Perchlorsäure

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Pok
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Perchlorsäure

Beitrag von Pok »

Herstellung von Perchlorsäure

Perchlorsäure wird industriell durch Reaktion von Schwefelsäure mit Kaliumperchlorat hergestellt, wobei man die Säure bei vermindertem Druck abdestilliert. Das Verfahren ist jedoch apparativ aufwendig und die entstehende wasserfreie Säure explosiv. Die Gefahren lassen sich vermeiden, wenn man einen Umweg über Bariumperchlorat einschlägt.


Geräte:

Bechergläser, Erlenmeyerkolben, Filtrationszubehör, Tropftrichter, Magnetheizrührer, Glasstab, Edelstahltopf, Löffel, Metallstange, Uhrglas, Pipetten, Maßkolben (20 ml)


Chemikalien:

Kaliumperchlorat Warnhinweis: oWarnhinweis: attn
Weinsäure Warnhinweis: c
Hirschhornsalz Warnhinweis: attn
Natriumcarbonat Warnhinweis: attn
Bariumhydroxid Warnhinweis: cWarnhinweis: attn
Schwefelsäure Warnhinweis: c
Bariumcarbonat Warnhinweis: attn
Ethanol (94 %, vergällt) Warnhinweis: fWarnhinweis: attn
Wasser
Bariumperchlorat Warnhinweis: oWarnhinweis: attn
Perchlorsäure (50 %) Warnhinweis: cWarnhinweis: oWarnhinweis: attnWarnhinweis: xn


Hinweis: Die entstehende Perchlorsäure darf durch Eindampfen nicht über einen Gehalt von 50 % aufkonzentriert werden!


Durchführung:

1. Fällung der Kalium-Ionen:

43,7 g Hirschhornsalz werden in 100 ml Wasser gegeben. Unter Rühren fügt man 41,7 g Weinsäure so langsam hinzu, dass die Mischung nicht überschäumt, und erwärmt, bis sich das gebildete Ammoniumtartrat vollständig auflöst.

76,8 g Kaliumperchlorat werden zu einer Lösung von 43,7 g Weinsäure in 580 ml Wasser gegeben und erwärmt.

Die weinsaure Kaliumperchlorat-Lösung wird auf knapp unter die Siedetemperatur erwärmt und unter Rühren die warme Ammoniumtartrat-Lösung hinzugegeben, bis sich nach Zugabe von etwa der Hälfte der Lösung ein Niederschlag aus Kaliumhydrogentartrat (Weinstein) zu bilden beginnt. Anschließend gibt man die Lösung langsamer hinzu, spült Reste mit wenig Wasser nach, lässt erst unter Rühren abkühlen und stellt den Ansatz dann für einige Stunden in den Kühlschrank. Der weiße Niederschlag wird abgesaugt und für den nächsten Schritt (2.) aufbewahrt. Das Filtrat wird im übernächsten Schritt (3.) eingesetzt.

Die Durchführung wird in identischer Weise sieben mal wiederholt, sodass insgesamt 614,4 g Kaliumperchlorat umgesetzt werden.


2. Recycling von nicht umgesetztem Kaliumperchlorat:

Die gesammelten Filterkuchen bestehen überwiegend aus Weinstein, enthalten aber auch noch nicht umgesetztes Kaliumperchlorat. Um dieses zurückzugewinnen, werden die vereinigten, noch feuchten Filterkuchen (ca. 1 kg) in ca. 500 ml Wasser suspendiert und unter Erwärmen und Rühren 248 g wasserfreies Natriumcarbonat in kleinen Portionen zugegeben, wobei eine starke Schaumbildung stattfindet und zum Ende der Zugabe ein leichter Ammoniakgeruch entsteht. Mit Wasser wird auf 2 Liter aufgefüllt und die noch heiße Suspension mit einer Absaugvorrichtung filtriert. Der Filterkuchen enthält überwiegend das nicht umgesetzte Kaliumperchlorat. Das Filtrat wird schrittweise eingeengt, wobei in der Kälte weiteres Kaliumperchlorat in kleinen Mengen kristallisiert. Die Lösungen werden nach Abfiltrieren des Kaliumperchlorats mit Seignettesalz-Kristallen beimpft, sodass dieses Salz in großen Mengen auskristallisiert. Das erhaltene Seignettesalz enthält noch geringe Rückstände von Kaliumperchlorat und wird verworfen. Die gesammelten Filterkuchen werden in 650 ml Wasser unter Rühren in der Hitze aufgelöst, abkühlen gelassen und das so umkristallisierte Kaliumperchlorat (hier wurden 111 g erhalten) wie unter 1. beschrieben nochmals für die Umsetzung mit Ammoniumtartrat eingesetzt.


3. Herstellung von Bariumperchlorat:

Die Perchlorat-haltigen Lösungen (ca. 7 Liter) werden über einige Wochen so weit eindunsten gelassen, dass gerade kein Salz auskristallisiert (bis zu einem Gesamtgewicht von ca. 4 kg). Die konzentrierte Lösung wird bis zu einem Gewicht von 1600 g eingeengt und heiß filtriert. Zum noch heißen Filtrat wird langsam 700 g Bariumhydroxid-Octahydrat gegeben, wobei große Mengen Ammoniak entweichen (Abzug!). Es wird erneut erwärmt und solange weiteres Bariumhydroxid in kleinen Portionen zugegeben, bis kein Ammoniakgeruch mehr wahrnehmbar ist und sich beim Anhauchen der Flüssigkeit ein Häutchen aus Bariumcarbonat zeigt. Die heiße Lösung wird filtriert, der Filterkuchen mit Wasser nachgewaschen und verworfen. Die filtrierte Bariumperchlorat-Lösung wird mit wenig Schwefelsäure von überschüssigen Hydroxid-Ionen befreit und eventuell dabei gebildete Perchlorsäure durch Zusatz von etwas Bariumcarbonat neutralisiert. Anschließend engt man die trübe Flüssigkeit unter Rühren mit einem Glasstab bis zur Trockne ein.


4. Umkristallisation:

Das Bariumperchlorat wird erst aus Ethanol, dann aus Wasser umkristallisiert.

In 200 ml Ethanol werden 200 g des rohen, u.a. noch mit Bariumsulfat und -carbonat verunreinigten Salzes unter Rühren und Erwärmen gelöst, einige Stunden stehengelassen, die Lösung vom Bodensatz abdekantiert und durch Lagerung für einige Stunden bei -10 °C das Bariumperchlorat auskristallisiert, abdekantiert und gesammelt. Die überstehende Lösung wird für weitere Umkristallisationen verwendet, wobei immer jeweils etwa 60 g des Rohprodukts und 10-20 ml neues Ethanol hinzugefügt werden. Gelegentlich wird der ungelöste Bodensatz ohne Nachwaschen abgesaugt und verworfen. Die dann vorliegenden ethanolfeuchten Bariumperchlorat-Kristalle und die noch übrig gebliebene Lösung werden mit einigen 100 ml Wasser versetzt, sodass eine klare Lösung entsteht.

Das Ethanol wird unter Rühren abgedampft und die dann wässrige Bariumperchloratlösung eingeengt, bis sich ein Kristallhäutchen bildet. Man lässt die Lösung abgedeckt auf 50-60 °C abkühlen, fügt einen Impfkristall hinzu und lässt isoliert weiter auf 0-10 °C abkühlen. Wenn die entstehenden Kristalle sehr dick und lang sind, werden sie mit einer dicken Metallstange (z.B. aus Edelstahl oder Titan) zerstoßen. Die Kristalle werden trockengesaugt, in ein neues Gefäß überführt, mit 1/10 ihres Gewichts an kaltem Wasser versetzt, sodass sie nach teilweisem Auflösen vollständig bedeckt sind, und erneut trockengesaugt. Das Waschwasser wird der verbliebenen Mutterlauge zugefügt und die Lösung erneut eingeengt. Man wiederholt diese Schritte, bis nur noch ca. 20-30 ml Restlösung vorhanden sind, die gesammelt wird. Dieses schrittweise Umkristallisieren aus Wasser wird noch zweimal wiederholt. Eventuell entstehende Trübungen oder kleinste Kristalle (Verunreinigungen) werden währenddessen abfiltriert. Die gesammelten Restlösungen werden ebenfalls aufbereitet, um noch zusätzliche Kristalle zu gewinnen.

Ausbeute: 621 g (72 % d.Th.) leicht feuchtes Bariumperchlorat-Trihydrat

Durch die Restfeuchte ist die tatsächliche Ausbeute um etwa 3 % geringer als hier angegeben. Die meisten Verluste kommen vermutlich beim 3. Schritt vor, geringere Verluste entstehen auch durch das aufwendige Umkristallisieren.


5. Herstellung der Perchlorsäure:

Zu einer 90-100 °C warmen Lösung aus 100 g Bariumperchlorat-Trihydrat (256,3 mmol) in 120 ml Wasser tropft man unter Rühren innerhalb von 30 Minuten verdünnte Schwefelsäure, hergestellt durch Mischen von 50,25 g 50%iger Schwefelsäure (256,4 mmol) mit 60 ml Wasser. Nach der Zugabe rührt man noch einige Minuten weiter und lässt dann abkühlen, wobei sich Bariumsulfat absetzt. Die erhaltene Suspension enthält Perchlorsäure in einer Konzentration von 20 %, von der Filterpapier noch nicht merklich angegriffen wird. Das Bariumsulfat wird abgesaugt und mit 50 ml Wasser nachgewaschen. Filterkuchen und Filterpapier werden in Natriumcarbonat-Lösung gelegt, um Perchlorsäurereste zu neutralisieren, und dann verworfen. Das Filtrat wird auf Barium- und Sulfat-Ionen geprüft, indem man einen Tropfen davon auf einem Uhrglas mit einem Tropfen Bariumperchlorat-Lösung bzw. Schwefelsäure versetzt und vor einem dunklen Hintergrund betrachtet. Findet eine Trübung statt, wird dem erneut erwärmten Filtrat in kleinen Portionen das entsprechende Edukt unter Rühren mit ca. 1 Tropfen pro Sekunde zugefügt. Das gebildete Bariumsulfat setzt sich durch diese langsame Zugabe schnell ab, sodass der fast klare Überstand wenige Minuten später erneut geprüft werden kann. Man fährt mit der Zugabe immer kleinerer Mengen Bariumperchlorat-Lösung bzw. Schwefelsäure fort, bis keine Barium- und Sulfat-Ionen mehr nachweisbar sind. In meinem Fall waren weitere ca. 4,5 g Bariumperchlorat nötig. Zum Ende der Prozedur kann es passieren, dass nach Zugabe beider "Prüflösungen" jeweils ein sehr schwacher Niederschlag entsteht. Dann liegt eine leicht übersättigte Bariumsulfat-Lösung vor und man muss die Suspension bei Raumtemperatur längere Zeit (ca. 30 Minuten) rühren, absetzen lassen und dann auf die Ionen prüfen. Nach einer Schwerkraftfiltration erhält man klare, verdünnte Perchlorsäure. Um letzte Spuren von sehr feinem, die Säure kaum sichtbar trübendem Bariumsulfat zu entfernen, kann man anschließend noch einige Tage stehenlassen und dann abdekantieren.

Die verdünnte Säure wird in einem großen Becherglas auf ca. 100 g eingeengt (70-75 ml). Da ab einem Gehalt von ca. 30 % merkliche Säurespuren entweichen, muss dies im Freien passieren (nicht im Abzug, da kondensierte Säure nach Eintrocknung zu Explosionen führen kann![1]). Ich habe 95,14 g mit einer Dichte von 1,45 g/cm³ erhalten, was einer Konzentration von 54 % entspricht[2].

Ausbeute: 69 % (bezogen auf das Kaliumperchlorat)

Die Ausbeute ist annähernd quantitativ bezogen auf die Schwefelsäure und beträgt 95-96 % bezogen auf die 100 g Bariumperchlorat. Die Differenz kommt durch die Restfeuchte des Salzes zustande. Um die übliche, konzentrierte Perchlorsäure (70%ig) zu erhalten, kann man die erhaltene Säure im Exsikkator über einem geeigneten Trockenmittel weiter aufkonzentrieren. Weiteres Eindampfen ist wegen der Explosionsgefahr ungeeignet[3].


Entsorgung:

Die Perchlorsäure wird mit Natronlauge neutralisiert und zusammen mit der beim Umkristallisieren angefallenen, verunreinigten Bariumperchloratlösung einem Sammelbehälter für wässrige Salzlösungen zugeführt. Alle anderen Abfälle können über den Hausmüll entsorgt werden.


Erklärung:

Die der Kaliumperchloratlösung zugesetzte Weinsäure und Tartrat-Ionen (vom Ammoniumtartrat) bilden Hydrogentartrat-Ionen:

C4H6O6 + C4H4O62- → 2 C4H5O6-

Das Hydrogentartrat muss in situ gebildet werden, weil Ammoniumhydrogentartrat selbst schwer löslich ist und sonst nur in Form einer großen Menge der heiß gesättigten Lösung angewendet werden könnte. Aus dem gelösten Kaliumperchlorat und den entstehenden Hydrogentartrat-Ionen bildet sich Kaliumhydrogentartrat (Weinstein), das selbst in der Siedehitze schwer löslich ist und deshalb ausfällt:

KClO4 + C4H5O6- → KC4H5O6↓ + ClO4-

Bei 10 °C liegt die Löslichkeit bei ca. 0,38 g / 100 ml. Die Reaktion liegt nicht vollständig auf der rechten Seite, sodass auch etwas Ammoniumhydrogentartrat und Kaliumperchlorat ausfällt. Das auf diesem Wege wieder rückgebildete Kaliumperchlorat kann aus dem Weinstein-Niederschlag zurückgewonnen werden, indem eine Base zugesetzt wird. Kalium- und Ammoniumhydrogentartrat lösen sich dabei auf, indem sich neutrale Tartrate bilden. Am Beispiel von Weinstein:

2 KC4H5O6 + Na2CO3 → 2 KNaC4H4O6 + CO2↑ + H2O

Kaliumperchlorat bleibt dabei weitgehend ungelöst zurück und kann nach Abfiltrieren erneut eingesetzt werden.

Die nach dem Fällen der Kalium-Ionen gewonnene Perchlorat-Lösung enthält vor allem Ammonium- und Perchlorat-Ionen im Verhältnis von ca. 1:1. Aus der Lösung wird das Ammonium durch Bariumhydroxid als Ammoniak ausgetrieben, wodurch eine Bariumperchlorat-Lösung entsteht:

Ba(OH)2 + 2 NH4+ + 2 ClO4- → Ba(ClO4)2 + 2 H2O + 2 NH3

Die Lösung enthält noch überschüssige Hydroxid-Ionen. Diese stören, da durch Luftkontakt über lange Zeit Bariumcarbonat ausfallen würde. Sie werden durch einen kleinen Überschuss Schwefelsäure entfernt:

Ba(OH)2 + H2SO4 → BaSO4↓ + 2 H2O

Der geringe Überschuss Schwefelsäure setzt aus dem Bariumperchlorat Perchlorsäure frei....

Ba(ClO4)2 + H2SO4 → BaSO4↓ + 2 HClO4

...welche durch nachträgliche Zugabe von etwas Bariumcarbonat neutralisiert wird:

2 HClO4 + BaCO3 → Ba(ClO4)2 + CO2↑ + H2O

Als Verunreinigung sind anschießend noch Kalium-, Tartrat- sowie eventuell Natrium- und Chlorid-Ionen enthalten (die letzten beiden durch die Herstellung des Bariumhydroxids). Kalium- und Chlorid-Ionen werden entfernt, indem das eingedampfte und annähernd wasserfreie Rohprodukt aus Ethanol umkristallisiert wird, worin sich nur Barium- und Natriumperchlorat gut lösen, während Kalium als Kaliumperchlorat und Chlorid als Bariumchlorid durch Filtration entfernt werden. Beim Umkristallisieren des Rohprodukts aus Wasser verbleiben Reste von Natriumperchlorat wegen der guten Löslichkeit in der Mutterlauge und werden auf diese Weise entfernt.

Aus dem so gewonnenen reinen Bariumperchlorat setzt Schwefelsäure die gewünschte Perchlorsäure frei:

H2SO4 + Ba(ClO4)2 → 2 HClO4 + BaSO4


Insgesamt sind neun Arbeitsschritte erforderlich. In der folgenden Übersicht sind die zwei Edukte und das Produkt der industriellen Herstellung rot markiert:

Bild


Bilder:

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Die Edukte für Fällung der Kalium-Ionen: Kaliumperchlorat...

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...Weinsäure...

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...und Hirschhornsalz

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Reaktion von Hirschhornsalz mit Weinsäure

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Zugabe der Ammoniumtartrat-Lösung zur Weinsäure/KClO4-Lösung (Fällung von Weinstein)

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Abgesaugter Weinstein

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Für die Rückgewinnung von Kaliumperchlorat gesammelter Weinstein aus mehreren Durchgängen

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Zugabe von Natriumcarbonat führt zur Auflösung von Weinstein und Ammoniumhydrogentartrat.

Bild
Kaliumperchlorat bleibt zurück und wird nochmal eingesetzt.

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Reaktion von Bariumhydroxid mit der Perchloratlösung (milchiger Niederschlag besteht aus Bariumtartrat und anderen Verunreinigungen)

Bild
Umkristallisation des Bariumperchlorats aus Wasser

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621 g Bariumperchlorat-Trihydrat (noch etwas feucht)

Bild
Die Ausgangsstoffe für die Perchlorsäure: 100 g Bariumperchlorat und 50 g Schwefelsäure (50%ig)

Bild
Fällung von Bariumsulfat

Bild
Einengen der filtrierten Perchlorsäure

Bild
Dichtebestimmung im 20-ml-Maßkolben (Anzeige des Nettogewichts)

Bild
Perchlorsäure (54%ig) in einer 100-ml-Flasche


Literatur:

[1] T.H. Brock (1997) Sicherheit und Gesundheitsschutz im Laboratorium: Die Anwendung der Richtlinien für Laboratorien. Springer, Berlin/Heidelberg, S. 187-188. doi: 10.1007/978-3-642-59163-1

[2] A.E. Markham (1941) Density of Perchloric Acid Solutions. Journal of the American Chemical Society, 63, 874-875. doi: 10.1021/ja01848a509

[3] Perchlorsäure - Eintrag in der GESTIS-Stoffdatenbank (link)
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mgritsch
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Beitrag von mgritsch »

Sehr nice :) Ein hübscher Prozess der gleich mehrere nützliche anorgansiche Chemikalien abwirft...
Gibt es eine Konzentrationsgrenze bis zu der man damit fahren kann? Würde 72% (Azeotrop) oder gar 100% auch funktionieren?
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Pok
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Beitrag von Pok »

Theoretisch kann man durch Eindampfen bis zum Azeotrop kommen. Gestis behauptet, dass ab 50 % beim Eindampfen Explosionsgefahr besteht, halte ich aber für übertrieben und gilt mit Sicherheit nur, wenn organische Verunreinigungen drin sind. Bis 100 % käme man z.B. laut Brauer durch Behandeln der 70%igen Säure mit der dreifachen Menge 96%iger Schwefelsäure oder mit der fünffachen Menge Magnesiumperchlorat und jeweils Destillation bei niedrigem Druck. Allerdings könnte man dann auch gleich die industrielle Reaktion nehmen.
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mgritsch
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Beitrag von mgritsch »

Aber so immer wieder in der zB anfangs 50% Perchlorsäure Bariumperchlorat auflösen und wieder konz. H2SO4 zusetzen würde nicht gehen?
Löst sich das Bariumperchlorat dann nicht mehr?
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Pok
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Beitrag von Pok »

Ja, davon würde ich ausgehen. In hochkonzentrierter Perchlorsäure (70 % und höher) sollte die Löslichkeit von wasserfreiem Bariumperchlorat gegen Null gehen.
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

Pok - der Kristallisationsexperte! Mein lieber Scholli ... eine wirklich ausgeklügelte Synthese. Wo hast du bloß diesen Prozeß her? Selbst ausgedacht?
Wie immer sehr gut beschrieben.
"Alles sollte so einfach wie möglich gemacht werden. Aber nicht einfacher." (A. Einstein 1871 - 1955)

"Wer nur Chemie versteht, versteht auch die nicht recht!" (G.C. Lichtenberg, 1742 - 1799)

"Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung der Leute, die die Welt nie gesehen haben." (Alexander v. Humboldt, 1769 - 1859)
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Pok
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Beitrag von Pok »

Die meisten Reaktionen sind eigentlich nicht neu, nur die Idee mit dem "in situ" gebildeten Hydrogentartrat-Ion stammt von mir (durch Versuch und Irrtum rausgefunden). Es gibt auch Anleitungen zum "Aufschluss" von Kaliumchlorat durch Fällung mit Hydrogentartrat, aber die funktionieren nicht 1:1 mit Perchlorat, weil das nochmal schwerer löslich ist als das Chlorat. Alle mir bekannten Literaturvorschriften, die die Herstellung der Perchlorsäure aus KClO4 ohne Destillation beschreiben, führen immer nur zu verunreinigter Säure. Man kann z.B. das Kalium auch mit Hexafluorokieselsäure fällen, aber woher bekommt man die? Außerdem ist die entstehende HClO4 dann immer noch kontaminiert.
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mgritsch
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Beitrag von mgritsch »

zum destillativen Weg nochnmal - es ist klar dass industriell mit konz H2SO4 die Wasserfreie gewonnen wird, alles andere wären auch nur leere km.
Wasserfrei hätte ich auch massiv Bedenken bzgl Ex-Gefahr, aber wie sieht es mit dem Azeotrop aus? Müsste sich nicht eine 70%ige HClO4 bei entsprechender Dosierung einer halbkonz. H2SO4 herstellen und sich einfacher und gefahrloser destillieren lassen? 203° Siedepunkt ist jetzt auch nicht extrem... es sollte also zB zuerst Überschüssiges Wasser und dann das 71,6% Azeotrop übergehen?
Xyrofl
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Beitrag von Xyrofl »

Es ist ja fraglich, ob man überhaupt das Azeotrop bekommt. Die Reaktionslösung ist ein Mehrkomponentensystem, vermutlich mit einem Überschuss an Schwefelsäure, weil Perchlorsäure ja die stärkere Säure ist. Das ist alles andere als nahe an dem Zweikomponentensystem.
Außerdem sind 200°C schon sehr viel bei einer Substanz von der man vermutet, dass sie explodieren kann. Je näher man an den Zersetzungspunkt kommt, desto explosiver wird alles, weil man ja schon Energie im System hat, die dann nicht mehr durch die exotherme Zersetzung bereitgestellt werden muss (d.h. niedrigere effektive Barriere). Man könnte natürlich Vakuum probieren, aber dann verschiebt sich das Azeotrop nochmal und da es ein negatives Azeotrop ist, vermutlich in Richtung niedrigerer Konzentrationen. Wenn das bedeutet, dass deine Säure höher konzentriert ist als die azeotrope Zusammensetzung, dann destilliert wasserfreie Perchlorsäure ab.
Natürlich ist eine wässrige Perchlorsäure kein Dynamit, das wird also wohl eher keine Wände umwerfen, aber man sollte sich darauf einstellen, dass im Fall der Fälle Glastrümmer durch die Luft fliegen, d.h. Schutzscheibe, kleine Ansätze, usw.
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Pok
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Beitrag von Pok »

Der Entdecker der Perchlorsäure, Friedrich von Stadion (1816), präsentiert so eine Vorschrift mit ca. 75%iger Schwefelsäure (link). Dabei beginnt aber, wie Xyrofl schon sagt, die Zersetzung, worauf der Autor auch hinweist. Man soll vorsichtig die Temperatur regulieren, weil sonst Chor und Sauerstoff entstehen. Die übergehende Säure muss man dann noch von Schwefelsäure und HCl befreien, was aber nicht so schwierig ist.

Ich kann nicht beurteilen, wie gefährlich das ist. Sicherer als mit konz. Schwefelsäure wird es aber bestimmt sein. Eine modernere Variante (von 1906 ;-)) beschreibt die Destillation im Dampfstrom. Vielleicht ist das besser.

Interessant finde ich noch, dass das Monohydrat der Perchlorsäure ein kristalliner Feststoff ist, der erst bei 50 °C schmilzt. Im Gegensatz zur wasserfreien Säure, die sich mit der Zeit zersetzt und von alleine explodieren kann, ist das auch stabil. :)
Holger Pfahls
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Destillation von Perchlorsäure

Beitrag von Holger Pfahls »

Aus einem Gemisch von Schwefelsäure, Kaliumperchlorat und Wasser destilliert wasserhaltige Perchlorsäure ab, nahezu frei von Schwefelsäure. Wie hoch der Wassergehalt sein muss, damit das Azeotrop (71,6 % HClO4 + 28,4 % H2O; Sdp. 203°C) abdestilliert, weiß ich nicht. Allerdings soll damit keine Explosionsgefahr verbunden sein, ebenso wie bei der Destillation eines azeotropen Gemisches von Perchlorsäure und Wasser.

Deshalb scheint mir die angegebene Methode nur zweckmäßig, wenn keine Destillationsapparatur zur Verfügung steht.
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Pok
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Beitrag von Pok »

Ja, so langsam glaube ich, dass eine Destillation doch besser gewesen wäre. Ich hatte von Beginn an jede Destillation kategorisch ausgeschlossen, weil man überall nur Warnungen liest (und nur von der wasserfreien Säure) und das angeblich nur bei niedrigem Druck funktioniert. Eine Vakuumpumpe hat ja nicht jeder (ich jedenfalls nicht).

Laut Gmelin findet bei der Destillation des Azeotrops bei Atmosphärendruck schon eine Zersetzung um 10 % statt. Von Stadion selbst schreibt, dass die Säure (Azeotrop) sich bei unvorsichtiger Destillation ganz zersetzt ("so mißlingt der Versuch, und man erhält statt einer Säure ein Gemisch aus Chlorine und Sauerstoff").

Immerhin wurden auch lange nach Kenntnis der Destillationsmethoden noch etliche Vorschriften ohne Destillation entwickelt, z.B. NaClO4 + HCl, NH4ClO4 + Königswasser, KClO4 + H2SiF6, usw. Solange hier keiner eine Destillationsvorschrift veröffentlicht, finde ich, kann man das so stehenlassen. Als Vorschrift zum Nachmachen war das eh nicht gedacht, da mir völlig klar ist, dass keiner so viel Aufwand für ein bisschen Perchlorsäure betreiben will. ;-)
Holger Pfahls
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Vakuumdestillationsapparatur für Alle

Beitrag von Holger Pfahls »

Die teilweise Zersetzung des Azeotrops bei Destillation unter Normaldruck ist ein Problem, das sich mit einer Vakuumdestillationsapparatur lösen lässt. Solch ein Ding ist auch für Hobbychemiker sehr nützlich. Zur Evakuierung kann ich eine Wasserstrahlpumpe empfehlen. Dazu noch ein Hahn in der Leitung von Destille zur Pumpe, damit nicht dauernd gepumpt werden muss (Wasserverbrauch), und ein Rückschlagventil, damit sich nach Schließen des Hahns kein Überdruck in der Apparatur aufbauen kann (aus welchem Grund auch immer, sicher ist sicher).

Allerdings verändert sich die Zusammensetzung des Azeotrops mit dem Druck, vermutlich steigt die Säurekonzentration mit sinkendem Druck an.
Einem damit einhergehenden Risiko könnte man begegnen, indem man zu Beginn etwas Wasser in die Vorlage gibt, um die Ansammlung allzu konzentrierter Säure mit Sicherheit auszuschließen, und die Konzentration des Destillates nach einer bestimmten Menge kontrolliert.
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Beitrag von Xyrofl »

Wie es aussieht ändert sich die azeotrope Zusammensetzung mit Veränderung der Temperatur gar nicht besonders stark. Die angegebenen Molenbrüche liegen völlig im Rahmen der Werte, die man für die Destillation bei Atmosphärendruck findet.
Bild

https://sci-hub.tw/https://pubs.acs.org ... ode=iecfa7

Unter Vorbehalt könnte man es also mal im Vakuum probieren.
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

Xyrofl hat geschrieben:Wie es aussieht ändert sich die azeotrope Zusammensetzung mit Veränderung der Temperatur gar nicht besonders stark.
Du meinst sicher "mit Veränderung des Drucks" (nicht: Temperatur), oder?
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