Phenylessigsäure

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Sharam
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Phenylessigsäure

Beitrag von Sharam »

Synthese von Phenylessigsäure
Phenylethansäure, PAA

Phenylessigsäure verströmt in hoher Verdünnung oder im Dampf seiner siedenden, wässrigen Lösung einen schweren, an Honig erinnernden süßen bis floralen Geruch, während es in hohen Konzentration unangenehm stechend riecht. Aus diesem Grund wird es u.a. in der Parfümerie als Duftstoff verwand. Synthesechemisch kann die Verbindung zur alternativen Darstellung von 1,4-Diphenyl-1,3-butadien oder Benzylidenphthalid dienen, ebenso jedoch auch zur illegalen Produktion von Amphetaminen über Phenylaceton genutzt werden. Daher fällt die Substanz unter das Grundstoffüberwachungsgesetz und bedarf einer Registrierung ab einer Besitzmenge von über 1 kg, die im Privatlabor jedoch nicht überschritten werden dürfte. Der Autor distanziert sich von diesem Verwendungszweck.


Geräte:

Silikonölbad, Magnetheizrührer, 250 ml Zweihalskolben, Rückflusskühler, Gaswaschflasche, Destillationsbrücke, Auffangkolben, Saugflasche mit Büchnertrichter, Bechergläser, Stativmaterial et c.


Chemikalien:

Phenylthioessigsäuremorpholid Warnhinweis: unknown
Kaliumhydroxid
Ethanol
Salzsäure
Aktivkohle (fakultativ)
Phenylessigsäure Warnhinweis: attn


Hinweis:

Während des Ansäuerns werden größere Mengen an Schwefelwasserstoff entwickelt, welche nicht vollständig durch die Absorptionslösung zurückgehalten werden können. Es ist grundsätzlich unter einem Abzug zu arbeiten. Es wird ferner darauf hingewiesen, dass der Geruch des Produktes sehr intensiv ist und sich auch nur schwer durch Auswaschen aus der Kleidung entfernen lässt.


Durchführung:

In einen 250 ml Rundkolben werden 40 g 50%ige Kaliumhydroxid-Lösung eingewogen und im Ölbad magnetisch mit einer Lösung von 11 g Phenylthioessigsäuremorpholid (Anm. 1) in 70 ml Ethanol (Anm. 2) verührt. Sobald der Ansatz homogen und klar erscheint, wird mit dem Heizen begonnen und nachfolgend 6 Stunden unter Rückfluss am Sieden gehalten. Nach Ablauf der Reaktionszeit (kann mit DC kontrolliert werden) wird der Rückflusskühler durch eine Destillationsapparatur ersetzt und der Ethanol abdestilliert. Der Rückstand wird mit etwas Wasser (ca. 20 ml) versetzt, am seitlichen Schliff ein mit Salzsäure befüllter Topftrichter angebracht und mit einem Übergangsstück über die zweite Hülse an eine mit Natriumhydroxid- oder Natriumhypochloritlösung befüllte Gaswaschflasche mit Sicherheitswaschflasche verbunden. Unter Rühren erfolgt nun die langsame Zugabe der Säure, was zu einer starken Erwärmung der Reaktionsmischung führen kann, es ist ggf. mit etwas Eis zu kühlen. Die Zugabe wird dann abgebrochen, wenn die Lösung auf dem Indikatorpapier stark sauer reagiert und kein weiterer Festoff mehr ausfällt. Die Lösung wird im Eisbad gekühlt und schließlich über einen Büchnertrichter abgesaugt. Die (verlustreiche) Rekristallisation kann aus Wasser erfolgen. Zur Optimierung der Ausbeute kann die Mutterlauge mit Ether extrahiert und die organische Phase aufgearbeitet werden (Anm. 3).

Ausbeute: 3,00 g (44,0% d.Th.) (Hauptfraktion)
Identität: Smp: 76-77 °C (entspricht)


Entsorgung:

Die wässrigen Lösungen können neutralisiert ins Abwasser gegeben werden mit Ausnahme der Hypochloritlösung, welche den anorganischen Abfällen zugeführt wird. Lösungsmittel können recycelt oder in den organischen, halogenfreien Abfällen entsorgt werden.


Erklärung:

Das Thiosäureamid wird am höchstoxidierten C-Atom nukleophil durch ein Hydroxidion angegriffen. Nach Abgang von Hydrogensulfid verbleibt das tertiäre Amid, welches in einer alkalischen Amid-Hydrolyse zum Phenylacetat abreagiert. Die langsam verlaufende Reaktion wird dabei durch die irreversible Bildung des Carboxylats vorangetrieben. Durch saure Aufarbeitung wird schließlich die Säure freigesetzt.
Schema:
Bild


Bilder:

Bild
Nach Ablauf der Reaktionszeit

Bild
Das Präparat


Literatur:
Organikum, Weinheim 2004, p. 428
Sharam
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Beitrag von Sharam »

Anm. 1: Es wurde reine Substanz eingesetzt, um die Ausbeute seriös bestimmen zu können. Bei der Verwendung von rohem Morpholid ist nach der Destillation und Verdünnung zu filtrieren.

Anm. 2: Der Autor arbeitete mit vergälltem Ethanol. Dies führt zur Bildung unerwünschter, stark gefärbter Nebenprodukte, wie auf den Bildern ekennbar ist.

Anm. 3: Um die Extraktion von Nebenprodukten zu vermeiden, sollte zuvor mit Aktivkohle aufgekocht und davon abfiltriert werden.

Die Ausbeute bezieht sich auf das vorläufig rein gewonnene Produkt und wird noch nach oben korrigiert.
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NI2
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Beitrag von NI2 »

Sehr schön!
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Vanadium
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Beitrag von Vanadium »

Ah der zweite Schritt, cool! In meiner Version des Organikums (23. Auflage) ist das ganze aber auf Seite 433 zu finden, und die Herstellung der Morpholide eine Seite davor. Wird wohl kaum jemand Schwierigkeiten beim Finden haben, aber wollte es nur anmerken!

PhHOAc hat tatsächlich einen sehr starken Geruch. Diesen und der der Ester (Methylphenylacetat z.B.) empfinde ich aber als nicht so angenehm. Die Ester riechen einfach nur extrem künstlich und "schwer". Die Assoziation zu Honig liegt dennoch nahe. Viel besser riecht der Phenylacetaldehyd, welcher einen blumigen, grünen-pollenartigen Geruch hat. :D

Ich sehe diese Synthese gerade das erste mal und bin begeistert, weil soviel verschiedene Arylessigsäuren darstellbar sind. Auch Propionsäuren sind im Organikum zu finden, da ist die Ausbeute aber nur 40% (ausgehend von Propiophenon).
Sharam
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Beitrag von Sharam »

Die Willgerodt-Reaktion lässt tatsächlich die Umsetzng längerer Seitenketten zu, aber bei der Kindler-modification gehen - wie Du ja schon anmerktest - die Ausbeuten bei 3-Cs stark zurück und werden darüber aufgrund der geringen Ausbeute nicht mehr genutzt. Daneben könnnen auch viele andere Substrate umgesetzt werden, zB Alkene, Alkine, Benzylhalogenide, Epoxide, ... Aceton ergibt mit dem Verfahren Malonsäure, die Ausbeute dürfte am Ende aber unter 10% liegen und ist daher unsinnig. Auch aromatische Aldehyde können umgesetzt werde, was aber nur der Thioamidsynthese dient, denn die Benzoesäuren können schließlich schnell, billig und unkompliziert auf anderen Wegen oxidiert werden.
Im Moment probiere ich Zimtsäure aus und es sieht echt gut aus, hoffentlich passt der Schmelzpunkt ^^
Das würde ich aber in einem gesonderten alternativ-Artikel darstellen.
Sharam
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Beitrag von Sharam »

Achso, wird sie PhHOAc abgekürzt? Hätte eher an BnCO2H gedacht...
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Vanadium
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Beitrag von Vanadium »

Ich bilde mir ein, die Abkürzung PhHOAc schon öfter gelesen zu haben. Ob das jetzt gängig ist, oder nicht, kann ich dir nicht sagen. Ich selbst finde die Abkürzung recht intuitiv im Bezug auf den vollen Namen. Die Benzylschreibweise ist auch ok. :D

Wie stellst du die Zimtsäure her? Ich wollte schon länger eine Zimtsäure-Synthese starten, will aber nicht diese exorbitanten Mengen Piperidin oder Pyridin (wie sie oft in den Anleitungen vorkommen) verbrauchen. Der andere Weg zur Zimtsäure braucht höhere Temperaturen (der mit dem Ac2O glaube ich)... Hast du nicht sogar mal eine von den beiden hochgeladen?
Sharam
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Beitrag von Sharam »

Die Zimtsäure hatte ich über Knoevenagel-Doebner hergestellt, der Artikel ist unter Synthesen zu finden. So exorbitant waren die Mengen glaube ich gar nicht, aber du musst erst einmal an das Piperidin kommen.

Wie wäre es damit: http://orgsyn.org/demo.aspx?prep=cv1p0252
Wenn Du nicht magst, kann ich das nächste Woche testen, hab gerade viel Zeit...
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Vanadium
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Beitrag von Vanadium »

Stimmt, war doch nicht soviel. Aber es war das Pyridin, von welchem man so exorbitant viel braucht. Außerdem befinde ich mich nicht im Besitz von Malonsäure! :D Die Variante mit dem Natrium finde ich super! Ich habe leider kaum Zeit für Experimente, und wenn du es probieren wollen würdest, fände ich das top! :thumbsup: Wenn nicht, würde ich es definitiv probieren, allerdings müsste ich erst mal mein Ethylacetat reinigen und trocknen und momentan hab ich wie gesagt sowie keine Zeit... :|
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

[EDIT: Schreibfehler korrigiert, formatierung angepast, verschoben]
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