Maßanalytische Bestimmung von Formaldehyd und Acetaldehyd

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lemmi
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Maßanalytische Bestimmung von Formaldehyd und Acetaldehyd

Beitrag von lemmi »

Maßanalytische Bestimmung von Formaldehyd und Acetaldehyd

Im Folgenden beschreibe ich eine Methode, den Gehalt einer Formaldehyd- oder Acetaldehyd-Lösung durch Titration zu bestimmen. Das Verfahren stammt aus dem DAB 5 von 1910, während aktuelle Arzneibücher den Gehalt iodometrisch bestimmen lassen. Aber auch die hier dargestellte Sulfit-Methode, die sich eines interessanten Reaktionsmechanismus bedient, ist sehr genau, wenn man sie richtig durchführt.


Material/Geräte:

Becherglas 100 ml, Messpipette 20 ml, Kolbenhubpipette 1000 µl (ggf auch 50 µl), Bürette, Waage, Messzylinder 100 ml, Magnetrührer (optional)


Chemikalien:

1 N Salzsäure Warnhinweis: c
1 N Natronlauge Warnhinweis: c
Natriumsulfit zur Analyse

Thymolphtaleinlösung 0,1% in Ethanol 96% (Ersatzweise Phenolphtaleinlösung 1 %) Warnhinweis: fWarnhinweis: xn
Analysensubstanzen:
Formaldehydlösung bzw. Acetaldehydlösung Warnhinweis: t


Versuchsdurchführung:

Man stellt zunächst eine ungefähr 1 M Natriumsulfitlösung her, indem man 25,2 g Natriumsulfit-Heptahydrat oder 12,6 g wasserfreies Natriumsulfit in ca. 80 ml Wasser löst und dann auf 100 ml auffüllt. Für das Gelingen der Analyse ist es nicht wesentlich, dass der Gehalt der Lösung genau stimmt. Wichtig ist dagegen, ein reines Natriumsulfit zu verwenden, das kein Natriumdisulfit oder Natriumcarbonat enthält.

In einem 100 ml-Becherglas legt man 25-30 ml Wasser (am besten ausgekochtes, CO2-freies) vor und gibt 20 ml der Natriumsulfitlösung zu.

In einem Reagenzglas verdünnt man genau 1 ml (Kolbenhubpipette!) der zu untersuchenden Formaldehydlösung mit etwa 4 ml Wasser und versetzt mit 3 Tropfen Thymolphtaleinlösung 0,1 %. Dann gibt man mit einer 50 µl-Pipette tröpfchenweise so lange 1 N Natronlauge zu, bis eine eben erkennbare Blaufärbung auftritt. Dieser Schritt dient dazu, eventuell durch Oxydation entstandene Ameisensäure zu neutralisieren. Bei nicht allzu lange gelagerten Formaldehydlösungen wird dabei fast nichts verbraucht. Bei meinem Versuch habe ich nicht einmal eine halbe Pipettenfüllung, also ca. 0,025 ml bis zur Blaufärbung benötigt. Die blaue Farbe verblasst bald, da sich das Thymolphtalein durch Aufnahme von Kohlendioxid aus der Luft wieder entfärbt.

Man gibt dann den Inhalt des Reagenzglases in die verdünnte Sulfitlösung und spült noch mit einigen Millilitern Wasser nach. Die Mischung färbt sich tief blau. Nun wird mit 1 N Salzsäure titriert, bis sich der Indikator entfärbt. Bei meinem Versuch habe ich 13,2 ml 1 N Salzsäure verbraucht. Da ein Milliliter Salzsäure 30,03 mg Formaldehyd entspricht, enthält 1 ml meiner Formaldehydlösung 396,2 mg. Die Dichte der Lösung (bestimmt mit der Mohr-Westphal´schen Waage) beträgt 1,087 g /ml. Der Gehalt in Gewichtsprozent ist also: 396,2 : 1087 = 36,45 %

Bei Verwendung von Thymolphtalein ist in der Regel keine Korrektur notwendig. Wird stattdessen Phenolphtalein (1 Tropfen einer 1 %igen Lösung) eingesetzt, muss jedoch eine Korrektur ermittelt werden, da die Natriumsulfitlösung den Indikator beeinflusst. Man geht folgendermaßen vor: eine der nicht-umgesetzten Sulfitlösung entsprechende Menge (in meinem Falle waren das knapp 7 ml Natriumsulfitlösung) wird bis zu dem bei der Titration erreichte Endvolumen mit Wasser verdünnt (in meinem Falle 70 ml) und mit Indikator versetzt. Dann wird mit 1 N Salzsäure aus der Feinbürette titriert. Die bis zur Entfärbung benötigte Menge Salzsäure muß von dem bei der Analyse verbrauchten Volumen abgezogen werden. Poethke (Literatur) empfiehlt eine solche Korrektur auch bei Verwendung von Thymolphtalein, meine Reagenzien gaben mit Thymolphtalein aber keine Blaufärbung.

Auf die gleiche Weise kann auch Acetaldehyd maßanalytisch bestimmt werden. Ich habe eine selbst hergestellte Lösung von Acetaldehyd in Ethanol untersucht (die ich durch Destillation von Ethanol mit Kaliumdichromat und Schwefelsäure erhalten hatte). Zu 30 ml Wasser und 10 ml Natriumsulfitlösung wurden 1 ml des Präparates und 3 Tropfen Thymolphtalein gegeben. Bis zum Umschlag des Indikators wurden 5,4 ml 1 N Salzsäure verbraucht.
Hier ist ein Milliliter 44,05 mg Acetaldehyd äquivalent. Der Gehalt der Lösung (Dichte rund 0,8 g/ml) beträgt also (44,05 x 5,4 : 800 = 0,298) knapp 30% Gewichtsprozent.


Entsorgung:

Die austritrierte Flüssigkeit wird über das Abwasser entsorgt.


Erklärungen:

Aldehyde bilden mit Hydrogensulfiten bekanntlich stabile Additionsprodukte. Setzt man ein neutrales Sulfit ein, so wird bei der Reaktion eine äquivalente Menge Hydroxid freigesetzt, das mit Salzsäure titriert werden kann:

Na2SO3 + H2O + R-CHO ---> NaOH + R-C(OH)H-SO3Na

Molmasse Natriumsulfit: 126,4 g (Heptahydrat 252,1 g)
Molmasse Formaldehyd (R = H): 30,03 g
Molmasse Acetaldehyd (R = CH3): 44,05 g

Das freigesetzte Alkalihydroxid wird durch die Salzsäure neutralisiert, wobei 1 Mol Salzsäure 1 Mol Aldehyd entspricht. Gegen Ende der Titration beobachtet man, dass sich die zunächst deutlich abgeblasste Blaufärbung nach 1-2 Sekunden wieder verstärkt. Das rührt vermutlich daher, dass sich mit dem Wegfangen der Hydroxidionen das Gleichgewicht der oben genannte Reaktion weiter nach rechts verlagert, bis aller Aldehyd umgesetzt ist.

Als Fehlerquelle muss bedacht werden, dass auch in einer reinen Sulfitlösung durch Hydrolyse immer ein wenig Hydroxid gebildet wird:

Na2SO3 + H2O <---> NaHSO3 + NaOH

Bei der Verwendung von Phenolphtalein (Umschlagsbereich pH 8,2 - 9,5) macht sich diese Hydrolyse bemerkbar, indem der Verbrauch an Salzsäure ein wenig zu hoch gefunden wird (Poethke gibt für 12 ml Natriumsulfitlösung in 100 ml Flüssigkeit einen Verbrauch von 0,3 ml 1 N HCl an). Thymolphtalein schlägt erst bei pH 9,3 - 10,5 um und ist daher weniger alkaliempfindlich. Wichtig ist, dass das Ausmaß der Hydrolyse vom Grad der Verdünnung abhängt. Bei der Ermittlung der Korrektur muss daher die überschüssige Sulfitlösung in etwa demselben Endvolumen titriert werden, wie beim Hauptversuch.

Die hier untersuchte Formaldehydlösung trägt die Bezeichnung "35-37 %". Die Titration bestätigt diese Gehaltsangabe. Daneben enthalten die käuflichen Präparate stets etwa 10% Methanol.


Literatur:

Poethke, Walter: Praktikum der Massanalyse; 2. Auflage 1980, Verlag Harri Deutsch, Thun und Frankfurt/Main; ISBN 3-87144-535-5


Bilder:

Bild
Titration mit Thymolphtalein als Indikator

Bild Bild Bild
Der Umschlag des Indikators
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Uranylacetat
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Beitrag von Uranylacetat »

Sehr schön! Diese Maßanalysen finde ich immer noch interessant.
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Vanadium
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Beitrag von Vanadium »

Ein schöner Analytik-Artikel! Mich interessiert aber vor allem der präparative Aspekt an den Bisulfit-Addukten.. :D
Aldehyde bilden mit Hydrogensulfiten bekanntlich stabile Additionsprodukte. Setzt man ein neutrales Sulfit ein, so wird bei der Reaktion eine äquivalente Menge Hydroxid freigesetzt, das mit Salzsäure titriert werden kann:

Na2SO3 + H2O + R-CHO ---> NaOH + R-C(OH)H-SO3Na
Das freigesetzte Alkalihydroxid wird durch die Salzsäure neutralisiert, wobei 1 Mol Salzsäure 1 Mol Aldehyd entspricht.
Auf diese Weise könnte man quantitativ das Addukt gewinnen, oder?
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

siehe Dazu meine Anmerkung hier!
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