Dicyandiamid, weniger korrekt Cyanoguanidin, ist ein farbloser Feststoff der erstmals im Jahre 1862 von J. Haag beim Stehenlassen einer Cyanamidlösung mit Ammoniaklösung erhalten wurde.[1] Dicyandiamid ist ein wichtiger Ausgangsstoff für Melamin, welches für Kunstoffe verwendet wird. Außerdem werden aus Dicyandiamid Guanidiniumsalze hergestellt.[2] Die Verbindung ist allerdings auch ein Ausgangstoff für zahlreiche andere Chemikalien und Pharmazeutika, beispielsweise Metformin, ein Medikament für die Behandlung von Typ-2 Diabetes.[3]
Geräte:
Bechergläser, Waage, Heizplatte mit Magnetrührer, Filterpapiere, Büchnertrichter mit Saugflasche und Vakuumpumpe
Chemikalien:
Calciumcyanamid (als Bestandteil in Kalkstickstoffdünger)


Wasser
Schwefelsäure (optional, 15 %)

Dicyandiamid

Hinweise:
Die Reaktion des Düngers in kochendem Wasser ist etwas exotherm, es kann sich außerdem unter Umständen Schaum bilden. In diesen Versuchen stellte dies kein Problem dar, die verwendeten Bechergläser sollten dennoch nicht zu über 75 % ihres Volumens gefüllt werden.
Durchführung:
Es wurden eine Reihe von Versuchen angestellt, um ein möglichst geeignete und einfache Vorschrift zu finden. Am optimalsten hat sich Versuche 4-6 bzw. 8 gezeigt - Versuch 8 zeigt, dass das Düngermittel nicht gepulvert werden muss. Die Vorschriften sind der Literatur entnommen.[2][6][8][9][10]
Versuch 7 ist in der Tabelle nicht dargestellt, da ein anderes Verfahren verwendet wurde:
Dünger:
Bei dem Dünger handelt es sich um handelsüblichen Kalkstickstoff. Der verwendete Dünger hatte einen Gesamtstickstoffgehalt von 19,8 %, davon 1,5 % Nitratstickstoff. Der Calciumcyanamidstickstoff ist mit > 15 % angegeben. Aus diesen Angaben lässt sich ein Gehalt von 43-52 % Calciumcyanamid berechnen. Laut Datenblatt besteht der Dünger zu 25-50 % aus Calciumcyanamid und zu 10-15 % aus Calciumhydroxid. Für die folgenden Ausbeuten wird ein Gehalt von 50 % Calciumcyanamid im Dünger angenommen.
Versuch 1:
Es wurden 200 mL Wasser auf 95 °C erhitzt. Dann wurden etwas mehr als 100 g Kalkstickstoffprills abgewogen und in einer elektrischen Kaffeemühle zu einem feinen Pulver zermahlen. 100 g dieses Düngerpulvers wurden dann zügig unter starkem Rühren zum heißen Wasser gegeben. Nach einigen Minuten kocht die Lösung durch die Exothermie der Reaktion auf (die Lösungstemperatur steigt auf etwa 102 °C), und das Becherglas wurde mit einem Uhrglas abgedeckt. Die Lösung wurde für 30 Minuten bei 100 °C gehalten. Während dieser Zeit wurden 2x 10 mL Wasser dazugegeben, da etwas Wasser trotz Uhrglas verdampfte. Die Lösung wurde dann direkt heiß über einen Büchnertrichter vakuumfiltriert, was ohne Verstopfen möglich ist und sehr schnell geht. Zurück bleibt ein schwarzer Rückstand. Das Becherglas und der Filterkuchen wurden zwei Mal mit 25 mL und ein Mal mit 10 mL Wasser gewaschen, und das heiße Filtrat auf Raumtemperatur abkühlen lassen, das Volumen der Lösung betrug etwa 230-240 mL. Es bildeten sich lange, nadelförmige Kristalle. Sieben Stunden nach der Filtration wurden sie abfiltriert und mit 10 mL kaltem Wasser gewaschen. Das Filtrat hatte eine grünliche Farbe. Die Kristalle von Dicyandiamid wurden für einen Tag an einem warmen Ort an der Luft getrocknet.
Ausbeute: 8,99 g Dicyanamid (34 %)
Versuch 2:
Dieser Versuch wurde wie der erste durchgeführt, aber es wurde versucht, die Temperatur die ganze Zeit bei 90 °C zu halten, um zu überprüfen, ob so eine höhere Ausbeute erzielt werden könnte, da sich Dicyandiamid in alkalischen Lösungen bei längerem Kochen zersetzt. Es sollte überprüft werden, ob Produkt durch diese Zersetzung bereits merklich verloren geht. Das Wasser wurde wieder vorgewärmt. Die Temperatur zu halten gelang anfangs nicht, da sich die Lösung durch die Exothermie auf 100 °C erwärmte und zu Sieden begann. Die Temperatur der Lösung wurde mittels eines Wasserbades rasch wieder auf 90 °C gesenkt und für insgesamt 30 Minuten gehalten. Es wurden auch hier 2x 10 mL Wasser dazugeben. Dann wurde sie heiß filtriert und mit den gleichen Wassermengen gewaschen. Nach sieben Stunden bei Raumtemperatur wurden die Kristalle abfiltriert und mit 10 mL kaltem Wasser gewaschen. Das Filtrat hatte nur eine schwache gelbliche Farbe. Die Kristalle wurden an einem warmen Ort für einen Tag an der Luft getrocknet.
Ausbeute: 8,19 g Dicyanamid (31 %)
Versuch 3:
Dieser Versuch wurde wie der erste durchgeführt, aber es wurde die Temperatur von 100 °C für 45 Minuten gehalten. Während des Siedens wurden daher insgesamt 3x 10 mL Wasser zugegeben. Der Rest des Versuches lief identisch zum Ersten ab.
Ausbeute: 9,25 g Dicyanamid (35 %)
Versuch 4:
Dieser Versuch war eine leichte Abwandlung des ersten. Es wurden 100 g des Düngerpulvers und 200 mL Wasser kalt vermischt und dann unter Rühren zum Sieden erhitzt. Sobald die Mischung zu kochen begann, wurde sie abgedeckt und für 30 Minuten dabei gehalten. Die Mischung wurde dann über einen Büchnertrichter filtriert und mit wenig Wasser nachgewaschen. Die Lösung wurde über Nacht auf etwa 10 °C abgekühlt und die Kristalle dann abgesaugt. Die Kristalle wurden einen Tag lang an einem warmen Ort auf Filterpapier getrocknet.
Ausbeute: 9,72 g Dicyanamid (37 %)
Versuch 5:
Dieser Versuch wurde durchgeführt wie Versuch 4, aber es wurden 110 g Düngerpulver und die Mutterlauge von Versuch 4 (ca. 200 mL) anstelle von frischem Wasser verwendet.
Ausbeute: 14,68 g Dicyanamid (13,35 g pro 100 g Dünger, 51 %)
Versuch 6:
Dieser Versuch wurde durchgeführt wie Versuch 4, aber es wurden 150 g Düngerpulver und die Mutterlauge von Versuch 5 (ca. 200 mL) und zusätzlich 100 mL Wasser verwendet.
Ausbeute: 15,24 g Dicyanamid (10,16 g pro 100 g Dünger, 39 %)
Versuch 7:
Dieser Versuch wurde durchgeführt um zu überprüfen, ob ein zweischrittiges Verfahren und pH-Kontrolle bessere Ausbeuten liefert, was industriell auch so gemacht wird und sich in den meisten modernen Vorschriften finden lässt. Es wurden 200 g Düngerpulver in 1 L Wasser unter Rühren auf 50 °C erhitzt und 30 Minuten bei dieser Temperatur gehalten. Dann wurde über einen Büchnertrichter vakuumfiltriert und das gelbliche Filtrat erneut in ein Becherglas gegeben. Es wurde eine 10 g Probe dieser Lösung entnommen, dann auf einer Waage tropfenweise mit 15%iger Schwefelsäure versetzt, bis der pH-Wert nach Sauer umschlägt (überprüfen mit pH-Papier). Es fällt Calciumsulfat aus. Die verwendete Masse (hier etwa 3,2 g) an Schwefelsäure wird auf die Gesamtlösung hochgerechnet, was eine gute Schätzung der tatsächlich benötigten Menge an Schwefelsäure ist. Da ungefähr 950 mL Lösung vorlagen, wurde die Menge an Schwefelsäure auf 300 g geschätzt. Diese Menge wurde in zwei Portionen geteilt. Die Lösung wurde mit der ersten Hälfte der Schwefelsäure versetzt, gleichzeitig wurde sie auf 75 °C erhitzt. Es fällt weißes Calciumsulfat aus. Es wurden im Verlauf von 70 Minuten 110 g der zweiten Schwefelsäureportion hinzugetropft, wobei der pH-Wert häufig überprüft wurde. Dieser schlug nach 110 g von neutral bis schwach alkalisch nach sauer um, weshalb mit einer Spatelspitze Calciumhydroxid wieder Neutralität hergestellt wurde. Die Lösung wurde für zehn Minuten gerührt und dann über einen Büchnertrichter vakuumfiltriert, was keine Probleme bereitet. Das Filtrat wurde dann erneut in ein Becherglas gegeben, auf 80 °C erwärmt und unter Rühren bei dieser Temperatur für 6 Stunden auf ca. 450 mL eingedunstet. Die Lösung wurde dann filtriert und auf 10 °C abkühlen gelassen. Die Lösung färbte sich schwach pink. Die Kristalle wurden abgesaugt und an der Luft getrocknet, sie enthalten noch etwas Calciumsulfat und sollten umkristallisiert werden, was hier später mit der Gesamtausbeute aller Versuche erst durchgeführt wurde.
Ausbeute: 19,95 g Dicyanamid (9,98 g pro 100 g Dünger, 38 %)
Versuch 8:
Dieser Versuch wurde wie Versuch 5 durchgeführt, aber mit 100 g ganzen Düngerprills und 200 mL Mutterlauge.
Ausbeute: 13,42 g (51 %)
Schmelzpunkt:
Einige Kristalle des gewonnenen Dicyandiamids wurden in einem Mikroreagenzglas im Ölbad langsam erhitzt. Die Probe schmolz bei 211-212 °C.
Die Literaturwerte des Schmelzpunktes sind angeben mit 209,0-210,8 °C[2], 209,15 °C[2], 214 °C[2], 210 °C[2][8], 209,5 °C[2][7][9], 207 °C[2], 205 °C.[2][10]
Calciumgehalt:
Einige Kristalle, die in Versuch 8 erhalten wurden, wurden in etwa 2-3 mL Wasser gelöst. Dazu wurde eine Lösung von Ammoniumoxalat gegeben. Es trat keine Trübung und kein Niederschlag auf, es ist also kein Calcium im Rohprodukt nachweisbar. Es sei anzumerken, dass das Rohprodukt aus Versuch 7 sehr deutlich Calciumsulfat enthielt.
Umkristallisation:
Es wurden 81,58 g Dicyandiamid (von den insgesamt in den sieben Versuchen erhaltenen 86 g wurde etwas für andere Experimente bereits verwendet) in etwa 400 mL 75 °C heißes Wasser unter Rühren durch langsame Zugabe gelöst. Die Lösung wurde filtriert, wobei etwas Calciumsulfat und Calciumcarbonat zurückbleibt. Die Löslichkeitskurve von Dicyandiamid sinkt unter 65 °C stark ab, weshalb sich bereits etwas Kristalle im Filter ausschieden - ein vorgewärmter Filter wäre von Vorteil gewesen. Durch das schlagartige Kühlen des Filtrates scheiden sich viele kleine Kristalle aus. Diese Lösung wird erneut auf 75 °C erhitzt um die kleinen Kristalle wieder in Lösung zu bringen. Der pH-Wert der farblosen Lösung beträgt etwa 7-8. Die Lösung wird dann auf 10 °C langsam abkühlen gelassen und nach einigen Stunden werden die Kristalle abgenutscht. In Versuchen 1-8 scheidet sich das Dicyandiamid nadelförmig ab, bei der Umkristallisation aus Wasser jedoch in rhombischen dicken Platten. Die Kristalle werden an der Luft getrocknet.
Ausbeute: 70,06 g (86 %)
Reinigung:
Auf den Glasgeräten schlägt sich beim Extrahieren des Düngers ein Schleier von Calciumsalzen nieder, hauptsächlich das Hydroxid, Carbonat und Sulfat. Diese Trübung lässt sich leicht mit Essigsäure (25%ig oder verdünnter) entfernen.
Kosten:
Das hier verwendete Düngemittel kostete 2,60 Euro pro Kilogramm. Mit den erzielten Ausbeuten ließen sich mit einem Kilogramm Dünger daher 82-134 g Dicyandiamid gewinnen, was einem Preis von 1,94-3,17 Euro pro 100 g Dicyandiamid entspricht. Der kommerzielle Preis bei Chemikalienhändlern bewegt sich zwischen 3-9 Euro pro 100 g. Die Methode kann also zur relativ kostengünstigen Gewinnung von Dicyandiamid verwendet werden.
Fazit:
Angesichts der durchgeführten Versuche lässt sich sagen, dass das genaue Einhalten der Bedingungen nicht allzu kritisch ist. Die zeitaufwendige Methode mit der Schwefelsäure (Versuch 7) gab nur geringfügig bessere Ausbeuten und ist den Mehraufwand daher nicht wert. Am Besten verfährt man nach Versuchen 4-6 bzw. 8 und verwendet die Mutterlauge für erneute Extraktionen wieder. Die Verwendung von ganzen Prills anstelle von Düngerpulver ist ohne Verringerung der Ausbeute möglich.
Entsorgung:
Dicyandiamid ist ungiftig, daher können die Lösungen in den Ausguss gegeben werden. Der Filterkuchen aus verbrauchtem Düngemittel kommt in den Hausmüll.
Erklärung:
Beim Rühren des Kalkstickstoffes hydrolysiert das Calciumcyanamid und setzt Cyanamid frei:
CaCN2 + 2 H2O → Ca(OH)2 ↓ + H2NCN
Durch den im Dünger enthaltenen Kalk und das bei der Hydrolyse entstehende Calciumhydroxid ist die Lösung alkalisch. Unter diesen Bedindungen und beim Erhitzen dimerisiert das Cyanamid zu Dicyandicamid nach folgendem Mechanismus:[5] Das Dicyandiamid liegt sowohl im Festkörper als auch in Lösung in seiner Diamidform und nicht als Cyanoguanidin vor.[2][4]
Dicyandiamid kann aus Wasser umkristallisiert werden, die Löslichkeit beträgt bei 0 °C 1,27 g/100 g Wasser, bei 74,5 °C allerdings 32,58 g/100 g Wasser.[2]
Bilder:
Das geprillte Düngemittel.
Das pulverisierte Düngemittel in Suspension.
Dicyandiamid kristallisiert nach der Synthese in langen, klaren Nadeln aus.
Nahaufname der Kristalle.
Die Mutterlaugen von Versuchen 1, 2 und 3 (in dieser Reihenfolge von links nach rechts).
Die Kristallform verändert sich durch eine Umkristallisation aus Wasser.
Das trockene, umkristallisierte Produkt.
Nahaufnahme dieser neuen Kristallform.
Quellen:
[1] J. Haag, (1862). Ueber Dicyandiamid und eine neue daraus entstehende Base. Annalen Der Chemie Und Pharmacie, 122(1), 22–33. doi:10.1002/jlac.18621220103
[2] Gmelins Handbuch der Anorganischen Chemie - Kohlenstoff Teil D 1, 8. Auflage, Weinheim/Bergstraße 1971, S. 280, 282, 292f.
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Metformin
[4] J. B. Moffat, (1983). The dimers of cyanamide. Journal of Molecular Structure: THEOCHEM, 94(3-4), 261–265. doi:10.1016/0166-1280(83)80133-x
[5] Total synthesis of metformin, https://www.sciencesnail.com/science/to ... -metformin
[6] J. Söll, A. Stutzer, (1909). Mitteilungen über einige neue Verbindungen, die aus Guanylharnstoff und aus Diguanid erhalten wurden. Berichte Der Deutschen Chemischen Gesellschaft, 42(4), 4532–4541. doi:10.1002/cber.19090420453
[7] W. L. F. Armarego, Purification of Laboratory Chemicals 6th Edition 2009, S. 119
[8] Y. Sankaranarayanan, H. K. Sen, Manufacture of urea, dicyandiamide, melamine, guanidine carbonate and guanyl urea sulfate, 1943. https://insa.nic.in/writereaddata/UpLoa ... _Art10.pdf
[9] Ludwig F. Audrieth, Inorganic Synthesis Vol. III, 1950, S. 43f.
[10] Beilsteins Handbuch der Organischen Chemie Dritter Band - Acyclische Oxycarbonsäuren und Oxocarbonsäuren, Vierte Auflage Berlin 1921, S. 91ff.