"Not stupid because it works": mein favorisierter Syntheseweg

Fragen zur allgemeinen Chemie; alles, was in keine andere Kategorie passt.

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aliquis
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"Not stupid because it works": mein favorisierter Syntheseweg

Beitrag von aliquis »

Hallo Ihr Lieben,

wenn Ihr Synthesewege kennt und nutzt, die von den gängigsten Methoden abweichen, aber gute Ausbeuten liefern, leichter zugängliche Ausgangsstoffe nutzen, einfacher durchzuführen, umwelt-/gesundheitsverträglicher sind oder sonstige Vorteile bieten, dann seid Ihr damit hier genau richtig!

Dieser Thread soll nicht die Synthese-Artikel ersetzen - im Gegenteil: hier können neben unbekannteren Methoden auch verschüttete, aber gute Ideen aus alten Artikeln wieder hervorgeholt werden oder sich aus der zunächst nur kurzen Vorstellung die Anregung für einen komplett neuen Artikel entwickeln.
Er kann aber auch die Möglichkeit bieten, ungewöhnliche Synthesemethoden und -wege nur stichwortartig zu beschreiben, für die sich nach Eurer Meinung kein eigenständiger Artikel lohnt, z. B. weil nur ein kleiner Teil der üblichen Gesamtsynthese abgewandelt wurde.

Wichtig wäre hier nur Folgendes:
- Es sollte vor allem ein selbst und erfolgreich erprobter Weg sein, nicht nur der Hinweis auf Literatur oder der Link zu einem (fremden) YouTube-Video.
- Vor- und Nachteile gegenüber bewährten Methoden sollten - soweit bekannt - auch benannt werden, um die Frage zu beantworten, warum an dieser Stelle "das Rad neu erfunden" wurde.

Es muss natürlich kein völlig neues Patent sein. Es kann auch einfach irgendwo gelesen oder aufgeschnappt worden sein. Hauptsache, es ist nicht der Standardweg, Ihr habt es ausprobiert und es hat geklappt. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass mindestens ein bis zwei meiner folgenden eigenen Beispiele entweder aus VC oder sogar von hier irgendwo aus dem Forum stammen...

- Kaliumnitrit stelle ich durch Erhitzen einer stöchiometrischen Mischung aus Kaliumnitrat und Calciumformiat her. Letztere setze ich an, indem ich zunächst Calciumnitrat mit Kaliumcarbonat zu Kaliumnitrat und Calciumcarbonat umsetze und das ausgefällte Calciumcarbonat direkt in der Lösung mit Ameisensäure zum Formiat wieder auflöse. Danach wird eingedampft, in einen Tiegel umgefüllt und darin solange offen stark erhitzt, bis die Rauchentwicklung, die den Beginn der Reaktion anzeigt, wieder aufgehört hat (nicht kürzer, aber auch nicht länger!). Die Masse wird danach in Wasser gelöst/suspendiert, das gebildete Calciumcarbonat einfach abfiltriert und die Nitritlösung eingedampft.
Vorteil: Verzicht auf die übliche Verwendung von Blei als Reduktionsmittel und damit auch Ausbleiben von giftigen Bleidämpfen. Des Weiteren: statt vom aktuell stark monitorisierten Kaliumnitrat wird vom leichter zugänglichen Calciumnitrat ausgegangen. Beginn und Ende der Reaktion sind leicht zu erkennen. Die Ausbeute ist vergleichsweise hoch.
Nachteil: zu schwaches/kurzes Erhitzen führt zu schlechter Ausbeute und einem stark verunreinigtem Produkt. Zu langes Erhitzen zerstört das Nitrit.
Hinweis: das Umkristallisieren hat bei mir zu vergleichsweisen hohen Verlusten bei der Ausbeute geführt!

- Für die Herstellung von Phenol durch thermische Decarboxylierung von Salicylsäure verwende ich eine Mischung mit Calciumhydroxid.
Vorteile: die Decarboxylierung wird durch das Hydroxid deutlich unterstützt, geht schneller und vollständiger vonstatten mit weniger Verunreinigung des Produkts und der Destillationsapparatur durch sublimierte Salicylsäure.
Nachteil: der Rückstand verkohlt zwar, das Reaktionsgefäß ist aber trotzdem - unterstützt von etwas Ethanol und Natronlauge - erstaunlich leicht zu reinigen. Jedoch besteht die Möglichkeit, dass das erhitzte Calciumhydroxid auch das Glas beschädigt. Da ich die Synthese von Phenol aber immer nur nach Bedarf in kleinen Ansätzen durchführe (ich lagere kein Phenol), nutze ich als Reaktionsgefäß ein Reagenzglas aus Borosilikat, dessen Verlust ich im Zweifelsfall auch leicht verschmerzen könnte.

- Acetaldehyd stelle ich bevorzugt durch Hitzespaltung von Milchsäure her, die durch verdünnte Schwefelsäure katalysiert wird.
Vorteile: Verzicht auf den Einsatz schwer zugänglicher und (im Fall von Dichromat) stark gesundheitsgefährdender Oxidationsmittel. Keine Essigsäure als unerwünschtes Nebenprodukt (vor allem bei Verwendung von Permanganat als Oxidationsmittel).
Nachteile gegenüber der Oxidation von Ethanol: keine!
Hinweis: wegen des niedrigen Siedepunkts von Acetaldehyd verzichte ich meist auf die Kondensation des reinen Aldehyds, sondern stelle nur eine Lösung durch Einleitung der Dämpfe in Wasser her, mit der ich dann weiterarbeiten kann.

- Für die Gewinnung von Brom aus Alkalibromiden verwende ich Natriumpersulfat als Oxidationsmittel.
Vorteile: man erhält eine nahezu quantitative Ausbeute in höchster Reinheit. Nur relativ wenig Wasser in der Reaktionsmischung notwendig, keine Wasserschlacht mit verdünnter Schwefelsäure und Perhydrol 11,9. Keine schwermetallhaltigen Abfälle infolge Verwendung von Braunstein (viel zu träge!) oder Kaliumpermanganat (viel zu schade!). Keine Verunreinigungen mit Interhalogeniden durch Verzicht auf eine Verdrängungsreaktion mit Chlor. Keine Spuren von Schwefelsäure oder HBr in der Vorlage/keine Rückschlagsgefahr bei Ableitung von nicht kondensierten Bromdämpfen in Sulfitlösung, da hier gar kein stark hygroskopisches HBr als Zwischenprodukt entsteht. Deutlich erkennbares, schnelles und vollständiges Reaktionsende (letztes Ergebnis bei knapp unter 100 Grad Ölbadtemperatur/binnen nur gut 10 Min. Reaktionszeit/Destillation: gut 6 ml Brom aus je 30 g KBr und Natriumpersulfat - besser geht es kaum!), dadurch auch wenig Nachbildung von Bromdampf beim Auseinanderbauen der Apparatur. Im Sumpf bleibt eine nahezu reine Alkalisulfatlösung zurück, die problemlos über die Kanalisation entsorgt werden kann (nötigenfalls vorher noch etwas Sulfit zusetzen). Natriumpersulfat gibt es günstig und weitestgehend einschränkungsfrei im Handel (zum Platinenätzen).
Nachteile: keine!
Tipp: NaBr statt KBr verwenden: ist günstiger und erhöht die Ausbeute durch höheren Bromgehalt zusätzlich. NaBr ist zudem besser lagerbar, da deutlich weniger hygroskopisch als KBr.

- Zur Herstellung von Schwefelwasserstoff verwende ich eine Mischung aus gleichen Teilen zerriebenen Schwefels und Paraffins.
Vorteile: kein Metallsulfid und keine Säure/kein Kippscher Apparat o. ä. notwendig, Gasentwicklung stoppt nach vollständiger Umsetzung der Edukte oder sofort nach Ende des Erhitzens.
Nachteile: es wird etwas Schwefeldampf mitgerissen, ggf. erzeugtes Schwefelwasserstoffwasser oder Sulfidlösungen müssen anschließend filtriert werden. Das Reaktionsgefäß und die Glasrohre sind nur sehr schwer zu reinigen (am ehesten noch mit Toluol oder Schwefelkohlenstoff). Ich arbeite mit kleinstmöglichen Ansätzen in kleinen Reagenzgläsern oder Glühröhrchen, die ich nach Verwendung/Abkühlen ungereinigt versiegele und in verschlossenen Plastikbeuteln über den Hausmüll entsorge.

Alle beschriebenen Synthesen sollten aus Gründen des Gesundheitsschutzes im Freien oder unter dem Abzug durchgeführt werden. Für einzelne Arbeitsschritte (z. B. Umfüllen von Brom) empfiehlt sich zusätzlich das Tragen einer Atemschutzmaske und widerstandsfähiger Chemikalienhandschuhe.

Ich bin gespannt auf Eure Rückmeldungen und vor allem Eure eigenen Ideen!

P.S.: Danke an mgritsch, dessen von ihm zitiertes, leicht abgewandeltes Schlagwort der gedankliche Auslöser für diesen Thread war.
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lemmi
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Re: "Not stupid because it works": mein favorisierter Syntheseweg

Beitrag von lemmi »

Ich bin nicht so der Synthetiker. Ich fürchte viel kann ich hier nicht beitragen und wenn ich mal (mit mehr oder weniger schlechter ausbeute) was präparatives gemacht habe, habe ich es hier beschrieben.

Aber mich interessiert die Darstellung von Acetaldehyd aus Milchsäure. Ich habe mir meinen - in ethanolischer Lösung - vor Jahren auf dem klassischen Weg (Oxidation mit Dichromat) hergestellt. Ist ein nicht eben häufig verwendetes Reagenz, aber jetzt geht er zu Ende und für eine besser Darstellungsmethode wäre ich dankbar! Wie gehst du genau vor?
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lemmi
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Re: "Not stupid because it works": mein favorisierter Syntheseweg

Beitrag von lemmi »

AH, mir fällt doch was ein!

Essigsäureethylester stelle ich her, indem ich ein Gemisch aus 95%igem Ethanol und Eisessig (gleiche Volumina) in einem Rundkolben tropfen lasse, der im Wasserbad erhitzt wird und etwas Schwefelsäure enthält (ca. 20 ml Schwefelsäure für 400 ml Gemisch, anfangs die Säure zu ca 50 ml Gemisch zusetzen). Der Ester destilliert ab und man lässt kontinuierlich das Edukt-Gemisch nachtropfen.
Vorteile: Geht in einem Arbeitsgang und erlaubt die Darstellung größerer Mengen auf einmal mit guten Ausbeuten.
Der Ester muss danach mit Calciumchloridlösung, Natriumhydrogencarbonatlösung und Wasser ausgeschüttelt, über Kaliumcarbonat getrocknet und redestilliert werden (über 75°C übergehende Anteile auffangen) - dass muss er aber bei jeder anderen Darstellung auch.
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aliquis
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Re: "Not stupid because it works": mein favorisierter Syntheseweg

Beitrag von aliquis »

Danke, lemmi, für Deine Rückmeldung.

Acetaldehyd entsteht laut Römpp/Raaf, OC im Propierglas, wenn man gleiche Volumenteile Milchsäure und Schwefelsäure 20 % erhitzt (15 % sollte auch gehen, die Milchsäure hat ja meist auch noch 20 % Wassser).
Die Mischung färbt sich nach einer Weile schwarz und es entstehen reichlich Dämpfe von Acetaldehyd. Funktioniert gut. :thumbsup: Als zweites Produkt entsteht Ameisensäure. Da Acetaldehyd aber einen viel niedrigeren Siedepunkt hat, lässt es sich gut abdestillieren. Um die Reaktion in Gang zu setzen, braucht man anfangs höhere Temperaturen, sollte sie dann aber entsprechend herunterregeln, sobald die Mischung dunkel wird und man mit der Destillation/Einleitung der Dämpfe in Wasser beginnt.

Wenn Du weiterhin auf die Ethanol-Oxidation setzen willst: Dichromat bekommt man immer noch bei einem beliebten polnischen Chemikalienhändler als EU-weit letzte Bezugsquelle für private Nutzer. Wie immer bei ihm nur solange der Vorrat reicht...
Man könnte es über den Umweg des Chromats aber auch in einer Oxidationsschmelze selbst herstellen.

Wenn ich Dich richtig verstanden habe, liegt der Vorteil Deiner Estersynthese mit Tropftrichter also in der Möglichkeit, über das Volumen des Mehrhalskolbens hinausgehende Mengen umzusetzen, sowie in der Zusammenlegung der beiden Arbeitsschritte (erst refluxieren, dann destillieren) zu einem. Wie gut ist Deine Ausbeute dabei?

Hobbychemiker werden nun aber auf andere Katalysatoren für die Fischer-Veresterung umsteigen müssen, wenn sie nicht rechtzeitig Verdünnungen von Schwefelsäure in Alkanolen eingelagert haben (vgl. hier: viewtopic.php?f=13&t=5621&start=90)

Edit: Ester mit Calciumchlorid oder Kaliumcarbonat zu trocknen, ist nicht so vorteilhaft: ersteres ergibt Anlagerungsverbindungen, zweiteres hydrolysiert den Ester. Ich empfehle stattdessen Magnesiumsulfat (Bittersalz, das ausnahmsweise bedenkenlos in einer offenen Auflaufform im heimischen Backofen wasserfrei getrocknet werden kann).
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aliquis
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Re: "Not stupid because it works": mein favorisierter Syntheseweg

Beitrag von aliquis »

Eine Alternative für eine saubere Abtrennung des gebildeten Acetaldehyds und die Erhöhung der Ausbeute könnte es sein, die Mischung zunächst zu refluxieren (mit Eiswasser als Kühlmittel), danach die Säure in der Mischung unter Eiskühlung mit Natron zu neutralisieren und erst dann das Aldehyd abzudestillieren. Was meinst Du?

Ob sich der Aufwand lohnt, weiß ich allerdings nicht, denn Acetaldehyd gibt es ja vergleichsweise günstig und wenig beschränkt (Volljährigkeit und EVE) zu kaufen. Ich mache das eigentlich nur, um mir kleine Mengen wässriger Lösung nach Bedarf herzustellen, da ich keinen Chemikalienkühlschrank habe und daher auch gar kein Acetaldehyd dauerhaft einlagern kann (was ich eigentlich auch nicht möchte).

Arbeit im Freien oder unterm Abzug ist dabei natürlich ratsam (zusätzlich beachten, dass durch weiteren Zerfall der gebildeten Ameisensäure sogar Kohlenmonoxid freiwerden kann). Deine Lösung mit dem Ableitungsschlauch durchs Fenster nach draußen sollte auch hier funktionieren. Zum Refluxieren muss man dann die obere Hülse des Dimrothkühlers mit einem Adapter für den Ableitungsschlauch versehen (sofern dieser dort nicht eh schon in eine entsprechende Verjüngung übergeht). Beim Auseinanderbauen muss man dann halt eine Atemschutzmaske tragen und anschließend gut lüften.

Die Destillationsvorlage selbst sollte am besten auch gut gekühlt sein, oder (mit Salz-Eis-Kältemischung oder Aceton-Trockeneis)? Wie gesagt habe ich die Dämpfe bisher immer nur immer nur in (Eis-)Wasser gelöst...
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Glaskocher
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Re: "Not stupid because it works": mein favorisierter Syntheseweg

Beitrag von Glaskocher »

Das Refluxieren von Ethanal limitiert die Reaktionstemperatur sehr schnell auf dessen Siedepunkt, der recht niedrig liegt. Das kann Einfluss auf das Gleichgeweicht haben und die Reakionsgeschwindigkeit ausbremsen.

Ein Neutralisieren MIT Produkt kann zu Verlusten führen, weil Aldehyde im Alkalischen zu Aldol-Reaktionen und -Kondensationen neigen. Mit Natriumhydrogencarbonat erzeugt man sich einen Abgasstrom, der das Produkt dann verblasen kann. Deshalb ist es besser, das Produkt unabhängig von der Neutralisation des Reaktionssumpfes aufzufangen.

Im größeren Maßstab wird Ethanal durch katalytische Oxidation am Kupfer/Kupferoxidkontakt mit Luft im Rohrreaktor erzeugt. Entweder oxidiert man alternierend Alkoholdampf und Kontakt oder man sorgt für eine konzentrationsbedingt phlegmatisierte Gesamtmischung, die den Kontakt permanent regeneriert. Über die Temperatur einer mit Alkohol gefüllten Waschflasche läßt sich dessen Konzentration im Dampf-Luft-Gemisch gut einstellen. Zur Not arbeitet man bewußt zu fett und destilliert das Produkt aus dem gemeinsam kondensierten Produkt-Alkohol-Wasser-Gemisch später heraus.
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lemmi
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Re: "Not stupid because it works": mein favorisierter Syntheseweg

Beitrag von lemmi »

Ich glaube, ich bleibe bei der klassischen Darstellung ... 8)
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Glaskocher
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Re: "Not stupid because it works": mein favorisierter Syntheseweg

Beitrag von Glaskocher »

Anderes Thema: Fällung einer organischen Base aus ihrem Hydrochlorid

Einmal mußte ich für eine Auftragssynthese eine Aminobase aus ihrem Hydrochlorid, als das sie in der Reaktion anfällt, zur greien Base umwandeln und fällen. Die Zugabe von Natronlauge zur Lösung ergab einen teerigen Rückstand. Wenn man ihn aus Hexan umkristallisiert, dann kommt ein reines Kristallpulver heraus, nur die Löslichkeit ist mit 1g/100ml recht mau. Jetzt mal um die Ecke gedacht... Wenn ich jetzt einige Volumen% Hexan zur kräftig gerührten Lösung gebe und dann mit der Natronlauge fälle... Gesagt, getan und das Produkt fiel als sandig-kristalliner Filterkuchen an.

Nur zu dumm, daß bei der Weiterleitung des Auftrages verwechselt wurde, daß die zweite Substanz als freie Base und diese als Hydrochlorid geliefert werden sollte. (...)



Andere Substanz: Darstellung von 4-Brom-1,1,3,3,5,5,7,7-octaethyl-s-hydrindacen über zwei Stufen.

Zuerst wird der Kohlenwasserstoff aus 1,3-Bis(1-chlor-1-ethylpropyl)benzol und 2-Ethyl-1-buten mit BCl3 katalysiert per Friedel-Crafts-Reaktion synthetisiert. Problem dabei ist, daß man zuerst beide Edukte mit leichtem Alken-Überschuß in CH2Cl2 tiefkalt vorlegen muß und dann den Katalysator zugibt. Dabei entstehen immer per kationischem Mechanismus, Oligomere aus dem Alken. Die Originalvorschrift sieht eine Reinigung per Säulenchromatographie vor. Diese aufgereinigte Zwischenstufe wird laut Literatur mit einem großen Überschuß Brom im Reaktivlösemittel Triethylphosphat bromiert. Dann soll verwässert und der Überschuß Brom mit Sulfit vernichtet werden. Dabei fällt, zwischen einer organischen Oberphase (zuhehebenes Hexan) und der wässrigen Unterphase eine teerige Zwischenphase an. Diese Zwischenplase enthält große Anteile des Produktes. Sie läßt sich mit Acetonitril waschen, daß das Produkt sauber übrig bleibt.

Wenn man aber das Rohprodukt sofort bromiert und später die Leichtsieder abzieht (N2-Kühlfalle, geschlossenes System), dann fällt das Produkt aus und muß nur filtriert und mit Acetonitril gewaschen werden. Der Hintergedanke war, eventuell das Brom (8 von 9 Äquivalenten) wiedergewinnen zu können oder zumindest Sulfit beim Quenchen einzusparen. Beim Abziehen fiel das Produkt bereits aus und was filtrierbar ist sollte man auch filtrieren. Die restliche Lösung (Mutterlauge) wurde dann verwässert und brachte fast keine Nachernte. Ausbeute: knapp 50% der Theorie über zwei Stufen (auch in der Literatur).

Fazit: Manchmal lohnt es sich, beim Aufarbeiten genauer hin zu sehen. Das spart so manchen Schritt.
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Re: "Not stupid because it works": mein favorisierter Syntheseweg

Beitrag von aliquis »

Glaskocher hat geschrieben: Sonntag 6. Februar 2022, 11:36 Fazit: Manchmal lohnt es sich, beim Aufarbeiten genauer hin zu sehen. Das spart so manchen Schritt.
Vielen Dank für Deinen Beitrag.

Auch wenn das zuvor Beschriebene jenseits des für mich theoretisch und praktisch Nachvollziehbaren liegt (ich denke, da wird es andere User geben, denen das mehr nützt - in Bezug auf meine Person wären es Perlen vor die Säue... :oops: ), so kann ich doch zumindest Deinem Fazit aus anderweitiger experimenteller Erfahrungen zu 100 % zustimmen!
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Re: "Not stupid because it works": mein favorisierter Syntheseweg

Beitrag von aliquis »

lemmi hat geschrieben: Sonntag 6. Februar 2022, 10:44 Ich glaube, ich bleibe bei der klassischen Darstellung ... 8)
Bei Kleinmengen an Acetaldehyd in wässriger Lösung bin ich mit der Milchsäure-Methode gut klar gekommen - man braucht dafür noch nicht einmal eine aufwendige Glasschliffapparatur.
Wenn ich davon mehr und reinst bräuchte (und das lagern könnte), würde ich es eher kaufen.
Mein Dichromat-Vorrat ist mir dafür eigentlich zu schade (man braucht dann nicht wenig davon!). Das nehme ich lieber zum Ansetzen von Maßlösungen...
Milchsäure hingegen ist billig und leicht verfügbar, hat bei mir sonst aber nicht allzu viele Einsatzbereiche und hält sich nicht ewig...
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Re: "Not stupid because it works": mein favorisierter Syntheseweg

Beitrag von lemmi »

Das Nebenprodukt des Dichromat-Weges ist Chromalaun. Den kann man zur Züchtung schöner Kristalle verwenden :wink:
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Re: "Not stupid because it works": mein favorisierter Syntheseweg

Beitrag von aliquis »

Aus der entstehenden, eingeengten grünen Suppe habe ich noch nie Kristalle gezüchtet bekommen (wegen der Reste an Acetaldeyd immer nur im Freien!). Kristalle von typisch violetter Farbe des Aqua-Komplexes wollten bei mir - auch nach mehreren Tagen und trotz kühler Nächte - einfach nicht ausfallen. :( Gefrustetes Eindampfen auf dem Sandbad endete schließlich mit kristallwasserfreiem und damit wasserunlöslichem Chromsulfat... :wall: Das Problem hatten wir hier schon mal diskutiert: viewtopic.php?f=31&t=5784 Daran änderte auch ein späterer probeweiser Ansatz unter Komplettverzicht aufs Erhitzen (zur Abdestillation des Acetaldehyds als eigentlichem Zweck der Umsetzung!) nichts.
Vll. lässt sich der Aqua-Komplex des Doppelsalzes eher schonend durch Vereinigung stöchiometrisch passender Mengen von Chromsulfat und Kaliumsulfat in kaltgesättigten wässrigen Lösungen herstellen - was ich mangels löslichem Chromsulfat aber noch nie ausprobiert habe. Auch gab es dafür noch keine Notwendigkeit: die violette Farbe kennt man ja vom käuflichen Chromalaun. Das ist harmlos und daher beschränkungsfrei bei verschiedenen Händlern für kleines Geld zu haben, wenn Kristallzucht das Ziel ist. Dafür opfere ich nicht nochmal rares Dichromat, um dann doch wieder nur bei der dunkelgrünen Suppe ohne Kristallbildung zu enden... :roll:

Gemäß Scheeles historischer Entdeckung (daher vll. eher nach Deinem Geschmack, lemmi? :wink: ) ergibt Ethanol mit Braunstein in stark schwefelsaurer Mischung zunächst Acetaldehyd, bei weiterer Oxidation dann Essigsäure (im Gegensatz zum - ebenfalls raren - Kaliumpermanganat, das den Alkohol schwefelsauer nahezu instant zur Essigsäure durchoxidiert). Man müsste also zügig auf dem Wasserbad abdestillieren, um das Aldehyd vor der Weiterreaktion zu schützen bzw. von bereits entstandener Essigsäure zu trennen. Wer will und darf, kann es ja mal alternativ ausprobieren, vorausgesetzt man hätte im Falle einer funktionierenden Braunstein-Methode noch Verwendung für das entstehende Mangansulfat sowie für überschüssigen (da selten vollständig umgesetzten) Braunstein. Dem gegenüber kommt die Milchsäure-Methode ganz ohne schwermetallhaltige Abfälle und auch mit geringer konzentrierter Schwefelsäure aus. Außerdem tritt dabei keine Weiteroxidation zur Essigsäure ein. 8)

P.S.: Wasserstoffperoxid in den üblichen Konzentrationen wäre vermutlich zu schwach, um Ethanol zu Ethanal zu oxidieren, oder?
Mit Salpetersäure geht es definitiv, ist aber weder hobbytauglich, noch wegen Neigung zum Durchgehen der Reaktion besonders empfehlenswert... (o.k., mit Tropftrichter, nicht allzu stark konzentrierter Säure, Kühlung und strikter Temperaturkontrolle mag es gehen, ich hab's in dieser Form aber nie ausprobiert...).
Oxidation an heißem Kupferoxid geht natürlich auch, ist im Labormaßstab aber eher ein schöner Demonstrationsversuch, als dass es zufriedenstellende Ausbeuten lieferte... :|
Last but not least: auch durch Reduktion von Natriumacetat mit Natriumformiat per trockener Destillation lässt sich Acetaldehyd herstellen (selbst schon im Probierglasformat ausprobiert: es funktioniert).
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