrolysierbare Gerbstoffe auf Gallussäure- oder Ellagsäurebasis), synonym: Gerbsäure (klaasischerweise "die" Gerbsäure = das Tannin aus levantinischen Galläpfeln)
2. Catechingerbstoffe
3. Lamiaceengerbstoffe
Also Zusammenfassung:
- der Überbegriff = Gerbstoff(e)
- Diese gliedern sich in Tannine (= Tannin = Gerbsäure), Catechin-G. und Lamiaceen-G. (Der Singular „Tannin“ klingt zwar wie eine definierte Reinsubstanz, meint aber auch nur das natürliche Gemisch.)
- Tannine (= Tannin = Gerbsäure) sind diverse Gallussäure-Derivate (Ellagsäure ist ein Dimer, sonst eher Glycoside).

Richtig verstanden?
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mgritsch
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Re: Galläpfel, Tannin und Tinte

Beitrag von mgritsch »

Alf hat geschrieben: Dienstag 26. Juli 2022, 12:40 Auswüchse die durch Wachstumsfaktoren der Wirte entstehen. Es gibt unzählige Formen dieser Auswüchse.
Warum bildet die Pflanze dort eigentlich Tannine, warum in so hoher Konzentration? (Wie hoch wäre der Gehalt in sonstigen Bestandteilen der Eiche bzw des Weinblatts?) Ist das eine Reaktion auf eine beliebige (mechanische) Reizung oder injizieren die Insekten eine spezielle Substanz/Botenstoff/Mutagen die das erst auslöst? Könnte man Galläpfel selbst durch einschlägige gezielte Behandlung „züchten“?
Alf
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Re: Galläpfel, Tannin und Tinte

Beitrag von Alf »

Sind das alles Tannin- haltige Strukturen?
Ja das sind alles Tannin haltige Strukturen, alles andere bleibt ungefärbt!
Warum bildet die Pflanze dort eigentlich Tannine, warum in so hoher Konzentration? (Wie hoch wäre der Gehalt in sonstigen Bestandteilen der Eiche bzw des Weinblatts?)
Pflanzen bilden manchmal vermehrt Tannine bei Verletzungen, sie dienen primär als Fraßschutz. Die vermehrte Produktion von Tanninen lässt sich auch in pilzinfizierten Pflanzenschnitten nachweisen. Im Weinblatt findet man von Haus aus einen hohen Tanningehalt auch in den gesunden Blattabschnitten (siehe Foto in den länglichen Zellen des Blattes = Palisadenparenchymzellen).
20220427_211447.jpg
Ist das eine Reaktion auf eine beliebige (mechanische) Reizung oder injizieren die Insekten eine spezielle Substanz/Botenstoff/Mutagen die das erst auslöst? Könnte man Galläpfel selbst durch einschlägige gezielte Behandlung „züchten“?
Gute Frage, meines Wissens nach sezerniert der fremde Organismus (Insekt, Pilz, Virus, Bakterium) entsprechende Wachstumsfaktoren (u. a. Indolessigsäure). Bei einer einfachen Verletzung von Pflanzen habe ich noch nie die Bildung von Gallen beobachtet, es setzt eher "Heilung" ein indem der verletzte Teil verholzt (Lignifizierung). Man könnte eventuell Tumore in Pflanzen induzieren indem man an einer verletzten Stelle Auxine (Indolessigsäure) und Cytokinine (Benzylaminopurin) auftropft.
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