Kern aus der Hülse lösen

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kalia
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Kern aus der Hülse lösen

Beitrag von kalia »

Guten Abend allerseits!

Ich bastle hier an meinem vorhandenen Glaszeug und bestelle dies und das und da fällt mir auf, dass ein Adapter an einem Doppelhals, der am Sumpf dran war, fest sitzt. Dort war das Steigrohr angebracht.

Ich habe schon probiert Olivenöl reinkriechen zu lassen. Funktioniert auch, ändert aber nichts.
Habe nicht mit Vakuum destilliert. Ist wohl mit der Zeit auch so fest geworden.

Wie bekomme ich es gut raus und sollte man die Kerne auch ohne Vakuumdestillation einfetten??

Grüße
kalia
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NI2
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Re: Kern aus der Hülse lösen

Beitrag von NI2 »

Was wurde denn destilliert? Stark alkalische Lösungen (Hydroxide und Silikate) sind in der Lage Glas anzulösen und zu "verkleben", diese Verklebeungen bekommt man praktisch nicht mehr auseinander wenn es sich um Schliffe handelt, bei 2 Glasplatten wird das schon schwer (deswegen NaOH und ähnliches Lösungen nie in Flaschen mit Glasstopfen aufbewahren, mit Pech ist sie nach 24h nicht mehr zu öffnen). Ich nehme aber an das wird es bei dir nicht gewesen sein. Je nach Öl was destilliert wurde, kann dieses im Schliff polymerisiert sein, das wäre schlecht, weil man es so kaum wieder auseinander bekommt. Wenn Olivenöl noch reinkriecht ist das ein sehr gutes Zeichen. Sofern Platz vorhanden ist, kannst du das ganze in den Gefrierschrank oder Kühlschrank (bei den aktuellen Temperaturen auch einfach raus) legen und nachdem es kalt ist mit einer Heizpistole oder dem Gasbrenner vorsichtig (!) den Schliff außen erwärmen. Statt Olivenöl vielleicht Silikonöl oder ein andere nicht so leicht polymerisierendes Öl benutzen und mit einem Thermohandschuh oder einem Handtuch versuchen den Schliff zu lösen. Dabei drehen und leicht ziehen. Falls eine stabile Kante da ist ein Handtuch drüber legen und mit einem kleinen Hämmerchen ganz vorsichtig "antickern", oft reicht ein kleiner Schlag um festsitzende Schliffe zu lösen. Das ist aber eher die ultima ratio, da man riskiert das Glas zu zerstören wenn man unvorsichtig ist.
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Glaskocher
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Re: Kern aus der Hülse lösen

Beitrag von Glaskocher »

Ich ergänze mal das Thema "Klopfen", da ich damit etwas Erfahrung sammeln konnte.

Beim aktuellen Problem würde ich zuerst den Kolben leeren , spülen und trocknen lassen. Beim Spülen ruhig länger in Spülilösung einweichen lassen, um möglichst tief in den Spalt hinein reinigen zu können.

Jetzt kommt eine Holzlatte, bevorzugt Buche oder anderes Hartholz, ins Spiel, die etwas länger sein sollte, als der gesamte Aufbau. Nach dem Erwärmen mit dem Heißluftgebläse halte ich die Latte parallel zum geraden Hals des Zweihalsaufsatzes und stütze das obere Ende unter den Rollrand vom Schliff. Mit der anderen Hand halte ich den Kolben, daß er nicht unkontrolliert fällt, wenn der Schliff sich löst. Der Trick ist jetzt, mit dem unteren Ende der Latte, die am Kolben vorbei nach unten zeigt, auf eine harte Oberfläche zu stoßen. Dabei bewege ich den gesamten Apparat und bremse den Zweihalsaufsatz. Das Trägheitsmoment des Kolbens zieht ihn dann (hoffentlich) vom Schliffkern ab.

Bei vielen fest sitzenden Schliffen funktioniert dieses Verfahren. Im Haushalt kann man mit Reiniger für Spülmaschinen (stark alkalisch und mit Oxidationsmitteln) einweichen, um verharzte und "kandierte" Beläge aufzuweichen. Danach gut mit klarem Wasser nachspülen. Später das Erhitzen und Klopfen wiederholen, falls notwendig.


Zuletzt müssen wir noch über die Vorbeugung reden, da unbehandelte Schliffe sich gerne festsetzen. Das Einfachste Mittel ist Schlifffett. Man trägt es nicht zu sparsam auf den Kernschliff auf und setzt ihn drehend in die Hülse. Der Schliff soll sich halbwegs leicht drehen lassen, aber das Fett soll nicht durch den Druck der Schliffklammer heraus gedrückt werden. Es gibt unterschiedliche Typen und Viskositäten an solchen Schlifffetten, die alle für bestimmte Einsatzzwecke optimiert wurden.

Alternativ kann man mit Teflonhülsen arbeiten, die den Schliff bei Normaldruck relativ gut abdichten und das Trennen erleichtern. Sie sind mehrfach verwendbar und lassen sich gut reinigen. Allerdings bringen sie, durch ihre Dicke, Probleme mit den Schliffklammern, wenn es die dicken Griffbundhülsen sind. Dünnere und damit empfindlichere Hülsen "heben" den Kern nicht so weit aus der Hülse. Dann gibt es noch schmale Teflonringe, die ebenfalls eingesetzt werden können.
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mgritsch
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Re: Kern aus der Hülse lösen

Beitrag von mgritsch »

Wenn nur Wasser und Orangen destilliert wurden kann nicht viel passiert sein.
Die genannte Methode mit der Heißluftpistole reicht idR schon - nur kurz und ganz heiß drauf halten, es sollte sich nur der äußere Teil (Hülse) erwärmen und damit ausdehnen - langsames Durch-Erwärmen bringt eher nichts. Dann mit leichtem geradem Zug und minimalem drehen und schon löst es sich. Klopfen mit Holz hilft auch. Am besten direkt über einer weichen Decke/Polster arbeiten, sollte sich etwas unerwartet in Bewegung setzen :)
kalia
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Re: Kern aus der Hülse lösen

Beitrag von kalia »

Danke für die Tipps, werd es gleich mal ausprobieren, das Ding ist schon mal in der Gefriere :D
Hab nur mal Ingwer, Tannennadeln und eben Orangenschalen destilliert, also nichts "Wildes".

Was für ein Schlifffett ist da empfehlenswert?
kalia
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Re: Kern aus der Hülse lösen

Beitrag von kalia »

Ich habe noch einen Tipp :D
Den Doppelhals umdrehen, asiatisches Essstäbchen rein, an die Kernkante des Übergangsstücks ansetzen und mit nem Hammer leicht drauf hauen. Zack, raus. :lol:

Ich habe das Ding zwar davor in Gefriere gehabt und danach vorsichtig mit nem Gasbrenner erwärmt, allerdings waren dann irgendwann Kern wie Hülse warm. War in dem Fall für den Essstäbchenprozess wohl zu vernachlässigen.

Ich würde sagen, das sind erste chemische Erfolge (angewandte Physik auf chemische Glasgeräte IST Chemie!).
Glaskocher
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Re: Kern aus der Hülse lösen

Beitrag von Glaskocher »

Ja, da habe ich wohl das Startposting etwas zu schnell gelesen. Aber Du hast die richtige Adaption gefunden, den geraden Weg zum Ausgang. Schön, daß Du die Teile wieder trennen konntest.
kalia
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Re: Kern aus der Hülse lösen

Beitrag von kalia »

Transferleistung und Adaption, die höchste Bildungsform der Moderne! :mrgreen:
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dawt
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Re: Kern aus der Hülse lösen

Beitrag von dawt »

Ich hab in meinem 1 L Messzylinder 20 % Schwefelsäure. Schliff reinhängen, warten. Damit habe ich spätestens nach einigen Tagen Einwirkzeit (in einem Ausnahmefall 2 Monate) bislang jeden festgefressenen Schliff wieder mühelos gelöst bekommen, bei denen mit den üblichen physikalischen Methoden nix machbar war.
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PSE
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Re: Kern aus der Hülse lösen

Beitrag von PSE »

Beim Glasapparatebauer wird meist ~5 Sekunden (je nach Größe und Wandung variabel) der
Schliff in eine scharfe Gas/Luft-Flamme gehalten und dann kopfüber von allen Seiten mit einer Pinzette aus Metall (Griffstück) mäßig stark abgegeklopft.
Wenns ganz schlecht läuft kanns dabei aber auch "knack" machen.

Ansonsten hilft es häufig auch das Bauteil in den Entspannungsofen zu legen (~520 - 550°C)
Kann dabei aber auch zum Bruch kommen...

Eine andere Methode die nicht "hop oder topp" bedeutet, wäre ein Waschgang in einem leistungsstarken Ultraschallbad...
"Bei seinen Experimenten mit der gefährlichen Verbindung kam es zu einer Explosion, bei der Dulong drei Finger verlor, was ihn dazu anregte, den Stoff weiter zu untersuchen."
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