Die maßanalytische Bestimmung von Vitamin C ist ein Klassiker der Lebensmittelchemie. Sie gründet auf eine Entdeckung des Chemikers Josef Tillmans (1876- 1935), der zuerst im Jahre 1927 über die Verwendung von verschiedenen Farbstoffen für Redoxtitrationen in der Lebensmittelanalytik berichtete. Am besten geeignet erschien ihm das 2,6-Dichlorphenol-Indophenol-Natrium1:
Er beschrieb als Nutzanwendung zunächst die Unterscheidung von echtem und künstlichem Zitronensaft, denn ersterer entfärbte die tiefblaue Farbstofflösung sofort. “Welcher Natur der reduzierende Körper ist, “ schreibt Tillmans “den man in echtem Citronensaft bisher völlig zu übersehen haben scheint, wissen wir noch nicht“1. Er setzte seine Arbeiten fort, beschrieb detalliert die Synthese des Reagenzes2 und veröffentlichte im Jahre 1930 Untersuchungen, die ihn zu dem Schluss führten, der "reduzierende Körper“ im Zitronensaft sei identisch mit dem damals fieberhaft gesuchten “antiskorbutischen Prinzip“ (das bereits als “Vitamin C“ bezeichnet wurde). Aber Tillmans gelang es nicht, die Substanz kristallin zu erhalten3 - die sichere Identifizierung des Vitamin C erfolgte wenig später, und bereits 1934 brachte der Pharmakonzern Roche synthetische Ascorbinsäure – das erste synthetische Vitamin überhaupt – auf den Markt. Das 2,6-Dichlorphenol-Indophenol aber ging unter dem schönen Namen “Tillmans‘ Reagenz“ in die Literatur ein und wird bis heute zur Bestimmung von Vitamin C verwendet.
Material/Geräte:
Magnetrührer, Bürette, Analysenwaage, Messkolben 200 ml, Messzylinder 100 ml, Erlenmeyerkolben 100 und 50 ml, Trichter, Faltenfilter, Becherglas 250 ml, Vollpipette 5 ml, Kolbenhubpipette 200 µl und 1000 µl, Reagenzgläser,
Chemikalien:
Ascorbinsäure
Natriumhydrogencarbonat
2,6-Dichlorphenol-Indophenol, Natriumsalz

Oxalsäure, Dihydrat


Essigsäure


Phosphor(V)-oxid

Diethylether


Analysengut:
Zitrusfrüchte, Kiwi, kommerzielle Obstsäfte
Versuchsdurchführung:
abgekochtes Wasser:
Für die folgenden Versuche sowie zum Ansetzen der Lösungen ist frisch abgekochtes, deionisiertes Wasser zu verwenden, das nach dem Abkühlen in einem luftdicht verschlossenen Kolben aufbewahrt wird.
Stabilisierungslösungen (SL):
Stabilisierungslösung 1 (Metaphosphorsäure/Essigsäure): in einen tarierten 100 ml-Erlenmeyerkolben wägt man 2-2,5 g Phosphor(V)-oxid ein, kühlt in einem Eisbad und tropft langsam und vorsichtig mit einer Pasteurpipette Eiswasser auf die auf dem Kolbenboden möglichst breit verteilte Substanz. Es tritt eine heftige Reaktion unter Zischen und Wärmeentwicklung ein! Wenn keine weitere Reaktion mehr erfolgt lässt man ganz abkühlen, gibt ca. 50 ml Wasser und 5 ml Essigsäure zu und rührt bis zur völligen Lösung. Dann wird auf 100 ml aufgefüllt und durch ein Faltenfilter filtriert
Stabilisierungslösung 2 (Oxalsäure/Essigsäure): man löst 1 g Oxalsäure in ca. 50 ml Wasser, gibt 5 ml Essigsäure zu und füllt mit Wasser auf 100 ml auf.
Herstellung von Tillmans‘ Reagenz:
In einem 100 ml-Erlenmeyerkolben löst man unter Rühren 42 mg Natriumhydrogencarbonat und 50 mg 2,6-Dichlorphenol-Indophenol-Natrium (s. Anmerkung 1!) in 50-75 ml Wasser, gießt die Lösung in einen 200 ml-Messkolben ab und füllt unter Nachwaschen des Erlenmeyers mit Wasser bis zur Marke auf. Die Lösung bleibt eine Viertelstunde unter gelegentlichem Schütteln stehen und wird dann durch ein Faltenfilter in eine Braunglasflasche filtriert. Das Reagenz kann einige Tage im Kühlschrank aufbewahrt werden, muss vor Gebrauch aber auf natürlich Zimmertemperatur gebracht werden. Dennoch muss der Titer täglich (!) neu ermittelt werden.
Ein einfacher Versuch zeigt die Spezifität und mögliche Fehlerquellen von Tillmans‘ Reagenz: in Reagenzgläser wurden je 1 ml Stabilisierungslösung und 3 ml Wasser pipettiert und darin je eine Spatelspitze verschiedener Testsubstanzen gelöst. Dann wurden 0,2 ml Reagenzlösung zugegeben. Ascorbinsäure entfärbt das Reagenz sofort, während Glucose, Fructose und Glycin keinen Einfluss haben. Cystein führt mit einer kurzen Verzögerung ebenfalls zu einer Entfärbung.
Ascorbinsäure-Stammlösung 1 mg/ml:
Man wägt 100,0 mg analysenreine Ascorbinsäure ab und löst diese in einem Messkolben zu 100,0 ml in (wie immer abgekochtem) Wasser. Der genaue Gehalt der Ascorbinsäure sollte zuvor iodometrisch bestimmt werden: Dazu löst man ca. 100 mg, genau gewogen, in einer Mischung aus 60-70 ml Wasser und 3 ml 5N Schwefelsäure, gibt 1 ml Stärkelösung 1% zu und titriert mit 0,1 N Iodlösung bis zur bleibenden blauvioletten Färbung. Ein Milliliter 0,1 N Iodlösung entspricht 8,81 mg Ascorbinsäure (nach Ph.Eur. 10).
Meine Substanz war 99,25%ig – auf 100 ml habe ich daher 100,75 mg eingewogen. Die Ascorbinsäurelösung muss täglich frisch angesetzt werden.
Titerstellung:
Zunächst wird der Blindwert ermittelt. Im sauren Medium – der pH sollte etwa bei 3 liegen – ist Tillmans‘ Reagenz rosarot gefärbt. Man gibt 5 ml einer der beiden Stabilisierungslösungen in einen 50 ml-Erlenmeyerkolben, fügt 15 ml Wasser zu und gibt aus einer Bürette tropfenweise von der Maßlösung zu, bis ein deutlicher rosa Farbton erreicht ist. Bei mir betrug der Leerwert 0,15 ml. Der Ansatz wird als Vergleichslösung für die Titerstellung aufgehoben.
Sodann werden in einem 50 ml-Becherglas 5 ml einer Stabilisierungslösung vorgelegt, 2000 µl der Ascorbinsäurelösung hinzupipettiert und mit Tillmans‘ Reagenz bis zur bleibenden Rosafärbung (Vergleich mit dem Leerwert!) titriert. Wegen der dunklen Farbe der Lösung ist es sinnvoll, am Oberrand des Meniskus (statt wie üblich am tiefsten Punkt) abzulesen. Die Titration ist ein hübsches Farbenspiel: die tiefblauen Tropfen der Maßlösung schlagen in der Lösung nach Rosarot um und lösen sich dann in Schlieren farblos auf. Von dem ermittelten Verbrauch wird der Leerwert abgezogen und der Wirkwert der Lösung (mg Ascorbinsäure pro ml) errechnet.
Meine Versuche ergaben:
mit Stabilisierungslösung 1: 17,5 ml
mit Stabilisierungslösung 2: 17,4 ml
ohne Stabilisierungslösung 1: 17,45 ml
Hier macht es offenbar keinen Unterschied ob eine, und wenn ja welche, Stabilisierungslösung zugesetzt wird. Ich habe den Mittelwert 17,45 ml verwendet und, unter Abzug des Leerwertes, den Titer meiner Lösung zu 2/17,3 = 0,1156 mg Ascorbinsäure/ml bestimmt.
Bestimmung von Vitamin C in Fruchtsäften:
Zur Untersuchung kamen:
a) Zitronensaft, frisch ausgepresst, mit dem gleichen Volumen Stabilisierungslösung 2 vermischt und filtriert
b) Orangensaft, frisch ausgepresst, mit dem gleichen Volumen Stabilisierungslösung 2 vermischt und filtriert
c) Kiwi: 15 g fein zerschnittene ganze Kiwi (ohne Schale) mit 15 ml Stabilisierungslösung 2 in der Reibschale zerquetscht, ½ Stunde unter gelegentlichem Rühren durchziehen gelassen und filtriert
Bei der Filtration soll man ein möglichst kleines (Falten-)Filter verwendet und die ersten Milliliter Filtrat verwerfen, da ein Teil der gelösten Stoffe an der Cellulose adsorbiert werden kann. Alternativ habe ich über einen Bausch Glaswolle filtriert, was zudem viel schneller geht als über ein Papierfilter.
d) Kartoffelsaft: Kartoffel mit Küchenreibe geraspelt, ausgepresst, Saft mit dem gleichen Volumen Stabilisierungslösung 2 vermischt und zentrifugiert. Verwendet wurde der klare Überstand
e) Käuflicher Orangensaft Marke “Krämer“ (EDEKA)
f) Käuflicher Apfelsaft (klar und naturtrüb) Marke “unsere Heimat“ (EDEKA)
Von den Proben a - d wurden je 4000 µl in einen 50 ml-Erlenmeyerkolben pipettiert, 3 ml Stabilisierungslösung 2 und 5 ml Wasser zugegeben.
Von den Säften e und f wurden je 2000 µl in einen 50 ml-Erlenmeyerkolben pipettiert, 5 ml Stabilisierungslösung 2 und 5 ml Wasser zugegeben.
Es wurde mit Tillmans‘ Reagenz bis zur sichtbaren Farbänderung titriert. Dazu ist es hilfreich, einen kleinen Ansatz unbehandelte Lösung danebenzustellen, um einen Farbvergleich zu haben, insbesondere beim Orangensaft, dessen Eigenfärbung zu berücksichtigen ist. Der Kartoffelsaft ist farblos, der Zitronensaft so gut wie farblos und das blasse Grün des Kiwi-Extraktes stört die Erkennung des Titrationsendpunktes in keiner Weise.
Ergebnisse:
a) Zitronensaft, frisch: Verbrauch 5,5 ml - 0,15 ml Leerwert = 5,35 ml x 0,1156 mg = 0,6185 mg
Vitamin C-Gehalt: 30,9 mg/100 ml
b) Orangensaft, frisch: Verbrauch 6,1 ml - 0,15 ml Leerwert = 5,95 ml x 0,1156 mg = 0,6878 mg
Vitamin C-Gehalt: 34,4 mg/100 ml
c) Kiwi: Verbrauch 3,85 ml - 0,15 ml Leerwert = 3,7 ml x 0,1156 mg = 0,4277 mg
Vitamin C-Gehalt: 21,4 mg/100 g
d) Kartoffelsaft, frisch: Verbrauch 0,15 ml - 0,15 ml Leerwert = 0 – Kein Vitamin C nachweisbar!
e) Orangensaft, gekauft: Verbrauch 5,05 ml - 0,15 ml Leerwert = 4,9 ml x 0,1156 mg = 0,5665 mg. Vitamin C-Gehalt: 28,3 mg/100 ml
f) Apfelsaft, gekauft (sowohl klarer als auch naturtrüber): Verbrauch 0,15 ml - 0,15 ml Leerwert = 0 – Kein Vitamin C nachweisbar!
Bestimmung von Vitamin C in stark gefärbten Säften:
Zur Analyse lag käuflicher schwarzer Johannisbeer-Nektar (Marke “Rauch“, Spezifikation: 25 % Fruchtgehalt, Vitamin C durchschnittlich 32 mg/100 ml) vor. Der Saft ist auch in starker Verdünnung tiefrot gefärbt, so dass der Titrationsendpunkt unmöglich zu erkennen ist. Es wurde daher eine Ausschüttelungsmethode angewandt7.
Zunächst wurde abermals der Leerwert bestimmt, indem zu einer Mischung aus 10 ml Stabilisierungslösung 2 und 100 ml Wasser viermal je 0,2 ml Tillmans‘ Reagenz zugesetzt wurden. Nach jeder Portion wurde 1 ml entnommen und in einem Reagenzglas kurz mit 1 ml Diethylether (s. Anmerkung 2!) ausgeschüttelt. Nach Zugabe von 0,2 ml war die Etherschicht nicht erkennbar gefärbt. Nach Zugabe von 0,4, 0,6 und 0,8 ml trat eine allmählich zunehmende Rosafärbung des Ethers auf. Die Lösungen wurden lichtgeschützt bis zum Ende der eigentlichen Titration aufbewahrt.
In einem 250 ml-Becherglas wurden 5,00 ml Saft mit 10 ml Stabilisierungslösung 2 versetzt und mit Wasser auf 100 ml aufgefüllt. Erwartet wurde ein Verbrauch von 12-14 ml Maßlösung. Es wurden 10 ml Tillmans‘ Reagnez auf einmal zugegeben, 1 ml entnommen und mit Ether ausgeschüttelt. Die organische Phase blieb farblos. Dann wurden Portionen von je 2,0 ml Titrant zugegeben und jedesmal eine Probe von 1 ml entnommen und mit Ether ausgeschüttelt (s. Anmerkung 3 !). Nach einem Verbrauch von 18 ml zeigte sich noch keine Färbung der organischen Schicht. Erst nach 20 ml färbte sich diese rosarot – und zwar deutlich stärker, als die Vergleichslösung mit 0,8 ml. Der Verbrauch musste also zwischen 18 und 20 ml liegen.
Die Titration wurde nun wiederholt und 18,0 ml Tillmans‘ Reagenz auf einmal zugegeben. Dann wurden Portionen von 0,5 ml Maßlösung zugesetzt und nach jedem Mal 1 ml entnommen, bis 20,0 ml verbraucht waren. Die Probe nach Zugabe von 19,0 ml zeigte eine Rosafärbung, die mit dem Leerwert von 0,8 ml vergleichbar war.
Ergebnis: Verbrauch 19,0 ml – 0,8 ml Leerwert = 18,2 ml x 0,123 mg (frisch bestimmter Titer) = 2,24 mg. Vitamin C-Gehalt 44,8 mg/100 ml.
Anmerkungen:
1. Die Substanz ist beim längeren Aufbewahren nicht stabil, wenn nicht besonderere Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden! Drei “historische“ Proben, die ich in den letzten Jahren in Händen hielt, waren vollkommen zersetzt und gaben in Waser nur noch eine trübe, graue Brühe. Es wird empfohlen, die Substanz im Exsikkator über festem NaOH aufzubewahren7. Im Kleinformat kann man das gut in einem großen Marmeladenglas machen.
2. Der Ether darf keine Stabilisatoren (wie Butylhydroxytoluol) enthalten, die reduzierend wirken und das Reagenz entfärben könnten! Am besten verwendet man frisch destillierten Ether.
3. Die Erkennung der Färbung ist hier schwieriger als beim Leerwert, da die untere (wässrige) Phase durch die Pflanzenanthocyane rot gefärbt bleibt. Man deckt die untere Hälfte am besten ab und betrachtet das Reagenzglas bei guter Beleuchtung gegen einen weißen Hintergrund (dies zu fotografieren gelang mir nicht ganz)
Entsorgung:
Die austitrierten Lösungen werden über das Abwasser entsorgt.
Erklärungen:
Das 2,6-Dichlorphenol-Indophenol ist im Alkalischen bis zu einem pH von 5 bis 4 blau bis violett gefärbt, in schwach sauen rosarot und im stark sauren Milieu blassrot. Der Farbstoff geht unter Aufnahme von 2 Elektronen und Anlagerung von 2 Wasserstoffionen - mit Verlust der chinoiden Struktur - in die reduzierte, farblose Form (Leukoform) über. Das Redoxpotenzial bei pH 5 liegt bei + 0,36 mV1. Ascorbinsäure wird durch Tillmans‘ Reagenz zur Dehydroascorbinsäure oxidiert:
Molmasse 2,6-Dichlorphenol-Indophenol-Natrium: 290,1 g/mol
Molmasse Ascorbinsäure: 176,2 g/mol
Man beachte, dass die Reagenzlösung etwa 0,001 M ist! Die intensive Färbung erlaubt die Bestimmung sehr kleiner Mengen von Ascorbinsäure.
Bei der Titration wird nur die Ascorbinsäure selbst, nicht jedoch ihre oxidierte Form, die Dehydroascorbinsäure, erfasst. Letztere besitzt aber ebenfalls Vitaminwirkung, da sie im Organismus wieder reduziert werden kann. Fruchtsäfte enthalten so gut wie alles Vitamin C in der reduzierten Form, so dass dies für die hier durchgeführten Versuche unerheblich ist.
Zahlreiche andere organische Reduktionsmittel wirken zwar im alkalischen Milieu auf Tillmans‘ Reagenz ein (Kohlenhydrate), nicht jedoch im sauren. Hier stören im Wesentlichen nur noch Proteine, vor allem solche mit schwefelhaltigen Aminosäuren wie Cystein. Um diese zu entfernen wird eine stark saure Stabilisierungslösung zugesetzt, wodurch die Proteine ausgefällt werden. Anfangs wurde dazu Trichloressigsäure verwendet, die jedoch einen merklichen Einfluss auf das Titrationsergebnis hat. Fujita und Iwatake4 führten ein Gemisch von Metaphosphorsäure und Essigsäure ein. Metaphosphorsäure – formal HPO3 – ist eine schlecht definierte und nicht allgemein gängige Substanz. Ich habe daher versucht, sie aus einer äquivalenten Menge Phosphorpentoxid und Wasser herzustellen. Das funktioniert nur bei niedrigen Tmperaturen (Eiswasser oder zerkleinertes Eis zugeben, Gefäß im Eisbad kühlen!). Bei Raumtemperatur bildet sich die "normale" Orthophosphorsäure:
P2O5 + H2O ---> 2 HPO3
Die Identität des Produktes habe ich folgendermaßen grob geprüft: Eine Probe der Lösung wurde mit Wasser verdünnt, etwas Silbernitratlösung zugegeben und dann zur Neutralisation vorsichtig Ammoniaklösung zugetropft. Es fiel ein rein weißer Niederschlag aus, so dass keine relevanten Mengen Orthophosphat vorhanden sein sollten (Silberorthophosphat gibt einen gelben Niederschlag). Natürlich könnte die Lösung ebenso gut Pyrophosphat enthalten:
Abb.: Probe mit Silbernitrat: v.l.n.r. Essigsäure – Orthophosphorsäure – “Metaphosphorsäure“/Essigsäure
Wie meine Versuche zeigen kann aber die alternative Stabilisierungslösung – mit Oxalsäure – ebenso gut verwendet werden. Letztere ist außerdem besser lagerungsfähig, denn Metaphosphorsäure hydratisiert mit der Zeit zu Orthophosphorsäure, welche nicht ausreichend fällend auf Eiweiße wirkt. Nach meinen Kontrollen ist die Metaphosphorsäure-Essigsäure-Lösung aber mindestens 14 Tage bei RT haltbar.
Beide Lösungen schützen auch vor einer Verfälschung des Ergebnisses durch Schwermetallionen. Da die titrierten Mengen im Mikromolbereich liegen, führen bereits kleine Mengen zu falschen Ergebnissen. So ergab sich in meinen Tests mit einem kleinen Zusatz (10 µmol) Kupfersulfat oder Eisenchloridlösung bei der Titerstellung der Reagenzlösung mit Ascorbinsäure in reinem Wasser ein deutlicher Titrationsfehler, der im Ansatz mit einer der Stabilisierungslösungen (beide waren gleich wirksam) nicht mehr auftrat. Dies ist besonders wichtig, wenn man bei Prüfungen von ganzen Früchten oder Gemüse das Analysengut in einem Mixer zerkleinern muss. Hierzu wird eine der Stabilisierungslösungen zugesetzt, die Proteine werden ausgefällt und möglicherweise sich lösende Metallionen durch Komplexierung unschädlich gemacht. Da ich über keinen passend dimensionierten Mixer verfüge, konnte ich eine Analyse von weiteren interessanten Lebensmitteln, wie Petersilie, Aroniabeeren oder anderen, leider nicht durchführen. Für Analysenmaterial, bei dem Fehler durch verschiedene reduzierend wirkende Bestandteile wie Glutathion oder als Konservierungsmittel zugesetztes Sulfit auftreten könnten, sind Verfahren ausgearbeitet worden, bei denen störende Begleitstoffe durch Vorbehandlung mit Bleiacteat und Trichloressigsäure ausgefällt werden6. Bei der Untersuchung von frisch ausgepressten Fruchtsäften ist das nicht nötig (und vermutlich sogar die Stabilisierungslösung überflüssig).
Der Vitamin C-Gehalt der von mir untersuchten Obstsäfte liegt im erwarteten Bereich. In der Literatur wird für Orangen und Zitronen ein etwas höherer Gehalt angegeben, als ich gefunden habe. Vielleicht bezieht sich das auf die ganze Frucht, während ich nur Presssaft untersucht habe, außerdem könnten die Früchte nach einer gewissen Lagerungszeit (die “Citrussaison“ war schon seit einer Weile vorbei) an Vitamin C eingebüßt haben. Nicht erwartet hatte ich das völlige Fehlen von Ascorbinsäure im Apfelsaft und Kartoffelsaft (irgendwo hatte ich mal gelesen, dass Kartoffeln eine wichtige Quelle für Vitamin C seien). Der Johannisbeernektar enthielt dagegen – selbst wenn man alle Unsicherheiten der Methode in Rechnung stellt - deutlich mehr Ascorbinsäure als auf dem Etikett angegeben - wobei es sich dabei ja auch nur um einen Durchschnittswert handelt.
Bilder:
Aufbewahrung von 2,6-Dichlorphenol-Indophenolnatrium
Ansetzen von Tillmans‘ Reagenz
Reaktion von Tillmans‘ Reagenz mit (v.l.n.r.) Ascorbinsäure, Glukose, Fruktose, Cystein und Glycin
Die Untersuchungsobjekte
Auspressen von geriebenen Kartoffeln in einer Behelfspresse, die aus einer 20 ml-Spritze besteht, in die ein kleiner Bausch Glaswolle eingelegt wird.
Die “zubereiteten“ Analysensubstanzen, ganz links die Stabilisierungslösung
Titration mit Tillmans‘ Reagenz
Ansatz zur Titration von schwarzem Johannisbeer-Nektar
Die Vergleichsproben für den Leerwert (v.l.n.r.): 0,4 ml, 0,6 ml und 0,8 ml Maßlösung in 100 ml Flüssigkeit
Proben der zweiten Titration
oben Grobtitration: 18,0 ml - 20,0 ml - Leerwert mit 0,8 ml
unten Feintitration: 18,5 ml, 19,0 ml und 19,5 ml Maßlösung verbraucht
Literatur:
1. Tillmans J: Über die Bestimmung der elektrischen Reduktions- Oxydations-Potentiale und ihre Anwendung in der Lebensmittelchemie; Zeitschrift für Untersuchung der Lebensmittel 54 (1927): 33-43
2. Tillmans J, Hirsch P, Reinshagen E: Über die Anwendung von 2,6-Dichlorphenol-Indophenol als Reductionsindicator bei der Untersuchung von Lebensmitteln; Zeitschrift für Untersuchung der Lebensmittel 56 (1928):272-292
3. Tillmans J: Das antiskobutische Vitamin; Zeitschrift für Untersuchung der Lebensmittel 60 (1930):34-44
4. Fujita A und Iwatake D: Über die Bestimmung von Vitamin C mittels 2,6-Dichlorphenol-Indophenol; Biochemische Zeitschrift 277 (1935): 292-295
5. Strohecker R und Vaubel R: Die Bestimmung der Ascorbinsäure (C-Vitamin) nach J. Tillmans durch Titration mit 2,6-Dichlorphenol-Indophenol; Angewandte Chemie 49 (1936): 666-668
6. Zonnefeld H: Bestimmung von Vitamin C in Früchten, Fruchtsäften, Gemüsen und Konserven nach der Methode nach Tillmans unter Ausschaltung reduzierender Stoffe; Zeitschrift für Lebensmittel-Untersuchung und -Forschung 119 (1963): 319-333
7. Handbuch der Lebensmittelchemie, zweiter Band/Teil2: Analytik der Lebensmittel – Nachweis und Bestimmung von Lebensmittel-Inhaltsstoffen; Springer-Verlag Berlin-Heidelberg-New York 1967: Bestimmung von Vitamin C in Lebensmitteln S. 773-789