Ein Überblick über die Grundlagen der Komplexometrie findet sich hier im Forum bei lemmi. [1]
In der anorganischen Analytik besteht oft der Wunsch, mit möglichst einfachen Verfahren möglichst mehrere Metallionen in einem Gemisch zu identifizieren oder gleich zu quantifizieren, ohne komplizierte und Verlust-behaftete Zwischenschritte wie Fällungen mit Filtrationen, Extraktionen mit unangenehmen Lösungsmitteln oder Maskierungen zwischenschalten zu müssen.
Das ist (war) insbesondere der Fall, wenn mit hochradioaktiven Materialien aus Beschleuniger-Versuchen oder "Abbränden" aus Brennstäben gearbeitet werden musste.
Die Analytiker, die später komplexometrische Verfahren anwenden, haben im Laufe der Zeit ebenfalls einige Techniken entwickelt, um zumindest zwei oder mehr, meist ähnliche Kationen ohne die o.g. Erschwernisse nebeneinander zu bestimmen. Oft kommt dabei z.B. Kaliumcyanid zum Einsatz, welches aber die "Eleganz" der Bestimmung stört.
Bei der Durchsicht der komplexometrischen Möglichkeiten der Mehrfach-Bestimmungen fiel mir deshalb eines der sehr seltenen Verfahren auf, zwei (oder mit zusätzlicher Phenanthrolin-Maskierung von Cd drei) Metalle ohne Aufwand sozusagen "in einem Topf" zu volumetrieren: Die Bestimmung von Bismut und Blei (und ggf. Cd) nebeneinander.
Einer Legierung dieser beiden Metalle (als LBE ="lead-bismut-eutectic: 55%Bi /44%Pb) steht als Kühlmittel in geplanten neuen "schnellen" Reaktoren (soll heißen: Reaktoren mit "schnellen Neutronen") möglicherweise eine strahlende Zukunft bevor.
Durch eine Titration dieses Materials im Mikromaßstab konnte (kann) man die Strahlenbelastung (überwiegend durch 209Po) im Umgang mit diesem Material auf ein Tausendstel der sonst zu erwartenden senken.
Geräte:
Vorrichtungen zur Mikrotitration: (siehe erstes Foto)
[500 µL Hamilton-Spritze (Reno/Nevada) mit Teflonkolben als Mikroburette]
Mischer ("buzzer")
kleine Tüpfelplatte
Mikropipetten
Chemikalien:
Bismut(III)-nitrat -Lösung (0,05 M)


(12,12 mg Bi-nitrat-pentahydrat, 50 µL konz. HNO3 auf 0,5 mL Wasser)
Blei(II)-nitrat -Lösung (0,05 M)




(8,32 mg Pb-nitrat, 10 µL konz. HNO3 auf 0,5 mL Wasser)
Xylenolorange -Lösung (etwa 1 % Lösung in Wasser; mehrere Tage haltbar)
Urotropin (fest)


EDTA -Lösung (0,05 M)


Lackmuspapier
Durchführung:
In einem Napf einer kleinen Tüpfelplatte werden etwa 40 µL eines Gemisches aus wechselnden Mengen der Bismut- und Bleinitrat-Lösungen vorgelegt.
Der pH-Wert sollte bei etwa 1 -2 liegen. Ist die Probe zu sauer, kann sie mit NaHCO3 oder Na-acetat abgestumpft werden.
(Ammoniak-Lösung oder Alkalihydroxide dürfen dazu nicht verwendet werden, da in diesem Falle unlösliche basische Bismut-Verbindungen ausfallen, bzw. bräunliche Kondensationsprodukte des Indikators entstehen!)
Dazu kommt dann ein Tropfen (hier 5 µL) der Indikator-Lösung, der die Probe tief-(rot)violett färbt.(bleibt die Probe gelb, ist sie zu sauer !)
Nun wird mit der EDTA-Lösung titriert, bis ein Farbumschlag des Indikators nach gelb erfolgt ist. In einem benachbarten Napf kann zu- Vergleich eine leicht "übertitrierte" Probe plaziert werden. Die verbrauchte Menge der EDTA-Lsg. wird notiert.
Im Anschluss gibt man vorsichtig gerade soviel festes, fein pulverisiertes Urotropin zur Probe, bis diese wieder tief (blau)violett ist. Der pH-Wert sollte jetzt bei etwa 6 liegen. Erneut wird nun mit der EDTA-Lösung bis zur abermaligen Gelbfärbung titriert und der zweite Wert festgehalten.
Im vorgestellten Fall wurden jeweils Volumina von 40 µL eines Gemisches von 0,05 M Bismut-nitrat und 0,05 M Blei-nitrat-Lösung in Zusammensetzungen zwischen 1:3 und 3:1 getestet.
Für die Titrationen wurden die beiden 0,05 M Metall-Lösungen so nachjustiert, daß sie möglichst genau dem gleichen Volumen der 0,05 M EDTA-Lösung entsprachen, da ich zu diesem Zeitpunkt noch keine sichere Möglichkeit hatte, die schon ältere EDTA-Lösung zu eichen.
Bei einer Titration von 20 µL der jeweiligen Metall-Lsg. ergaben sich an der Mikrometerschraube Vorschübe von 2,36 mm bis 2,44 mm, was bei der 500 µL-Hamilton 19,65 µL bzw. 20,35 µL bedeutet.
Der Gesamt-Fehler, der unter anderem durch den nicht ganz scharfen Umschlagspunkt des Indikators verursacht wird, lag bei den untersuchten Mengen und Mischungen also bei etwa 1-2 %.
1 µL 0,05 M EDTA entsprechen 10,45 µg Bismut bzw. 10,36 µg Blei
Entsorgung:
Die Mikrogramm- und -Mikroliter-Mengen, die anfallen, werden im Abfluss entsorgt.
Erklärung:
Die Komplexometrie (Chelatometrie) steht und fällt mit der Auswahl des passenden Indikators. Unter diesen zeichnet sich das metallochrome Xylenolorange als einer der wenigen Indikatoren für den auch stark sauren Bereich aus, sodaß insbesondere Bismut, Thorium, Uran(IV) und andere damit bestimmt werden können. Darüberhinaus gelingt es, nur durch Absenken in den weniger stark sauren Bereich (pH 5-6) mit Urotropin, auch Metalle wie Blei, Zink und Cadmium mittels Xylenolorange zu titrieren, sodaß also auch die Doppelbestimmung von z.B. Bi und Zn oder die von Uran(IV) und Blei möglich ist.
Die Bedingungen, die somit hier vom Xylenolorange erfüllt werden, sind also:
Der Indikator ist in der Lage,
-bei sehr niedrigen pH-Werten (1-2) eine farbstarke Verbindung mit (hier) Bismut einzugehen
-diese Verbindung dann zugunsten des EDTA im stark sauren mit mögl. scharfem Umschlagspunkt aufzugeben
-bei schwach sauren pH-Werten (5-6) eine farbstarke Verbindung mit (hier) Blei einzugehen
-auch diese Verbindung zugunsten von EDTA mit mögl. scharfem Umschlagspunkt aufzugeben
-im schwach sauren (5-6) nicht wieder die "Oberhand" über die im Sauren eingegangene Verbindung zwischen Bismut und EDTA
mit der Freisetzung von Bismut zu gewinnen.
Störungen:
Die Bestimmung von Bismut kann durch Hg, Fe3+ und Th und Chlorid-Ionen gestört werden.[4]
Bilder: Eigens angefertigte Geräte für die Mikro- und Ultramikro-Volumetrie
Die rot-violette Farbe des Indikators mit Bismut
ggf. Prüfung des pH-Wertes
Kurz vor dem Umschlagspunkt
1. Endpunkt
Nach Zugabe von wenigen µg Urotropin entsteht die blau-violette Farbe der Blei-Indikator-Verbindung
2. Endpunkt
Literatur:
[1] viewtopic.php?f=22&t=3678&hilit=komplexometrie
[2] G.Schwarzenbach, Komplexometrische Titrationen, 1957
[3] H.Flaschka, EDTA-Titrations, An IntroductionTo The Theory And Practice, 1959
[4] R.Pribil, Komplexometrie (2 Bände) 1960
[5] A. Vogel, A Text-Book Of Quant. Inorg. Anal., 3.Edition, 1968
G.Jander et.al., Maßanalyse (Sammlung Göschen) 1966
D.Harris, Lehrbuch der Quantit. Analyse, 1995