Verflüssigung von Schwefeldioxid

Organische und anorganische Versuche ohne weitere Zuordnung.

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lemmi
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Verflüssigung von Schwefeldioxid

Beitrag von lemmi »

Verflüssigung von Schwefeldioxid

Schwefeldioxid ist eines der wenigen Gase, die sich ohne großen apparativen Aufwand verflüssigen lassen. Der Winter ist dazu die richtige Jahreszeit, denn er stellt den für die Kältemischung benötigten Schnee bereit. Dieser Versuch ist ein Klassiker der anorganischen Experimentalchemie.


Geräte:

Erlenmeyerkolben 100 ml mit doppelt durchbohrtem Stopfen, Tropftrichter mit langem Rohr (Scheidetrichter) 100 ml, 2 Glasröhrchen, Gummischlauch, Calciumchloridrohr mit durchbohrtem Stopfen, Pasteurpipette, Leere Ampullen (5 ml), Becherglas 250 ml + 40 ml, Gasbrenner, Magnetrührer (optional), Waage


Chemikalien:

Natriumdisulfit Warnhinweis: cWarnhinweis: attn
Schwefelsäure 25% (m/v) Warnhinweis: c
Kochsalz

Calciumchlorid, gekörnt Warnhinweis: attn
Schwefeldioxid Warnhinweis: cWarnhinweis: f+Warnhinweis: t


Hinweis: Schwefeldioxid ist giftig und reizt stark die Atemwege. Vorsicht! Vor dem offenen Fenster oder unter dem Abzug arbeiten!


Durchführung:

Es wird folgende Apparatur aufgebaut: Auf einem Magnetrührer befindet sich der Gasentwickler, der aus einem 100 ml-Weithalserlenmeyerkolben, einem Tropf(Scheide-)trichter und einem Gasableitungsrohr besteht. Der Kolben wird mit 15 g Natriumdisulfit beschickt, die in 10-15 ml Wasser suspendiert werden. Der Tropftrichter enthält 35 ml Schwefelsäure von 25 %. Das entstehende Gas passiert ein mit gekörntem Calciumchlorid gefülltes Trockenrohr und wird dann mit Hilfe einer lang ausgezogenen Pasteurpipette in eine leere, trockene Ampulle geleitet, die im Becherglas ganz rechts steht. Der Magnetrührer ist nicht unbedingt notwendig, aber zur homogenen Durchmischung des Gas-entwickelnden Reaktionsgemisches sehr nützlich. Die als Einleitungsrohr verwendete Pipette muss eine sehr lang ausgezogene, dünne Spitze besitzen, um weit genug in die Ampulle hinein reichen zu können.

Die Kältemischung wird hergestellt, indem man 300 g Schnee gründlich mit 100 g Kochsalz verrührt. Die Mischung schmilzt teilweise. Man füllt sie in das Becherglas und setzt die Gasentwicklung in Gang, indem man die Schwefelsäure langsam (!) zum Natriumdisulfit tropfen lässt. Dabei färbt sich die Reaktionsmischung zu Anfang leicht gelblich. Die Ampulle muss bis zum Hals von der Kältemischung umgeben sein. Deren Temperatur sinkt auf ca. -18 °C, sie muss ab und zu umgerührt werden.

Nach rund 10 Minuten nimmt man die Ampulle aus dem Kältebad und ersetzt sie durch eine neue, die in einer frischen Kältemischung steht. Auf diese Weise werden im Laufe von etwa 30 Minuten 3 Ampullen mit je 2-3 g flüssigem Schwefeldioxid befüllt. Der Ampullenhals wird in der Flamme des Gasbrenners abgeschmolzen. Dazu stellt man die Ampulle in ein kleines, mit Kältemischung gefülltes Becherglas, damit das Schwefeldioxid nicht verdampft.

Flüssiges Schwefeldioxid ist eine wasserklare, leicht bewegliche Flüssigkeit. Die von mir hergestellten Ampullen habe ich vor und nach dem Befüllen gewogen. Dabei habe ich 2,2 g, 2,3 g und 2,5 g Inhalt gefunden.


Entsorgung:

Die Rückstände der Reaktionsmischung sowie das gebrauchte Calciumchlorid werden über das Abwasser entsorgt. Das Schwefeldioxid bewahrt man auf. Um die Ampullen kontrolliert zu vernichten kühlt man sie zunächst erneut auf unter -10 °C, öffnet sie vorsichtig, gibt sie in ein gekühltes Reagenzglas oder einen kleinen Kolben und verschließt mit einem Stopfen und Gasableitungsrohr. Dann nimmt man das Glas aus der Kühlmischung und leitet das austretende Schwefeldioxid zur Absorption in verdünnte Natronlauge oder Sodalösung.


Erklärung:

Aus Natriumdisulfit setzt Schwefelsäure Schwefeldioxid frei. Zurück bleibt Natriumsulfat:

Na2S2O5 + H2SO4 ---> 2 SO2 + H2O + Na2SO4

Molmasse Na2S2O5: 190,1 g
Molmasse SO2: 64 g

Aus 15 g Natriumdisulfit (die zur Umsetzung 7,74 g Schwefelsäure benötigen, also 31 ml der 25%igen Säure) werden 10,1 g Schwefeldioxid frei. Ich habe also rund 70% Ausbeute erzielt.

Das Schwefeldioxid kondensiert bei -10 °C zu einer farblosen Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 1,5 g/cm3 und bei -75 °C erstarrt es. Bei 20 °C beträgt der Druck in dem Ampullen etwas mehr als das Dreifache des durchschnittlichen Luftdruckes (0,33 MPa). Die kritische Temperatur des Schwefeldioxids liegt bei 157°C. Beim Erhitzen auf diese Temperatur bildet es im geschlossenen Gefäß eine homogene Phase, das heißt, Flüssigkeit und Gas lassen sich nicht mehr unterscheiden. Der dabei auftretende Druck von 7,9 MPa - was etwa dem 78-fachen Luftdruck entspricht - ist allerdings so hoch, dass ich mich nicht getraut habe, die Ampullen auf die kritische Temperatur zu erhitzen.

Zu der uns heute so geläufigen Einsicht, dass ein und derselbe Stoff in verschiedenen Aggregatzuständen - fest, flüssig und gasförmig - vorkommen kann, ist die Wissenschaft übrigens erst im 18. Jahrhundert gekommen. Der Franzose Anne Robert Jacques Turgot (1727 - 1781) stellte die Hypothese auf, alle wägbaren Stoffe könnten sich mit verschiedenen Anteilen "Wärmestoff" verbinden und so verschiedene Aggregatzustände annehmen. Im Jahre 1756 veröffentlichte er diese Idee als erster, und zwar in einem Artikel von Didérots und d´Alemberts Enciclopedie des arts et metiers. Sie wurde dann aber – wie so oft in der Geschichte der Wissenschaften – von einem anderen aufgegriffen. Antoine Laurent Lavoisier (1743 - 1794) gliederte sie in sein "System der antiphlogistischen Chemie" ein und arbeitete klar heraus, dass Gase nicht, wie zuvor angenommen, eine besondere Klasse von Stoffen ("Luftarten") darstellen, sondern dass prinzipiell alle Stoffe in den gasförmigen Zustand übergehen können, wenn man sie nur mit einer genügend großen Menge "Wärmestoff" verbindet.


Bilder:

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Versuchsaufbau

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Die Kältemischung

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Zuschmelzen der gefüllten Ampullen

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Produkt: flüssiges Schwefeldioxid
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NI2
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Beitrag von NI2 »

Ein klassischer lemmi :D Hab schon mal ein paar Kleinigkeiten geändert, gefällt mir aber bisher ziemlich gut. Es wäre nur noch schön wenn in der Entsorgung noch ein Hinweis zum SO2(l) auftauchen würde, vielleicht wollen manche es ja nicht im Schrank stehen haben und die Ampulle nach Herstellung (+ Fotos oder ein paar kleinerer Experimente) samt Inhalt wieder vernichten.

Wichtig auch noch: die Trennlinie zwischen den verwendeten Chemikalien und den Produkte ist durch [ hr] (ohne Leerzeichen vor dem h) zu erzeugen. Geht schneller und sie wird immer gleich lang ;)
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Uranylacetat
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Beitrag von Uranylacetat »

Sehr schöner Klassiker unter den Gasverflüssigung-Versuchen! :thumbsup:
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

NI2 hat geschrieben:... Es wäre nur noch schön wenn in der Entsorgung noch ein Hinweis zum SO2(l) auftauchen würde ...
Daß ich das nicht gemacht habe, hat einen einfachen Grund: ich weiss nicht wie man es richtig entsorgen soll... :?
Aber ich nehme Vorschläge gerne auf!

Hier noch eine historische "Zulage"! Verflüssigung von Schwefeldioxid vor 120 Jahren:

Bild
(aus: Karl Heumann: Anleitung zum Experimentiren, 1893)

Man beachte die interessanten U-Röhren mit Glashähnen, die zur Aufbewahrung des flüssigen SO2 dienten!
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Caesiumhydroxid
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Beitrag von Caesiumhydroxid »

Abkühlen der Ampulle und Öffnen in einer verd. NaOH-Lsg.?
Probleme bzgl. Überdruck sollte es meines Erachtens nach bei einer gekühlten Ampulle nicht geben.
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Uranylacetat
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Beitrag von Uranylacetat »

Ja, der Heumann ist auch ein klasse Experimentierbuch, was @lemmi...? :D Mein Exemplar ist von 1876.

Schwefeldioxid habe ich übrigens auch schon einem U-Rohr verflüssigt :wink: :

Bild

Römpp/Raaf "Chemische Experimente die gelingen" 19. Auflage 1978
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NI2
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Beitrag von NI2 »

Hab's mit Boxah mal in größerem Maßstab für ne Synthese gemacht... müssten so 50-70 mL gewesen sein,... :D
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

Caesiumhydroxid hat geschrieben:Abkühlen der Ampulle und Öffnen in einer verd. NaOH-Lsg.?
Probleme bzgl. Überdruck sollte es meines Erachtens nach bei einer gekühlten Ampulle nicht geben.
Das halte ich für gefährlich. Unter einer wässrigen Lösung erwärmt sich die Ampulle sofort auf >0°C was zu einem schlagartigen Verdampfen des Inhalts beim Öffnen führen wird. Wie der dann noch mit NaOH reagiert... nein, lieber nicht!
Da würde ich es vorziehen, die Ampulle einfach im Freien auf dem Boden zu zertreten und mit dem Rücken gegen den Wind zu stehen - ist ja nicht viel Inhalt. Aber das ist glaube ich nicht die Art von "Entsorgung" die man als "professionell" veröffentlichen sollte.
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NI2
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Beitrag von NI2 »

Das war auch mein Gedanke xD An NaOH hab ich auf gedacht, aber durch die rasante Erhitzung würde wahrscheinlich ein Großteil des SO2 schneller verdampfen als beim einfachen Zertreten der Ampulle. Man müsste es ausprobieren.... :/
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Chaoschemiker
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Beitrag von Chaoschemiker »

Einkühlen in der selben Kühlmischung, aufknacken und ne Glocke mit Gasableitung drüber/geöffnete Ampulle in eingekühltes RG mit Gasableitung und Stopfen überführen und das Gas mit Sicherheitsflasche in Sodalösung/Kalkmilch und dann langsam die Ampulle warmwerden lassen?
Anwesenheit sehr wahrscheinlich.

Don't throw anything away. There is no 'away'.

Abusus non tollit usum.

Wären Maulaffen giftige Gefahrstoffe im Sinne der GefStoffV, könnte man das Gaffen an Privatpersonen durch Personen ohne Sachkunde nach §5 ChemVerbotsV nach §382 StGB bestrafen.
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lemmi
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Beitrag von lemmi »

Chaoschemiker hat geschrieben:Einkühlen in der selben Kühlmischung, aufknacken und ne Glocke mit Gasableitung drüber/geöffnete Ampulle in eingekühltes RG mit Gasableitung und Stopfen überführen und das Gas mit Sicherheitsflasche in Sodalösung/Kalkmilch und dann langsam die Ampulle warmwerden lassen?
In diesem Stil habe ich die Entsorgung jetzt mal in die Versuchsbeschreibung aufgenommen.
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Beitrag von NI2 »

edit by NI2: Kleinigkeiten geändert und verschoben.
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