Bromatometrische Bestimmung von Mennige

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lemmi
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Bromatometrische Bestimmung von Mennige

Beitrag von lemmi »

Bromatometrische Bestimmung von Mennige

Die folgende Versuchsbeschreibung ist ein eher exotisches Beispiel eines maßanalytischen Verfahrens, zeigt jedoch exemplarisch, wie eine Substanz “auf Umwegen“ durch Rücktitration bestimmt werden kann.

Mennige - chemisch Blei(II/IV)- oxid - ist ein Oxidationsmittel. Es liegt daher zunächst nahe, sie iodometrisch zu bestimmen. Probleme bereiten dabei jedoch die schlechte Löslichkeit der Substanz und die Flüchtigkeit des gebildeten Iods während des zur Umsetzung unumgänglichen Erhitzens. Außerdem entsteht Blei(II)-iodid, das durch seine intensiv gelbe Farbe die Erkennung des Titrationsendpunktes stört. Die hier beschriebene Methode ist aus Kolthoffs klassischer Monographie “Die Massanalyse“ von 1928 entnommen und nur durch die Rücktitration mit Kaliumbromat (im Original mit Kaliumpermanganat) modifiziert, wie sie bei der bromatometrischen Bestimmung von Arsenit angewandt wird. Die Maßlösungen werden aus Urtitersubstanzen angesetzt und müssen nicht eingestellt werden.


Material/Geräte:

Erlenmeyerkolben 100 ml, Spiritusbrenner, Dreifuß mit Drahtnetz, Analysenwaage, Messkolben 100 ml und 200 ml, Messzylinder 25 ml, Messpipette 20 ml, Feinbürette 10 ml, Magnetrührer (optional),


Chemikalien:

Arsen(III)-oxid pro analysi Warnhinweis: cWarnhinweis: nWarnhinweis: tWarnhinweis: xn
Kaliumbromat pro analysi Warnhinweis: oWarnhinweis: tWarnhinweis: xn
Salzsäure 25% Warnhinweis: cWarnhinweis: attn
Ethoxychrysoidinlösung 0,1% in Ethanol Warnhinweis: f
Analysengut:
Mennige Warnhinweis: nWarnhinweis: oWarnhinweis: tWarnhinweis: xn


Sicherheitshinweise:

Vorsicht: sowohl Arsenverbindungen als auch Kaliumbromat stehen im Verdacht, kanzerogen zu wirken.


Versuchsdurchführung:

Herstellung der 0,1 N Arsen(III)-oxidlösung:
Man wägt 494,6 mg Arsen(III)-oxid ab und gibt sie mit 10 ml 1 N Natronlauge in einen 100 ml Messkolben. Der Kolben wird im heißen Wasserbad erwärmt, bis eine klare Lösung entstanden ist, dann wird mit ca. 50 ml Wasser verdünnt und 10,5 ml 1 N Salzsäure hinzugefügt (mit Lackmuspapier prüfen: die Lösung muss neutral oder schwach sauer, jedenfalls nicht alkalisch reagieren - gegebenenfalls tropfenweise HCl zufügen). Nach dem Erkalten wird mit Wasser auf 100,0 ml aufgefüllt. Wenn die Lösung schwach sauer reagiert, ist sie nahezu unbegrenzt haltbar.

Herstellung der 0,1 N Kaliumbromatlösung:
Man wägt 556,7 mg getrocknetes Kaliumbromat ab und löst in einem 200 ml Messkolben in ca 100 ml Wasser. Dann wird bis zur Marke aufgefüllt. Die Lösung ist unbegrenzt haltbar.

Durchführung der Analyse:

In einen 100 ml Erlenmeyerkolben pipettiert man 20,0 ml der 0,1 N Arsen(III)-oxidlösung. Auf der analytischen Waage werden ca. 400 mg Mennige genau gewogen und in den Kolben gegeben, Nach Zugabe von 20 ml 10 %iger Salzsäure (8 ml HCl 25% + 12 ml Wasser) verblasst die rote Farbe rasch nach rosarot und schließlich nach grauweiß. Nun wird der Kolben abgedeckt und zum Sieden erhitzt. Nach Zugabe von rund 20 ml 2,5 %iger Salzsäure (2 ml 25 %ige HCl + 18 ml Wasser) entsteht eine klare Lösung (wenn nicht, wird noch milliliterweise verdünnte HCl zugefügt). Nun kühlt man in einem Kaltwasserbad ab, wobei sich Bleichlorid in schönen seidenweißen Nadeln ausscheidet.
Die Flüssigkeit versetzt man - ungeachtet des Niederschlages - mit 2 Tropfen Ethoxychrysoidinlösung 0,1 % und titriert dann aus der Feinbürette mit 0,1 N Kaliumbromatlösung. Es wird ein Verbrauch von ca 8 ml (für 400 mg Mennige) erwartet. Man lässt die Kaliumbromatlösung zunächst bis zur Marke von 7 ml unter gutem Rühren relativ rasch zutropfen. Danach muss sehr langsam (1 Tropfen alle 10-15 Sekunden) titriert werden. Am Äquivalenzpunkt färbt sich die orangerote Flüssigkeit plötzlich violett und verblasst kurz darauf und wird nahezu farblos (in der Regel durch denselben Tropfen Maßlösung).
Durch Differenzbildung (20 - x) ermittelt man die Menge der Arsentrioxidlösung, die durch die Mennige verbraucht worden war. Ein Milliliter 0,1 N As2O3-lösung entspricht 34,28 mg Pb3O4.

Ich habe zwei Proben Mennige verschiedener Herkunft mit diesem Verfahren untersucht:

Probe 1: Einwaage 414,05 mg, beim Erhitzen mit Salzsäure und Arsen(III)-oxidlösung blieben einige schwarze Krümel ungelöst (Verunreinigung unklarer Art). Bei der Rücktitration wurden 8,61 ml Kaliumbromatlösung verbraucht, somit waren 11,39 ml 0,1 N As2O3-Lösung umgesetzt worden, was 390,45 mg Pb3O4 entspricht. Der Gehalt der Mennige beträgt 94,3 %.

Probe 2: Einwaage 410,85 mg, beim Erhitzen mit Salzsäure und Arsen(III)-oxidlösung entstand eine völlig klare Lösung. Bei der Rücktitration wurden 8,25 ml Kaliumbromatlösung verbraucht, somit waren 11,75 ml 0,1 N As2O3-Lösung umgesetzt worden, entsprechend 401,8 mg Pb3O4 entspricht. Der Gehalt der Mennige beträgt 98,0 %.

Bei der Titration von 5 ml 0,1N Arsen(III)-oxidlösung, mit 5 ml 10%iger Salzsäure und einem Tropfen Indikatorlösung versetzt, wurden bis zum Farbumschlag 5,02 ml Kaliumbromatlösung verbraucht. Bei den kleinen Ausgangsmengen konnte ein Faktor nicht wirklich berechnet werden, da die Titrationsgenauigkeit nur bei ca. 0,025 ml liegt. Bei Vorlage von 50 ml 4%iger Salzsäure und 2 Tropfen Indikatorlösung (hier muss eine Spatelspitze Kaliumbromid zugegeben werden) führte 1 Tropfen (0,025 ml) Kaliumbromatlösung zur völligen Entfärbung.


Entsorgung:

Die austitrierten Flüssigkeiten mitsamt dem darin enthaltenen Niederschlag werden dem Schwermetallabfall zugeführt.


Erklärungen:

Mennige hat die Summenformel Pb3O4. Ein Drittel des darin enthaltenen Bleis liegt in der Oxidationsstufe +IV vor. Dies wird verständlich, wenn man die Substanz als Blei(II)-plumbat(IV) auffasst und die Zusammensetzung als Pb2[PbO4] formuliert. Als Blei(IV)-verbindung kann Mennige als Oxidationsmittel fungieren. Das PbIV+ wird dabei zu PbII+ reduziert und die Substanz nimmt pro Mol 2 Elektronen auf. Die Äquivalentmasse (342,8 g/Val) ist daher gleich der halben Molmasse (685,6 g/Mol).
Arsenige Säure wird durch Mennige in saurem Milieu zu Arsensäure oxidiert:

AsO33- + Pb3O4 + 6 H+ ---> AsO4 3- + 3 Pb2+ + 3 H2O

Der Überschuss an arseniger Säure wird dann mit Kaliumbromat zurücktitriert:

3 AsO33- + BrO3- ---> 3 AsO43- + Br-

Am Äquivalenzpunkt wird das gebildete Bromid durch Kaliumbromat zu elementarem Brom oxidiert:

BrO3- + 5 Br- + 6 H+ ---> 3 Br2 + 3 H2O

Die Farbe des als Indikator eingestezten Ethoxychrysoidins vertieft sich dabei zunächst durch Bromierung und verblasst dann durch Oxidation (Einzelheiten siehe hier). Die dazu optimale Salzsäurekonzentration liegt zwischen 2,5 und 5%, daher die subtilen Arbeitsanweisungen beim Lösen den Mennige.

Mennige (lateinisch minium), ein leuchtend rotes, schweres, wasserunlösliches Pulver, kann durch Glühen von Blei(II)-oxid (Bleiglätte) bei guter Luftzufuhr dargestellt werden. Die Differenz des Gehaltes zu 100% erklärt sich wahrscheinlich durch Vorhandensein von nicht umgesetztem Blei(II)-oxid (neben den in der ersten Probe offenbar enthaltenen groben Verunreinigungen). Sie war früher als Rostschutzanstrich viel in Gebrauch, ist aber wegen ihrer Giftigkeit und Umweltschädlichkeit seit 2012 zu diesem Zweck verboten. Sie wird noch in begrenztem Umfange als Malerpigment verwendet. Außerdem ist sie ein Ausgangsstoff zur Herstellung von Bleikristallglas.


Literatur:

J.M. Kolthoff: Die Massanalyse, zweiter Teil; Berlin, Verlag von Julius Springer, 1926: 294-295
Walther Poethke: Praktikum der Maßanalyse; 2. Auflage 1980, Verlag Harri Deutsch, Thun und Frankfurt/Main (ISBN 3-87144-535-5): 158-159


Bilder:

Bild
Mennige in Arsen(III)-oxidlösung suspendiert

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nach Zugabe von Salzsäure

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nach dem Kochen und Verdünnen

Bild

Bild
Farbumschlag des Indikators bei der Titration mit Kaliumbromatlösung
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Uranylacetat
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Beitrag von Uranylacetat »

Das ist wieder ein sehr interessanter "Maßanalyse-Klassiker"! :thumbsup:
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mgritsch
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Beitrag von mgritsch »

Sehr nette und durchaus typische Anwendung einer Rücktitration, was ist daran exotisch?
Interessant wäre wie andere, für den Hobbychemiker leichter zugängliche Reduktionsmittel im Vergleich zu Arsen abschneiden. Dass Iodid nicht geht ist klar, aber Fe+2 zum Beispiel? (Ansäuern, etwas Na2CO3 dazu um im Kolben eine CO2-Atmosphäre zu schaffen und Luftfehler zu minimieren, FeSO4-Maßlösung dazu (Das Sulfat sollte wenig stören, PbSO4 ist ja weiß), zugedeckt kochen, Rücktitration mit was auch immer - kann dann mit Permanganat, Bromat, Chromat sein, verschiedene Indikatoren - auch durchaus Iodid/Stärke...)
Detto andere Indikatoren- Methylrot ist ja zB der "Standard" in der Literatur bei Bromat, hab ich schon als gut funktionierend getestet... ein Methodenvergleich zur Referenz wäre interessant und damit gibt's auch eine Alternative für Leute die gerade kein Arsenik im Küchenschrank haben ;)
Wo hast du das Ethoxychrysoidin bekommen? Suche ich schon lange...
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mgritsch
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Beitrag von mgritsch »

Nachtrag zum Thema Ethoxychrysoidin als Indikator - wie du ja gut beschrieben hast, kommt es zuerst zur Bromierung (Farbvertiefung) und erst danach zur Oxidation (ausbleichen).
Sollte der Äquivalenzpunkt von daher nicht schon bei Eintritt der Farbvertiefung erreicht sein da es dazu bereits elementares Br benötigt? Führt das Titrieren bis zur Entfärbung nicht zu einem systematischen Indkatorfehler? Hast du dazu mal eine Blindprobe gemacht (wenn die eingesetzten Reagenzien schon Urtiter-Qualität haben...)?
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

Die Verwendung von Methylrot oder Methylorange als Indikator ist bei Poethke beschrieben, muss aber bei höherer Salzsäurekonzentration durchgeführt werden (5-10%). Deswegen habe ich Ethoxychrysoidin bevorzugt. Ich habe es aus unserer Apotheke (man braucht ja nur Tropfen einer 0,1 %igen Lösung, so daß man mit 50 mg schon sehr weit kommt). Die haben es im Labor, weil es ein Arzneibuchreagenz ist.

Blindversuch habe ich gemacht (auch beschrieben, übrigens 8) ). Sowohl dabei als auch beim Hauptversuch bewirkte ein und derselbe Tropfen Maßlösung erst eine Farbvertiefung und dann eine Entfärbung des indikators. Man muß wirklich sehr langsam titrieren und die Farbvertiefung ist der Anlass, den Bürettenhahn sofort ganz zuzudrehen.
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mgritsch
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Beitrag von mgritsch »

lemmi hat geschrieben:Die Verwendung von Methylrot oder Methylorange als Indikator ist bei Poethke beschrieben, muss aber bei höherer Salzsäurekonzentration durchgeführt werden (5-10%). Deswegen habe ich Ethoxychrysoidin bevorzugt.
das ist immer so eine Sache, es gibt (technisch) optimale Methoden und es gibt Alternativen, da finde ich es zumindest immer interessant zu vergleichen wie viel schlechter/anders man mit einer Alternative fährt die dafür an jeder Hausecke zu haben und/oder billiger ist. Die höhere Salzsäurekonzentration wäre ich persönlich durchaus bereit zu tolerieren wenn ich dafür kein Ethoxychrysoidin besorgen müsste :) Andere Indikatoren die auch genannt werden wären z.B. Methylorange, Chinolingelb, Indigosulfonsäure (Indigocarmin) und vermutlich geht noch eine ganze Latte anderer auch, unter unterschiedlichsten Bedingungen. Ich sehe schon, das wird ein eigener Artikel bei Gelegenheit ;)
Blindversuch habe ich gemacht (auch beschrieben, übrigens 8) )
Äh, ja... genau lesen hilft :) Gleich nach Probe 2 kam noch etwas was man nicht überspringen sollte... :yeah:
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

Ich wollte die höhere HCl-Konzentration vermeiden, weil ich fürchtete, es wäre sonst ein zu großes Flüssigkeitsvolumen zum Lösen des Blei(II)-chlorids nötig. Ist vielleicht weniger kritisch, als ich denke, es fällt beim Abkühlen ja sowieso wieder aus. Aber um sicher zu gehen, daß alles reagiert und keine Mennige-Teilchen zurückbleiben wollte ich in der Siedehitze alles in Lösung bringen. Ausserdem soll der Umschlag mit Methylorange und Co. deutlich langsamer gehen, als mit dem Ethoxychrysoidin und eine Übertitration wäre dann noch wahrscheinlicher.
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Beitrag von mgritsch »

lemmi hat geschrieben:Ausserdem soll der Umschlag mit Methylorange und Co. deutlich langsamer gehen, als mit dem Ethoxychrysoidin und eine Übertitration wäre dann noch wahrscheinlicher.
Kann mich an keinen langsamen Umschlag erinnern, ist aber schon ein wenig her. Versuch macht kluch :)

Aber dazu könnte ich mal unabhängig vom Mennige eine Versuchs-Serie machen zur Bromatometrie. Das ist ja ein weites und wenig dokumentiertes Feld, direkt mit Bromat oder Bromat/Bromid als Br Lieferant, die ganzen Pharmabestimmungen wo es auf die Bromierung und nicht auf die Oxidation ankommt (Koppeschaar)... Vergleich von Indikatoren (Bishop hat da eine sehr lange Liste...)...
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

Bei der Bestimmung von Chinaalkaloiden zum Beispiel wird mit Bromat bis zur Entfärbung von Methylrot titriert und dann der Überschuss mit Thiosulfat zurücktitriert. Ich nehme mal an, das ist so ausgearbeitet worden weil es eben schwer ist, nicht überzutitrieren.
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Beitrag von mgritsch »

lemmi hat geschrieben:Bei der Bestimmung von Chinaalkaloiden zum Beispiel wird mit Bromat bis zur Entfärbung von Methylrot titriert und dann der Überschuss mit Thiosulfat zurücktitriert. Ich nehme mal an, das ist so ausgearbeitet worden weil es eben schwer ist, nicht überzutitrieren.
das kann durchaus sein, kommt auch immer drauf an was die genaue chemische Grundlage der Maßanalyse ist (oxidation oder bromierung?) und wie die Kinetik bzw Gleichgewichtslage dieser Reaktion ist. Bei Koppeschaar ist Bromat-Überschuss und Rücktitration auch die Regel, das liegt aber nicht am zu lahmen Indikator sondern an der zu lahmen Reaktion mit dem Analyten, wäre also auch mit Ethoxychrysoidin nicht grundlegend anders. Kann man bei Koppeschaar nachlesen, teils ist ein 2-facher molarer Überschus nötig um quantitativ richtige Ergebnisse zu erhalten! Ein Farbumschlag nach blassgelb beim Chinidin deutet mal definitiv auf einen gezielten, merklichen Br-Überschuss hin, der Indikator ist dabei ziemlich "optional" :) Bei klassischen anorganischen Redox-Reaktionen ist idR die Kinetik bzw Gleichgewichtslage recht unkritisch, daher hätte ich in deinem Fall mit Arsen auch nicht erwartet dass eine Übertritration passiert bzw erfoderlich wäre.

Ich werd's mal mit Vergleichsbestimmungen mit Fe+2 ausprobieren ob der Indikator einen Unterschied macht :)
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Beitrag von mgritsch »

So, ich habe endlich wieder mal ein bisschen Zeit zum Spielen gehabt und mal zur Bromatometrie verschiedene Indikatoren verglichen :)

Als Modellsubstanz wollte ich ursprünglich Fe(II) benutzen, musste aber mit größtem Erstaunen feststellen, dass sich das mit Bromat/Brom nur schlecht oxidieren lässt. Wenn ich 15 ml einer 0,1M FeSO4 (Mohrsches Salz) + ca 30 ml 2M H2SO4 + Spatelspitze Bromid vorlege und dann Bromat zusetze kommt es gleich zu einer relativ starken Bromausscheidung die nur sehr langsam (~30 sec) weg geht (mutmasslich indem dann doch das Fe oxidiert wird). Den Redoxpotenzialen nach müsste das doch wesentlich glatter laufen? :conf:

Ich habe dann eine ca 1/40M Hydrazinsulfatlösung gewählt, das geht glatt. (As wollte ich nicht benutzen, eine Alternative wäre evtl auch Thioharnstoff, der wäre sogar als Urtiter tauglich und geht zumindest mit Ce(IV) oder Cr(VI) direkt, mit Bromat muss man aber Iodid zusetzen um eine stöchiometrische Umsetzung zu erhalten, das stört bzgl Indikatoren) Ich habe jeweils 15 ml Hydrazinsulfatlösung vorgelegt, mit ca 30 ml 2M H2SO4 gut angesäuert und dann mit einer 1/60M Kaliumbromat-Lösung titriert.

Vorweg eines - alle Indikatoren haben innerhalb von +/- 0,05 ml das gleiche Ergebnis geliefert. Quantiativ sind also grundsätzlich alle gleich gut und liefern (unter den gewählten Bedingungen) richtige Ergebnisse innerhalb von +/- 0,3%. Getestet habe ich folgende Indikatoren:

- Ethoxychrysoidin: die Farbvertiefung tritt bei mir schon nach den ersten ml Zugabe auf, offensichtlich bildet sich bei dieser Titration zwischenzeitlich genug freies Brom um das zu erreichen. Der Umschlag erfolgt ohne merkliche Zeitverzögerung, bei mir ist aber die Entfärbung nicht so ausgeprägt gewesen wie bei dir - evtl liegt das an der anderen Ansäuerung (habe in der Literatur die Angabe gefunden dass der Umschlag bei >10% HCl nicht mehr so scharf ist). Man muss also schon recht genau aufpassen wann das Rot zu einem Orange verblasst oder den Säuregehalt sehr genau einstellen um im Bereich 5-10% zu bleiben (bzw was wäre das als H2SO4?). Wesentlicher Vorteil wäre dass es der einzige der getesteten Indikatoren ist, der (in Grenzen) reversibel ist.

- Methylrot: der Umschlag erfolgt sehr klar von Kirschrot nach (fast vollkommen) farblos innerhalb von ca 2-4 Sekunden. Titriert man langsam genug besteht keine Gefahr der Übertitration und der Umschlag ist sehr deutlich.

- Indigocarmin: der Umschlag erfolgt sehr klar von Blau nach (fast vollkommen) farblos innerhalb von ca 2-4 Sekunden. Titriert man langsam genug besteht keine Gefahr der Übertitration und der Umschlag ist sehr deutlich.

- Methylorange: der Umschlag erfolgt sehr klar von Orangerot nach (fast vollkommen) farblos innerhalb von ca 5-10 Sekunden. Da muss man schon etwas aufpassen damit man den Äquivalenzpunkt nicht verpasst! Aber gundsätzlicih auch tauglich.

- Fluorescein: der Umschlag erfolgt von Grüngelb nach Orange innerhalb von ca 2-4 Sekunden. Der Umschlag ist noch brauchbar wenngleich der Farbunterschied mäßig prickelnd ist. Aber gundsätzlich auch tauglich.

- Neutralrot: Den habe ich ausgewählt weil mir die Oxidationsempfindlichkeit schon an anderer Stelle mal aufgefallen war (Bereits das Chlor im Poolwasser reicht zum Ausbleichen!) Im stark sauren ist es zuerst dunkelblau-lila, nach den ersten Tropfen schlägt die Farbe zu Magenta um (Bromierung?), am Äquivalenzpunkt bleicht es dann innerhalb von ca 2-4 Sekunden fast völlig uas, es bleibt nur ein leichter rosastich. Nicht super aber gundsätzlich auch tauglich.

Noch nicht getestst habe ich Fuchsin (da ist mir dann die Hydrazin-Stammlösung ausgegangen, hätte mehr ansetzen sollen :)) das auch gut gehen soll, evtl teste ich auch noch mal das verwandte Methylgrün oder ganz ewtas anderes.

Fazit: Egal ob Azo- Phenazin- oder Xanthenfarbstoffe (vermutlich auch Triphenylmethan) - alle Farbstoffe sind gut geeignet, der einzige und wesentliche Vorteil von Ethoxychrysoidin ist die Reversibilität die eine Rolle spielen kann wenn die Reaktion mit dem Analyten langsam ist und intermediär freies Brom vorliegt - da würden die anderen dann schon frühzeitig merklich gebleicht wogegen Ethoxychrysoidin nur "farbvertieft" aber nach Abreaktion des Broms wieder vorliegt. Meine persönlichen Favoriten wären sonst Methylrot oder Indigocarmin die billig, weit verbreitet und bzgl Reaktionsbedingungen einfach handzuhaben sind ("mach einfach anständig sauer") und sehr klare Umschläge ergeben.

Fraglich ist ob man überhaupt einen speziellen Indikator braucht... eine Spatelspitze Iodid + Stärke dazu geht doch immer, oder?
(im Speziellen Fall mit dem Blei wegen gelbem unlöslichem PbI2 vielleicht nicht ganz optimal, aber man könnte überhaupt nach der Oxidation das Pb mit H2SO4 fällen - der weiße Niederschlag stört ja hoffentlich nicht weiter...?)
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Beitrag von lemmi »

Interessante Übersicht!

Hast du mal Bilder von dem Umsclag des Etoxychrysoidins? Mich wundert es, dass du ihn nicht als scharf beschrieben hast. Auf der anderen Seite kann ich den superschnellen Umschlag nicht bestätigen. Vermutlich hängt das auch davon ab, was sonst noch noch so in der Lösung herumschwimmt.

5-10% HCl wären über den Daumen gepeilt 7,5-15% H2SO4 (vollständige Dissoziation der letzteren in zwei Stufen angenommen).
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mgritsch
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Beitrag von mgritsch »

lemmi hat geschrieben:Hast du mal Bilder von dem Umsclag des Etoxychrysoidins?
seguro que si :) ich habe mir ja angewöhnt schon fast alles zu dokumentieren...

Ethoxychrysoidin: vorher - nach ein paar ml - nach Umschlag:
Bild


zum Vergleich mal Methylrot und Indogocarmin:
Bild


oder die weniger berühmten Kandidaten Neutralrot bzw. Fluorescein:
Bild

Mich wundert es, dass du ihn nicht als scharf beschrieben hast. Auf der anderen Seite kann ich den superschnellen Umschlag nicht bestätigen.


scharf ist relativ. man kann das schon ganz gut erkennen, die Bilder sprechen für sich. Dass die Farbvertiefung schon vorher eintritt ist auch nicht störend.
superschnell - nicht so merklich über einige Sekunden verzögert wie die anderen jedenfalls. Es gibt wie im Film schnelle oder langsame Überblendungen. Großes Kino im Labor! :)
Methylrot und Indigocarmin sprechen jedenfalls rasch genug an dass man es rechtzeitig bemerkt und keinen weiteren Tropfen mehr zusetzt und dann die paar sec noch genüsslich beim fertig ausbleichen zusehen kann.
Vermutlich hängt das auch davon ab, was sonst noch noch so in der Lösung herumschwimmt.
Das ganz sicher!
Insgesamt ein durchaus komplexes System, was wird zuerst oxidert oder bromiert, da spielen einige Gleichgewichte und die Kinetik mit, manchmal auch nicht ganz erklärlich. Besonders naheliegend hätte ich ja zB Ferroin gefunden, wird nicht zuletzt bei Belushov-Zhabotinsky auch in Zusammenhang mit Bromat eingesetzt um die schönen rot-blauen Formen zu erzeugen. Versuch mal etwas Bromat zu Ferroin zuzusetzen -> Umschlag = Fehlanzeige! Eine Literaturstelle behauptete bereits 10^-6 M an Bromid sorge dafür dass der Indikator nicht mehr umschlägt (bzw getesteter weise - lässt man es stehen so scheiden sich langsam feine braune ölige Tröpfchen ab, vermutlich bromiertes/oxidiertes Phenanthrolin...?)

Detto der Säuregehalt - Bromat verbraucht immerhin 6 H+ pro BrO3/1 H+ pro e-. Wenn ich auf Hydrazin gehe liefert das auch 1H+ pro e- wogegen As+3 (oder Fe+2) nichts liefern. Die Säurestärke verändert isch also auch sehr anders. Warum Fe+2 nicht leicht oxidiert wird, wird mir sowieso ein Rätsel bleiben. Redox-Chemie ist halt doch ein bisschen komplexer als sie auf den ersten Blick aussieht :)

Mein persönlicher Favorit ist und bleibt Cer-Ammonium-Nitrat. Ist auch als Urtiter tauglich, hat ein wahnsinnig hohes Äquivalentgewicht, Die Lösungen sind super stabil, hat ein sehr hohes Redoxpotential und kann somit fast alles, das Ce+3 das entsteht ist fast farblos und stört farblich keinen Indikator, Ferroin ist ein geradezu perfekter Redox-Indikator (leider wird er durch Halogenide gestört...), der Umschlag hat eine Schärfe und Reversibilität wie sonst nur bei einfachen Säure-Base-Titrationen. Einziger Nachteil ist sein Preis (und dass man es nicht an jeder Ecke bekommt). Der etwas verbreitetere Bruder Cer-Ammonium-Sulfat enthält leider Kristallwasser und ist daher nicht Urtiter-Tauglich bzw ist es auch eher schlecht wasserlöslich.
5-10% HCl wären über den Daumen gepeilt 7,5-15% H2SO4 (vollständige Dissoziation der letzteren in zwei Stufen angenommen).
% ist ja sowieso eine "unchemische" Angabe :) sagen wir statt 7% HCl lieber gleich: 2M, dann ist alles klarer :)
wenn man nur auf die H+ geht dann war ich eingangs etwas drüber mit meiner 2M H2SO4, nach Verdünnung durch Titrand und Titrator bleiben aber noch recht genau 1 M am Ende übrig und das ist give or take ziemlich genau das was 7% HCl entspricht. Ist halt die Frage ob das auch so sein sollte, denn bei der As Titration hast du Anfangs etwa das level und das wird auch verdünnt bzw durch die Reduktion des Bromats H+ verbraucht.
Und es ist die Frage ob es nur auf das H+ ankommt oder ob das Chlorid da drin auch eine Funktion hat (katalytisch oder Redox-Mäßig).
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Beitrag von lemmi »

mgritsch hat geschrieben:Mein persönlicher Favorit ist und bleibt Cer-Ammonium-Nitrat. Ist auch als Urtiter tauglich, hat ein wahnsinnig hohes Äquivalentgewicht, Die Lösungen sind super stabil, hat ein sehr hohes Redoxpotential und kann somit fast alles, das Ce+3 das entsteht ist fast farblos und stört farblich keinen Indikator
Ich finde Cerimetrie auch genial. Cerammoniumnitrat als Urtiter ist mir aber nicht bekannt. Bisher habe ich meine Cer(IV)-Lösungen immer eingestellt (am liebsten gegen As2O3 :mrgreen: )
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