Synthese von Blei(II)-acetat

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mgritsch
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Re: Synthese von Blei(II)-acetat

Beitrag von mgritsch »

Versuch macht kluch (oder auch nicht ;) )
Stückchen von Blei (das technische) in 30% Essigsäure, mit zusätzlich Spatelspitze AgNO3, zusätzlich Spatelspitze Cu Acetat oder in Kontakt mit Cu Blech - kein Unterschied. Abgesehen von etwas Abscheidung von Ag bzw Cu wo der Zusatz drin ist machen alle 3 relativ wenig. Ein paar maue kleine Bläschen. Das gelobte Ag oder Cu tun nichts zur Sache.

Dann dachte ich „okay, ist halt ein relativ undefinierbares technisches Pb... versuchen wir es mit dem 99,9% igen. Gleiches Setup - Ergebnis: noch weniger Gasentwicklung, praktisch gar keine, in keinem Glas, nicht mal in der Wärme. Sb scheint wirksamer zu sein! Kein Unterschied ob mit oder ohne Cu oder Ag. :idea2: :roll: und die Pb-Konzentration in der Lösung war sicher noch nicht so hoch dass meine elektrochemische Überlegung zutreffen müsste (allenfalls ganz lokal in der Grenzschicht).

Schwieriges Thema...
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mgritsch
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Re: Synthese von Blei(II)-acetat

Beitrag von mgritsch »

Wenn's kompliziert wird muss man systematischer werden, dann macht der Versuch auch wirklich wieder kluch :)

01 - Pb 2M HCl.JPG
Reinblei (99,9%) in einer 2 mol/l HCl: es kommt beim Erwärmen zu einer schwachen Reaktion.

02 - Pb Pt 2M HCl.JPG
Reinblei (99,9%) in Kontakt mit Platin in einer 2 mol/l HCl: es kommt zu einer merklichen Reaktion, H2 scheidet sich am Pt ab.

03 Pb Cu 2M HCl.JPG
Reinblei (99,9%) in Kontakt mit Kupfer in einer 2 mol/l HCl: es kommt zu einer etwas schwächeren Reaktion, H2 scheidet sich sowohl an Cu als auch am Pb ab.

Erkenntnis: H2 hat an Pb in HCl tatsächlich eine merkliche Überspannung, Cu ist weniger geeignet die abzubauen, Pt jedoch sehr gut. In einer 2M HCl sollte die H+ Aktivität zumindest 1 - 1,5 mol/l sein, das Potenzial der Halbzelle somit nahe an Standardbedingungen (0 Volt)

04 - Pb 10M HCl.JPG
Reinblei (99,9%) in einer konzentrierten (10 mol/l) HCl: es kommt beim Erwärmen zu einer heftigen Reaktion.
Es ist zwar einerseits die H+-Aktivität noch mal etwas höher, der Haupt-Effekt hier ist aber dass sich das Pb unter Bildung von Chloroplumbaten wie [PbCl3]- oder [PbCl4]-2 auflöst - somit sinkt das Potenzial des Pb in der Lösung stark ab da sie nur wenige Pb+2-Ionen enthält. Die Überspannung wird damit so weit kompensiert dass es zu einer heftigen Reaktion kommt.

05 - Pb Pt 001M HCl.JPG
Reinblei (99,9%) in Kontakt mit Platin in einer 0,01 mol/l HCl: es kommt zu fast gar keiner Reaktion, auch nicht beim Erwärmen. Bei einer so geringen H+-Konzentration ist der Potenzialunterschied zu gering, als dass es zu einer Reaktion käme. Das ist die analoge Situation wie in der konzentrierteren Essigsäure - diese ist so schwach dissoziiert, dass sie auch nur in etwa 0,01 mol/l an H+ enthält.

07 - Pb Pt 5M HAc.JPG
Reinblei (99,9%) in Kontakt mit Platin in einer 5 mol/l Essigsäure: es kommt zu keiner Reaktion, auch nicht beim Erwärmen. (Das Bild ohne Pt spare ich uns hier - es passiert nichts.)
Erkenntnis: auch bei erfolgreichem Abbau der Überspannung ist Essigsäure einfach nicht stark genug.

08 - Zn Pt 001M HCl.JPG
Zink in Kontakt mit Platin in einer 0,01 mol/l HCl: es kommt beim Erwärmen zu einer Reaktion und H2 scheidet sich sowohl an Zn als auch am Pt ab. Erkenntnis: allein die Tatsache, dass die HCl so verdünnt ist, ist kein Grund für keine Reaktion. Beim Zn mit einem Standardpotenzial von -0,74V ist auch unter diesen Bedingungen eine Reaktion möglich.
Tatsächlich läuft die Reaktion auch ohne Pt fast gleich stark ab, die Überspannung dürfte nur minimal sein.

10 Pbtechn Pt 5M HAc.JPG
Technisches, legiertes Blei in Kontakt mit Platin in einer 5 mol/l Essigsäure: es kommt anfangs zu einer schwachen Reaktion, diese ist aber schon nach kurzer Zeit beendet und dann tritt keine weitere Reaktion mehr ein, auch nicht beim Erwärmen. Letzteres ist "in line" mit dem vorigen Versuch mit Reinblei, die Tatsache dass anfangs doch eine leichte Gasentwicklung zu beobachten war dürfte wohl eher auf winzige Lokalelemente durch Verunreinigungen zurückzuführen sein. Sobald diese Verunreinigungen aufgelöst sind, liegt nur noch Pb vor das unter den Bedingungen nicht reagiert.


Fazit: damit wäre denke ich gut belegt was ich schon postuliert hatte:
- Überspannung erschwert zwar, entscheidend ist aber die für Pb zu geringe H+ Konzentration sodass das Gleichgewicht:
Pb + 2 H+ <-> Pb2+ + H2
Auf der linken Seite landet und auch nach Wegfall der Überspannung durch Pt-Kontakt keine Auflösung unter H2-Abscheidung eintritt.
Oder mit einfacheren Worten: Blei ist zu wenig unedel. :D
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lemmi
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Re: Synthese von Blei(II)-acetat

Beitrag von lemmi »

A.W. von Hofmann hat geschrieben:“Doch genug der Theorie! Langsam and nur von ferne folgt der schleppfüßige Versuch dem Fluge leichtbeschwingter Phantasie!”
@mgritsch: sehr schöne experimetelle Untersuchung des Problems! Sowas mag ich :)

Fazit des Fazits:

1. Entscheidend ist aber die für Pb zu geringe H+ Konzentration sodass das Gleichgewicht:
Pb + 2 H+ <-> Pb2+ + H2
Auf der linken Seite landet.
2. Elektronen aus dem Pb werden dann eben an H2O2 übergeben, nach H2O2 + 2e- --> 2 OH-. Diese Reaktion käme in neutraler oder basischer Lösung ganz schnell zum erliegen (Passivierung durch unlösliches Hydroxid), die Essigsäure lässt sie aber ablaufen da das Hydroxid aufgelöst wird.

Ich fände es gut, wenn diese nähere Erklärung der "Summenreaktion"
Pb + 2 CH3COOH + H2O2 → Pb(CH3COO)2 + 2 H2O
noch in den Artikel eingefügt würde.
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mgritsch
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Re: Synthese von Blei(II)-acetat

Beitrag von mgritsch »

Wenn Theorie und Praxis zueinander finden :)
(Randnotiz - das Pt ist übrigens das einzig nützliche was mir von der Ex blieb.)

Klar, die Erklärung wird noch mal überarbeitet.
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Re: Synthese von Blei(II)-acetat

Beitrag von lemmi »

Die Diskussion wirft mehrere interessante Detailfragen auf (sogar bei der Erkenntnistheorie sind wir schon gelandet - aber dahin will ich jetzt grad nicht...). Alte Themen, neu betrachtet! Ich bitte um Nachsicht, noch etwas akademisch draufloszufragen ... :mrgreen:


1. Wasserstoffperoxid kann bekanntlich oxidiert und reduziert werden Prof. Blume hat dazu eine ganz anschauliche Seite aufgestellt.

Demnach gilt für die Reduktion von H2O2 zu H20:

H2O2 + 2 e- + 2H+ ---> 2 H2O Eo = +1,76 V

und für die Oxidation zu O2:

H2O2 ---> 2 H+ + O2 + 2 e- Eo = + 0,68 V

Frage:

Eine Reaktion wie von Glaskocher vorgeschlagen:

H2O2 + 2e- ---> 2 OH-

beschreibt Prof. Blume indirekt, indem er sagt, H2O2 zerfalle leicht in zwei 0H-Radikale. Aber eine Redoxspannung habe ich nirgends gefunden. Nun kann man natürlich sagen, dass dies dieselbe Reaktion wie die erste ist, nur eben ohne die beiden H+. Aber Dennoch: gibt es ein Redoxsystem H2=2/OH-? Hat man dafür schonmal eine Redoxspannung bestimmt?


2. Gaspartialdruck in Lösungen: auf der gleichen Seite schreibt Prof. Blume zur Berechnung des Potenzials der Reaktion

H2O2 ---> 2 H+ + O2 + 2 e-
Prof. Blume hat geschrieben:Wir berücksichtigen die Konzentration des Sauerstoffs, die man im Allgemeinen als Partialdruck pO2 angibt, nicht weiter, da sie wegen des Gasaustauschs zwischen Lösung und Luft als konstant anzunehmen ist.
Prof. Blume nimmt den Gasaustausch offenbar als instantan an. Der Partialdruck von O2 wäre dann 0,21, entsprechend der Sauerstoffkonzentration der Luft. Jetzt komme ich auf mein Unwohlsein, den Wasserstoff in das Gleichgewichtssystem zu übernehmen, zurück: wenn es sich um ein offenes System handelt müsste der Wasserstoffpartialdruck 0 sein, da die Luft keinen Wasserstoff enthält! Somit spielt der Wassrstoff im Gleichgewicht keine Rolle.

Das Gegenarbument ist mir schon klar: man kann ja auch eine Wasserstoffhalbzelle mit gasförmigem H2 in einer 1M H+-Lösung herstellen. Aber spielt da nicht das Elektrodenmaterial - Platin, das sich mit Wassrstoff sättigt - eine Rolle? Ausserdem muss der Wasserstoff unter dem normaldruck 1,013 stehen. Das verstehe ich so, dass der Gasraum oberhalb der Elektrode mit Wasserstoff gefüllt sein muss.
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Re: Synthese von Blei(II)-acetat

Beitrag von Xyrofl »

Das verstehe ich so, dass der Gasraum oberhalb der Elektrode mit Wasserstoff gefüllt sein muss.
Dazu muss man sich aber überlegen, wie schnell der Wasserstoff von oberhalb der Lösung überhaupt zur Elektrode diffundieren kann. Der Stoffstrom dieser Diffusion ist über die Faraday-Konstante direkt umrechenbar in eine Stromstärke. Diese Stromstärke gibt an, wie schnell sich das Gleichgewicht einstellt. Da Wasserstoff sehr, sehr langsam durch Wasser diffundiert, kann man sich überlegen, dass dieses Gleichgewicht nicht erreicht wird, weil die anderen Ströme in einer ganz anderen Größenordnung liegen.

Außerdem wäre es nicht einzusehen, dass sich Blasen aus reinem Wasserstoff bilden, d.h. die Bildung des H2 erst einmal auf über 1013 hPa geht um Blasen zu erzeugen, wenn die Triebkraft doch die starke Verdünnung des H2 sein soll. Nein dann würde die Auflösung ohne sichtbare Wasserstoffblasen ablaufen. Der wenige Wasserstoff, der entsteht würde sich im Wasser lösen (Triebkraft für die Desorption vom Metall wäre die Verdünnung im Wasser) und das auch nur bis das Wasser eine nennenswerte Konzentration von Wasserstoff erreicht hat. Diese Wasserstofflösung wiederum steht an der Oberfläche mit der wasserstofffreien Luft im Gleichgewicht. Bei einem Gas, das sich so schlecht in Wasser löst wie Wasserstoff (d.h. das schon bei sehr geringer Konzentration eine hohe Aktivität erreicht, die der Aktivität in der Gasphase bei 1013 hPa nahe kommt), sollte dieser Mechanismus praktisch gar keine Rolle spielen.

Das Ganze ist also kein perfektes Gleichgewichtssystem. Der Wasserstoff perlt als Gas aus wenn der H2-Druck an der Elektrode über den Raumdruck steigt und das tut er wenn die Abscheidung von H auf dem Metall ausreichend stark ist und das geschieht nur wenn das Potential dazu tief genug ist. Wirklich im Gleichgewicht steht weniger der Wasserstoff in den Blasen (einmal in einer Blase angekommen, macht der sich auf und davon auf nimmer wiedersehen) als eher der Wasserstoff, der auf dem Metall adsorbiert ist. Das ist bei Blei und den Begleitmetallen ja genauso der Fall wie bei Platin und dafür, dass sich ein Gleichgewicht einstellt, spielt es keine Rolle, dass Platin mehr Wasserstoff adsorbieren kann, als Blei. Das ändert die Gleichgewichtskonstante, aber nichts an der Tatsache, dass da ein Gleichgewicht besteht.
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Re: Synthese von Blei(II)-acetat

Beitrag von lemmi »

Der Partialdruck eines Gases in einer lösung ist identisch mit dem zu dem Gasraum, mit dem er im Gelichgewicht steht. Ich entnehme deinen Ausführungen, dass das bei der Elektrolyse keine Rolle spielt, da es nicht auf das gelöste Gas, sondern auf das an der Metalloberfläche adsorbierte Gas ankommt. Ist diese Adsorption bei allen Metallen gleich? Wieso nimmt dann Platin für die Normalwasserstoffelektrode und nicht Gold oder ein anderen Metall?
Xyrofl hat geschrieben: Samstag 23. Januar 2021, 10:41Das ändert die Gleichgewichtskonstante, aber nichts an der Tatsache, dass da ein Gleichgewicht besteht.
Was beduetet es, dass sich die Gleichgewichtskonstante ändert?
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Re: Synthese von Blei(II)-acetat

Beitrag von Xyrofl »

Der Partialdruck eines Gases in einer lösung ist identisch mit dem zu dem Gasraum, mit dem er im Gelichgewicht steht.
Wenn du da keinen Deckel drauf hast und nicht unendlich lange wartest, dann ist da kein Gleichgewicht. Denk z.B. an rauchende HCl. Die bleibt sehr lange >30% obwohl in der Laborluft kein hoher HCl-Partialdruck ist und das Azeotrop bei 20% liegt. Bis sich Gleichgewichte einstellen, vergeht eine lange Zeit. Bei einem dynamischen Prozess, wo immer wieder neuer Wasserstoff nachgeliefert wird, liegt gar kein Gleichgewicht vor, zumindest nicht bezüglich des Gasraumes und des gelösten Gases in dem Elektrolyten, da sind über Konzentrationsgradienten und im Gleichgewichtig existieren keine solchen Gradienten.
Was beduetet es, dass sich die Gleichgewichtskonstante ändert?
Im Endeffekt bedeutet das, dass bei einem H2 Partialdruck von 1013 hPa auf Platin mehr H2 adsorbiert vorliegt als z.B. bei Blei oder Zink. So wie eine starke Säure bei einem pH-Wert von 1 vollständig dissoziiert vorliegt und eine schwache Säure nicht. Aber ob stark oder schwach, sie alle liegen im Gleichgewicht vor, denn das pH-Gleichgewicht ist sehr schnell und das Gleichgewicht zwischen Adsorption und Desorption ist auch schnell, zumindest verglichen mit der Diffusion durch die Lösung.
Wieso nimmt dann Platin für die Normalwasserstoffelektrode und nicht Gold oder ein anderen Metall?
Siehe oben. Bei Platin ist die Adsorption viel stärker, wobei die adsorbierte Menge aber nur ein Nebeneffekt von ein und der selben Ursache ist. Weil Platin so ein guter Hydrierkatalysator ist, adsorbiert es so viel Wasserstoff und gleichzeitig bewirkt die katalytische Aktivität eben auch eine sensationell niedrige Überspannung (die aber nicht Null ist, nur wesentlich niedriger als bei anderen Metallen).
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mgritsch
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Re: Synthese von Blei(II)-acetat

Beitrag von mgritsch »

lemmi hat geschrieben: Samstag 23. Januar 2021, 10:11 Eine Reaktion wie von Glaskocher vorgeschlagen:

H2O2 + 2e- ---> 2 OH-

beschreibt Prof. Blume indirekt, indem er sagt, H2O2 zerfalle leicht in zwei 0H-Radikale. Aber eine Redoxspannung habe ich nirgends gefunden. Nun kann man natürlich sagen, dass dies dieselbe Reaktion wie die erste ist, nur eben ohne die beiden H+. Aber Dennoch: gibt es ein Redoxsystem H2=2/OH-? Hat man dafür schonmal eine Redoxspannung bestimmt?
Natürlich, das gibt es alles. Allerdings ist das kein Zerfall in Radikale, das wäre ohne Elektronenübergang zu 2 OH⋅
Prinzipiell beschreibt:
H2O2 + 2e- ---> 2 OH-
und
H2O2 + 2 H+ + 2e- ---> 2 H2O
genau die gleiche Reaktion.
Beide sind ein Gleichgewicht und du kannst dafür eine Nernst-Gleichung nach dem Schema Produkt rechte Seite geteilt durch Produkt linke Seite formulieren.
Natürlich hast du einmal da drin „mal [OH-]2“ und im anderen Fall „geteilt durch [H+]2“.
Da einerseits für Standardbedingungen immer gilt Aktivität = 1 und andererseits H+ und OH- über Kw zusammenhängen bekommst du bei im Grunde gleichem Gleichgewicht einen anderen Zahlenwert, je nachdem was jetzt 1 ist - OH- oder H+ - und somit auch einen anderen Wert für E0.

Somit kann man das ohne neue Messung aus dem jeweils anderen errechnen. Manche Tabellen beinhalten praktischerweise bereits beide Angaben, die für „in saurem Milieu“ und die für „in alkalischem Milieu“, prof Blume hat auch beide Angaben auf der Seite https://www.chemieunterricht.de/dc2/vermisch/h2o2.htm

1,763 V für in saurem Milieu (pH 0 = H+ = 1)
0,867 V für in alkalischem Milieu (pH 14 = OH- = 1)

Wobei er sich verrechnet haben dürfte für zweiteres - die Differenz sollte genau 14 x 0,05916 V sein, bei ihm sind es aber 15 x 0,0597V.
Ich käme auf 0,935.

Bemerkenswert finde ich ja auch wie viele verschiedene Angaben für das gleiche Potential man so finden kann... wer da wohl von wem jeweils falsch abschreibt oder wie rundet? Ein paar weitere Werte für dieses System:
1,776
1,78
1,77
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Re: Synthese von Blei(II)-acetat

Beitrag von mgritsch »

lemmi hat geschrieben: Samstag 23. Januar 2021, 10:11
Prof. Blume hat geschrieben:Wir berücksichtigen die Konzentration des Sauerstoffs, die man im Allgemeinen als Partialdruck pO2 angibt, nicht weiter, da sie wegen des Gasaustauschs zwischen Lösung und Luft als konstant anzunehmen ist.
Prof. Blume nimmt den Gasaustausch offenbar als instantan an. Der Partialdruck von O2 wäre dann 0,21, entsprechend der Sauerstoffkonzentration der Luft. Jetzt komme ich auf mein Unwohlsein, den Wasserstoff in das Gleichgewichtssystem zu übernehmen, zurück: wenn es sich um ein offenes System handelt müsste der Wasserstoffpartialdruck 0 sein, da die Luft keinen Wasserstoff enthält! Somit spielt der Wassrstoff im Gleichgewicht keine Rolle.

Das Gegenarbument ist mir schon klar: man kann ja auch eine Wasserstoffhalbzelle mit gasförmigem H2 in einer 1M H+-Lösung herstellen. Aber spielt da nicht das Elektrodenmaterial - Platin, das sich mit Wassrstoff sättigt - eine Rolle? Ausserdem muss der Wasserstoff unter dem normaldruck 1,013 stehen. Das verstehe ich so, dass der Gasraum oberhalb der Elektrode mit Wasserstoff gefüllt sein muss.
Xyrofl hat da einiges zu gesagt, allem konnte ich nicht so ganz folgen...
ich sehe das so:

relevant ist der Partialdruck des Gases direkt an der Elektrode. Nicht in der Gasphase irgendwo darüber, nicht der gelöste Anteil. Es müssen gleichzeitig ein H2, ein H+ und eine ableitende Elektrode zusammentreffen.

Bei H2 bestehen die Bläschen aus reinem H2 wenn sie vorbeiperlen und in unmittelbarem Kontakt mit der Elektrode sind - und sich dort adsorbieren können. Der Druck unter dem sie stehen, ist der Umgebungsdruck - also die 1013 mbar, somit der relevante Partialdruck. (allenfalls plus eine Kleinigkeit wegen hydrostatischem Druck, je nachdem wie tief eingetaucht) Wie viel H2 sich im Gasraum über der Lösung (oder in von der Elektrode weit entfernten Bläschen oder in der Lösung...) befindet, ist vollkommen irrelevant.
Bei O2 wäre der Partialdruck genau dann 0,21, wenn du Luft durchblubberst. Wenn an einer Elektrode jedoch reiner O2 entsteht (zB bei der Wasserelektrolyse), dann ist der Partialdruck aber wiederum 1 bar - unter diesem Druck stehen die Bläschen. Wenn Blume schreibt "da sie wegen des Gasaustauschs zwischen Lösung und Luft als konstant anzunehmen ist", hat er zwar im Grunde Recht (O2 kann einfach davongasen und sammelt sich nicht an), aber hat sich nicht genau ausgedrückt zumal er den anzunehmenden Wert (1 oder 0,21) nicht angegeben hat :)
Beleg dafür dass ich recht habe: die H2-Elektrode wurde viele Jahre lang tatsächlich so für Messungen benutzt. Müssten die Kollegen darauf hoffen, das der Gasraum darüber nur aus reinem H2 besteht das nach dem Henry-Gesetz in der Säure gelöst ist, dann wäre wohl selten was brauchbares rausgekommen... H2 verflüchtigt sich sehr schnell. Alternativ müsste man wenn es nur auf den gelösten Anteil ankommt ja auch nicht H2 just an der Elektrode vorbeiperlen sondern würde die Lösung generell gut damit "durchlüften". Oder noch einfacher - dann würde man das System einmal anständig sättigen und einfach zuschmelzen damit der H2 drin bleibt.

Was die Unterschiede zwischen Pt und anderen Metallen betrifft:
Pt ist sicher optimal da es a) praktisch keine Überspannung hat und b) H2 sehr gut adsorbiert (das machen andere Metalle aber auch).
Die gute Adosorptionsfähigkeit sorgt dafür, dass viel H2 zur Verfügung steht = es kann eine relativ große Menge H zu H+ "entladen" werden = ein relativ großer Strom fließen ohne dass die Spannung zusammenbricht, das erleichtert die praktische Messung. Am Potenzial (oder relevanten Partialdruck) ansich ändert sich aber nichts, das ist ausschließlich von der elektrochemischen Eigenschaft des H abhängig. Stromstärke vs. Spannung! Sieh es so wie wenn du ein Metall in Kontakt mit der Lösung hast - ob das nun eine kleine glatte Fläche hat (polierte Kugel) oder eine sehr große, raue und poröse Oberfläche ändert nichts am Potenzial. Sehr wohl aber an der Ladungsmenge pro Zeit (am Strom) die fließen kann.

Die Aussage:
Das ändert die Gleichgewichtskonstante, aber nichts an der Tatsache, dass da ein Gleichgewicht besteht.
stimmt daher so nicht.
Die Gleichgewichtskonstante steht in direkter Beziehung zu E0 und E0 der Halbzelle H2/H+ ist a priori (vorbehaltlich Überspannung durch kinetische Hemmung) vollkommen unabhängig von dem Metall mit dem es in Kontakt steht.
Glaskocher
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Re: Synthese von Blei(II)-acetat

Beitrag von Glaskocher »

Der Wasserstoff-Gasdruck in kleinen Blasen kann noch etwas höher sein, als die Summe aus Luftdruck und hydrostatischem Druck, weil die Oberflächenspannung bei kleinen Blasen (oder Tropfen) einen stärkeren Einfluß auf den Innendruck hat. Einen genauen Betrag kann ich aber nicht nennen.

Wenn in einem System ein Gas gebildet wird und längere Zeit ausgast, in Blasen aufsteigt und dann in die Luft entlassen wird, dann diffundieren die anderen in der Flüssigkeit gelösten Gase in die Blasen und werden ausgetrieben. Deshalb blubbert man z.B. Helium durch die Laufmittel für HPLC-Geräte, um in den Pumpen keine Kavitation durch gelöste Luft zu bekommen. Helium löst sich nur extrem wenig in Wasser.


Weiter oben habe ich bewußt nur "H2O2 + 2 e- --> 2 OH-" geschrieben, um das Wesentliche der Elektronenübernahme zu skizzieren. Die Reaktion mit den "Protonen" ist dem Elektronenübertrag eher nachgeordnet und erfolgt knapp später. Sie beeinflußt natürlich die Konzentration an beiden Ionen am Ort der Reaktion, die sich wiederum auf die Reaktionsgeschwindigkeit auswirkt. (...)
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Re: Synthese von Blei(II)-acetat

Beitrag von Xyrofl »

stimmt daher so nicht.
Mea culpa. Da habe ich mich natürlich mit den Gleichgewichten schlecht ausgedrückt, es sind einfach zu viele :lol: Im Folgenden sieht man aber, auf Nachfrage Lemmis, was die Änderung der Gleichgewichtskonstante bewirkt, dass ich mich nur auf das Adsorptionsgleichgewicht beziehe, denn andernfalls hätte ich ja betont, dass sich das Potential ändert, was aber abgesehen von Überspannungseffekten nicht passiert.

Die Gleichgewichtskonstante, die das Elektroden-Potential bestimmt, ändert sich nicht abhängig vom Metall, also das Gleichgewicht H2 ⇌ 2H+ + 2e- hat mit dem Elektrodenmaterial nichts zu tun und war auch nicht gemeint (genauso wenig wie das Gleichgewicht zwischen Lösung und Gasraum, das durch eine wieder andere Konstante, die Henry-Konstante beschrieben wird). Das sollte auch sofort einleuchten, da die Wirkung des Platins katalytisch ist und Katalysatoren ändern die Lage desjenigen Gleichgewichtes, das sie katalysieren nicht. Es folgt allein schon daraus, dass die Lage eines Gleichgewichtes immer aus den freien Enthalpien der beteiligten Stoffe berechnet werden kann und in der Gleichung für das Elektrodenpotential tritt hier kein Metall auf. Aber das Gleichgewicht H2 ⇌ 2Hads ändert sich schon, denn die beiden 2Hads sind bei Platin und Blei verschieden günstige Verbindungen, einmal eine Art Platinhydrid und einmal eine Art Bleihydrid wenn man das so nennen will, es sind eben Adsorbate und zwar zwei verschiedene. In dem "ads" verbirgt sich das Metall und natürlich sind die freien Enthalpien der Adsorbate verschieden, da die Adsorptionsenthalpien verschieden sind.
Die reale Elektrodenreaktion ist nicht einfach H2 ⇌ 2H+ + 2e-, sondern ein gekoppeltes Gleichgewicht aus H2 ⇌ 2Hads und 2Hads ⇌ 2H+ + 2e-.

Edit: Stöchiometrie korrigiert
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Re: Synthese von Blei(II)-acetat

Beitrag von mgritsch »

:thumbsup: jetzt bin ich 99% bei dir.
Auf 100% fehlt nur noch wenn im letzten Gleichgewicht auch „2e-“ stünde :lol:
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Re: Synthese von Blei(II)-acetat

Beitrag von mgritsch »

Glaskocher hat geschrieben: Samstag 23. Januar 2021, 23:51 Weiter oben habe ich bewußt nur "H2O2 + 2 e- --> 2 OH-" geschrieben, um das Wesentliche der Elektronenübernahme zu skizzieren. Die Reaktion mit den "Protonen" ist dem Elektronenübertrag eher nachgeordnet und erfolgt knapp später.
Ich finde gerade die Tatsache, dass sich bei Überspannung H2 am Pt abscheidet belegt den Charakter der Redox-Reaktion mit Elektronenübergang und die Unabhängigkeit der beiden Schritte besonders eindrucksvoll.

Ich würde nicht sagen „knapp später“ oder „nachgeordnet“ sondern unabhängig voneinander, gleichzeitig aber an verschiedenen Orten. Hier müssen nicht genau ein Pb-Atom und H+ In „Kontakt miteinander“ reagieren so wie wenn in der OC sich 2 Moleküle verbinden, sondern es kann an einem Ort ein Pb oxidiert und an einer weit entfernten Stelle ein H+ reduziert werden. Wegen der elektrischen Neutralität wird das sicher gleichzeitig erfolgen und der Ladungsaustausch wird über den metallischen Leiter erledigt.

Und so fügt sich dann auch das H2O2 in das System ein, irgendwo an der Metalloberfläche bekommt es seine e- und die Reaktion ist abgeschlossen, es muss sich nicht „intermediär“ PbO bilden das dann aufgelöst wird, es muss auch nicht erst H2 entstehen der dann oxidiert wird.
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Re: Synthese von Blei(II)-acetat

Beitrag von lemmi »

Okay, ich akzeptiere, dass der gasförmige Wasserstoff in das Gleichgewicht eingeht. Irgendwas in mir denkt zwar immer noch, das Ausgasen würde ihn aus dem Gleichgewicht entfernen, aber das, habe ich der Diskussion entnommen, scheint nicht so die Rolle zu spielen.

Ist die Aussage Prof. Blumes zur Konzentration des Sauerstoffes in der Lösung, die er als konstant annimmt, also falsch?
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