[33869-21-5], Lacmoid, Lakmoid, Resorcinblau
Lange Zeit wurden als Indikatoren gerne verschiedene Pflanzenfarbstoffe genutzt[1], nur wenige synthetische Stoffe mit Indikatoreigenschaften wie Phenolpthalein oder Methylorange waren regelmäßig im Einsatz. Lackmus mit seiner guten chemischen Beständigkeit und einem Umschlagbereich nahe dem Neutralen hatte lange Zeit eine große praktische Bedeutung und ist auch Sprichwörtlich mit dem "Lackmustest" bis heute in den Sprachgebrauch eingegangen. Lackmus war jedoch sehr schwer herzustellen - es brauchte die passenden Flechten die nicht überall wachsen, und der Herstellungsprozess durch Fermentation war ebenfalls aufwändig.
Unter den Bezeichnungen "Resorcinblau" (Benedikt 1884)[2] und "Lakmoid" (Traub 1884)[3] wurde in etwa zeitgleich die Herstellung eines synthetische Farbstoffs aus Resorcin und Natriumnitrit beschrieben, der dem Lackmus sehr ähnliche Eigenschaften besitzt, sowohl in Bezug auf Farbe als auch Umschlagbereich. Beide konnten weder eine Formel noch einen Mechanismus für dessen Bildung angeben. 1887 Beschrieb Wurster[4] dessen Herstellung aus Resorcin, Ammoniak und Wasserstoffperoxid. Bald schon fand dieser Indikator - wohl dank seiner einfachen Herstellung - eine gewisse Verbreitung, ist heute jedoch eher in Vergessenheit geraten.
Viele Jahre lang waren weder Zusammensetzung noch Konstitution oder der Mechanismus des Lackmoid bekannt, auch über die Zusammensetzung des natürlichen Lackmus wusste man nichts genaues. Erst in den Jahren 1955 - 1968 widmete sich in Göttingen Prof. H. Musso in einer Serie von 26 Publikationen deren Aufklärung und konnte sowohl die Zusammensetzung (Lackmus und Lackmoid sind Gemische) als auch deren Konstitution und Synthesemechanismus klären[4-8]. Im Lichte dieser Erkenntnisse erscheinen die früheren "Rezepte" zur Herstellung natürlich etwas fragwürdig.
Geräte:
Bechergläser, Reagenzgläser, Ölbad, Magnetrührer, Filternutsche
Chemikalien:
Resorcin


Natriumnitrit



Ammoniakwasser 20%



Wasserstoffperoxid 12%



Salzsäure konz.


Lackmoid

Sicherheitshinweis:
Bei der Herstellung entsteht NH3-Gas, es ist unter dem Abzug zu arbeiten!
Durchführung:
Synthese nach der Vorschrift von Traub (1884)[3]
In einem hohen 50 ml Becherglas wurden 5,5 g (50 mmol) Resorcin und 0,28 g (4 mmol) Natriumnitrit vorgelegt und mit ca. 0,3 ml Wasser befeuchtet. Nun wurde das Becherglas am Ölbad bei 110 °C bedeckt erwärmt wobei der Ansatz rasch schmolz, sich zunächst braun und dann immer tiefer blau färbte. Vor allem während der letzten Phase wurde dabei etwas Ammoniak freigesetzt. Nachdem keine weitere Ammoniak-Entwicklung mehr zu bemerken war, wurde die Reaktion beendet und der Inhalt (eine dickflüssige Masse) unter Erwärmen in ca 20 ml Wasser gelöst. Durch Zugabe von ca 15 ml konz. Salzsäure wurde das Produkt gefällt, über Nacht stehen gelassen und abgenutscht. Das Produkt wurde ein paar Tage getrocknet.
Ausbeute: ca. 0,7 g einer dunklen, metallisch glänzenden, leicht teerigen Masse die beim Trocknen hart erstarrt. In Alkohol leicht vollständig mit tief weinroter Farbe löslich.
Synthese nach der Methode Traub mit angepasster Stöchiometrie
In einem hohen 50 ml Becherglas wurden 5,5 g (50 mmol) Resorcin und 0,9 g (13 mmol) Natriumnitrit vorgelegt und mit ca. 1 ml Wasser befeuchtet. Nun wurde das Becherglas am Ölbad bei 110 °C bedeckt erwärmt wobei der Ansatz sich rasch löste bzw. schmolz, sich zunächst kräftig rot und dann immer tiefer blau färbte. Vor allem während der letzten Phase kommt es zu einem gewissen Aufschäumen der Masse und es wurde merklich Ammoniak freigesetzt. Nachdem keine weitere Ammoniak-Entwicklung mehr zu bemerken war, wurde die Reaktion beendet und der Inhalt der inzwischen völlig erstarrt war unter Erwärmen in ca 20 ml Wasser gelöst. Durch Zugabe von ca 15 ml konz. Salzsäure wurde das Produkt gefällt, über Nacht stehen gelassen und abgenutscht. Das Produkt wurde ein paar Tage getrocknet.
Ausbeute: ca. 3,4 g einer dunklen, metallisch glänzenden, leicht teerigen Masse die beim Trocknen hart erstarrt und leicht zerkleinert werden kann. In Alkohol leicht vollständig mit tief weinroter Farbe löslich.
Synthese nach der Methode Wurster (1887)[4]
In einem hohen 150 ml Becherglas wurden 5,5 g (50 mmol) Resorcin vorgelegt und in 4 ml 20% Ammoniak und 10 ml 12% Wasserstoffperoxid bei Raumtemperatur gelöst und das Becherglas bedeckt. Nach einer gewissen Induktionsphase konnte eine leichte Erwärmung des Ansatzes beobachtet werden, gleichzeitig vertiefte sich die Farbe. Die Reaktion beschleunigte sich selbst immer weiter, bis der Ansatz schließlich leicht zu köcheln begann. Nachdem die Reaktion abgeklungen und der Ansatz wieder etwas ausgekühlt war, wurden erneut 8 ml 12% Wasserstoffperoxid zugegeben, worauf wiederum nach einer gewissen Induktionsphase eine starke Erwärmung auftrat, es kam jedoch zu keinem Aufkochen mehr. Nachdem der nun tief dunkelblaue Ansatz ausgekühlt war, wurden ca 20 ml konz. HCl zugesetzt, über Nacht stehen gelassen und abgenutscht. Das Produkt wurde ein paar Tage getrocknet.
Ausbeute: ca. 1,2 g einer dunklen, metallisch glänzenden, leicht teerigen Masse die beim Trocknen hart erstarrt. In Alkohol leicht vollständig mit tief weinroter Farbe löslich.
Untersuchung des erhaltenen Produkts:
Es wurde von den 3 Produkten eine vergleichende Dünnschichtchromatographie angefertigt (Kieselgel F254, Laufmittel: PE:EtOAc:HCOOH 10:15:2) und mittels UV sowohl im sauren (mit HCl bedampft) als auch im basischen (mit NH3 bedampft) verglichen. Es zeigten sich in allen 3 Produkten sehr ähnliche Zusammensetzungen aber auch charakteristische Unterschiede.
Weiters wurde der Umschlagbereich durch langsame Titration einer mit Essigsäure angesäuerten Lösung und Verfolgen des pH mit einem genau kalibrierten pH-Meter ermittelt. Der erste deutliche Umschlag von Rot zu einem roten Violett-Ton tritt bei pH 5 auf, der Umschlag von einem blauen Violett-Ton zu blau bei ca. pH 8. Bei Zugabe weiterer Lauge kommt es noch zu einer geringfügigen weiteren Farbveränderung des Blau in Richtung blaugrau.
Schließlich wurden mit dem Photometer die Spektren über den Bereich 350 - 800 nm für pH 4,0 6,9 und 10,0 aufgenommen. Das Absorptionsmaximum verschiebt sich dabei von 503 nm (pH 4,0) hin zu 601 nm (pH 10,0).
Entsorgung:
Abfälle kommen zu den halogenfreien organischen Abfällen.
Erklärung:
Lackmoid ist ein Stoffgemisch, die Hauptkomponente ist dabei beta-Hydroxyresorcein (lit: ca. 50%) und als wichtigste Nebenkomponente sein N-Analogon beta-Aminoresorcein:
Daneben kommt noch eine größere Menge anderer farbgebender Verbindungen ähnlicher Struktur vor (Musso identifizierte zB 14 gefärbte Komponenten aus dem Oxidationsprodukt des Orcein). Allen gemein ist das Phenoxazin-Grundgerüst. Die Indikatoreigenschaften werden dabei über die Dissoziation der phenolischen OH-Gruppen erzielt.
Der wesentliche Unterschied zwischen Lackmus und Lackmoid ist, dass Lackmus nicht aus Resorcin, sondern aus Orcin (3,5-Dihydroxytoluol), das aus den Flechten bei der Fermentierung abgespalten wird, entsteht. Die Hauptkomponenten im Lackmus sind bis auf die zusätzlichen Methylgruppen im Wesentlichen identisch.
Der Mechanismus der Bildung ist komplex, für die Reaktion von Resorcin mit Ammoniak und Sauerstoff (es genügt auch, den Ansatz mehrere Wochen an der Luft stehen zu lassen, Peroxid ist nicht unbedingt erforderlich) hat Musso[7] in etwa folgenden Mechanismus erarbeitet und durch einzelne Syntheseschritte minutiös bewiesen: Ausgangspunkt ist dabei die alkalische Oxidation des Resorcin zu Hydroxyhydrochinon (1,2,4-Trihydroxybenzol) welches relativ leicht durch Ammoniak zum 4-Aminoresorcin substituiert werden kann. Sowohl Hydroxyhydrochinon als auch 4-Aminoresorcin können mit weiteren Resorcin-Molekülen kondensieren und schließlich kommt es zum Zusammenschluss und Ringschluss zum Phenoxazin-System.
Wurster war in seinen Angaben zeittypisch ungenau - er schrieb nur "Erwärmt man eine ammoniakalische Lösung von Resorcin mit sehr wenig Wasserstoffsuperoxyd..." und blieb jegliche Mengenangaben schuldig, ebenso wie eine Ausbeute. Musso benutzte in seiner Arbeit kein Peroxid, er ließ die ammoniakalische Lösung einfach an der Luft stehen und erhielt aus 10 g Orcin-Hydrat 2 g "Roh-Orcein"[5] bzw. aus 6 g Resorcin nach 6 Wochen 150 mg "Roh-Resorcinblau"[8]. Meine Ausbeute von ca. 1,2 g unter Einsatz von Peroxid ist also durchaus als akzeptabel zu sehen.
Die Dünnschichtchromatographie zeigt neben dem Hauptspot bei Rf = 0,4 (beta-Hydroxyresorcein) auch einen im Vergleich zu den anderen beiden Präparaten deutlich ausgeprägteren Startfleck. Dabei dürfte es sich um das beta-Aminoresorcein handeln, das im sauren Laufmittel am Startfleck verbleibt. Das erscheint angesichts des Mechanismus und des ausreichenden Angebots an NH3 durchaus plausibel. beta-Aminoresorcein als primäres Amin ist jedoch relativ gut in Säuren löslich - vermutlich ist hier die Fällung nicht so vollständig erfolgt.
Über den Mechanismus der Reaktion von Resorcin und Natriumnitrit zu Resorcinblau / Lackmoid konnte ich keine unmittelbare Literatur finden, allerdings gibt es Patentliteratur zur Herstellung des entsprechenden Phenoxazin-Grundkörpers "Resazurin"[9]. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass hier ein ähnlicher Mechanismus vorliegt und der erste Schritt die Bildung von 4-Nitroso-Resorcin ist: Auch hier war die alte Originalliteratur knausrig mit Angaben. Zwar gaben sowohl Benedict[2] als auch Traub[3] konkrete Mengenangaben, eine Ausbeute erwähnten sie jedoch nicht. Die Molverhältnisse bei Benedict (Moleküle Resorcin:Natriumnitrit = 2:1) erscheinen unter Kenntnis des Zielprodukts (Verhältnis Resorcin:Stickstoff = 4:1) etwas zu hoch gegriffen, hier würde ich eine Überoxidation bzw. Bildung von nitrierten und nitrosierten Nebenprodukten erwarten. Bei Traub (100 Teile Resorcin:5 Teile Natriumnitrit, i.e. Mol Resorcin:Natriumnitrit = 12,5:1) hingegen erscheint der Einsatz von Nitrit etwas zu knapp - wobei er sich anscheinend rasch selbst etwas korrigierte und im Folgejahr bereits ein Verhältnis von "10 Theilen Resorcin mit 1 Theil Natriumnitrit" angab[10].
So gesehen wundert es nicht, dass unter Einhaltung der Traub'schen Originalvorschrift die Ausbeute nur mager ausfallen kann. Hinzu kommt, dass es anscheinend zu einer weiteren Reduktion des Nitrits kommt bei der sogar NH3 frei wird - somit ein einzuberechnender Verlust an Stickstoff. Mit dem gewählten, fast stöchiometrischen Ansatz (etwas mehr als 4:1) konnte jedoch eine sehr gute Rohausbeute erzielt werden.
Auf eine weitere Reinigung des Produkts wurde in jedem Fall verzichtet, da der Farbstoff für praktische Zwecke augenscheinlich rein genug war, was auch durch die DC weitgehend bestätigt wurde. Das Rohprodukt kann problemlos und rückstandsfrei in Ethanol gelöst werden und ergibt einen sehr intensiven, ergiebigen Indikator, der dem kommerziellen Lackmus in nichts nachsteht. Die beste Qualität (keine störenden farbigen Nebenkomponenten ohne Umschlagseigenschaft) und Ausbeute wurde mit dem stöchiometrischen Ansatz mit Nitrit erzielt.
Bilder: Ansatz aus Resorcin und Natriumnitrit, beginnende Reaktion, der Ansatz ist tief rot gefärbt.
Ansatz aus Resorcin und Natriumnitrit, gegen Ende der Reaktion, der Ansatz ist tief blau gefärbt.
Ansatz mit Ammoniak und Wasserstoffperoxid, vor Einsetzen der Reaktion
Ansatz mit Ammoniak und Wasserstoffperoxid, nach Einsetzen der Reaktion - durch das Sieden kommt es zu etwas Verspritzen im Becherglas.
Ansatz mit Ammoniak und Wasserstoffperoxid, nach dem Ansäuern mit HCl. Tief weinrote Färbung, teils Niederschlag erkennbar.
Das Produkt (aus Resorcin und Natriumnitrit). Die Masse ist nach dem Abnutschen noch etwas plastisch und kann Großteils in ganzen Stücken aus dem Becherglas entnommen werden, erstarrt aber beim Trocknen völlig hart.
Farbe einer stark verdünnten Lösung von Lackmoid bei pH 4,0 / 6,9 / 10,0
Ermitteln des Umschlagbereichs mittels pH-Elektrode. Bei pH 5 beginnt eine merkliche Violettfärbung.
DC Vergleich der drei Ansätze, aufgetragen sind nebeneinander: Ansatz nach Traub, Ansatz mit Nitrit stöchiometrisch, Ansatz mit Peroxid.
Grundsätzlich finden sich überall die gleichen Hauptkomponenten beta-Hydroxyresorcein (Rf = 0,4) und beta-Aminoresorcein (Rf = 0,0). Der Anteil an beta-Aminoresorcein im Ansatz mit Peroxid erscheint im Vergleich höher. Daneben sind unterschiedliche andere Nebenkomponenten zu finden, teils gefärbt und mit Indikatoreigenschaften (Rf 0,0 - 0,4), teils ohne Indikatoreigenschaften (Rf 0,42 - 0,55), teils farblos aber fluoreszierend (Rf 0,55 - 0,62).
Spektren des Indikators (aus Ansatz mit Nitrit stöchiometrisch) in verdünnter wässriger Lösung bei verschiedenem pH.
Überlagerte Spektren
Literatur:
[1] Alfred I. Cohn: Indicators and Test-Papers (Second Edition) John Wiley and Sons, New York 1902
[2] Monatshefte für Chemie 5, 534–535 (1884). https://doi.org/10.1007/BF01526133
[3] Ber. Dtsch. Chem. Ges. 17, 2615-2617 (1884). https://doi.org/10.1002/cber.188401702192
[4] Naturwissenschaften 42, 513 (1955). https://doi.org/10.1007/BF00601209
[5] Chem. Ber. 89, 1659-1673 (1956). https://doi.org/10.1002/cber.19560890713
[6] Chem. Ber. 91, 2001-2016 (1958). https://doi.org/10.1002/cber.19580911002
[7] Chem. Ber. 98, 3964-3980 (1965). https://doi.org/10.1002/cber.19650981224
[8] Chem. Ber. 96, 1579-1587 (1963). https://doi.org/10.1002/cber.19630960615
[9] Patent US2376283A https://patents.google.com/patent/US2376283A/en
[10] Arch. Pharm. Pharm. Med. Chem. 223, 27-29 (1885). https://doi.org/10.1002/ardp.18852230106