Synthese von Iodethan

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mgritsch
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Synthese von Iodethan

Beitrag von mgritsch »

Synthese von Iodethan
([75-03-6], Ethyliodid)

Iodethan ist ein im Labor sehr nützliches Ethylierungsmittel das zum Beispiel für Grignard-Reaktionen, in einer Williamson'schen Ethersynthese, in einer Wurtz-Fittig Reaktion oder zur Ethylierung von Aminen eingesetzt werden kann. Seine größten Vorteile gegenüber Bromethan sind der relativ hohe Siedepunkt (72 °C) der es leicht handhabbar macht, dazu die möglicherweise geringere Gesundheitsschädlichkeit (es ist im Gegensatz zu Bromethan bisher nicht als krebserregend eingestuft, jedoch mangels entsprechender Untersuchungen) und hohe Reaktivität. Der größte Nachteil ist, dass Iod ein etwas teureres Reagens als Brom ist.

Zur Synthese gibt es im Labor zwei übliche Wege durch nucleophile Substitution an Ethanol - einer geht von Iodwassersstoff aus, der andere benutzt Phosphortriiodid das in Situ aus den Elementen erzeugt wird - letzterer bietet die bessere Ausbeute. Dabei wird oft eine Apparatur genutzt, bei der Ethanol durch Rückfluss laufend Iod auflöst und in die Reaktionsmischung einbringt - so kann die Reaktionswärme gut kontrolliert werden. Die Alternative, die hier vorgestellt wird, führt die erste Reaktionswärme durch Kühlung mit Eisbad ab, danach kann die Reaktionsmischung eine Zeit lang bei Raumtemperatur stehen und letztendlich wird unter Rückfluss gekocht um eine möglichst vollständige Umsetzung zu erreichen. Apparativ ist das etwas einfacher, dafür dauert es etwas länger. Die Ausbeuten sollten in jedem Fall ähnlich sein.


Geräte:

Rundkolben mit Rückflusskühler, Scheidetrichter, Destillationsappratur


Chemikalien:

Iod
Ethanol
roter Phosphor
Salzsäure
Natriumcarbonat
Calciumchlorid
Natriumthiosulfat

Iodethan Warnhinweis: fWarnhinweis: attn


Durchführung:

In einem 100 ml Rundkolben wurden 6 g (0,194 mol) roter Phosphor in 50 ml (0,822 mol) abs. Ethanol suspendiert und im Eisbad gekühlt. Durch den Rückflusskühler wurden dann in kleinen Portionen 50 g (0,394 mol) Iod zugegeben und jeweils ein wenig auf das Auflösen bzw Abklingen der ersten Reaktion gewartet, sodass sich die Reaktionsmischung wieder etwas abkühlen konnte. Letzte Reste von Iodkörnchen im Wägeglas bzw im Rückflusskühler wurden mit wenigen ml Ethanol aufgelöst und durch den Rückflusskühler ebenfalls hinein gespült. Nach Beendigung der Zugabe wurde das Eisbad entfernt - die Reaktionsmischung erwärmte sich nur noch minimal und wurde über Nacht stehen gelassen.

Am nächsten Tag wurde die Mischung nochmals 2 Stunden unter Rückfluss gekocht und anschließend destilliert. Dabei ging zuerst bei ca 63° ein Azeotrop aus 87% Iodethan und 13% Ethanol über, dann steigt die Temperatur langsam und bei ca 75° Kopftemperatur wurde die Destillation abgebrochen. Um eine möglichst vollständige Überführung des Iodethans zu erreichen, wurden nun ca 50 ml Wasser zugegeben und noch einige ml weiter destilliert (bis zu einer Kopftemperatur von ca 85 °C). Durch die Wasserdampfdestillation können auch Reste des Iodethans noch aus dem Sumpf entzogen werden.

Das leicht gelblich verfärbte Destillat wird nun im Scheidetrichter zuerst mit konz. Salzsäure (soll lt. Vogel Alkohol entfernen[2]) und mit einer konz. Lösung von Natriumcarbonat, der etwas Natriumthiosulfat zugesetzt worden war, gewaschen. Die organische Phase ist dabei immer unten - Iodethan hat eine Dichte von 1,94 g/cm³. Zuletzt wird mit etwas CaCl2 getrocknet und erneut destilliert. Nach nur 1-2 leicht getrübten Tropfen Vorlauf geht das Iodethan bei 71,5-72,5 °C über, es hinterbleiben nur wenige Tropfen im Sumpf die leicht gelblich verfärbt sind und nach Iodoform riechen (ein Hinweis darauf, dass Spiritus verwendet wurde der mit Keton vergällt ist!)

Ausbeute: 48,5 g (78,9 % d.Th.)

Iodethan ist eine farblose, schwere Flüssigkeit mit einem süßlichen Geruch, sehr ähnlich wie Chloroform. Die Oberflächenspannung dürfte sehr niedrig sein - es bildet sehr kleine Tröpfchen und lässt sich kaum pipettieren - es fließt aus der Pipette rasch wieder aus.


Entsorgung: Reste kommen zu den halogenhaltigen Abfällen.


Erklärung:

Iod reagiert mit rotem Phosphor zu Phosphortriiodid:
3 I2 + 2 P → 2 PI3

Phosphortriiodid reagiert mit Ethanol zu Iodethan, Phosphonsäure (veraltet auch: Phosphorige Säure) und Phosphorsäure:
PI3 + 3 EtOH → 3 EtI + H3PO3
PI3 + I2 + 5 EtOH → 5 EtI + H3PO4+ H2O

Auch wenn man in vielen Anleitungen nur die erste Reaktionsgleichung findet - laut Literatur[1] entspricht die zweite Reaktion eher dem Verbrauch an rotem Phosphor. Die Umsetzung entspricht somit der Summengleichung:

5 I2 + 10 EtOH + 2 P → 10 EtI + 2 H3PO4 + 2 H2O

Das passt auch grundsätzlich dazu, dass Phosphonsäure mit einem Standardpotenzial von -0,276 V ein Reduktionsmittel ist, das mit einem Oxidationsmittel wie Iod (Standardpotenzial 0,5355 V) reagieren kann. Die Reaktion:

H3PO3 + I2 + H2O → H3PO4 + 2 HI

stellt also durchaus eine mögliche Konkurrenzreaktion dar, die die Ausbeute reduzieren könnte. Theoretisch wäre auch zu erwarten, dass das intermediär gebildete Phosphortriiodid einfach hydrolysieren kann:

2 PI3 + 3 H2O → 2 H3PO3 + 6 HI

Lt. Literatur[1] ist die Trockenheit des Alkohols jedoch nicht wichtig - auch mit 80%igem Alkohol wurden Ausbeuten >90% erzielt. Das könnte darauf zurückzuführen sein, dass auch die nucleophile Substitution:

HI + EtOH → EtI + H2O

abläuft und eine wesentliche Rolle spielt. Der Geruch nach Iodoform sogar noch in der zweiten Destillation ist jedenfalls auch ein Hinweis darauf dass der Einsatz von mit Methyl-Ethyl-Keton vergälltem Spiritus im Hinblick auf die Ausbeute keine gute Idee ist, denn nach:

R-CO-CH3 + 3 I2 + H2O → RCOOH + CHI3 + 3 HI

können pro Mol Keton gleich 3 Mol Iod verbraucht werden und die Ausbeute, die durch die Menge an Iod begrenzt ist, schmälern. Üblicherweise läuft diese Reaktion aber nur unter alkalischen Bedingungen quantitativ ab.


Bilder:

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Roter Phosphor in Ethanol vorgelegt

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Die Reaktionsmischung nach fertigem Rückflusskochen

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erste Destillation - ein gelbliches Destillat wird aufgefangen

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Erste Wäsche im Scheidetrichter mit konz. Salzsäure

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Zweite Wäsche im Scheidetrichter mit Natriumcarbonat/Thiosulfat

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Trocknen über CaCl2

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Zweite Destillation

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Das fertige Produkt


Literatur:

[1] J. Chem. Soc., Trans., 1920,117, 1592-1594
[2] Arthur I. Vogel, Practical Organic Chemistry, Third Ed. (1956), p. 287
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Phil
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Beitrag von Phil »

Schöne Synthese, was ist der Vorteil wenn man mit HCl wäscht?
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mgritsch
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Beitrag von mgritsch »

Wie im Text beschrieben - Vogel meint in seiner Anleitung mit HCl würde man Alkohol (besser?) entfernen... kann ich nicht garantieren aber kann schon möglich sein...? Immerhin war mit nur 2 Wäschen (und CaCL2 Trocknung) wirklich alles weg. Mag auch nur für Butyliodid zutreffen wo sich das Butanol schon nicht so gut in Wasser löst, für EtI gibt er nur an "gleiche Prozedur... Käme wenn man es genau nimmt natürlich auf einen Gegenversuch an ob eine gewöhnliche wässrige Wäsche da schlechter abschneiden würde.
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Newclears
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Beitrag von Newclears »

Kleiner Tip noch zur Lagerung. Iodethan verfärbt sich durch freigesetztes Iod mit der Zeit oft gelblich oder bräunlich. Das kann man unterbinden indem man etwas elementares Silber als Blattsilber oder Silberpulver zugibt, welches mit dem Iod zu Silberiodid reagiert.
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Glaskocher
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Beitrag von Glaskocher »

Das ist ein schönes Präparat. Man kann das Produkt vielseitig einsetzen und es geht von recht gut käuflichen Edukten aus.

Die Salzsäure kann das Ethanol zum Teil protonieren und es dadurch deutlich polarer machen und verstärkt in die wässrige Phase holen. Das halte ich für die plausibelste Erklärung.

Wenn man das Ethanol vor gebrauch reinigt (Ketone entfernt), dann müßte die Nebenreaktion zu Iodoform vermindert sein. Ich vermute aber, daß in Spuren vorhandenes Ethanal auch zu Iodoform reagieren kann.


Zusätzlich zum Silber empfehle ich eine Braunglasflasche, um Zersetzung durch Licht (eine mögliche Ursache der Iodbildung) auszuschließen.
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mgritsch
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Beitrag von mgritsch »

Glaskocher hat geschrieben:Die Salzsäure kann das Ethanol zum Teil protonieren und es dadurch deutlich polarer machen und verstärkt in die wässrige Phase holen. Das halte ich für die plausibelste Erklärung.
klingt sehr plausibel!
Wenn man das Ethanol vor gebrauch reinigt (Ketone entfernt), dann müßte die Nebenreaktion zu Iodoform vermindert sein. Ich vermute aber, daß in Spuren vorhandenes Ethanal auch zu Iodoform reagieren kann.
das wären aber allenfalls Spuren, nicht gleich %... gewöhnlicher "Weingeist" aus der Apotheke tut es auch schon um die Ketone zu vermeiden. Sollte ich es wiedermal brauchen werde ich das damit machen und ggfs über eine bessere Ausbeute berichten :)
Zusätzlich zum Silber empfehle ich eine Braunglasflasche, um Zersetzung durch Licht (eine mögliche Ursache der Iodbildung) auszuschließen.
Und am meisten empfehle ich gar nicht lagern sondern zu schönen Sachen weiter umsetzen :)
(Folgt dann demnächst hier... )
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NI2
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Beitrag von NI2 »

Sehr schön dokumentiert. EtI ist ein sehr nützliches Zeug, aber wem erzähle ich das :D Die schlechte Pipettierbarkeit liegt meine Erachtens aber auch an der recht hohen Dichte von fast 2 g/cm³.

Zur Lagerung empfiehlt sich wie schon geschrieben eine Braunglasflasche (bei längerer Lagerung gibt es extra mit schwarzem Kunststoff ummantelte Braunglasflaschen). Anstelle von Silber kann man auch Kupfer zur Stabilisierung nehmen, in beiden Fällen eignet sich zu einem Ball gewickelter Draht, der im Gegensatz zu Silberflittern nicht immer beim Ausgießen durch die Flasche schwirrt.
(Folgt dann demnächst hier... )
Hat die UK geklappt?
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mgritsch
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Beitrag von mgritsch »

NI2 hat geschrieben:
(Folgt dann demnächst hier... )
Hat die UK geklappt?
Grundsätzlich ja, aber ca 10% sind als blob ausgefallen, optisch nicht hübsch :) also mach ich es nochmal, ein Ticken EtOH mehr und es sollte passen. Heute Abend hab ich wieder Zeit.
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

Sehr hübsch. Nur der hohe Verbrauch an Iod stört mich (auch Jod wäre nicht viel besser :mrgreen: ). Gibt es nicht einen Weg über Kaliumiodid, so wie beim Bromethan?

Daß Iodethan nicht carcinogen sein soll, während Bromethan es ist und Chlorethan es "wahrscheinlich" ist kommt mir aber unlogisch vor.
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NI2
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Beitrag von NI2 »

lemmi hat geschrieben:Sehr hübsch. Nur der hohe Verbrauch an Iod stört mich
Das ist ein grundsätzliches Problem beim Arbeiten mit organischen Iodiden als Abgangsgruppe. Egal ob an Alkanen oder Aromaten, die Teile sind einfach schwer und teuer, so dass sich das Recyceln des Iods nach den Reaktionen lohnt (einfach wieder oxidieren).
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mgritsch
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Beitrag von mgritsch »

lemmi hat geschrieben:Sehr hübsch. Nur der hohe Verbrauch an Iod stört mich (auch Jod wäre nicht viel besser :mrgreen: ). Gibt es nicht einen Weg über Kaliumiodid, so wie beim Bromethan?
Ich weiß nicht genau wie du das mit hohem Verbrauch meinst? So wie NI2 - bei Einsatz zur Ethylierung ist die "Nutzlast" des Et von 29 im Verhältnis zum Gewicht des "Vehikels" von 127 eher gering, ist so. Wer Lust hat kann das Iod zurückgewinnen (Oxidieren, abdestillieren)

Sonst - die Ausbeute war 79% (bezogen auf Iod als limitierendem Reagens), es wurde das Iod ja durchaus überwiegend in Produkt umgesetzt. Ja die Literaturwerte gehen teils bis >90% aber ich find das nicht dramatisch schlecht.
Die Summengleichung für die Umsetzung ist mit 5 EtOH + 5 I + P --> 5 EtI + H3PO4 + H2O auch sehr vorteilhaft und es geht kein Iod in Nebenprodukten verloren, es "nimmt nur der P das OH auf"...

Kaliumiodid/H2SO4 oder gleich direkt HI kannst du sicher auch einsetzen, aber dann müsstest du 65,4 g KI verwenden um eine gleiche Menge Iod vorliegen zu haben, die Ausbeute ist idR nicht besser weil das Substitutions-Gleichgewicht mit der schlechten Abgangsgruppe -OH ohne das Iodierungs-Agens PI3 auch nciht gerade beser wird und du hast jede Menge Abfälle mit KHSO4 und H2SO4. Ich denke nicht dass das in Summe ein effizienterer Weg ist...
Plus: KI wird von konz. H2SO4 zu I2 oxidiert, das und allfälliges SO2 dürfte auch eher stören (was man dann vielleicht wiederum mit P abfangen könnte?)

Iod oder Jod... https://de.wikipedia.org/wiki/Iod sagt: Iod ist Fachsprache, Jod ist Umgangssprache. Entscheiden Sie sich auf welcher Seite Sie sein wollen... :mrgreen: 8)
Daß Iodethan nicht carcinogen sein soll, während Bromethan es ist und Chlorethan es "wahrscheinlich" ist kommt mir aber unlogisch vor.
Auf pubchem gibt es zumindest keine Hinweise dafür: https://pubchem.ncbi.nlm.nih.gov/compou ... creen=true
Während Bromethan ein langes Sündenregister hat: https://pubchem.ncbi.nlm.nih.gov/compou ... creen=true
Warum auch immer. Die Wege der Natur sind unergründlich.


p.s.: Gustostückerl für den Mediziner - auch für so etwas kann man Iodethan einsetzen:
Mobitz, W., Klinische Wochenschrift, May 1926, Volume 5, Issue 22, pp 985–986: Die Ermittlung des Herzschlagvolumens des Menschen durch Einatmung von Äthyljodid
(keine Ahnung ob man das immer noch so macht?)
Xyrofl
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Beitrag von Xyrofl »

Dass manche Stoffe, bei denen der Chemiker denkt, sie müssten doch sehr carcinogen sein, seltsamerweise nicht als carcinogen gelistet sind, liegt oftmals daran, dass sie einfach technisch und damit gesellschaftlich und berufsmedizinisch weniger relevant sind. Solange kein IARC-Report über so einen Stoff sagt, dass er tatsächlich harmlos ist, sollte man ihn lieber so behandeln als wäre er mindestens so gefährlich, wie er aussieht.
Die Einstufung geschieht zu 100% empirisch und das fast ohne irgend eine Form von Modellierung, Interpolation, Extrapolation, Induktion oder Deduktion. Wenn ein Stoff noch nicht statistisch signifikant in einer menschlichen Population durch carcinogene Wirkungen aufgefallen ist, dann wird er die höchste Kategorie nicht erreichen können, egal wie carcinogen er wirklich ist. Hat er noch nicht in Tierstudien sein carcinogenes Potential gezeigt, dann wird er nicht in die unteren Kategorien kommen, auch dann nicht wenn er ein starkes Alkylierungsmittel ist und das nächste schwächere Alkylierungsmittel definitiv krebserregend ist.
Das ist als würden wir einen Revolver oder ein Sturmgewehr nicht als gefährlich ansehen, wenn es bisher nur Amokläufe mit Pistolen, aber nicht mit Revolvern oder Sturmgewehren gab. Schlimmer noch, wenn dann festgestellt wird, dass mit einem 9mm Colt ein Kopfschuss zum Tode führen kann, dann sagen wir, bei einem Colt im Kaliber 0.45 ACP wurde das noch nicht beobachtet, die sind also vielleicht harmloser. Und wenn die sich auch als tödlich heraus stellen, dann bleiben noch die Magnumkaliber, die so selten sind, dass damit niemandem so schnell in den Kopf geschossen wird, sie also noch lange als harmlos gelten können. Natürlich haben wir bei Carcinogenen viel mehr Unwägbarkeiten als bei Schusswaffen und deswegen ist das Verfahren da nicht so unangemessen, aber an der Logik dahinter ändert sich nichts.

Letzten Endes wissen wir über Iodethan einfach deutlich weniger und können es deswegen nicht so sicher einstufen. Dadurch, dass wir weniger Untersuchungen haben, die seine Gefahr bewerten, wird es aber nicht sicherer.
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mgritsch
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Beitrag von mgritsch »

Xyrofl hat geschrieben:Dass manche Stoffe, bei denen der Chemiker denkt, sie müssten doch sehr carcinogen sein, seltsamerweise nicht als carcinogen gelistet sind, liegt oftmals daran, dass sie einfach technisch und damit gesellschaftlich und berufsmedizinisch weniger relevant sind. Solange kein IARC-Report über so einen Stoff sagt, dass er tatsächlich harmlos ist, sollte man ihn lieber so behandeln als wäre er mindestens so gefährlich, wie er aussieht.
Die Einstufung geschieht zu 100% empirisch und das fast ohne irgend eine Form von Modellierung, Interpolation, Extrapolation, Induktion oder Deduktion. Wenn ein Stoff noch nicht statistisch signifikant in einer menschlichen Population durch carcinogene Wirkungen aufgefallen ist, dann wird er die höchste Kategorie nicht erreichen können, egal wie carcinogen er wirklich ist. Hat er noch nicht in Tierstudien sein carcinogenes Potential gezeigt, dann wird er nicht in die unteren Kategorien kommen, auch dann nicht wenn er ein starkes Alkylierungsmittel ist und das nächste schwächere Alkylierungsmittel definitiv krebserregend ist.
grundsätzlich ist das sicher so, allerdings würde ich bei einem Stoff der schon so lange bekannt ist und wahrlich (zumindest im Labor) kein Exot doch davon ausgehen dass es bereits (anekdotische) Langzeiterfahrung gibt und wenn bisher keine Indizien vorliegen dann kann man auch in erster Näherung annehmen dass es wohl kein großes Problem ist. Darüber hinaus gibt es gerade im Rahmen von REACH durchaus systematische Prüfungen und Einstufungen.

Das ist als würden wir einen Revolver oder ein Sturmgewehr nicht als gefährlich ansehen, wenn es bisher nur Amokläufe mit Pistolen, aber nicht mit Revolvern oder Sturmgewehren gab. Schlimmer noch, wenn dann festgestellt wird, dass mit einem 9mm Colt ein Kopfschuss zum Tode führen kann, dann sagen wir, bei einem Colt im Kaliber 0.45 ACP wurde das noch nicht beobachtet, die sind also vielleicht harmloser. Und wenn die sich auch als tödlich heraus stellen, dann bleiben noch die Magnumkaliber, die so selten sind, dass damit niemandem so schnell in den Kopf geschossen wird, sie also noch lange als harmlos gelten können. Natürlich haben wir bei Carcinogenen viel mehr Unwägbarkeiten als bei Schusswaffen und deswegen ist das Verfahren da nicht so unangemessen, aber an der Logik dahinter ändert sich nichts.
a) Klugscheiss: .45ACP, ohne führende null :P und "Magnumkaliber" sind wirklich keine Exoten... mag sein dass die .500S&W nur etwas für Liebhaber ist, aber eine anständige .357mag ist seit über 80 Jahren ein sehr universelles, gut beherrschbares Kaliber mit durchaus "sozialrelevanter" Wirkung...

b) nicht alles was hinkt ist ein Vergleich. Bei Molekülen kann ein kleiner Unterschied sehr wohl einen sehr großen in der Wirkung ausmachen sodass in keine Richtung ein Quervergleich sinnvoll möglcih ist (wobei beim Geschoss durchaus gilt: ein Loch bleibt ein Loch und das ist sicher immer ungesund...!). Das liegt sowohl an der unterschiedlichen Chemie die möglch ist, an unterscheidlichem Fit an Rezeptoren oder Enzyme im Körper als auch an unterschiedlichster Pharmakokinetik. Trivialstes Beispiel - Benzol vs. Toluol, Liste beliebig verlängerbar...

Letzten Endes wissen wir über Iodethan einfach deutlich weniger und können es deswegen nicht so sicher einstufen. Dadurch, dass wir weniger Untersuchungen haben, die seine Gefahr bewerten, wird es aber nicht sicherer.
Am Ende wird sowieso alles krebserregend sein. Wer nimmt das noch ernst. Es wäre an der Zeit sich von einer vereinfachenden (und irritierenden) 1/0 Betrachtung zu verabschieden.
Xyrofl
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Beitrag von Xyrofl »

Sind denn bei zwei höheren Alkylhalogeniden so unterschiedliche Reaktivitäten denkbar und plausibel? Okay aus einem Alkyliodid kann ich eine hypervalente Iodverbindung machen, was aber im Körper nicht so plausibel aussieht, aber ansonsten? Ich würde sagen ansonsten sind das beides nahezu reine Alkylanzien, das macht sie ja so wertvoll. Niemand kommt im Labor darauf, dass man in Reaktionen, wo Toluol oder Benzol als Reaktand auftreten die beiden zu tauschen, das wäre irrsinnig. Nur wenn sie als inerte Lösemittel dienen sollen, will man sie tauschen, aber im Körper sind sie offensichtlich nicht inert, sonst wäre das Problem von vorneherein nicht existent. Bei den zwei Alkylhalogeniden ist das anders, die werden beide zum Alkylieren verwendet, da sie kaum etwas anderes tun und da nehmen sie sich auch nicht viel, außer dass das Iodid deutlich stärker ist, man tauscht sie im Labor als Reagenzien aus, weil sie nahezu gleich reagieren. Das unterscheidet sie fundamental von Benzol und Toluol! Zum Alkylieren der DNA mit derart kleinen Molekülen brauche ich auch keinen "Fit", schon gar nicht an einem Enzym.

Und jetzt erkläre ich noch einmal den Vergleich. Er ist nicht dazu da, zu zeigen, dass Chemikalien sich wie Waffen verhalten, sondern zu illustrieren, wie blind das Modell ist, das wir zur Einstufung einsetzen. Im Nachsatz weise ich ja auch darauf hin, dass wir bei Chemikalien gute Gründe haben, ein solches Modell zu verwenden, dennoch bleibt es ein Modell, dass so schwach ist, dass es bei Waffen versagen würde und dann gilt das Gleiche für Alkylanzien, selbst wenn der gesunde Menschenverstand wie bei Waffen sagt, dass sie fürchterlich gefährlich sein könnten auch ohne dass man sie durchgeprüft hat.

Die nullte Näherung sollte immer der gesunde Menschenverstand sein und der sagt, dass ein Alkylans dieser Art nicht harmlos ist. Bevor Studien ein solches Gewicht haben, dass sie diese sinnvollen Bedenken sicher ausräumen, sollten wir einfach dabei bleiben.
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mgritsch
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Beitrag von mgritsch »

Xyrofl hat geschrieben:Sind denn bei zwei höheren Alkylhalogeniden so unterschiedliche Reaktivitäten denkbar und plausibel?
ja, warum nicht?
Bromethan ist deutlich stabiler und hat damit eine längere Halbwertszeit in der es ethylierend auf DNA wirken kann während Iodethan sich schon in wässriger Lösung langsam zersetzt. (vermutlich in Umkehrung wieder zu Ethanol und HI)
Das Paper das ich wegen Herzvolumen messen oben genannt habe preist Iodethan als nützlich an, weil es im Blut bereits abgebaut ist bis das venöse Blut wieder zur Lunge zurück kommt, dadurch muss man keine komplizierte Akkumulierung rechnen. Extrapolieren lässt sich das auch in die andere Richtung - die Chlorverbindung ist noch stabiler und erst recht Fluor... Die Löslcihekit in Wasser ins bei Iodethan 2 mal geringer - welchen Einfluss hat das auf die Zellgängigkeit? Argumente genug?

Nur weil Chemiker Halogene gerne als "eh fast alle gleich" betrachten muss das im Körper noch lange nicht so sein.
Zum Alkylieren der DNA mit derart kleinen Molekülen brauche ich auch keinen "Fit", schon gar nicht an einem Enzym.
das nicht, aber während ein Enzym Molekül A vielleicht sehr rasch abbaut bleibt Molekül B lange erhalten um seine Wirkung zu entfalten... e voila.
Die nullte Näherung sollte immer der gesunde Menschenverstand sein und der sagt, dass ein Alkylans dieser Art nicht harmlos ist. Bevor Studien ein solches Gewicht haben, dass sie diese sinnvollen Bedenken sicher ausräumen, sollten wir einfach dabei bleiben.
das Zeug nicht zum Spass im Mengen inhalieren, übliche Vorsichtsmaßnahmen wie immer im Umgang mit Chemikalien - ja klar.
Aber sonst ist zu tode gefürchtet auch gestorben...
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