Wieso schwingt eine Waage?

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lemmi
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Wieso schwingt eine Waage?

Beitrag von lemmi »

Ich habe eine Frage, die mir so banal vorkommt, daß ich mich fast nicht traue, sie zu stellen:

Warum schwingt eine Waage und warum richtet sie sich im Gleichgewichtszustand horizontal aus?

Wenn man die Waage als Hebelsystem betrachtet, so gilt - wenn sie exakt gearbeitet ist - das die Hebellängen auf beiden Seiten gleich sind. Wenn die Waage gleichmäßig belastet ist, müsste der Schwerpunkt exakt in der Mitte des Waagebalkens über der Aufhängung liegen. Damit wäre jede Stellung des Waagebalkens stabil und es gäbe keinen Grund, daß er sich ausgrechnet waagerecht einstellt.

Auch das Schwingen ist schwer zu erklären. Damit eine Schwingung auftritt, muss eine auslenkende Kraft und eine Rückstellkraft vorhanden sein. Woher kommt die Rückstellkraft?

(Ich habe eine Vermutung woran es liegt, aber ich wollte erst eure Erklärungen hören, bevor ich sie poste)
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Timmopheus
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Beitrag von Timmopheus »

http://de.wikipedia.org/wiki/Balkenwaage

Ich poste einfach mal das. Unter Konstruktion steht eigentlich das Prinzip. Bei einem im Schwerpunkt gelagerten geraden Balken wird ein kleines Gewicht (wie ein Zeiger) mittig unten angebracht. Der Schwerpunkt liegt dann unter dem Drehpunkt.
Gibt man Wägegut auf, kann man prinzipiell jede Balkenwaage (auch ohne Zeiger) ungefähr mit den Gegengewichten einstellen. Kommt man zum Gleichgewichtspunkt stellt sich dein Problem ein. Bei einer Waage mit Zeiger (oder anders verschobenem Schwerpunkt) fällt nun bei einer Schiefstellung die Masse des ausgelenkten Zeigers ins Gewicht und zieht den Balken in die waagerechte Stellung. Dies macht die Waage träger, theoretisch aber nicht gravierend ungenauer.

Einfaches Beispiel: Kleiderbügel mit kleinen Häkchen an den Seiten mit dem großen Haken an eine Schnur hängen. An die kleinen Häkchen an den Seiten kann man Wägegut hängen. Der untere Querbalken ist der Arm der Waage, der große Haken der Drehpunkt. Der Schwerpunkt dieser "Waage" liegt im Gleichgewichtsfall deutlich ersichtlich unter dem Drehpunkt. Da Schwerpunkt und Drehpunkt so weit auseinander liegen macht die Waage recht "ungenau". Ungenau im Sinne der Ablesbarkeit, da kleine Massen den Kleiderbügel nur unmerklich auslenken.


Zur Schwingung: Wird die Waage ausgelenkt will sie in ihre Gleichgewichtsposition (Grund siehe oben) In der GGW Position hat der Balken eine gewisse Geschwindigkeit, es kommt zum Überschwingen, bis die neue maximale Auslenkung erreicht ist. Luft- und Lagerreibung bremsen alles ab.
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frankie
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Beitrag von frankie »

Ad Schwingung: Im Falle, so die Waage beidseitig gleich belastet ist (daher die Drehmomente links und rechts gleich sind) reduziert sich die Waage zu einem mathematischen Pendel. Eine geringe Auslenkung durch Aufbringen des Wägegutes (Impuls) initiiert den Schwingungsvorgang. Bedingt durch die mechansiche Reibung stellt das System natürlich einen gedämpften Oszillator dar1. Man kann über die Schwingungsdauer übrigens auf die sog. Dämpfungskonstante der Waage schließen.

1 Falls es interessiert. Der Schwingungsvorgang wird durch die lineare DGL: y'' + a*y' + b*y = 0 beschrieben. Lösung davon ist eine Funktion der Form y(t) = exp(-t)*sin(t). Daher eine exponentiell in der Amplitude abklingende Sinus-Schwingung.
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dihydrogenmonooxid
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Beitrag von dihydrogenmonooxid »

Hallo lemmi, das ist auf jeden Fall eine sehr interessante Frage, welche auch mich zum Nachdenken gebracht hat. Ich würde sie folgendermaßen beantworten: Die Gravitationskraft übt bei einer unausgeglichenen Waage ein höheres Drehmoment auf die schwerere Seite aus, dann wird mit dieser Kraft das andere Gewicht nach oben "gezogen". Ist die waage nun auf beiden Seiten gleich belastet, wäre es ja ganz einfach gesagt ein Widerspruch zu ersterem Fall. Auch wenn dies vielleicht eine überflüssige Verdeutlichung ist, ist es vielleicht leichter, es so hinzunehmen... Was wäre deine Vermutung?

Falls ich bei manchen Fragen (wie dieser, welche für mich zum Bereich Philo gehört, da es hier um das Herausfiltern von tieferen Gründen geht) nicht weiter weiß,
sage ich mir letztendlich: Was ist ene Erklärung? Eigentlich auch nurdas Heraussuchen von Gesetzmäßigkeiten von anderen Ereignissen, welche wir auf ein bestimmtes System übertragen. Indiesem Fall jedoch würde auch mir die tiefere Basis zur Beantwortung fehlen...
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eule
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Beitrag von eule »

Das dürfte am Wechselspiel aus Gravitation und Impuls liegen. Im Gleichgewichtszustand befinden sich beide Waagschalen in den Positionen, die gemäß der Schwerkraft und modifiziert gemäß der Hebelgesetze hinsichtlich der Balkenlängen die insgesamt geringstmögliche potentielle Energie (Lageenergie -> Gravitaton) bedeuten. Gerät das nun aus dem Gleichgewichtszustande, z.B. durch auflegen einer zusätzlichen Last auf eine der Waagschalen, so verschiebt sich der Punkt der geringsten potentiellen Energie für diese Waagschale. Je näher am Zentrum des Schwerefeldes, desto gernger ist bekanntlich die potentielle Energie oder Lageenergie. Da die andere Waagschale nun aber unverändert ist stellt sich über die Hebelwirkung ein neuer Punkt der geringsten potentiellen Energie ein. Dabei Schwngt das System aus Hebeln und Gewichten, bis der Impuls vom Hineinlegen durch Reibung an Lagern und Luft und evtl anderen Bremsfaktoren (z.B. haben manche Waagen Wirbelstrombremsen zur Dämpfung) aufgebraucht ist.
Eine gut eingestellte Waage hat einen Schwerpunkt für beide Hebelarme, die sehr sehr nah an der Drehachse liegen, aber niemals darüber. Je näher nun der Schwerpunkt am Drehpunkt liegt, desto weniger Energie ist nötig, um das Sysem aus der Ruhelage zu bringen.
Sehr gute Feinwaagen sind bekanntlich schon durch ein Atmen der Bedienperson in die falsche Richtung aus der Ruhe zu bringen, der Schwerpunkt befindet sich also im Extremfall wenige Mikrometer unter dem Drehpunkt.
Stellst du allerdings deine Balkenwaage über einem Ort mit steilem Gravitationsgradienten auf, wie es z.B. genau über der Grenze zwischen zwei geologischen Formationen auftreten kann, so wird sich eine sonst exakt engerichtete unweigerlich "ungleichgewichtig benehmen", d.h. sie steht im Gleichgewicht etwas schräg.

hmm, keine Ahnung, ob das nun verständlich war, nur meine paar cents dazu
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

Meine Vermutung war, daß es am Zeiger liegt. Denn der Zeiger ist das einzige nicht-symmetrische Teil der Waage und verlagert den Schwerpunkt etwas nach unterhalb des Lagerungspunktes. Die Rückstellkraft der Schwingung wäre dann die potenzielle Energie, die durch das Anheben des Zeigers gewonnen wird und sich bei der Umkehr der Schwingungsreichtung wieder in Kinetische Energie umwandelt etc.
Wieder was gelernt :D
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CD-ROM-LAUFWERK
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Beitrag von CD-ROM-LAUFWERK »

Die Waage braucht (dafür) keinen Zeiger.
Ggf. eine einfachste Waage aus einem Ständer mit Haken und einem Balken mit Öse vorstellen.
Gleichgewicht: Beide Armseiten gleich schwer -> Waagerecht
Ungleichgewicht: Zur schwereren Seite gekippt.

Die Rückstellkraft der Schwingung ist, wie schon gesagt wurde, das überschwingen.
Es gibt einen ersten Impuls (z.B. draufstellen eines Gewichtes) und schon geht das Schwingen los.
Am Schwerpunkt stopt die Bewegung aber nicht abrupt sondern (wie der Name sagt) schwingt weiter - bis sie von der Schwerkraft wieder ausgelichen wurde und das Pendel (mehr ist es nicht) damit am Scheitelpunkt angelangt ist. Dann geht es von vorne los, bis zum Schwerpunkt beschleunigt, danach abgebremst....
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Timmopheus
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Beitrag von Timmopheus »

CD-ROM-LAUFWERK hat geschrieben:Die Waage braucht (dafür) keinen Zeiger.
Ggf. eine einfachste Waage aus einem Ständer mit Haken und einem Balken mit Öse vorstellen.
Wobei die Öse so am Balken angebracht sein muss, dass der Balken oberhalb seines Schwerpunkts aufgehängt ist. Ist er der Balken im Schwerpunkt aufgehängt, benötigt man doch den Zeiger (oder ein anderes entsprechendes Gewicht) welches den Schwerpunkt verschiebt...
CD-ROM-LAUFWERK
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Beitrag von CD-ROM-LAUFWERK »

Nehmen wir einfach ein Rohr, keine Öse, nichts - nur ein Rohr.
Und legen das Rohr auf ein anderes Rohr...
Wenn alles perfekt ausbalanciert ist bleibt das Rohr auf dem anderen Rohr liegen.
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Timmopheus
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Beitrag von Timmopheus »

Genau. Und wenn es perfekt ausbalanciert ist, kann man es auch schräg legen, und es wird so schräg liegen bleiben (Sofern die Reibung ein Abrutschen des Rohres verhindert.
Wieder das Beispiel mit dem Balken, lassen wir statt Waagschalen Gewichte direkt am Balkenende vorhanden sein. Man kann den Waagbalken senkrecht stellen (sofern die Bohrung im Zentrum ist) und er wird auch in dieser Position stehen bleiben...
Ist die Bohrung außermittig, kann man ihn nicht mehr senkrecht stellen. Zumindest wird er nicht so verharren
CD-ROM-LAUFWERK
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Beitrag von CD-ROM-LAUFWERK »

Und wenn es perfekt ausbalanciert ist, kann man es auch schräg legen, und es wird so schräg liegen bleiben
Dann balanciert man es aber anders -> der Schwerpunkt verlagert sich dabei zwangsläufig.
Bei gleichem Schwerpunkt kann es nur wieder exakt gleich werden, im normalfall also Waagerecht.

Natürlich könnte man eine Waage auch so bauen, dass sie bei 5° Neigung in eine Richtung ausbalanciert wäre... aber wozu...?
"Im Wasser" ist in jeder Hinsicht viel einfacher als irgendeine bestimmte Neigung.
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

CD-ROM-LAUFWERK hat geschrieben:Ggf. eine einfachste Waage aus einem Ständer mit Haken und einem Balken mit Öse vorstellen.
Gleichgewicht: Beide Armseiten gleich schwer -> Waagerecht
Ungleichgewicht: Zur schwereren Seite gekippt.
...
Bei gleichem Schwerpunkt kann es nur wieder exakt gleich werden, im normalfall also Waagerecht.
Das gilt aber eben nur, wenn der Schwerpunkt mit dem Drehpunkt des Balkens zusammenfällt.
Sonst besteht ein indifferentes Gleichgewicht und der Waagegbalken kann stehen wie er will (meine Eingangsfrage).
Deswegen hat eine empfindliche Waage den Drehpunkt am Schwerpunkt und der Zeiger verlagert ihn nur ganz leicht nach unten
(meine Analysenwaage hat sogar ein Gegengewicht oberhalb des Waagebalkens, damit das Zeigergewicht nur ganz gering "ins Gewicht fällt")
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Beitrag von CD-ROM-LAUFWERK »

Wäre der Schwerpunkt nicht mittig, sondern zu einer Seite verlagert, wären die Gewichte nicht 1:1 vergleichbar.
Bei halber Länger einer Seite würde man also das doppelte Gewicht benötigen zum austarieren.
Da dies (wie ein "nicht waagerecht") zu vielen neuen Fehlern führt, lässt man soetwas bei einer Analysenwaage.
Bei einer Körperwaage u.ä. macht man es hingegen so und muss dann nicht mit 80kg hantieren.

Das Gegengewicht für den Zeiger ist dazu da, ihn beim Ausschlagg nicht ins Gewicht fallen zu lassen.
Ist es lootrecht spielt es keine Rolle, die (hebel-) Wirkung entsteht erst bei einem ungleichgewicht und dann bei weiterer Abweichung immer stärker, da der Zeiger weiter angehoben wird.
Eine Skala wäre dann nicht linear realisierbar - wieder ein neuer Fehler, den es zu vermeiden gilt.

Die Waage soll in "Massen"fertigung hergestellt werden, nicht ein einzelnes Unikat sein... da muss man solche Fehler (die sich addieren) vermeiden.
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Timmopheus
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Beitrag von Timmopheus »

Sorry, aber ich glaube Du verstehst etwas falsch, wenn wir schreiben der Schwerpunkt läge außermittig. Es geht immer um die Hochachse (y, z je nach belieben) nicht um die Breitenachse (was für gewöhnlich x ist)
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frankie
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Beitrag von frankie »

Die Ausführungen von Timmopheus sind absolut richtig!
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