Dicyandiamid aus Kalkstickstoffdünger

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Visko
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Dicyandiamid aus Kalkstickstoffdünger

Beitrag von Visko »

Dicyandiamid aus Kalkstickstoffdünger

Dicyandiamid, weniger korrekt Cyanoguanidin, ist ein farbloser Feststoff der erstmals im Jahre 1862 von J. Haag beim Stehenlassen einer Cyanamidlösung mit Ammoniaklösung erhalten wurde.[1]
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Dicyandiamid ist ein wichtiger Ausgangsstoff für Melamin, welches für Kunstoffe verwendet wird. Außerdem werden aus Dicyandiamid Guanidiniumsalze hergestellt.[2] Die Verbindung ist allerdings auch ein Ausgangstoff für zahlreiche andere Chemikalien und Pharmazeutika, beispielsweise Metformin, ein Medikament für die Behandlung von Typ-2 Diabetes.[3]

Geräte:

Bechergläser, Waage, Heizplatte mit Magnetrührer, Filterpapiere, Büchnertrichter mit Saugflasche und Vakuumpumpe

Chemikalien:

Calciumcyanamid (als Bestandteil in Kalkstickstoffdünger) Warnhinweis: cWarnhinweis: attn
Wasser
Schwefelsäure (optional, 15 %) Warnhinweis: c
Dicyandiamid Warnhinweis: attn

Hinweise:

Die Reaktion des Düngers in kochendem Wasser ist etwas exotherm, es kann sich außerdem unter Umständen Schaum bilden. In diesen Versuchen stellte dies kein Problem dar, die verwendeten Bechergläser sollten dennoch nicht zu über 75 % ihres Volumens gefüllt werden.


Durchführung:

Es wurden eine Reihe von Versuchen angestellt, um eine möglichst geeignete und einfache Vorschrift zu finden. Am optimalsten haben sich Versuche 4-6 bzw. 8 gezeigt - Versuch 8 zeigt, dass das Düngermittel nicht gepulvert werden muss. Die Vorschriften sind der Literatur entnommen.[2][6][8][9][10]
Versuch 7 ist in der Tabelle nicht dargestellt, da ein anderes Verfahren verwendet wurde:
Versuche_.png
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Dünger:
Bei dem Dünger handelt es sich um handelsüblichen Kalkstickstoff. Der verwendete Dünger hatte einen Gesamtstickstoffgehalt von 19,8 %, davon 1,5 % Nitratstickstoff. Der Calciumcyanamidstickstoff ist mit > 15 % angegeben. Aus diesen Angaben lässt sich ein Gehalt von 43-52 % Calciumcyanamid berechnen. Laut Datenblatt besteht der Dünger zu 25-50 % aus Calciumcyanamid und zu 10-15 % aus Calciumhydroxid. Für die folgenden Ausbeuten wird ein Gehalt von 50 % Calciumcyanamid im Dünger angenommen.

Versuch 1:
Es wurden 200 mL Wasser auf 95 °C erhitzt. Dann wurden etwas mehr als 100 g Kalkstickstoffprills abgewogen und in einer elektrischen Kaffeemühle zu einem feinen Pulver zermahlen. 100 g dieses Düngerpulvers wurden dann zügig unter starkem Rühren zum heißen Wasser gegeben. Nach einigen Minuten kocht die Lösung durch die Exothermie der Reaktion auf (die Lösungstemperatur steigt auf etwa 102 °C), und das Becherglas wurde mit einem Uhrglas abgedeckt. Die Lösung wurde für 30 Minuten bei 100 °C gehalten. Während dieser Zeit wurden 2x 10 mL Wasser dazugegeben, da etwas Wasser trotz Uhrglas verdampfte. Die Lösung wurde dann direkt heiß über einen Büchnertrichter vakuumfiltriert, was ohne Verstopfen möglich ist und sehr schnell geht. Zurück bleibt ein schwarzer Rückstand. Das Becherglas und der Filterkuchen wurden zwei Mal mit 25 mL und einmal mit 10 mL Wasser gewaschen, und das heiße Filtrat auf Raumtemperatur abkühlen lassen, das Volumen der Lösung betrug etwa 230-240 mL. Es bildeten sich lange, nadelförmige Kristalle. Sieben Stunden nach der Filtration wurden sie abfiltriert und mit 10 mL kaltem Wasser gewaschen. Das Filtrat hatte eine grünliche Farbe. Die Kristalle von Dicyandiamid wurden für einen Tag an einem warmen Ort an der Luft getrocknet.

Ausbeute: 8,99 g Dicyanamid (34 %)

Versuch 2:
Dieser Versuch wurde wie der erste durchgeführt, aber es wurde versucht, die Temperatur die ganze Zeit bei 90 °C zu halten, um zu überprüfen, ob so eine höhere Ausbeute erzielt werden könnte, da sich Dicyandiamid in alkalischen Lösungen bei längerem Kochen zersetzt. Es sollte überprüft werden, ob Produkt durch diese Zersetzung bereits merklich verloren geht. Das Wasser wurde wieder vorgewärmt. Die Temperatur zu halten gelang anfangs nicht, da sich die Lösung durch die Exothermie auf 100 °C erwärmte und zu Sieden begann. Die Temperatur der Lösung wurde mittels eines Wasserbades rasch wieder auf 90 °C gesenkt und für insgesamt 30 Minuten gehalten. Es wurden auch hier 2x 10 mL Wasser dazugeben. Dann wurde sie heiß filtriert und mit den gleichen Wassermengen gewaschen. Nach sieben Stunden bei Raumtemperatur wurden die Kristalle abfiltriert und mit 10 mL kaltem Wasser gewaschen. Das Filtrat hatte nur eine schwache gelbliche Farbe. Die Kristalle wurden an einem warmen Ort für einen Tag an der Luft getrocknet.

Ausbeute: 8,19 g Dicyanamid (31 %)

Versuch 3:
Dieser Versuch wurde wie der erste durchgeführt, aber es wurde die Temperatur von 100 °C für 45 Minuten gehalten. Während des Siedens wurden daher insgesamt 3x 10 mL Wasser zugegeben. Der Rest des Versuches lief identisch zum Ersten ab.

Ausbeute: 9,25 g Dicyanamid (35 %)

Versuch 4:
Dieser Versuch war eine leichte Abwandlung des ersten. Es wurden 100 g des Düngerpulvers und 200 mL Wasser kalt vermischt und dann unter Rühren zum Sieden erhitzt. Sobald die Mischung zu kochen begann, wurde sie abgedeckt und für 30 Minuten dabei gehalten. Die Mischung wurde dann über einen Büchnertrichter filtriert und mit wenig Wasser nachgewaschen. Die Lösung wurde über Nacht auf etwa 10 °C abgekühlt und die Kristalle dann abgesaugt. Die Kristalle wurden einen Tag lang an einem warmen Ort auf Filterpapier getrocknet.

Ausbeute: 9,72 g Dicyanamid (37 %)

Versuch 5:
Dieser Versuch wurde durchgeführt wie Versuch 4, aber es wurden 110 g Düngerpulver und die Mutterlauge von Versuch 4 (ca. 200 mL) anstelle von frischem Wasser verwendet.

Ausbeute: 14,68 g Dicyanamid (13,35 g pro 100 g Dünger, 51 %)

Versuch 6:
Dieser Versuch wurde durchgeführt wie Versuch 4, aber es wurden 150 g Düngerpulver und die Mutterlauge von Versuch 5 (ca. 200 mL) und zusätzlich 100 mL Wasser verwendet.

Ausbeute: 15,24 g Dicyanamid (10,16 g pro 100 g Dünger, 39 %)

Versuch 7:
Dieser Versuch wurde durchgeführt um zu überprüfen, ob ein zweischrittiges Verfahren und pH-Kontrolle bessere Ausbeuten liefert, was industriell auch so gemacht wird und sich in den meisten modernen Vorschriften finden lässt. Es wurden 200 g Düngerpulver in 1 L Wasser unter Rühren auf 50 °C erhitzt und 30 Minuten bei dieser Temperatur gehalten. Dann wurde über einen Büchnertrichter vakuumfiltriert und das gelbliche Filtrat erneut in ein Becherglas gegeben. Es wurde eine 10 g Probe dieser Lösung entnommen, dann auf einer Waage tropfenweise mit 15%iger Schwefelsäure versetzt, bis der pH-Wert nach Sauer umschlägt (überprüfen mit pH-Papier). Es fällt Calciumsulfat aus. Die verwendete Masse (hier etwa 3,2 g) an Schwefelsäure wird auf die Gesamtlösung hochgerechnet, was eine gute Schätzung der tatsächlich benötigten Menge an Schwefelsäure ist. Da ungefähr 950 mL Lösung vorlagen, wurde die Menge an Schwefelsäure auf 300 g geschätzt. Diese Menge wurde in zwei Portionen geteilt. Die Lösung wurde mit der ersten Hälfte der Schwefelsäure versetzt, gleichzeitig wurde sie auf 75 °C erhitzt. Es fällt weißes Calciumsulfat aus. Es wurden im Verlauf von 70 Minuten 110 g der zweiten Schwefelsäureportion hinzugetropft, wobei der pH-Wert häufig überprüft wurde. Dieser schlug nach 110 g von neutral bis schwach alkalisch nach sauer um, weshalb mit einer Spatelspitze Calciumhydroxid wieder neutralisiert wurde. Die Lösung wurde für zehn Minuten gerührt und dann über einen Büchnertrichter vakuumfiltriert, was keine Probleme bereitet. Das Filtrat wurde dann erneut in ein Becherglas gegeben, auf 80 °C erwärmt und unter Rühren bei dieser Temperatur für 6 Stunden auf ca. 450 mL eingedunstet. Die Lösung wurde dann filtriert und auf 10 °C abkühlen gelassen. Die Lösung färbte sich schwach pink. Die Kristalle wurden abgesaugt und an der Luft getrocknet, sie enthalten noch etwas Calciumsulfat und sollten umkristallisiert werden, was hier später mit der Gesamtausbeute aller Versuche erst durchgeführt wurde.

Ausbeute: 19,95 g Dicyanamid (9,98 g pro 100 g Dünger, 38 %)

Versuch 8:
Dieser Versuch wurde wie Versuch 5 durchgeführt, aber mit 100 g ganzen Düngerprills und 200 mL Mutterlauge.

Ausbeute: 13,42 g (51 %)

Schmelzpunkt:
Einige Kristalle des gewonnenen Dicyandiamids wurden in einem Mikroreagenzglas im Ölbad langsam erhitzt. Die Probe schmolz bei 211-212 °C.
Die Literaturwerte des Schmelzpunktes sind angeben mit 209,0-210,8 °C[2], 209,15 °C[2], 214 °C[2], 210 °C[2][8], 209,5 °C[2][7][9], 207 °C[2], 205 °C.[2][10]

Calciumgehalt:
Einige Kristalle, die in Versuch 8 erhalten wurden, wurden in etwa 2-3 mL Wasser gelöst. Dazu wurde eine Lösung von Ammoniumoxalat gegeben. Es trat keine Trübung und kein Niederschlag auf, es ist also kein Calcium im Rohprodukt nachweisbar. Es sei anzumerken, dass das Rohprodukt aus Versuch 7 sehr deutlich Calciumsulfat enthielt.

Umkristallisation:
Es wurden 81,58 g Dicyandiamid (von den insgesamt in den sieben Versuchen erhaltenen 86 g wurde etwas für andere Experimente bereits verwendet) in etwa 400 mL 75 °C heißes Wasser unter Rühren durch langsame Zugabe gelöst. Die Lösung wurde filtriert, wobei etwas Calciumsulfat und Calciumcarbonat zurückbleibt. Die Löslichkeitskurve von Dicyandiamid sinkt unter 65 °C stark ab, weshalb sich bereits etwas Kristalle im Filter ausschieden - ein vorgewärmter Filter wäre von Vorteil gewesen. Durch das schlagartige Kühlen des Filtrates scheiden sich viele kleine Kristalle aus. Diese Lösung wird erneut auf 75 °C erhitzt um die kleinen Kristalle wieder in Lösung zu bringen. Der pH-Wert der farblosen Lösung beträgt etwa 7-8. Die Lösung wird dann auf 10 °C langsam abkühlen gelassen und nach einigen Stunden werden die Kristalle abgenutscht. In Versuchen 1-8 scheidet sich das Dicyandiamid nadelförmig ab, bei der Umkristallisation aus Wasser jedoch in rhombischen dicken Platten. Die Kristalle werden an der Luft getrocknet.

Ausbeute: 70,06 g (86 %)

Reinigung:
Auf den Glasgeräten schlägt sich beim Extrahieren des Düngers ein Schleier von Calciumsalzen nieder, hauptsächlich das Hydroxid, Carbonat und Sulfat. Diese Trübung lässt sich leicht mit Essigsäure (25%ig oder verdünnter) entfernen.

Kosten:
Das hier verwendete Düngemittel kostete 2,60 Euro pro Kilogramm. Mit den erzielten Ausbeuten ließen sich mit einem Kilogramm Dünger daher 82-134 g Dicyandiamid gewinnen, was einem Preis von 1,94-3,17 Euro pro 100 g Dicyandiamid entspricht. Der kommerzielle Preis bei Chemikalienhändlern bewegt sich zwischen 3-9 Euro pro 100 g. Die Methode kann also zur relativ kostengünstigen Gewinnung von Dicyandiamid verwendet werden.

Fazit:
Angesichts der durchgeführten Versuche lässt sich sagen, dass das genaue Einhalten der Bedingungen nicht allzu kritisch ist. Die zeitaufwendige Methode mit der Schwefelsäure (Versuch 7) gab nur geringfügig bessere Ausbeuten und ist den Mehraufwand daher nicht wert. Am besten verfährt man nach Versuchen 4-6 bzw. 8 und verwendet die Mutterlauge für erneute Extraktionen wieder. Die Verwendung von ganzen Prills anstelle von Düngerpulver ist ohne Verringerung der Ausbeute möglich.

Entsorgung:

Dicyandiamid ist ungiftig, daher können die Lösungen in den Ausguss gegeben werden. Der Filterkuchen aus verbrauchtem Düngemittel kommt in den Hausmüll.

Erklärung:

Beim Rühren des Kalkstickstoffes hydrolysiert das Calciumcyanamid und setzt Cyanamid frei:

CaCN2 + 2 H2O → Ca(OH)2 ↓ + H2NCN

Durch den im Dünger enthaltenen Kalk und das bei der Hydrolyse entstehende Calciumhydroxid ist die Lösung alkalisch. Unter diesen Bedingungen und beim Erhitzen dimerisiert das Cyanamid zu Dicyandicamid nach folgendem Mechanismus:[5]
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Das Dicyandiamid liegt sowohl im Festkörper als auch in Lösung in seiner Diamidform und nicht als Cyanoguanidin vor.[2][4]

Dicyandiamid kann aus Wasser umkristallisiert werden, die Löslichkeit beträgt bei 0 °C 1,27 g/100 g Wasser, bei 74,5 °C allerdings 32,58 g/100 g Wasser.[2]
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Bilder:
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Das geprillte Düngemittel.

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Das pulverisierte Düngemittel in Suspension.

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Dicyandiamid kristallisiert nach der Synthese in langen, klaren Nadeln aus.

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Nahaufname der Kristalle.

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Die Mutterlaugen von Versuchen 1, 2 und 3 (in dieser Reihenfolge von links nach rechts).

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Die Kristallform verändert sich durch eine Umkristallisation aus Wasser.

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Das trockene, umkristallisierte Produkt.

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Nahaufnahme dieser neuen Kristallform.


Quellen:

[1] J. Haag, (1862). Ueber Dicyandiamid und eine neue daraus entstehende Base. Annalen Der Chemie Und Pharmacie, 122(1), 22–33. doi:10.1002/jlac.18621220103
[2] Gmelins Handbuch der Anorganischen Chemie - Kohlenstoff Teil D 1, 8. Auflage, Weinheim/Bergstraße 1971, S. 280, 282, 292f.
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Metformin
[4] J. B. Moffat, (1983). The dimers of cyanamide. Journal of Molecular Structure: THEOCHEM, 94(3-4), 261–265. doi:10.1016/0166-1280(83)80133-x
[5] Total synthesis of metformin, https://www.sciencesnail.com/science/to ... -metformin
[6] J. Söll, A. Stutzer, (1909). Mitteilungen über einige neue Verbindungen, die aus Guanylharnstoff und aus Diguanid erhalten wurden. Berichte Der Deutschen Chemischen Gesellschaft, 42(4), 4532–4541. doi:10.1002/cber.19090420453
[7] W. L. F. Armarego, Purification of Laboratory Chemicals 6th Edition 2009, S. 119
[8] Y. Sankaranarayanan, H. K. Sen, Manufacture of urea, dicyandiamide, melamine, guanidine carbonate and guanyl urea sulfate, 1943. https://insa.nic.in/writereaddata/UpLoa ... _Art10.pdf
[9] Ludwig F. Audrieth, Inorganic Synthesis Vol. III, 1950, S. 43f.
[10] Beilsteins Handbuch der Organischen Chemie Dritter Band - Acyclische Oxycarbonsäuren und Oxocarbonsäuren, Vierte Auflage Berlin 1921, S. 91ff.
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lemmi
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Re: Dicyandiamid aus Kalkstickstoffdünger

Beitrag von lemmi »

Interessante Versuche! Schön finde ich, dass du die verschiedenen Vorgehensweisen dargestellt hast, da gibt es was zum Diskutieren.

Für mich sieht es so aus, als ob der entscheidende Faktor bei der Ausbeute die Menge an Lösungsmittel ist. du hast bei allen Versuchen im Mittel etwa 35% Ausbeute erzielt, aber als du im Versuch 5 kein reines Wasser, sondern die Mutterlauge des vorigen Versuchs genommen hast (die schon mit Dicyandiamid gesättigt war) hat die Ausbeute einen Sprung gemacht und betrug über 50%. Nach deinem Diagramm lösen sich in 100 g Wasser bei Zimmertemperatur ca 3 g des Produktes.

Da das Rohmaterial so preisgünstig ist lohnt es vermutlich nicht, die Lösungen einzudampfen, da kostet das Heizen mehr als man an Ausbeute herausholt. Aber die Verwendung von Mutterlaugen für weitere Gewinnungen könnte man empfehlen. Es sei denn, die Reinheit des Präparates leidet irgendwann zu sehr. Was käme als Verunreinigung in Frage? So wie es aussieht, im wesentlichen Calciumsalze. Hast du darauf geprüft?

P.S.: sehr schönes Kristall-Mikrofoto!
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Visko
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Re: Dicyandiamid aus Kalkstickstoffdünger

Beitrag von Visko »

Vielen Dank lemmi!
lemmi hat geschrieben: Freitag 5. März 2021, 21:15Für mich sieht es so aus, als ob der entscheidende Faktor bei der Ausbeute die Menge an Lösungsmittel ist.
Richtig, das würde ich auch denken. Die Schwankungen durch die unterschiedlichen Lösungsvolumina sind wahrscheinlich gravierender als die genaue Temperatur und Dauer des Erhitzens.

Die Wiederverwendung der Mutterlauge hat genau diesen Zweck, die Lösung bereits bei Raumtemperatur gesättigt an Dicyandiamid zu haben, und steigert die Ausbeute dadurch bedeutend.
lemmi hat geschrieben: Freitag 5. März 2021, 21:15Was käme als Verunreinigung in Frage? So wie es aussieht, im wesentlichen Calciumsalze. Hast du darauf geprüft?
Fortgesetztes Erhitzen in dieser alkalischen Lösung würde wahrscheinlich zu Ammelid und Ammelin führen, zumindest ist das eine Zersetzungsweise laut Gmelin. Calciumverunreinigungen sind allerdings sicherlich die wahrscheinlichste Quelle für Verunreinigungen. Explizit getestet habe ich nicht auf Calcium, allerdings kann zumindest keine große Menge Calciumhydroxid vorhanden sein, die Lösung des Produktes ist auch ohne Umkristallisation neutral. Der Schmelzpunkt ist auch nicht erniedrigt. Das unreinste Produkt wurde in Versuch 7 erhalten, was sichtbar Calciumsulfat enthielt. Bei den anderen Versuchen konnte zumindest optisch keine Calciumkontamination beobachtet werden (durchsichtige, nadelförmige Kristalle). Beim Versetzen der Lösung der nicht umkristallisierten Kristalle mit Schwefelsäure fällt kein Calciumsulfat aus.
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lemmi
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Re: Dicyandiamid aus Kalkstickstoffdünger

Beitrag von lemmi »

Ich glaube auch nicht, dass nach dem UK noch Calciumsalze vorhanden sind. Im Rohprodukt vielleicht schon. Kannst du das mit Ammoniumoxalat prüfen?

Wozu war eigentlich der Schwefelsäurezusatz im letzten Versuch gedacht?

Kann man von Dicyandiamid eine DC machen um die von dir genannten Abbauprodukte zu erfassen?
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mgritsch
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Re: Dicyandiamid aus Kalkstickstoffdünger

Beitrag von mgritsch »

Wow, super aufbereitet, thx! :thumbsup:
Versuche wo man interessante Rohstoffe aus „Rohstoffen“ gewinnt sind immer besonders nützlich. Bin gespannt was aus dem Produkt noch alles werden kann :D
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Visko
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Re: Dicyandiamid aus Kalkstickstoffdünger

Beitrag von Visko »

lemmi hat geschrieben: Freitag 5. März 2021, 22:17Kannst du das mit Ammoniumoxalat prüfen?
Ich kann morgen noch einen Ansatz machen, dann kann ich das Rohprodukt testen ^^
lemmi hat geschrieben: Freitag 5. März 2021, 22:17Wozu war eigentlich der Schwefelsäurezusatz im letzten Versuch gedacht?
Die überwiegende Mehrzahl, fast alle Vorschriften im Gmelin, bei der Dimerisierung des Cyanamides auf einen ziemlich genauen pH-Wert achten, die entweder mit Schwefelsäure oder Kohlendioxid. Das soll deutlich bessere Ausbeuten geben, ist nach meinen Versuchen aber viel zu zeitaufwendig und gibt ein unreineres Produkt, ist es also nicht wert. Wenn da jetzt plötzlich 80 % Ausbeute, wie die Literatur sagt, herausgekommen wären, wäre das ja eine gute Option gewesen.

Danke mgritsch ^^ Ja, ich hab noch etwas geplant mit dem Dicyandiamid. Das ist aber weder angefangen noch artikelreif zur Zeit, wird aber hoffentlich irgendwann kommen.
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Re: Dicyandiamid aus Kalkstickstoffdünger

Beitrag von Glaskocher »

Das ist in der Tat ein interessantes Verfahren. Jetzt wäre es noch interessant, ob man den Dünger überhaupt fein mahlen muß, oder ob sich die Prills auch mit brauchbarer Ausbeute extrahieren lassen. Die Ausbeutesteigerung in Versuch 5 ist sehr erfreulich. Ich frage mich, ob der Filterkuchen mit der recht knappen Menge Waschwasser wirklich "sauber" geworden ist. Beim Nachwaschen, eventuell mit warmem Wasser, sollte das Filtrat aber separat aufgefangen werden, um es bei RT eindunsten zu lassen. Aber der Aufwand wird vermutlioch nicht vom Mehr an Ausbeute aufgewogen.

Das Dicyanamid müßte doch langsam hydrolysieren und sich zuletzt zu Ammoniak und Kohlendioxid abbauen. Das ist auch das Prinziep hinter der Depot-Wirkung von Kalkstickstoff. Nebenbei wird vom Landwirt auch die leichte biozide Wirkung (tötet Saat und Keimlinge, sowie Weideparasiten) geschätzt. Ob diese Wirkung sich auch auf Insekten erstreckt konnte ich auf die Schnelle nicht feststellen.

Man sollte aber die Hemmung von Aldehyddehydrogenasen durch Cyanamid kennen, wenn man mit Kalkstickstoff arbeitet. Das kann schon nach deutlich weniger Alkohol einen extrafetten Kater herauf beschwören.
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Re: Dicyandiamid aus Kalkstickstoffdünger

Beitrag von mgritsch »

Glaskocher hat geschrieben: Freitag 5. März 2021, 23:27 Nebenbei wird vom Landwirt auch die leichte biozide Wirkung (tötet Saat und Keimlinge, sowie Weideparasiten) geschätzt.
Wie, das Zeug tötet Saat und Keimlinge? Echt jetzt? :eek: Habe ich noch nie gehört, wie kann man sowas als Dünger nutzen? Nur länger vor der Saat ausbringen und auf Abbau hoffen? :conf:
Man sollte aber die Hemmung von Aldehydoxidasen durch Cyanamid kennen, wenn man mit Kalkstickstoff arbeitet. Das kann schon nach deutlich weniger Alkohol einen extrafetten Kater herauf beschwören.
Wow, noch eine unbekannte Wirkung! Das kann aber ganz schön toxisch enden! Wurde nicht so ein Effekt bei Alkohol-Entzugs-Medikamenten genutzt? Der Patient sollte schon bei kleiner konsumierter Menge richtig übel drauf sein...

(Etwas das nur die Alkohol-Dehydrogenase hemmt oder wahlweise unterstützt kennst du nicht zufällig? 1 Bier reicht dann für die ganze Nacht bzw vor der Heimfahrt nimmt man den „Booster“ und ist in 0,nix wieder trocken...) :yeah:
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Re: Dicyandiamid aus Kalkstickstoffdünger

Beitrag von mgritsch »

So, nochmal in Ruhe genauer studiert und quergelesen, ist schon eine spannende Chemie das :) Ein paar Fragen/Anregungen haben sich noch ergeben:
  • Wie hydrolyseempfindlich (zB zu Ammoniumcarbonat oder Harnstoff) ist das Produkt? (Ggfs bei welchem pH - kommt es mit sauer/basisch besser klar?)
  • Hast du bei der Extraktion oder Umkristallisation NH3-Geruch wahrgenommen?
  • Wie erklärt sich die andere Kristallform nach der UK? Die ersten Kristalle gefielen mir besser, was müsste man machen um wieder die hübschen Nadeln zu bekommen?
  • Wie „löslich“ sind die prills? Ist es wirklich notwendig vorher zu mahlen? Angesichts der „Nebenwirkungen“ wäre es durchaus hilfreich mit wenig Staub auszukommen und sich die Arbeit zu sparen...
  • dass das Verwenden von Mutterlauge zur Extraktion hilft, zeigt vor allem dass das Lösungsvolumen einfach etwas zu hoch ist für die enthaltene Stoffmenge. Ich nehme an 100 g prills vs 200 ml Wasser ist bzgl Rührbarkeit der Pampe schon eher das Limit und zB 100+100 wäre nicht praktikabel?
  • siehst du einen Weg (bzw wegen Giftigkeit Risiko?) statt des Dimers (gezielt?) das Cyanamid zu isolieren?
  • Anmerkungen zu Überlegungen zu den gewählten Bedingungen (zB warum hast du in #2 angenommen dass bei 90° halten besser sein könnte als kochen? Detto warum die H2SO4 Methode...) wären nice als Ergänzung
  • Cool wäre eine Übersichtstabelle über Versuch Nr / Bedingungen / Ausbeute / Kommentar, wenn man durch alles durchgraben muss ist das etwas mühsamer...
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Re: Dicyandiamid aus Kalkstickstoffdünger

Beitrag von Visko »

mgritsch hat geschrieben: Samstag 6. März 2021, 08:59Wie hydrolyseempfindlich (zB zu Ammoniumcarbonat oder Harnstoff) ist das Produkt? (Ggfs bei welchem pH - kommt es mit sauer/basisch besser klar?)
Im neutralen ist es beständig. Im sauren wird es leicht zu Guanylharnstoff hydrolysiert, einige Stunden kochen mit verdünnten Säuren (Essigsäure, Schwefelsäure, Salpetersäure, etc.) bilden quantitativ die Salze von Guanylharnstoff. Gegen Basen ist es labil, laut Gmelin ist die Ammoniakabgabe in kochender 10 molarer Natronlauge bereits nach 4 Stunden vollständig.
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mgritsch hat geschrieben: Samstag 6. März 2021, 08:59Hast du bei der Extraktion oder Umkristallisation NH3-Geruch wahrgenommen?
Ja, bei der Extraktion habe ich einen leichten Ammoniakgeruch festgestellt (habe gerade nachgeprüft: Unitest färbt sich blau) sowie einen sehr schwachen Geruch nach Phosphin (Knoblauchartig), was sicherlich daran liegt, dass Calciumcyanamid aus Calciumcarbid hergestellt wird, und das ist immer ziemlich unrein. Während der Umkristallisation war es gänzlich geruchslos.
mgritsch hat geschrieben: Samstag 6. März 2021, 08:59Wie erklärt sich die andere Kristallform nach der UK? Die ersten Kristalle gefielen mir besser, was müsste man machen um wieder die hübschen Nadeln zu bekommen?
Warum die Kristallform sich verändert ist mir nicht klar, der Effekt ist in der Literatur aber dokumentiert. Laut Gmelin kristallisieren aus Alkohol "nur dünne spitze Nadeln". Allerdings ist die Löslichkeitskurve in Alkohol viel weniger gut geeignet für eine Umkristallisation - bei 0 °C lösen sich in 100 g Alkohol 0,937 g, bei 60,1 °C nur 4,13 g. Für Wasser nimmt die Löslichkeit im gleichen Bereich um fast das 15fache zu.
mgritsch hat geschrieben: Samstag 6. März 2021, 08:59Wie „löslich“ sind die prills? Ist es wirklich notwendig vorher zu mahlen? Angesichts der „Nebenwirkungen“ wäre es durchaus hilfreich mit wenig Staub auszukommen und sich die Arbeit zu sparen...
Die Prills zerkrümeln bei der Extraktion, aber auf dem Filter waren oft noch ganze Prills zu sehen, für einheitliche Ergebnisse habe ich daher gemahlen. Das dauert auch nur 20 Sekunden und staubt nur sehr wenig.
mgritsch hat geschrieben: Samstag 6. März 2021, 08:59dass das Verwenden von Mutterlauge zur Extraktion hilft, zeigt vor allem dass das Lösungsvolumen einfach etwas zu hoch ist für die enthaltene Stoffmenge. Ich nehme an 100 g prills vs 200 ml Wasser ist bzgl Rührbarkeit der Pampe schon eher das Limit und zB 100+100 wäre nicht praktikabel?
Das habe ich nicht getestet. In der Literatur habe ich Werte von der Doppelten bis Fünffachen Masse Wasser zu Kalkstickstoff für den Prozess gefunden. Man sollte schon einen großen Rührfisch nehmen, sonst funktioniert das Rühren bei ersterem nicht - der Schlamm sinkt schnell zu Boden und hindert das Rühren sonst.
mgritsch hat geschrieben: Samstag 6. März 2021, 08:59siehst du einen Weg (bzw wegen Giftigkeit Risiko?) statt des Dimers (gezielt?) das Cyanamid zu isolieren?
Cyanamid ist viel schwieriger zu gewinnen, da es sehr leicht zu Dicyandiamid dimerisiert. Die Vorschriften, die ich gefunden habe beeinhalten aufwendige Konzentrationsschritte unter vermindertem Druck, außerdem schmilzt es bei 46 °C und ist äußerst löslich in Wasser (daher die Vakuumkonzentrationschritte).

Zum Rest: Kann ich ergänzen. Versuch 2 wurde bei 90 °C durchgeführt um zu prüfen, ob das fortgesetzte Kochen eher Ausbeute kostet als mehr bringt, im stark basischen sollte ja eigentlich Zersetzung eintreten. Versuch 3 zeigt aber, dass diese Sorge nicht sehr begründet war.
Es ist eine bedeutende und allgemein verbreitete Tatsache, dass Dinge nicht immer das sind, was sie zu sein scheinen.
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Re: Dicyandiamid aus Kalkstickstoffdünger

Beitrag von Glaskocher »

Hier mal ein Link zu einer Seite mit recht guter Beschreibung der Eigenschaften von Kalkstickstoff. Das Abtöten von Sämlingen scheint wohl nur in den obersten 3-4cm stattzufinden, was selektiv Saatunkräuter erwischt und tiefer wurzelnde Pflanzen verschont.

Man scheint tatsächlich Cyanamid als "Trinkvergraulungsmittel" an Alkoholiker zu verabreichen, um deren Alkoholtoleranz gezielt wieder abzutrainieren (laut Link).


Eine Änderung der KristallFORM, nicht jedoch Struktur wird auch beim Kochsalz beschrieben, wenn es aus einer Lösung mit Harnstoffzusatz kristallisiert. Die aus reinem Wasser kristalisierenden Würfen "verwandeln" sich in Oktaeder. Das geschieht wohl daher, daß andere Kristallachsen im Wachstum gehemmt, oder bevorzugt werden, weil der Zusatz bevorzugt an den dann als Flächen ausgebildeten Achsen koordiniert und somit im Wachstum bremst.
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Re: Dicyandiamid aus Kalkstickstoffdünger

Beitrag von mgritsch »

:thumbsup:

Ich war geistig auf der Suche nach den fehlenden 50-60%.
Bei der Extraktion warst du ja immer sehr basisch über das CaO, somit sollte hydrolyse eine große Rolle spielen. Leider ist die Originalstelle dazu in der Gazz.Chim.Ital. und damit nicht mehr ohne weiteres auffindbar.. :( hätte mich interessiert wie rasch das geht.

Der Versuch mit Schwefelsäure ist insofern verständlich, aber sollte die dann nicht schon bei der Extraktion drin sein und nicht erst am Filtrat?
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Visko
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Re: Dicyandiamid aus Kalkstickstoffdünger

Beitrag von Visko »

Danke Glaskocher! Das ist sehr spannend, wusste ich noch nicht... Den Effekt mit der anderen Kristallform kann man in genau umgekehrter Weise mit Kaliumalaun und Borax beobachten: Ohne Borax wachsen Oktaeder, von denen mit zunehmender Menge Borax die Ecken fehlen und schließlich Würfel entstehen, siehe https://en.m.crystalls.info/Aluminum-potassium_sulfate
mgritsch hat geschrieben: Samstag 6. März 2021, 13:00Der Versuch mit Schwefelsäure ist insofern verständlich, aber sollte die dann nicht schon bei der Extraktion drin sein und nicht erst am Filtrat?
Das hat einen ganz entscheidenden Nachteil, nämlich, dass man auch noch das ganze Calciumhydroxid und -carbonat neutralisieren muss - das wäre eine ziemliche Verschwendung im Labormaßstab...
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Re: Dicyandiamid aus Kalkstickstoffdünger

Beitrag von Xyrofl »

Wie, das Zeug tötet Saat und Keimlinge? Echt jetzt? :eek: Habe ich noch nie gehört, wie kann man sowas als Dünger nutzen? Nur länger vor der Saat ausbringen und auf Abbau hoffen?
Genau, es ist eher kein klassischer Dünger, der regelmäßig auf die Pflanzen gestreut werden sollte, sondern ein Mittel zur Saatvorbereitung, das den Boden "aufräumt" indem es unerwünschte Keime abtötet, vordüngt und durch den Kalk auch einer Versauerung vorbeugt. Der Einsatz ist nicht einfach und wenn man zur falschen Zeit streut, dann richtet man mehr Schaden als Nutzen an. Kalkstickstoff vernichtet fast selektiv Jungpflanzen und Flachwurzler, tötet Schneckeneier ab und außerdem verlangsamt er die Nitratbildung aus Ammoniak. Da gute Böden immer eine hohe Kationenaustauschkapazität besitzen, bleibt Ammonium länger im Boden und besitzt eine Art Depotwirkung. Nitrat dagegen wird viel leichter von den Pflanzen aufgenommen, aber auch leichter ausgewaschen, da die Anionenaustauschkapazität meistens eher mager ist. Definitiv ein kompliziertes Werkzeug und nicht der Standard-Blumendünger für Anfänger.
Calciumcitrat
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Re: Dicyandiamid aus Kalkstickstoffdünger

Beitrag von Calciumcitrat »

mgritsch hat geschrieben: Samstag 6. März 2021, 07:19
Wow, noch eine unbekannte Wirkung! Das kann aber ganz schön toxisch enden! Wurde nicht so ein Effekt bei Alkohol-Entzugs-Medikamenten genutzt? Der Patient sollte schon bei kleiner konsumierter Menge richtig übel drauf sein...

(Etwas das nur die Alkohol-Dehydrogenase hemmt oder wahlweise unterstützt kennst du nicht zufällig? 1 Bier reicht dann für die ganze Nacht bzw vor der Heimfahrt nimmt man den „Booster“ und ist in 0,nix wieder trocken...) :yeah:
Jep, 4-Methylpyrazol (Fomepizol). Das wird bei Vergiftungen mit Methanol oder Ethylenglycol benutzt, um den Abbau zum toxischen Aldehyd und weiter zur Ameisensäure/Oxalsäure, welche dann Azidose oder Nierenschäden durch Calciumoxalatbildung führen, zu unterbinden. Es ist aber recht teuer, weswegen oft auch einfach ein ausreichend hoher Ethanolspiegel induziert wird, damit ist die Alkoholdehydrogenase dann beschäftigt und die Noxen werden dann anderweitig abgebaut.
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